Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.Beginn der Schlacht. starke Cavallerie und die Ueberzahl der Geschütze -- 240 gegen 150Kanonen -- überlegen. Unter solchen Umständen schien es unbedenklich den Angriff auf die Mittagszeit zu verschieben, bis die Sonne den durch- weichten Boden etwas abgetrocknet hätte. Um den Gegner zu schrecken und die Zuversicht des eigenen Heeres zu steigern, veranstaltete der Imperator im Angesichte der Engländer eine große Heerschau; krank wie er war, von tausend Zweifeln und Sorgen gepeinigt, empfand er wohl auch selber das Bedürfniß sich das Herz zu erheben an dem Anblick seiner Getreuen. So oft er späterhin auf seiner einsamen Insel dieser Stunde gedachte, überkam es ihn wie eine Verzückung, und er rief: "die Erde war stolz so viel Tapfere zu tragen!" Und so standen sie denn zum letzten Male in Parade vor ihrem Kriegsherrn, die Veteranen von den Pyramiden, von Austerlitz und Borodino, die so lange der Schrecken der Welt gewesen und jetzt aus dem Schiffbruch der alten Herrlichkeit nichts gerettet hatten als ihren Soldatenstolz, ihre Rachgier und die unzähmbare Liebe zu ihrem Helden. Die Trommler schlugen an, die Feldmusik spielte das Partant pour la Syrie! In langen Linien die Bärenmützen der Grenadiere, die Roßschweifhelme der Kürassiere, die be- troddelten Czakos der Voltigeure, die flatternden Fähnchen der Lanciers, eines der prächtigsten und tapfersten Heere, welche die Geschichte sah. Die ganze prahlerische Glorie des Kaiserreichs erhob sich noch einmal, ein über- wältigendes Schauspiel für die alten Soldatenherzen; noch einmal erschien der große Kriegsfürst in seiner finsteren Majestät, so wie der Dichter sein Bild kommenden Geschlechtern überliefert hat, mitten im Wetterleuchten der Waffen zu Fuß, in den Wogen reitender Männer. Die brausenden Hoch- rufe wollten nicht enden; hatte doch der Abgott der Soldaten vorgestern erst aufs Neue seine Unbesiegbarkeit erwiesen. Und doch kam dieser krampf- hafte Jubel, der so seltsam abstach von der gehaltenen Stille drüben im englischen Lager, aus gepreßten Herzen: das Bewußtsein der Schuld, die Ahnung eines finsteren Schicksals lag über den tapferen Gemüthern. Zehn Stunden noch, und die verwegene Hoffnung des deutschen Schlachten- denkers war erfüllt, und dies herrliche Heer mit seinem Trotze, seinem Stolze, seiner wilden Männerkraft war vernichtet bis auf die letzte Schwadron. Um 1/212 Uhr begann Napoleon die Schlacht, ließ seinen linken Beginn der Schlacht. ſtarke Cavallerie und die Ueberzahl der Geſchütze — 240 gegen 150Kanonen — überlegen. Unter ſolchen Umſtänden ſchien es unbedenklich den Angriff auf die Mittagszeit zu verſchieben, bis die Sonne den durch- weichten Boden etwas abgetrocknet hätte. Um den Gegner zu ſchrecken und die Zuverſicht des eigenen Heeres zu ſteigern, veranſtaltete der Imperator im Angeſichte der Engländer eine große Heerſchau; krank wie er war, von tauſend Zweifeln und Sorgen gepeinigt, empfand er wohl auch ſelber das Bedürfniß ſich das Herz zu erheben an dem Anblick ſeiner Getreuen. So oft er ſpäterhin auf ſeiner einſamen Inſel dieſer Stunde gedachte, überkam es ihn wie eine Verzückung, und er rief: „die Erde war ſtolz ſo viel Tapfere zu tragen!“ Und ſo ſtanden ſie denn zum letzten Male in Parade vor ihrem Kriegsherrn, die Veteranen von den Pyramiden, von Auſterlitz und Borodino, die ſo lange der Schrecken der Welt geweſen und jetzt aus dem Schiffbruch der alten Herrlichkeit nichts gerettet hatten als ihren Soldatenſtolz, ihre Rachgier und die unzähmbare Liebe zu ihrem Helden. Die Trommler ſchlugen an, die Feldmuſik ſpielte das Partant pour la Syrie! In langen Linien die Bärenmützen der Grenadiere, die Roßſchweifhelme der Küraſſiere, die be- troddelten Czakos der Voltigeure, die flatternden Fähnchen der Lanciers, eines der prächtigſten und tapferſten Heere, welche die Geſchichte ſah. Die ganze prahleriſche Glorie des Kaiſerreichs erhob ſich noch einmal, ein über- wältigendes Schauſpiel für die alten Soldatenherzen; noch einmal erſchien der große Kriegsfürſt in ſeiner finſteren Majeſtät, ſo wie der Dichter ſein Bild kommenden Geſchlechtern überliefert hat, mitten im Wetterleuchten der Waffen zu Fuß, in den Wogen reitender Männer. Die brauſenden Hoch- rufe wollten nicht enden; hatte doch der Abgott der Soldaten vorgeſtern erſt aufs Neue ſeine Unbeſiegbarkeit erwieſen. Und doch kam dieſer krampf- hafte Jubel, der ſo ſeltſam abſtach von der gehaltenen Stille drüben im engliſchen Lager, aus gepreßten Herzen: das Bewußtſein der Schuld, die Ahnung eines finſteren Schickſals lag über den tapferen Gemüthern. Zehn Stunden noch, und die verwegene Hoffnung des deutſchen Schlachten- denkers war erfüllt, und dies herrliche Heer mit ſeinem Trotze, ſeinem Stolze, ſeiner wilden Männerkraft war vernichtet bis auf die letzte Schwadron. 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Beginn der Schlacht.
