Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.Feldzug in Frankreich. aus seinem Kopfe entsprungen war; nun mußte er hören, wie die Ver-bündeten Wellington als den ersten der Helden priesen, diesen Briten, der wohl auf dem Schlachtfelde hohe Umsicht und Ausdauer gezeigt, doch bei der Leitung des Feldzugs Fehler auf Fehler gehäuft hatte. Eine tiefe Bitterkeit überkam ihn, wenn er sein ruhmlos verborgenes Wirken, alle die so lange schweigsam ertragenen Kränkungen der letzten Jahre über- dachte. Wie abenteuerlich hatte das Schicksal mit ihm gespielt, von Kin- desbeinen an! In Schilda, dem sächsischen Abdera war er zur Welt ge- kommen, mitten im Wirrwarr des Kriegslagers der Reichsarmee, unter den Feinden Preußens; die preußischen Kanonen brummten dem Kinde das Wiegenlied, und wenig fehlte, so wäre der Knabe auf dem Rückzuge in der Nacht nach der Torgauer Schlacht von den Hufen der Pferde zer- treten worden, hätte ihn ein mitleidiger Grenadier nicht aufgehoben. Nachher die öde freudlose Zeit, da er in Schilda barfuß die Gänse hütete, bis endlich die katholischen Verwandten in Würzburg sich seiner erbarmten. Der Heimathlose wußte niemals recht, zu welchem deutschen Stamme noch zu welcher Kirche er eigentlich gehörte. Dann die wilden tollen Studentenjahre in Erfurt, eine kurze Dienstzeit bei den österreichischen Reitern, eine Fahrt nach Amerika mit den Unglücklichen, die der Ans- bacher Markgraf den Briten verkaufte. Darauf der preußische Dienst: im Anfang glänzende, überschwängliche Hoffnungen, dann wieder die leere Nichtigkeit des subalternen Lebens, so armselig, so niederdrückend, daß dieser Feuergeist, der sich einst fast in seinen eigenen Gluthen verzehrt hatte, jetzt ernstlich Gefahr lief zum Philister zu werden. Als dann die weltverwandelnden Geschicke über Preußen hereinbrachen, da jauchzte der Genius in ihm auf; durch ihn errang das gedemüthigte Heer den ersten Erfolg, seit Scharnhorsts Tode durfte sich Niemand mehr mit ihm ver- gleichen. Und was war sein Lohn? Die Offiziere des Generalstabs, die den Zauber des Genies im täglichen Umgang empfanden, wußten freilich wohl, was Deutschland an diesem Manne besaß; sie kamen sich vor wie in der verkehrten Welt, wenn sie diesen geborenen Herrscher mit dem Federhute in der Hand ehrerbietig neben dem Czaren stehen sahen. Aber wenn die Soldaten den alten Blücher mit donnerndem Hurrah begrüßten, so bemerkten sie kaum den unbekannten General an der Seite des Feld- marschalls. Bülow hatte seinen Namen in die Tafeln der Geschichte eingetragen, von Gneisenau wußte sie nichts. Er war älter als alle Ge- nerale der Infanterie und noch immer Generalleutnant, hatte nie ein selbständiges Commando geführt, trug weder den schwarzen Adlerorden noch das große eiserne Kreuz. Der König liebte ihn nicht, das boshafte Geflüster unter den Hofleuten hörte nicht auf; er fühlte sich seiner Stel- lung im Heere so wenig sicher, daß er erst kürzlich den Staatskanzler gebeten hatte ihm doch für die Friedenszeiten das Amt des Generalpost- meisters zu verschaffen. Wie fern lag ihm alle Ueberhebung, wie oft Feldzug in Frankreich. aus ſeinem Kopfe entſprungen war; nun mußte er hören, wie die Ver-bündeten