dermächtigen Staaten, welche früherhin zuweilen durch ihren Zutritt zu einer Coalition den Ausschlag in einem großen Kriege gegeben hatten, doch jetzt den schweren Anforderungen der neuen großartigen Kriegsweise nicht mehr genügen konnten; die Staaten zweiten Ranges beschieden sich fortan, die Leitung der europäischen Dinge den großen Kriegs- und See- mächten zu überlassen. Unter diesen fünf führenden Mächten aber waren zwei protestantisch, eine schismatisch; die Rückkehr Europas unter die Herrschaft des gekrönten Priesters blieb nunmehr undenkbar. Die Be- festigung der protestantisch-deutschen Großmacht war die schwerste Nieder- lage, welche der römische Stuhl seit dem Auftreten Martin Luthers er- litten; König Friedrich hat wirklich, wie der englische Gesandte Mitchell von ihm sagte, für die Freiheit des Menschengeschlechts gefochten.
In der Schule der Leiden und der Kämpfe erwuchs dem Volke Preußens eine lebendige Staatsgesinnung; sie berechtigte den König von seiner nation prussienne zu reden. Ein Preuße zu sein war vordem eine schwere Pflicht, jetzt ward es eine Ehre. Der Gedanke des Staates, des Vaterlandes drang erregend und stärkend in Millionen Herzen; auch die gedrückte Seele des kleinen Mannes spürte einen Hauch von dem antiken Bürgersinne, der aus den schlichten Worten des Königs sprach: "Es ist nicht nöthig, daß ich lebe, wohl aber, daß ich meine Pflicht thue und für mein Vaterland kämpfe." Ueberall in Preußen regten sich unter den steifen Formen des absoluten Königthums der Opfermuth und die große Leidenschaft des Volkskrieges. Das Heer, das Friedrichs letzte Schlachten schlug, war national; die Werbungen im Auslande verboten sich von selber in der Noth der Zeit. Die Stände der Marken rüsteten freiwillig jene Regimenter aus, welche die Festungen Magdeburg, Stettin und Küstrin dem Staate retteten; die pommerschen Seeleute traten zusammen um mit ihrer kleinen Flotte die Odermündungen gegen die Schweden zu halten. Sechs Jahre lang empfingen die blutarmen Be- amten kein Gehalt und versahen ruhig ihren Dienst, als verstünde sichs von selber. Wetteifernd thaten alle Provinzen ihre verfluchte Pflicht und Schuldigkeit, wie die neue Redensart der Preußen lautete: von den tapferen Bauern der rheinischen Grafschaft Mörs bis hinüber zu den unglücklichen Ostpreußen, die dem russischen Eroberer ihren zähen stillen Widerstand entgegenstemmten und sich in ihrer festen Treue gar nicht stören ließen, als der unerbittliche König sie des Abfalls zieh und mit Beweisen der Ungnade überhäufte.
Die völkerbildende Macht des Krieges erweckte in diesen norddeutschen Stämmen zuerst wieder jenen schroffen Stolz, der einst die Romfahrer und die Slavenbesieger unseres Mittelalters beseelte; das kecke Selbstge- fühl der Preußen stach seltsam ab von der harmlos gemüthlichen Beschei- denheit der anderen Deutschen. Voll Zuversicht widerlegt Graf Hertz- berg die Lehre Montesquieus von der republikanischen Tugend: wo sei
Die neue Staatengeſellſchaft.
dermächtigen Staaten, welche früherhin zuweilen durch ihren Zutritt zu einer Coalition den Ausſchlag in einem großen Kriege gegeben hatten, doch jetzt den ſchweren Anforderungen der neuen großartigen Kriegsweiſe nicht mehr genügen konnten; die Staaten zweiten Ranges beſchieden ſich fortan, die Leitung der europäiſchen Dinge den großen Kriegs- und See- mächten zu überlaſſen. Unter dieſen fünf führenden Mächten aber waren zwei proteſtantiſch, eine ſchismatiſch; die Rückkehr Europas unter die Herrſchaft des gekrönten Prieſters blieb nunmehr undenkbar. Die Be- feſtigung der proteſtantiſch-deutſchen Großmacht war die ſchwerſte Nieder- lage, welche der römiſche Stuhl ſeit dem Auftreten Martin Luthers er- litten; König Friedrich hat wirklich, wie der engliſche Geſandte Mitchell von ihm ſagte, für die Freiheit des Menſchengeſchlechts gefochten.
In der Schule der Leiden und der Kämpfe erwuchs dem Volke Preußens eine lebendige Staatsgeſinnung; ſie berechtigte den König von ſeiner nation prussienne zu reden. Ein Preuße zu ſein war vordem eine ſchwere Pflicht, jetzt ward es eine Ehre. Der Gedanke des Staates, des Vaterlandes drang erregend und ſtärkend in Millionen Herzen; auch die gedrückte Seele des kleinen Mannes ſpürte einen Hauch von dem antiken Bürgerſinne, der aus den ſchlichten Worten des Königs ſprach: „Es iſt nicht nöthig, daß ich lebe, wohl aber, daß ich meine Pflicht thue und für mein Vaterland kämpfe.“ Ueberall in Preußen regten ſich unter den ſteifen Formen des abſoluten Königthums der Opfermuth und die große Leidenſchaft des Volkskrieges. Das Heer, das Friedrichs letzte Schlachten ſchlug, war national; die Werbungen im Auslande verboten ſich von ſelber in der Noth der Zeit. Die Stände der Marken rüſteten freiwillig jene Regimenter aus, welche die Feſtungen Magdeburg, Stettin und Küſtrin dem Staate retteten; die pommerſchen Seeleute traten zuſammen um mit ihrer kleinen Flotte die Odermündungen gegen die Schweden zu halten. Sechs Jahre lang empfingen die blutarmen Be- amten kein Gehalt und verſahen ruhig ihren Dienſt, als verſtünde ſichs von ſelber. Wetteifernd thaten alle Provinzen ihre verfluchte Pflicht und Schuldigkeit, wie die neue Redensart der Preußen lautete: von den tapferen Bauern der rheiniſchen Grafſchaft Mörs bis hinüber zu den unglücklichen Oſtpreußen, die dem ruſſiſchen Eroberer ihren zähen ſtillen Widerſtand entgegenſtemmten und ſich in ihrer feſten Treue gar nicht ſtören ließen, als der unerbittliche König ſie des Abfalls zieh und mit Beweiſen der Ungnade überhäufte.
Die völkerbildende Macht des Krieges erweckte in dieſen norddeutſchen Stämmen zuerſt wieder jenen ſchroffen Stolz, der einſt die Romfahrer und die Slavenbeſieger unſeres Mittelalters beſeelte; das kecke Selbſtge- fühl der Preußen ſtach ſeltſam ab von der harmlos gemüthlichen Beſchei- denheit der anderen Deutſchen. Voll Zuverſicht widerlegt Graf Hertz- berg die Lehre Montesquieus von der republikaniſchen Tugend: wo ſei
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Die neue Staatengeſellſchaft.
dermächtigen Staaten, welche früherhin zuweilen durch ihren Zutritt zu
einer Coalition den Ausſchlag in einem großen Kriege gegeben hatten,
doch jetzt den ſchweren Anforderungen der neuen großartigen Kriegsweiſe
nicht mehr genügen konnten; die Staaten zweiten Ranges beſchieden ſich
fortan, die Leitung der europäiſchen Dinge den großen Kriegs- und See-
mächten zu überlaſſen. Unter dieſen fünf führenden Mächten aber
waren zwei proteſtantiſch, eine ſchismatiſch; die Rückkehr Europas unter
die Herrſchaft des gekrönten Prieſters blieb nunmehr undenkbar. Die Be-
feſtigung der proteſtantiſch-deutſchen Großmacht war die ſchwerſte Nieder-
lage, welche der römiſche Stuhl ſeit dem Auftreten Martin Luthers er-
litten; König Friedrich hat wirklich, wie der engliſche Geſandte Mitchell
von ihm ſagte, für die Freiheit des Menſchengeſchlechts gefochten.
In der Schule der Leiden und der Kämpfe erwuchs dem Volke
Preußens eine lebendige Staatsgeſinnung; ſie berechtigte den König von
ſeiner nation prussienne zu reden. Ein Preuße zu ſein war vordem
eine ſchwere Pflicht, jetzt ward es eine Ehre. Der Gedanke des Staates,
des Vaterlandes drang erregend und ſtärkend in Millionen Herzen; auch
die gedrückte Seele des kleinen Mannes ſpürte einen Hauch von dem
antiken Bürgerſinne, der aus den ſchlichten Worten des Königs ſprach:
„Es iſt nicht nöthig, daß ich lebe, wohl aber, daß ich meine Pflicht thue
und für mein Vaterland kämpfe.“ Ueberall in Preußen regten ſich unter
den ſteifen Formen des abſoluten Königthums der Opfermuth und die
große Leidenſchaft des Volkskrieges. Das Heer, das Friedrichs letzte
Schlachten ſchlug, war national; die Werbungen im Auslande verboten
ſich von ſelber in der Noth der Zeit. Die Stände der Marken rüſteten
freiwillig jene Regimenter aus, welche die Feſtungen Magdeburg, Stettin
und Küſtrin dem Staate retteten; die pommerſchen Seeleute traten
zuſammen um mit ihrer kleinen Flotte die Odermündungen gegen die
Schweden zu halten. Sechs Jahre lang empfingen die blutarmen Be-
amten kein Gehalt und verſahen ruhig ihren Dienſt, als verſtünde
ſichs von ſelber. Wetteifernd thaten alle Provinzen ihre verfluchte
Pflicht und Schuldigkeit, wie die neue Redensart der Preußen lautete:
von den tapferen Bauern der rheiniſchen Grafſchaft Mörs bis hinüber
zu den unglücklichen Oſtpreußen, die dem ruſſiſchen Eroberer ihren zähen
ſtillen Widerſtand entgegenſtemmten und ſich in ihrer feſten Treue gar
nicht ſtören ließen, als der unerbittliche König ſie des Abfalls zieh und
mit Beweiſen der Ungnade überhäufte.
Die völkerbildende Macht des Krieges erweckte in dieſen norddeutſchen
Stämmen zuerſt wieder jenen ſchroffen Stolz, der einſt die Romfahrer
und die Slavenbeſieger unſeres Mittelalters beſeelte; das kecke Selbſtge-
fühl der Preußen ſtach ſeltſam ab von der harmlos gemüthlichen Beſchei-
denheit der anderen Deutſchen. Voll Zuverſicht widerlegt Graf Hertz-
berg die Lehre Montesquieus von der republikaniſchen Tugend: wo ſei
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/77>, abgerufen am 16.02.2025.
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