ſtarke Cavallerie und die Ueberzahl der Geſchütze — 240 gegen 150
Kanonen — überlegen. Unter ſolchen Umſtänden ſchien es unbedenklich
den Angriff auf die Mittagszeit zu verſchieben, bis die Sonne den durch-
weichten Boden etwas abgetrocknet hätte. Um den Gegner zu ſchrecken
und die Zuverſicht des eigenen Heeres zu ſteigern, veranſtaltete der
Imperator im Angeſichte der Engländer eine große Heerſchau; krank wie
er war, von tauſend Zweifeln und Sorgen gepeinigt, empfand er wohl
auch ſelber das Bedürfniß ſich das Herz zu erheben an dem Anblick
ſeiner Getreuen. So oft er ſpäterhin auf ſeiner einſamen Inſel dieſer
Stunde gedachte, überkam es ihn wie eine Verzückung, und er rief: „die
Erde war ſtolz ſo viel Tapfere zu tragen!“ Und ſo ſtanden ſie denn
zum letzten Male in Parade vor ihrem Kriegsherrn, die Veteranen von
den Pyramiden, von Auſterlitz und Borodino, die ſo lange der Schrecken
der Welt geweſen und jetzt aus dem Schiffbruch der alten Herrlichkeit
nichts gerettet hatten als ihren Soldatenſtolz, ihre Rachgier und die
unzähmbare Liebe zu ihrem Helden. Die Trommler ſchlugen an, die
Feldmuſik ſpielte das Partant pour la Syrie! In langen Linien die
Bärenmützen der Grenadiere, die Roßſchweifhelme der Küraſſiere, die be-
troddelten Czakos der Voltigeure, die flatternden Fähnchen der Lanciers,
eines der prächtigſten und tapferſten Heere, welche die Geſchichte ſah. Die
ganze prahleriſche Glorie des Kaiſerreichs erhob ſich noch einmal, ein über-
wältigendes Schauſpiel für die alten Soldatenherzen; noch einmal erſchien
der große Kriegsfürſt in ſeiner finſteren Majeſtät, ſo wie der Dichter ſein
Bild kommenden Geſchlechtern überliefert hat, mitten im Wetterleuchten der
Waffen zu Fuß, in den Wogen reitender Männer. Die brauſenden Hoch-
rufe wollten nicht enden; hatte doch der Abgott der Soldaten vorgeſtern erſt
aufs Neue ſeine Unbeſiegbarkeit erwieſen. Und doch kam dieſer krampf-
hafte Jubel, der ſo ſeltſam abſtach von der gehaltenen Stille drüben im
engliſchen Lager, aus gepreßten Herzen: das Bewußtſein der Schuld, die
Ahnung eines finſteren Schickſals lag über den tapferen Gemüthern. Zehn
Stunden noch, und die verwegene Hoffnung des deutſchen Schlachten-
denkers war erfüllt, und dies herrliche Heer mit ſeinem Trotze, ſeinem
Stolze, ſeiner wilden Männerkraft war vernichtet bis auf die letzte
Schwadron.
Um ½12 Uhr begann Napoleon die Schlacht, ließ ſeinen linken
Flügel gen das Schloß Goumont vorgehen, während er zugleich auf ſeiner
Rechten die Anſtalten für den entſcheidenden Stoß traf. Vier Diviſionen
Fußvolk ſchaarten ſich dort zu einer rieſigen Heerſäule zuſammen; eine bei
Belle Alliance aufgeſtellte große Batterie bereitete durch anhaltendes Ge-
ſchützfeuer den Angriff vor. Gegen ½ 2 Uhr führte General Erlon
die gewaltige Infanteriemaſſe wider den linken Flügel der Briten heran.
Aber noch bevor dieſe Bewegung begann wurde der Imperator bereits
durch eine unheimliche Nachricht in der kalten Sicherheit ſeiner Berech-
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