I. 1. Deutschland nach dem Westphälischen Frieden.
von Roßbach, den Rebellen gegen Kaiser und Reich. Mit diesem wüsten Satyrspiele ging die große Tragödie der Reichsgeschichte in Wahrheit zu Ende; was noch übrig blieb von dem alten deutschen Gemeinwesen bewahrte kaum noch den Schein des Lebens.
Der Sieger aber, der im Donner der Schlachten die alten theokra- tischen Formen über den Haufen warf, war der Schirmherr des Protestantis- mus. Wie verblaßt auch die kirchlichen Gegensätze dem Zeitalter der Aufklä- rung erschienen, Friedrich erkannte doch, daß der Bestand des westphälischen Friedens, die Parität der Glaubensbekenntnisse im Reiche unhaltbar wurde sobald die beiden katholischen Großmächte triumphirten; die gemeinsame protestantische Sache bot ihm die einzige Handhabe um die zagenden kleinen Fürsten in den Kampf gegen Oesterreich zu drängen. Wachsam folgte sein Auge den geheimen Umtrieben der "pretraille" an den protestan- tischen Höfen; sein Machtwort schützte die Freiheit der evangelischen Kirche in Württemberg und Hessen, als dort die Thronfolger zum römischen Bekenntniß übertraten. Und noch klarer als er selber erkannten seine kleinen norddeutschen Bundesgenossen die religiöse Bedeutung des Krieges: in den Briefen des hessischen Ministers F. A. v. Hardenberg heißen die Verbündeten Preußens stets kurzweg "die evangelischen Stände", und das treue Festhalten an der preußischen Partei wird als das natürliche System aller protestantischen Staaten des Reichs gepriesen. Unter den Klängen lutherischer Kirchenlieder zog der preußische Grenadier zur Schlacht, die evangelischen Soldaten des schwäbischen Kreises liefen fluchend ausein- ander, weil sie nicht gegen ihre Glaubensgenossen fechten wollten; in den Conventikeln der englischen Dissenters beteten gottselige Prediger für den Maccabäer des Evangeliums, den Freigeist Friedrich. Der Papst aber beschenkte den Feldmarschall der Kaiserin mit geweihtem Hut und Degen, und jede neue Siegesbotschaft aus dem preußischen Lager rief im Vatican einen Sturm des Unwillens und der Angst hervor. Wie zerfahren und zerfallen hatte hundert und zwanzig Jahre zuvor die protestantische Welt zu den Füßen Roms gelegen, als die Fahnen der Wallensteiner am Ostseestrande wehten und die Stuarts das Parlament ihrer römischen Königskunst zu unterwerfen trachteten. Jetzt gab eine protestantische Großmacht dem heiligen Reiche den Gnadenstoß, und durch die Schlachten am Ohio und am Ganges wurde für alle Zukunft entschieden, daß die Herrschaft über das Weltmeer und die Colonien den protestantischen Germanen gehörte.
Der Kampf um Preußens Dasein war der erste europäische Krieg; er schuf die Einheit der neuen Staatengesellschaft und gab ihr die aristo- kratische Form der Pentarchie. Als die neue mitteleuropäische Großmacht sich die Anerkennung der Nachbarmächte erzwang, da verschmolzen die beiden alten Staatensysteme des Ostens und des Westens zu einer einzigen unzertrennlichen Gemeinschaft, und zugleich sank das Ansehen der min-
I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.
von Roßbach, den Rebellen gegen Kaiſer und Reich. Mit dieſem wüſten Satyrſpiele ging die große Tragödie der Reichsgeſchichte in Wahrheit zu Ende; was noch übrig blieb von dem alten deutſchen Gemeinweſen bewahrte kaum noch den Schein des Lebens.
Der Sieger aber, der im Donner der Schlachten die alten theokra- tiſchen Formen über den Haufen warf, war der Schirmherr des Proteſtantis- mus. Wie verblaßt auch die kirchlichen Gegenſätze dem Zeitalter der Aufklä- rung erſchienen, Friedrich erkannte doch, daß der Beſtand des weſtphäliſchen Friedens, die Parität der Glaubensbekenntniſſe im Reiche unhaltbar wurde ſobald die beiden katholiſchen Großmächte triumphirten; die gemeinſame proteſtantiſche Sache bot ihm die einzige Handhabe um die zagenden kleinen Fürſten in den Kampf gegen Oeſterreich zu drängen. Wachſam folgte ſein Auge den geheimen Umtrieben der „prêtraille“ an den proteſtan- tiſchen Höfen; ſein Machtwort ſchützte die Freiheit der evangeliſchen Kirche in Württemberg und Heſſen, als dort die Thronfolger zum römiſchen Bekenntniß übertraten. Und noch klarer als er ſelber erkannten ſeine kleinen norddeutſchen Bundesgenoſſen die religiöſe Bedeutung des Krieges: in den Briefen des heſſiſchen Miniſters F. A. v. Hardenberg heißen die Verbündeten Preußens ſtets kurzweg „die evangeliſchen Stände“, und das treue Feſthalten an der preußiſchen Partei wird als das natürliche Syſtem aller proteſtantiſchen Staaten des Reichs geprieſen. Unter den Klängen lutheriſcher Kirchenlieder zog der preußiſche Grenadier zur Schlacht, die evangeliſchen Soldaten des ſchwäbiſchen Kreiſes liefen fluchend ausein- ander, weil ſie nicht gegen ihre Glaubensgenoſſen fechten wollten; in den Conventikeln der engliſchen Diſſenters beteten gottſelige Prediger für den Maccabäer des Evangeliums, den Freigeiſt Friedrich. Der Papſt aber beſchenkte den Feldmarſchall der Kaiſerin mit geweihtem Hut und Degen, und jede neue Siegesbotſchaft aus dem preußiſchen Lager rief im Vatican einen Sturm des Unwillens und der Angſt hervor. Wie zerfahren und zerfallen hatte hundert und zwanzig Jahre zuvor die proteſtantiſche Welt zu den Füßen Roms gelegen, als die Fahnen der Wallenſteiner am Oſtſeeſtrande wehten und die Stuarts das Parlament ihrer römiſchen Königskunſt zu unterwerfen trachteten. Jetzt gab eine proteſtantiſche Großmacht dem heiligen Reiche den Gnadenſtoß, und durch die Schlachten am Ohio und am Ganges wurde für alle Zukunft entſchieden, daß die Herrſchaft über das Weltmeer und die Colonien den proteſtantiſchen Germanen gehörte.