Wellington als den erſten der Helden prieſen, dieſen Briten, der wohl auf dem Schlachtfelde hohe Umſicht und Ausdauer gezeigt, doch bei der Leitung des Feldzugs Fehler auf Fehler gehäuft hatte. Eine tiefe Bitterkeit überkam ihn, wenn er ſein ruhmlos verborgenes Wirken, alle die ſo lange ſchweigſam ertragenen Kränkungen der letzten Jahre über- dachte. Wie abenteuerlich hatte das Schickſal mit ihm geſpielt, von Kin- desbeinen an! In Schilda, dem ſächſiſchen Abdera war er zur Welt ge- kommen, mitten im Wirrwarr des Kriegslagers der Reichsarmee, unter den Feinden Preußens; die preußiſchen Kanonen brummten dem Kinde das Wiegenlied, und wenig fehlte, ſo wäre der Knabe auf dem Rückzuge in der Nacht nach der Torgauer Schlacht von den Hufen der Pferde zer- treten worden, hätte ihn ein mitleidiger Grenadier nicht aufgehoben. Nachher die öde freudloſe Zeit, da er in Schilda barfuß die Gänſe hütete, bis endlich die katholiſchen Verwandten in Würzburg ſich ſeiner erbarmten. Der Heimathloſe wußte niemals recht, zu welchem deutſchen Stamme noch zu welcher Kirche er eigentlich gehörte. Dann die wilden tollen Studentenjahre in Erfurt, eine kurze Dienſtzeit bei den öſterreichiſchen Reitern, eine Fahrt nach Amerika mit den Unglücklichen, die der Ans- bacher Markgraf den Briten verkaufte. Darauf der preußiſche Dienſt: im Anfang glänzende, überſchwängliche Hoffnungen, dann wieder die leere Nichtigkeit des ſubalternen Lebens, ſo armſelig, ſo niederdrückend, daß dieſer Feuergeiſt, der ſich einſt faſt in ſeinen eigenen Gluthen verzehrt hatte, jetzt ernſtlich Gefahr lief zum Philiſter zu werden. Als dann die weltverwandelnden Geſchicke über Preußen hereinbrachen, da jauchzte der Genius in ihm auf; durch ihn errang das gedemüthigte Heer den erſten Erfolg, ſeit Scharnhorſts Tode durfte ſich Niemand mehr mit ihm ver- gleichen. Und was war ſein Lohn? Die Offiziere des Generalſtabs, die den Zauber des Genies im täglichen Umgang empfanden, wußten freilich wohl, was Deutſchland an dieſem Manne beſaß; ſie kamen ſich vor wie in der verkehrten Welt, wenn ſie dieſen geborenen Herrſcher mit dem Federhute in der Hand ehrerbietig neben dem Czaren ſtehen ſahen. Aber wenn die Soldaten den alten Blücher mit donnerndem Hurrah begrüßten, ſo bemerkten ſie kaum den unbekannten General an der Seite des Feld- marſchalls. Bülow hatte ſeinen Namen in die Tafeln der Geſchichte eingetragen, von Gneiſenau wußte ſie nichts. Er war älter als alle Ge- nerale der Infanterie und noch immer Generalleutnant, hatte nie ein ſelbſtändiges Commando geführt, trug weder den ſchwarzen Adlerorden noch das große eiſerne Kreuz. Der König liebte ihn nicht, das boshafte Geflüſter unter den Hofleuten hörte nicht auf; er fühlte ſich ſeiner Stel- lung im Heere ſo wenig ſicher, daß er erſt kürzlich den Staatskanzler gebeten hatte ihm doch für die Friedenszeiten das Amt des Generalpoſt- meiſters zu verſchaffen. Wie fern lag ihm alle Ueberhebung, wie oft <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0779" n="763"/><fw place="top" type="header">Feldzug in Frankreich.