I. 1. Deutschland nach dem Westphälischen Frieden.
denn je in Republiken eine festere Bürgertugend gediehen, als hier unter dem stählenden nordischen Himmel, bei den Nachkommen jener heroischen Nationen, der Gothen und Vandalen, die einst das Römerreich in Trümmer schlugen? Derselbe Sinn lebt in den Massen des Volks; er verräth sich bald in dreister Prahlerei, in den tausend landläufigen Spottgeschichten von kaiserlicher Dummheit und preußischer Husarenlist, bald in rührenden Zügen gewissenhafter Treue. Der junge Seemann Joachim Nettelbeck kommt noch Danzig und wird gedungen, den König von Polen über den Hafen zu rudern; man setzt ihm einen Hut auf mit dem Namenszuge König Augusts; er sträubt sich lange, denn das fremde Hoheitszeichen zu tragen scheint ihm ein Verrath an seinem Preußen- könig; endlich muß er sich fügen, doch der verdiente Ducaten brennt ihm in der Hand, und sobald er nach Pommern heimkehrt schenkt er das Sündengeld dem ersten preußischen Invaliden, der ihm in den Weg kommt. So reizbar ward jetzt der politische Stolz in diesem Volke, das vor wenigen Jahrzehnten noch in der Armseligkeit seiner häuslichen Sorgen verkam.
Es ließ sich doch nicht vergessen, daß zu den zwei großen Kriegsfürsten der Geschichte, zu Caesar und Alexander, sich nunmehr ein Preuße als Dritter gesellte. Im Gemüthe des norddeutschen Volks liegt dicht neben der festen Ausdauer ein Zug übermüthigen Leichtsinns, der mit der Gefahr vermessen zu spielen liebt, und dies ihr eigenes Wesen fanden die Preußen in dem Feldherrn Friedrich zu genialer Mächtigkeit gesteigert wieder: wie er, nach harter Lehrzeit rasch zum Meister gereift, die behut- samen Regeln der schwerfälligen alten Kriegskunst zur Seite warf und selber dem Feinde "das Gesetz des Krieges dictirte", stets bereit die Entscheidung in freier Feldschlacht zu suchen; wie er die kühnste der Waffen, die Reiterei, wieder zu der Stellung erhob, die ihr im großen Kriege gebührt; wie er nach jedem Siege und nach jeder seiner drei Niederlagen immer von Neuem "das stolze Vorrecht der Initiative" behauptete. Der Erfolg lehrte, wie glücklich der König und sein Volk einander verstanden; ein dichter Kreis von Helden schaarte sich um den Feldherrn und verbreitete bis in die untersten Schichten des Heeres die frohe Wagelust, jenen Geist der Offensive, der in allen ihren großen Zeiten die Stärke der preußischen Armee geblieben ist; aus märkischen Junkern und pommerschen Bauerburschen erzog sich Friedrich die ge- fürchteten Regimenter Ansbach-Baireuth-Dragoner und Zieten-Husaren, die im tollen Dahinjagen und schneidigen Einhauen bald die wilden Reitervölker Ungarns übertrafen. Mit Stolz sprach der König aus, für solche Soldaten gebe es kein Wagniß: "ein General, der in anderen Heeren für tollkühn gelten würde, thut bei uns nur seine Pflicht." Die zwölf Feldzüge der fridericianischen Zeit haben dem kriegerischen Geiste des preußischen Volkes und Heeres für immer seine Eigenart gegeben;
I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.
denn je in Republiken eine feſtere Bürgertugend gediehen, als hier unter dem ſtählenden nordiſchen Himmel, bei den Nachkommen jener heroiſchen Nationen, der Gothen und Vandalen, die einſt das Römerreich in Trümmer ſchlugen? Derſelbe Sinn lebt in den Maſſen des Volks; er verräth ſich bald in dreiſter Prahlerei, in den tauſend landläufigen Spottgeſchichten von kaiſerlicher Dummheit und preußiſcher Huſarenliſt, bald in rührenden Zügen gewiſſenhafter Treue. Der junge Seemann Joachim Nettelbeck kommt noch Danzig und wird gedungen, den König von Polen über den Hafen zu rudern; man ſetzt ihm einen Hut auf mit dem Namenszuge König Auguſts; er ſträubt ſich lange, denn das fremde Hoheitszeichen zu tragen ſcheint ihm ein Verrath an ſeinem Preußen- könig; endlich muß er ſich fügen, doch der verdiente Ducaten brennt ihm in der Hand, und ſobald er nach Pommern heimkehrt ſchenkt er das Sündengeld dem erſten preußiſchen Invaliden, der ihm in den Weg kommt. So reizbar ward jetzt der politiſche Stolz in dieſem Volke, das vor wenigen Jahrzehnten noch in der Armſeligkeit ſeiner häuslichen Sorgen verkam.