Der Kampf um Preußens Daſein war der erſte europäiſche Krieg; er ſchuf die Einheit der neuen Staatengeſellſchaft und gab ihr die ariſto- kratiſche Form der Pentarchie. Als die neue mitteleuropäiſche Großmacht ſich die Anerkennung der Nachbarmächte erzwang, da verſchmolzen die beiden alten Staatenſyſteme des Oſtens und des Weſtens zu einer einzigen unzertrennlichen Gemeinſchaft, und zugleich ſank das Anſehen der min-
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I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.
von Roßbach, den Rebellen gegen Kaiſer und Reich. Mit dieſem wüſten
Satyrſpiele ging die große Tragödie der Reichsgeſchichte in Wahrheit zu
Ende; was noch übrig blieb von dem alten deutſchen Gemeinweſen bewahrte
kaum noch den Schein des Lebens.
Der Sieger aber, der im Donner der Schlachten die alten theokra-
tiſchen Formen über den Haufen warf, war der Schirmherr des Proteſtantis-
mus. Wie verblaßt auch die kirchlichen Gegenſätze dem Zeitalter der Aufklä-
rung erſchienen, Friedrich erkannte doch, daß der Beſtand des weſtphäliſchen
Friedens, die Parität der Glaubensbekenntniſſe im Reiche unhaltbar wurde
ſobald die beiden katholiſchen Großmächte triumphirten; die gemeinſame
proteſtantiſche Sache bot ihm die einzige Handhabe um die zagenden
kleinen Fürſten in den Kampf gegen Oeſterreich zu drängen. Wachſam
folgte ſein Auge den geheimen Umtrieben der „prêtraille“ an den proteſtan-
tiſchen Höfen; ſein Machtwort ſchützte die Freiheit der evangeliſchen Kirche
in Württemberg und Heſſen, als dort die Thronfolger zum römiſchen
Bekenntniß übertraten. Und noch klarer als er ſelber erkannten ſeine
kleinen norddeutſchen Bundesgenoſſen die religiöſe Bedeutung des Krieges:
in den Briefen des heſſiſchen Miniſters F. A. v. Hardenberg heißen die
Verbündeten Preußens ſtets kurzweg „die evangeliſchen Stände“, und das
treue Feſthalten an der preußiſchen Partei wird als das natürliche Syſtem
aller proteſtantiſchen Staaten des Reichs geprieſen. Unter den Klängen
lutheriſcher Kirchenlieder zog der preußiſche Grenadier zur Schlacht, die
evangeliſchen Soldaten des ſchwäbiſchen Kreiſes liefen fluchend ausein-
ander, weil ſie nicht gegen ihre Glaubensgenoſſen fechten wollten; in
den Conventikeln der engliſchen Diſſenters beteten gottſelige Prediger
für den Maccabäer des Evangeliums, den Freigeiſt Friedrich. Der Papſt
aber beſchenkte den Feldmarſchall der Kaiſerin mit geweihtem Hut und
Degen, und jede neue Siegesbotſchaft aus dem preußiſchen Lager rief
im Vatican einen Sturm des Unwillens und der Angſt hervor. Wie
zerfahren und zerfallen hatte hundert und zwanzig Jahre zuvor die
proteſtantiſche Welt zu den Füßen Roms gelegen, als die Fahnen der
Wallenſteiner am Oſtſeeſtrande wehten und die Stuarts das Parlament
ihrer römiſchen Königskunſt zu unterwerfen trachteten. Jetzt gab eine
proteſtantiſche Großmacht dem heiligen Reiche den Gnadenſtoß, und
durch die Schlachten am Ohio und am Ganges wurde für alle Zukunft
entſchieden, daß die Herrſchaft über das Weltmeer und die Colonien den
proteſtantiſchen Germanen gehörte.
Der Kampf um Preußens Daſein war der erſte europäiſche Krieg;
er ſchuf die Einheit der neuen Staatengeſellſchaft und gab ihr die ariſto-
kratiſche Form der Pentarchie. Als die neue mitteleuropäiſche Großmacht
ſich die Anerkennung der Nachbarmächte erzwang, da verſchmolzen die
beiden alten Staatenſyſteme des Oſtens und des Weſtens zu einer einzigen
unzertrennlichen Gemeinſchaft, und zugleich ſank das Anſehen der min-
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/76>, abgerufen am 09.11.2024.
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