</fw><lb/> aus ſeinem Kopfe entſprungen war; nun mußte er hören, wie die Ver-<lb/> bündeten Wellington als den erſten der Helden prieſen, dieſen Briten, der<lb/> wohl auf dem Schlachtfelde hohe Umſicht und Ausdauer gezeigt, doch bei<lb/> der Leitung des Feldzugs Fehler auf Fehler gehäuft hatte. Eine tiefe<lb/> Bitterkeit überkam ihn, wenn er ſein ruhmlos verborgenes Wirken, alle<lb/> die ſo lange ſchweigſam ertragenen Kränkungen der letzten Jahre über-<lb/> dachte. Wie abenteuerlich hatte das Schickſal mit ihm geſpielt, von Kin-<lb/> desbeinen an! In Schilda, dem ſächſiſchen Abdera war er zur Welt ge-<lb/> kommen, mitten im Wirrwarr des Kriegslagers der Reichsarmee, unter<lb/> den Feinden Preußens; die preußiſchen Kanonen brummten dem Kinde<lb/> das Wiegenlied, und wenig fehlte, ſo wäre der Knabe auf dem Rückzuge<lb/> in der Nacht nach der Torgauer Schlacht von den Hufen der Pferde zer-<lb/> treten worden, hätte ihn ein mitleidiger Grenadier nicht aufgehoben.<lb/> Nachher die öde freudloſe Zeit, da er in Schilda barfuß die Gänſe hütete,<lb/> bis endlich die katholiſchen Verwandten in Würzburg ſich ſeiner erbarmten.<lb/> Der Heimathloſe wußte niemals recht, zu welchem deutſchen Stamme<lb/> noch zu welcher Kirche er eigentlich gehörte. Dann die wilden tollen<lb/> Studentenjahre in Erfurt, eine kurze Dienſtzeit bei den öſterreichiſchen<lb/> Reitern, eine Fahrt nach Amerika mit den Unglücklichen, die der Ans-<lb/> bacher Markgraf den Briten verkaufte. Darauf der preußiſche Dienſt:<lb/> im Anfang glänzende, überſchwängliche Hoffnungen, dann wieder die leere<lb/> Nichtigkeit des ſubalternen Lebens, ſo armſelig, ſo niederdrückend, daß<lb/> dieſer Feuergeiſt, der ſich einſt faſt in ſeinen eigenen Gluthen verzehrt<lb/> hatte, jetzt ernſtlich Gefahr lief zum Philiſter zu werden. Als dann die<lb/> weltverwandelnden Geſchicke über Preußen hereinbrachen, da jauchzte der<lb/> Genius in ihm auf; durch ihn errang das gedemüthigte Heer den erſten<lb/> Erfolg, ſeit Scharnhorſts Tode durfte ſich Niemand mehr mit ihm ver-<lb/> gleichen. Und was war ſein Lohn? Die Offiziere des Generalſtabs, die<lb/> den Zauber des Genies im täglichen Umgang empfanden, wußten freilich<lb/> wohl, was Deutſchland an dieſem Manne beſaß; ſie kamen ſich vor wie<lb/> in der verkehrten Welt, wenn ſie dieſen geborenen Herrſcher mit dem<lb/> Federhute in der Hand ehrerbietig neben dem Czaren ſtehen ſahen. Aber<lb/> wenn die Soldaten den alten Blücher mit donnerndem Hurrah begrüßten,<lb/> ſo bemerkten ſie kaum den unbekannten General an der Seite des Feld-<lb/> marſchalls. Bülow hatte ſeinen Namen in die Tafeln der Geſchichte<lb/> eingetragen, von Gneiſenau wußte ſie nichts. Er war älter als alle Ge-<lb/> nerale der Infanterie und noch immer Generalleutnant, hatte nie ein<lb/> ſelbſtändiges Commando geführt, trug weder den ſchwarzen Adlerorden<lb/> noch das große eiſerne Kreuz. Der König liebte ihn nicht, das boshafte<lb/> Geflüſter unter den Hofleuten hörte nicht auf; er fühlte ſich ſeiner Stel-<lb/> lung im Heere ſo wenig ſicher, daß er erſt kürzlich den Staatskanzler<lb/> gebeten hatte ihm doch für die Friedenszeiten das Amt des Generalpoſt-<lb/> meiſters zu verſchaffen. Wie fern lag ihm alle Ueberhebung, wie oft<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [763/0779]
Feldzug in Frankreich.
