er auch richtig, daß es den Eroberern übel anstand ihren Sieg durch eine Gewaltthat zu beflecken. In Blüchers Hauptquartier dagegen flammte der alte Haß gewaltig auf: so viele deutsche Männer lagen abermals in ihrem Blute durch die Schuld dieses einen Mannes! Blücher vermaß sich, er wolle den Unhold, wenn er ihn finge, im Schlosse von Vincennes erschießen lassen, auf derselben Stelle, wo einst der Herzog von Enghien ermordet wurde; denn wozu sonst die Wiener Achtserklärung gegen den Störer der öffentlichen Ruhe? Erst auf Wellingtons dringende Bitten gab er den grimmigen Plan auf und fügte sich "der theatralischen Groß- muth", wie Gneisenau erbittert schrieb, "aus Achtung für den Charakter des Herzogs und -- aus Schwäche". Dagegen setzte der preußische Feld- herr durch, daß der Marsch bis nach Paris fortgesetzt wurde, während der Engländer der Hauptstadt die neue Demüthigung lieber ersparen und seinen bourbonischen Schützling allein einziehen lassen wollte. Blücher blieb standhaft, stellte den Friedensgesandten der Pariser so strenge Be- dingungen, daß die Fortsetzung des Krieges unvermeidlich wurde.
Das preußische Heer drang unaufhaltsam vor, den Engländern weit voran; auch der Festungskrieg ward mit Nachdruck begonnen, so daß noch vierzehn feste Plätze ihre Thore den Deutschen öffnen mußten. Das Volk betrug sich überall tief feindselig; die Franzosen ließen sichs nicht nehmen, daß dieser neue Krieg der Coalition ein himmelschreiendes Unrecht sei. Auch die Preußen traten härter und schroffer auf als im vorigen Jahre. Gneisenau hoffte die Armee Grouchys an der Oise von Paris abzuschneiden. Dies gelang nicht; immerhin wurden die Truppen des Marschalls durch die rastlose Verfolgung fast ebenso vollständig aufgelöst wie die Besiegten von Belle Alliance. Der kühne Parteigänger Major Frankenhausen ließ ihnen nirgends Ruhe, er bewährte wieder den alten Ruhm der preußi- schen Reiterei, die sonst in diesem Kriege wenig Gelegenheit zur Auszeich- nung fand. In den Gefechten von Compiegne und Villers Cotterets leisteten die Franzosen nur schwächlich Widerstand. Die Geschlagenen entkamen in aufgelösten Schaaren in die Hauptstadt, und mit ihnen gebot Davoust, der Oberbefehlshaber von Paris, noch über 70,000 Mann; doch was war von diesen muth- und zuchtlosen Haufen zu erwarten? Am 29. Juni langte Blücher in Gonesse an, wenige Stunden nördlich von Paris; der liebliche Kessel des Seinethals lag dicht vor seinen Blicken. Sein Heer hatte die 36 Meilen von dem belgischen Schlachtfelde in elf Tagen, mit nur einem Ruhetage, zurückgelegt.
Hier im Hauptquartier zu Gonesse kam ein böser Tag für Gneisenau. Das zieht die Herzen so mächtig zu dem Bilde dieses großen Deutschen hin, daß er in Allem so einfach menschlich war und darum auch einmal recht menschlich bitter und ungerecht werden konnte. So widerfuhr es ihm heute. Er wußte, daß er der eigentliche Feldherr dieses Krieges ge- wesen, daß der rettende Gedanke der Vereinigung der beiden Heere allein
II. 2. Belle Alliance.
er auch richtig, daß es den Eroberern übel anſtand ihren Sieg durch eine Gewaltthat zu beflecken. In Blüchers Hauptquartier dagegen flammte der alte Haß gewaltig auf: ſo viele deutſche Männer lagen abermals in ihrem Blute durch die Schuld dieſes einen Mannes! Blücher vermaß ſich, er wolle den Unhold, wenn er ihn finge, im Schloſſe von Vincennes erſchießen laſſen, auf derſelben Stelle, wo einſt der Herzog von Enghien ermordet wurde; denn wozu ſonſt die Wiener Achtserklärung gegen den Störer der öffentlichen Ruhe? Erſt auf Wellingtons dringende Bitten gab er den grimmigen Plan auf und fügte ſich „der theatraliſchen Groß- muth“, wie Gneiſenau erbittert ſchrieb, „aus Achtung für den Charakter des Herzogs und — aus Schwäche“. Dagegen ſetzte der preußiſche Feld- herr durch, daß der Marſch bis nach Paris fortgeſetzt wurde, während der Engländer der Hauptſtadt die neue Demüthigung lieber erſparen und ſeinen bourboniſchen Schützling allein einziehen laſſen wollte. Blücher blieb ſtandhaft, ſtellte den Friedensgeſandten der Pariſer ſo ſtrenge Be- dingungen, daß die Fortſetzung des Krieges unvermeidlich wurde.
Das preußiſche Heer drang unaufhaltſam vor, den Engländern weit voran; auch der Feſtungskrieg ward mit Nachdruck begonnen, ſo daß noch vierzehn feſte Plätze ihre Thore den Deutſchen öffnen mußten. Das Volk betrug ſich überall tief feindſelig; die Franzoſen ließen ſichs nicht nehmen, daß dieſer neue Krieg der Coalition ein himmelſchreiendes Unrecht ſei. Auch die Preußen traten härter und ſchroffer auf als im vorigen Jahre. Gneiſenau hoffte die Armee Grouchys an der Oiſe von Paris abzuſchneiden. Dies gelang nicht; immerhin wurden die Truppen des Marſchalls durch die raſtloſe Verfolgung faſt ebenſo vollſtändig aufgelöſt wie die Beſiegten von Belle Alliance. Der kühne Parteigänger Major Frankenhauſen ließ ihnen nirgends Ruhe, er bewährte wieder den alten Ruhm der preußi- ſchen Reiterei, die ſonſt in dieſem Kriege wenig Gelegenheit zur Auszeich- nung fand. In den Gefechten von Compiegne und Villers Cotterets leiſteten die Franzoſen nur ſchwächlich Widerſtand. Die Geſchlagenen entkamen in aufgelöſten Schaaren in die Hauptſtadt, und mit ihnen gebot Davouſt, der Oberbefehlshaber von Paris, noch über 70,000 Mann; doch was war von dieſen muth- und zuchtloſen Haufen zu erwarten? Am 29. Juni langte Blücher in Goneſſe an, wenige Stunden nördlich von Paris; der liebliche Keſſel des Seinethals lag dicht vor ſeinen Blicken. Sein Heer hatte die 36 Meilen von dem belgiſchen Schlachtfelde in elf Tagen, mit nur einem Ruhetage, zurückgelegt.
Hier im Hauptquartier zu Goneſſe kam ein böſer Tag für Gneiſenau. Das zieht die Herzen ſo mächtig zu dem Bilde dieſes großen Deutſchen hin, daß er in Allem ſo einfach menſchlich war und darum auch einmal recht menſchlich bitter und ungerecht werden konnte. So widerfuhr es ihm heute. Er wußte, daß er der eigentliche Feldherr dieſes Krieges ge- weſen, daß der rettende Gedanke der Vereinigung der beiden Heere allein
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er auch richtig, daß es den Eroberern übel anſtand ihren Sieg durch
eine Gewaltthat zu beflecken. In Blüchers Hauptquartier dagegen flammte
der alte Haß gewaltig auf: ſo viele deutſche Männer lagen abermals in
ihrem Blute durch die Schuld dieſes einen Mannes! Blücher vermaß
ſich, er wolle den Unhold, wenn er ihn finge, im Schloſſe von Vincennes
erſchießen laſſen, auf derſelben Stelle, wo einſt der Herzog von Enghien
ermordet wurde; denn wozu ſonſt die Wiener Achtserklärung gegen den
Störer der öffentlichen Ruhe? Erſt auf Wellingtons dringende Bitten
gab er den grimmigen Plan auf und fügte ſich „der theatraliſchen Groß-
muth“, wie Gneiſenau erbittert ſchrieb, „aus Achtung für den Charakter
des Herzogs und — aus Schwäche“. Dagegen ſetzte der preußiſche Feld-
herr durch, daß der Marſch bis nach Paris fortgeſetzt wurde, während
der Engländer der Hauptſtadt die neue Demüthigung lieber erſparen und
ſeinen bourboniſchen Schützling allein einziehen laſſen wollte. Blücher
blieb ſtandhaft, ſtellte den Friedensgeſandten der Pariſer ſo ſtrenge Be-
dingungen, daß die Fortſetzung des Krieges unvermeidlich wurde.
Das preußiſche Heer drang unaufhaltſam vor, den Engländern weit
voran; auch der Feſtungskrieg ward mit Nachdruck begonnen, ſo daß noch
vierzehn feſte Plätze ihre Thore den Deutſchen öffnen mußten. Das Volk
betrug ſich überall tief feindſelig; die Franzoſen ließen ſichs nicht nehmen,
daß dieſer neue Krieg der Coalition ein himmelſchreiendes Unrecht ſei.
Auch die Preußen traten härter und ſchroffer auf als im vorigen Jahre.
Gneiſenau hoffte die Armee Grouchys an der Oiſe von Paris abzuſchneiden.
Dies gelang nicht; immerhin wurden die Truppen des Marſchalls durch
die raſtloſe Verfolgung faſt ebenſo vollſtändig aufgelöſt wie die Beſiegten
von Belle Alliance. Der kühne Parteigänger Major Frankenhauſen ließ
ihnen nirgends Ruhe, er bewährte wieder den alten Ruhm der preußi-
ſchen Reiterei, die ſonſt in dieſem Kriege wenig Gelegenheit zur Auszeich-
nung fand. In den Gefechten von Compiegne und Villers Cotterets
leiſteten die Franzoſen nur ſchwächlich Widerſtand. Die Geſchlagenen
entkamen in aufgelöſten Schaaren in die Hauptſtadt, und mit ihnen gebot
Davouſt, der Oberbefehlshaber von Paris, noch über 70,000 Mann; doch
was war von dieſen muth- und zuchtloſen Haufen zu erwarten? Am
29. Juni langte Blücher in Goneſſe an, wenige Stunden nördlich von
Paris; der liebliche Keſſel des Seinethals lag dicht vor ſeinen Blicken.
Sein Heer hatte die 36 Meilen von dem belgiſchen Schlachtfelde in elf
Tagen, mit nur einem Ruhetage, zurückgelegt.
Hier im Hauptquartier zu Goneſſe kam ein böſer Tag für Gneiſenau.
Das zieht die Herzen ſo mächtig zu dem Bilde dieſes großen Deutſchen
hin, daß er in Allem ſo einfach menſchlich war und darum auch einmal
recht menſchlich bitter und ungerecht werden konnte. So widerfuhr es
ihm heute. Er wußte, daß er der eigentliche Feldherr dieſes Krieges ge-
weſen, daß der rettende Gedanke der Vereinigung der beiden Heere allein
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 762. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/778>, abgerufen am 22.11.2024.
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