Es ließ ſich doch nicht vergeſſen, daß zu den zwei großen Kriegsfürſten der Geſchichte, zu Caeſar und Alexander, ſich nunmehr ein Preuße als Dritter geſellte. Im Gemüthe des norddeutſchen Volks liegt dicht neben der feſten Ausdauer ein Zug übermüthigen Leichtſinns, der mit der Gefahr vermeſſen zu ſpielen liebt, und dies ihr eigenes Weſen fanden die Preußen in dem Feldherrn Friedrich zu genialer Mächtigkeit geſteigert wieder: wie er, nach harter Lehrzeit raſch zum Meiſter gereift, die behut- ſamen Regeln der ſchwerfälligen alten Kriegskunſt zur Seite warf und ſelber dem Feinde „das Geſetz des Krieges dictirte“, ſtets bereit die Entſcheidung in freier Feldſchlacht zu ſuchen; wie er die kühnſte der Waffen, die Reiterei, wieder zu der Stellung erhob, die ihr im großen Kriege gebührt; wie er nach jedem Siege und nach jeder ſeiner drei Niederlagen immer von Neuem „das ſtolze Vorrecht der Initiative“ behauptete. Der Erfolg lehrte, wie glücklich der König und ſein Volk einander verſtanden; ein dichter Kreis von Helden ſchaarte ſich um den Feldherrn und verbreitete bis in die unterſten Schichten des Heeres die frohe Wageluſt, jenen Geiſt der Offenſive, der in allen ihren großen Zeiten die Stärke der preußiſchen Armee geblieben iſt; aus märkiſchen Junkern und pommerſchen Bauerburſchen erzog ſich Friedrich die ge- fürchteten Regimenter Ansbach-Baireuth-Dragoner und Zieten-Huſaren, die im tollen Dahinjagen und ſchneidigen Einhauen bald die wilden Reitervölker Ungarns übertrafen. Mit Stolz ſprach der König aus, für ſolche Soldaten gebe es kein Wagniß: „ein General, der in anderen Heeren für tollkühn gelten würde, thut bei uns nur ſeine Pflicht.“ Die zwölf Feldzüge der fridericianiſchen Zeit haben dem kriegeriſchen Geiſte des preußiſchen Volkes und Heeres für immer ſeine Eigenart gegeben;
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I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.
denn je in Republiken eine feſtere Bürgertugend gediehen, als hier unter
dem ſtählenden nordiſchen Himmel, bei den Nachkommen jener heroiſchen
Nationen, der Gothen und Vandalen, die einſt das Römerreich in
Trümmer ſchlugen? Derſelbe Sinn lebt in den Maſſen des Volks;
er verräth ſich bald in dreiſter Prahlerei, in den tauſend landläufigen
Spottgeſchichten von kaiſerlicher Dummheit und preußiſcher Huſarenliſt,
bald in rührenden Zügen gewiſſenhafter Treue. Der junge Seemann
Joachim Nettelbeck kommt noch Danzig und wird gedungen, den König
von Polen über den Hafen zu rudern; man ſetzt ihm einen Hut auf mit
dem Namenszuge König Auguſts; er ſträubt ſich lange, denn das fremde
Hoheitszeichen zu tragen ſcheint ihm ein Verrath an ſeinem Preußen-
könig; endlich muß er ſich fügen, doch der verdiente Ducaten brennt ihm
in der Hand, und ſobald er nach Pommern heimkehrt ſchenkt er das
Sündengeld dem erſten preußiſchen Invaliden, der ihm in den Weg
kommt. So reizbar ward jetzt der politiſche Stolz in dieſem Volke,
das vor wenigen Jahrzehnten noch in der Armſeligkeit ſeiner häuslichen
Sorgen verkam.
Es ließ ſich doch nicht vergeſſen, daß zu den zwei großen Kriegsfürſten
der Geſchichte, zu Caeſar und Alexander, ſich nunmehr ein Preuße als
Dritter geſellte. Im Gemüthe des norddeutſchen Volks liegt dicht neben
der feſten Ausdauer ein Zug übermüthigen Leichtſinns, der mit der
Gefahr vermeſſen zu ſpielen liebt, und dies ihr eigenes Weſen fanden
die Preußen in dem Feldherrn Friedrich zu genialer Mächtigkeit geſteigert
wieder: wie er, nach harter Lehrzeit raſch zum Meiſter gereift, die behut-
ſamen Regeln der ſchwerfälligen alten Kriegskunſt zur Seite warf und
ſelber dem Feinde „das Geſetz des Krieges dictirte“, ſtets bereit die
Entſcheidung in freier Feldſchlacht zu ſuchen; wie er die kühnſte der
Waffen, die Reiterei, wieder zu der Stellung erhob, die ihr im großen
Kriege gebührt; wie er nach jedem Siege und nach jeder ſeiner drei
Niederlagen immer von Neuem „das ſtolze Vorrecht der Initiative“
behauptete. Der Erfolg lehrte, wie glücklich der König und ſein Volk
einander verſtanden; ein dichter Kreis von Helden ſchaarte ſich um den
Feldherrn und verbreitete bis in die unterſten Schichten des Heeres die
frohe Wageluſt, jenen Geiſt der Offenſive, der in allen ihren großen
Zeiten die Stärke der preußiſchen Armee geblieben iſt; aus märkiſchen
Junkern und pommerſchen Bauerburſchen erzog ſich Friedrich die ge-
fürchteten Regimenter Ansbach-Baireuth-Dragoner und Zieten-Huſaren,
die im tollen Dahinjagen und ſchneidigen Einhauen bald die wilden
Reitervölker Ungarns übertrafen. Mit Stolz ſprach der König aus, für
ſolche Soldaten gebe es kein Wagniß: „ein General, der in anderen
Heeren für tollkühn gelten würde, thut bei uns nur ſeine Pflicht.“ Die
zwölf Feldzüge der fridericianiſchen Zeit haben dem kriegeriſchen Geiſte
des preußiſchen Volkes und Heeres für immer ſeine Eigenart gegeben;
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/78>, abgerufen am 24.11.2024.
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