aus ſeinem Kopfe entſprungen war; nun mußte er hören, wie die Ver-
bündeten Wellington als den erſten der Helden prieſen, dieſen Briten, der
wohl auf dem Schlachtfelde hohe Umſicht und Ausdauer gezeigt, doch bei
der Leitung des Feldzugs Fehler auf Fehler gehäuft hatte. Eine tiefe
Bitterkeit überkam ihn, wenn er ſein ruhmlos verborgenes Wirken, alle
die ſo lange ſchweigſam ertragenen Kränkungen der letzten Jahre über-
dachte. Wie abenteuerlich hatte das Schickſal mit ihm geſpielt, von Kin-
desbeinen an! In Schilda, dem ſächſiſchen Abdera war er zur Welt ge-
kommen, mitten im Wirrwarr des Kriegslagers der Reichsarmee, unter
den Feinden Preußens; die preußiſchen Kanonen brummten dem Kinde
das Wiegenlied, und wenig fehlte, ſo wäre der Knabe auf dem Rückzuge
in der Nacht nach der Torgauer Schlacht von den Hufen der Pferde zer-
treten worden, hätte ihn ein mitleidiger Grenadier nicht aufgehoben.
Nachher die öde freudloſe Zeit, da er in Schilda barfuß die Gänſe hütete,
bis endlich die katholiſchen Verwandten in Würzburg ſich ſeiner erbarmten.
Der Heimathloſe wußte niemals recht, zu welchem deutſchen Stamme
noch zu welcher Kirche er eigentlich gehörte. Dann die wilden tollen
Studentenjahre in Erfurt, eine kurze Dienſtzeit bei den öſterreichiſchen
Reitern, eine Fahrt nach Amerika mit den Unglücklichen, die der Ans-
bacher Markgraf den Briten verkaufte. Darauf der preußiſche Dienſt:
im Anfang glänzende, überſchwängliche Hoffnungen, dann wieder die leere
Nichtigkeit des ſubalternen Lebens, ſo armſelig, ſo niederdrückend, daß
dieſer Feuergeiſt, der ſich einſt faſt in ſeinen eigenen Gluthen verzehrt
hatte, jetzt ernſtlich Gefahr lief zum Philiſter zu werden. Als dann die
weltverwandelnden Geſchicke über Preußen hereinbrachen, da jauchzte der
Genius in ihm auf; durch ihn errang das gedemüthigte Heer den erſten
Erfolg, ſeit Scharnhorſts Tode durfte ſich Niemand mehr mit ihm ver-
gleichen. Und was war ſein Lohn? Die Offiziere des Generalſtabs, die
den Zauber des Genies im täglichen Umgang empfanden, wußten freilich
wohl, was Deutſchland an dieſem Manne beſaß; ſie kamen ſich vor wie
in der verkehrten Welt, wenn ſie dieſen geborenen Herrſcher mit dem
Federhute in der Hand ehrerbietig neben dem Czaren ſtehen ſahen. Aber
wenn die Soldaten den alten Blücher mit donnerndem Hurrah begrüßten,
ſo bemerkten ſie kaum den unbekannten General an der Seite des Feld-
marſchalls. Bülow hatte ſeinen Namen in die Tafeln der Geſchichte
eingetragen, von Gneiſenau wußte ſie nichts. Er war älter als alle Ge-
nerale der Infanterie und noch immer Generalleutnant, hatte nie ein
ſelbſtändiges Commando geführt, trug weder den ſchwarzen Adlerorden
noch das große eiſerne Kreuz. Der König liebte ihn nicht, das boshafte
Geflüſter unter den Hofleuten hörte nicht auf; er fühlte ſich ſeiner Stel-
lung im Heere ſo wenig ſicher, daß er erſt kürzlich den Staatskanzler
gebeten hatte ihm doch für die Friedenszeiten das Amt des Generalpoſt-
meiſters zu verſchaffen. Wie fern lag ihm alle Ueberhebung, wie oft
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |