Festung, bis auf die Treppen und in die Stuben der Wohnungen ver- folgen die Wüthenden einander mit dem Bajonett. So wogt der Kampf unentschieden dahin, durch fünf furchtbare Stunden. Aber die Preußen verbrauchen ihre ganze Kraft; 14,000 Mann, mehr als neunzehn Ba- taillone werden nach und nach in dies eine Dorf hineingeworfen, und zuletzt bleibt kein einziges frisches Regiment des Fußvolks mehr übrig für die Entscheidung. Noch war nichts verloren; noch mußte das Erscheinen der Engländer die Schlacht wenden. Hatte doch Wellington am Nach- mittage dem Feldmarschall abermals durch Leutnant Wussow sagen lassen, er werde mit den soeben eingetroffenen Verstärkungen eine kräftige Offen- sive zu Gunsten der preußischen Armee versuchen; sein Bevollmächtigter im Blücher'schen Hauptquartiere, Oberst Hardinge versicherte noch um 7 Uhr bestimmt, in einer halben Stunde spätestens müßten seine Lands- leute zur Stelle sein. Eine Stunde nachher ließ Gneisenau dem General Krafft sagen, nur noch eine kleine Weile solle er sich in Ligny behaupten, dann könne die englische Hilfe nicht fehlen.
Die Sonne neigte sich zum Untergange. Da führte Napoleon seine wohlgeschonten Reserven, die alte Garde und eine gewaltige Reitermasse persönlich gegen Ligny vor um das Centrum der Preußen zu durchbrechen. Während die Grenadiere unter dem wilden Rufe: "Es lebe der Kaiser! Kein Pardon!" in die Dorfgasse eindringen und jetzt endlich die ermatteten Vertheidiger zum Abzuge zwingen, umgehen einige Bataillone der Garde, von der Dämmerung begünstigt, das Dorf auf der Ostseite. Ihnen nach, den Bach durchreitend, sieben Regimenter schwerer Reiter, der Kern der kaiserlichen Cavallerie, 5000 Pferde. Sie wenden sich an Ligny vorbei gegen den Windmühlenberg von Bussy, gegen die zweite Linie der preu- ßischen Aufstellung. Blücher erkennt die Gefahr und versucht mit seiner Lieblingswaffe den Schlag abzuwehren. Soeben noch sah man den Alten erschöpft von der Anstrengung und dem quälenden Zweifel wie einen gebrochenen Mann dahertraben. Jetzt flammt er wieder auf in jugend- lichem Feuer, läßt eine Reiterbrigade, welche seitwärts hinter Ligny hält, zum Angriff vorgehen. Die Reiter jubeln, als der alte Held, den Säbel in der Faust schwingend, in weiten Bogensätzen auf seinem prächtigen Schimmel heransprengt und sich selbst an ihre Spitze stellt. Neben ihm führt Oberstleutnant Lützow, der Freischaarenführer von 1813 das sechste Uhlanenregiment mit lautem Marsch Marsch! vor; es folgen die west- preußischen Dragoner, die kurmärkischen und die Elb-Landwehrreiter; in gestrecktem Laufe jagen die Rosse durch das hohe Korn. Da stutzen die Thiere plötzlich vor einem tiefen Hohlwege, der die Felder durchschneidet, und während die Uhlanen versuchen das unvermuthete Hinderniß zu nehmen, schlagen zwei wohlgezielte Salven in ihre aufgelösten Reihen. Milhauds Kürassiere hauen nach, die Preußen machen Kehrt. Auch die Kürassiere müssen gleich darauf vor dem Feuer eines preußischen Ba-
II. 2. Belle Alliance.
Feſtung, bis auf die Treppen und in die Stuben der Wohnungen ver- folgen die Wüthenden einander mit dem Bajonett. So wogt der Kampf unentſchieden dahin, durch fünf furchtbare Stunden. Aber die Preußen verbrauchen ihre ganze Kraft; 14,000 Mann, mehr als neunzehn Ba- taillone werden nach und nach in dies eine Dorf hineingeworfen, und zuletzt bleibt kein einziges friſches Regiment des Fußvolks mehr übrig für die Entſcheidung. Noch war nichts verloren; noch mußte das Erſcheinen der Engländer die Schlacht wenden. Hatte doch Wellington am Nach- mittage dem Feldmarſchall abermals durch Leutnant Wuſſow ſagen laſſen, er werde mit den ſoeben eingetroffenen Verſtärkungen eine kräftige Offen- ſive zu Gunſten der preußiſchen Armee verſuchen; ſein Bevollmächtigter im Blücher’ſchen Hauptquartiere, Oberſt Hardinge verſicherte noch um 7 Uhr beſtimmt, in einer halben Stunde ſpäteſtens müßten ſeine Lands- leute zur Stelle ſein. Eine Stunde nachher ließ Gneiſenau dem General Krafft ſagen, nur noch eine kleine Weile ſolle er ſich in Ligny behaupten, dann könne die engliſche Hilfe nicht fehlen.
Die Sonne neigte ſich zum Untergange. Da führte Napoleon ſeine wohlgeſchonten Reſerven, die alte Garde und eine gewaltige Reitermaſſe perſönlich gegen Ligny vor um das Centrum der Preußen zu durchbrechen. Während die Grenadiere unter dem wilden Rufe: „Es lebe der Kaiſer! Kein Pardon!“ in die Dorfgaſſe eindringen und jetzt endlich die ermatteten Vertheidiger zum Abzuge zwingen, umgehen einige Bataillone der Garde, von der Dämmerung begünſtigt, das Dorf auf der Oſtſeite. Ihnen nach, den Bach durchreitend, ſieben Regimenter ſchwerer Reiter, der Kern der kaiſerlichen Cavallerie, 5000 Pferde. Sie wenden ſich an Ligny vorbei gegen den Windmühlenberg von Buſſy, gegen die zweite Linie der preu- ßiſchen Aufſtellung. Blücher erkennt die Gefahr und verſucht mit ſeiner Lieblingswaffe den Schlag abzuwehren. Soeben noch ſah man den Alten erſchöpft von der Anſtrengung und dem quälenden Zweifel wie einen gebrochenen Mann dahertraben. Jetzt flammt er wieder auf in jugend- lichem Feuer, läßt eine Reiterbrigade, welche ſeitwärts hinter Ligny hält, zum Angriff vorgehen. Die Reiter jubeln, als der alte Held, den Säbel in der Fauſt ſchwingend, in weiten Bogenſätzen auf ſeinem prächtigen Schimmel heranſprengt und ſich ſelbſt an ihre Spitze ſtellt. Neben ihm führt Oberſtleutnant Lützow, der Freiſchaarenführer von 1813 das ſechste Uhlanenregiment mit lautem Marſch Marſch! vor; es folgen die weſt- preußiſchen Dragoner, die kurmärkiſchen und die Elb-Landwehrreiter; in geſtrecktem Laufe jagen die Roſſe durch das hohe Korn. Da ſtutzen die Thiere plötzlich vor einem tiefen Hohlwege, der die Felder durchſchneidet, und während die Uhlanen verſuchen das unvermuthete Hinderniß zu nehmen, ſchlagen zwei wohlgezielte Salven in ihre aufgelöſten Reihen. Milhauds Küraſſiere hauen nach, die Preußen machen Kehrt. Auch die Küraſſiere müſſen gleich darauf vor dem Feuer eines preußiſchen Ba-
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folgen die Wüthenden einander mit dem Bajonett. So wogt der Kampf
unentſchieden dahin, durch fünf furchtbare Stunden. Aber die Preußen
verbrauchen ihre ganze Kraft; 14,000 Mann, mehr als neunzehn Ba-
taillone werden nach und nach in dies eine Dorf hineingeworfen, und
zuletzt bleibt kein einziges friſches Regiment des Fußvolks mehr übrig für
die Entſcheidung. Noch war nichts verloren; noch mußte das Erſcheinen
der Engländer die Schlacht wenden. Hatte doch Wellington am Nach-
mittage dem Feldmarſchall abermals durch Leutnant Wuſſow ſagen laſſen,
er werde mit den ſoeben eingetroffenen Verſtärkungen eine kräftige Offen-
ſive zu Gunſten der preußiſchen Armee verſuchen; ſein Bevollmächtigter
im Blücher’ſchen Hauptquartiere, Oberſt Hardinge verſicherte noch um
7 Uhr beſtimmt, in einer halben Stunde ſpäteſtens müßten ſeine Lands-
leute zur Stelle ſein. Eine Stunde nachher ließ Gneiſenau dem General
Krafft ſagen, nur noch eine kleine Weile ſolle er ſich in Ligny behaupten,
dann könne die engliſche Hilfe nicht fehlen.
Die Sonne neigte ſich zum Untergange. Da führte Napoleon ſeine
wohlgeſchonten Reſerven, die alte Garde und eine gewaltige Reitermaſſe
perſönlich gegen Ligny vor um das Centrum der Preußen zu durchbrechen.
Während die Grenadiere unter dem wilden Rufe: „Es lebe der Kaiſer!
Kein Pardon!“ in die Dorfgaſſe eindringen und jetzt endlich die ermatteten
Vertheidiger zum Abzuge zwingen, umgehen einige Bataillone der Garde,
von der Dämmerung begünſtigt, das Dorf auf der Oſtſeite. Ihnen nach,
den Bach durchreitend, ſieben Regimenter ſchwerer Reiter, der Kern der
kaiſerlichen Cavallerie, 5000 Pferde. Sie wenden ſich an Ligny vorbei
gegen den Windmühlenberg von Buſſy, gegen die zweite Linie der preu-
ßiſchen Aufſtellung. Blücher erkennt die Gefahr und verſucht mit ſeiner
Lieblingswaffe den Schlag abzuwehren. Soeben noch ſah man den Alten
erſchöpft von der Anſtrengung und dem quälenden Zweifel wie einen
gebrochenen Mann dahertraben. Jetzt flammt er wieder auf in jugend-
lichem Feuer, läßt eine Reiterbrigade, welche ſeitwärts hinter Ligny hält,
zum Angriff vorgehen. Die Reiter jubeln, als der alte Held, den Säbel
in der Fauſt ſchwingend, in weiten Bogenſätzen auf ſeinem prächtigen
Schimmel heranſprengt und ſich ſelbſt an ihre Spitze ſtellt. Neben ihm
führt Oberſtleutnant Lützow, der Freiſchaarenführer von 1813 das ſechste
Uhlanenregiment mit lautem Marſch Marſch! vor; es folgen die weſt-
preußiſchen Dragoner, die kurmärkiſchen und die Elb-Landwehrreiter; in
geſtrecktem Laufe jagen die Roſſe durch das hohe Korn. Da ſtutzen die
Thiere plötzlich vor einem tiefen Hohlwege, der die Felder durchſchneidet,
und während die Uhlanen verſuchen das unvermuthete Hinderniß zu
nehmen, ſchlagen zwei wohlgezielte Salven in ihre aufgelöſten Reihen.
Milhauds Küraſſiere hauen nach, die Preußen machen Kehrt. Auch die
Küraſſiere müſſen gleich darauf vor dem Feuer eines preußiſchen Ba-
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 740. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/756>, abgerufen am 22.11.2024.
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