damme in der folgenden Nacht versuchte, von Issy aus diese Position zurückzuerobern, ward er gänzlich geschlagen; die Ueberlegenheit der preußi- schen Waffen zeigte sich so glänzend, daß Davoust noch am selben Morgen sich zur Uebergabe bereit erklärte. Blücher sendete den General Müff- ling als Unterhändler. Der hatte einst in Blüchers Namen die unver- geßliche Capitulation von Ratkau abgeschlossen; der Alte konnte ihn seit- dem nie ohne stillen Aerger ansehen und hieß ihn jetzt eine andere Capi- tulation zu Stande bringen, die den letzten Flecken von seinem Ehrenschilde tilgen sollte. Binnen drei Tagen mußte die Stadt übergeben werden, Da- voust mit den Trümmern der Armee über die Loire zurückgehen. Triumphi- rend schrieb Blücher an Knesebeck: "Mein Tagewerk ist vollendet, Paris ist mein! Meinen braven Truppen, ihrer Ausdauer und meinem eisernen Willen verdanke ich Alles!" Nachher ward noch der ganze Westen und Norden des Landes von den Heeren der Verbündeten besetzt. Welche Freude, als Scharnhorsts Schwiegersohn Friedrich Dohna seine Reiter ihre Rosse in der Loire tränken ließ; er dachte stolz an seine tapferen Ahnen, die in den Hugenottenkriegen gleichfalls den Schrecken der deut- schen Waffen bis vor die Wälle von Blois und Orleans getragen hatten.
Diesmal wollte Blücher der verhaßten Stadt weder die Ehre seines Besuches noch die Augenweide eines feierlichen Einzugs gönnen. Sie sollte fühlen was der Krieg ist. Die Regimenter rückten einzeln ein und wurden allesammt einquartiert, obgleich die Bourgeois über solche Beschim- pfung leidenschaftlich klagten. Behörden und Bürgerschaft zeigten die höchste Gehässigkeit; daß diese Preußen in vier Tagen der französischen Kriegsherrlichkeit ein Ende gemacht, war ihnen eine unbegreifliche Unver- schämtheit. Der Sieger verlangte die Zahlung von zwei Monaten Sold für die Armee und sofort zwei Millionen Kriegssteuer; die Klagenden ver- wies er an Daru: der verstehe, wie man das Geld zur Stelle schaffe. Gleich am ersten Abend wurde das Danziger Bild von preußischen Mus- ketieren aus dem Louvre entführt, und nun begann die Zurücknahme des Raubes. Haarklein müssen sie Alles herausgeben -- meinte der Alte und trieb zur Eile, damit die verfluchten Diplomatiker nicht dazwischen kämen. Allein dem harten Willen des deutschen Feldherrn verdankte die Welt, daß der europäische Skandal des großen Pariser Plünderungs- magazins nun ein Ende nahm. Altenstein, Eichhorn und der junge Kölnische Kunstforscher de Groote zeigten den preußischen Soldaten das gestohlene Gut; doch trotz dem Spüreifer der deutschen Gelehrten ward ein Theil des unübersehbaren Raubes nicht wieder aufgefunden. Nach- dem die Preußen das Werk der Sühne einmal in Gang gebracht, machten auch andere Staaten ihre Ansprüche geltend. Der Manuscripten- schatz der Heidelberger Palatina, den einst Tilly nach Rom, dann Bona- parte nach Paris entführt hatte, gelangte endlich wieder an den Neckar zurück; das kunstsinnige Volk von Florenz empfing mit Sang und Klang
Zweite Einnahme von Paris.
damme in der folgenden Nacht verſuchte, von Iſſy aus dieſe Poſition zurückzuerobern, ward er gänzlich geſchlagen; die Ueberlegenheit der preußi- ſchen Waffen zeigte ſich ſo glänzend, daß Davouſt noch am ſelben Morgen ſich zur Uebergabe bereit erklärte. Blücher ſendete den General Müff- ling als Unterhändler. Der hatte einſt in Blüchers Namen die unver- geßliche Capitulation von Ratkau abgeſchloſſen; der Alte konnte ihn ſeit- dem nie ohne ſtillen Aerger anſehen und hieß ihn jetzt eine andere Capi- tulation zu Stande bringen, die den letzten Flecken von ſeinem Ehrenſchilde tilgen ſollte. Binnen drei Tagen mußte die Stadt übergeben werden, Da- vouſt mit den Trümmern der Armee über die Loire zurückgehen. Triumphi- rend ſchrieb Blücher an Kneſebeck: „Mein Tagewerk iſt vollendet, Paris iſt mein! Meinen braven Truppen, ihrer Ausdauer und meinem eiſernen Willen verdanke ich Alles!“ Nachher ward noch der ganze Weſten und Norden des Landes von den Heeren der Verbündeten beſetzt. Welche Freude, als Scharnhorſts Schwiegerſohn Friedrich Dohna ſeine Reiter ihre Roſſe in der Loire tränken ließ; er dachte ſtolz an ſeine tapferen Ahnen, die in den Hugenottenkriegen gleichfalls den Schrecken der deut- ſchen Waffen bis vor die Wälle von Blois und Orleans getragen hatten.
Diesmal wollte Blücher der verhaßten Stadt weder die Ehre ſeines Beſuches noch die Augenweide eines feierlichen Einzugs gönnen. Sie ſollte fühlen was der Krieg iſt. Die Regimenter rückten einzeln ein und wurden alleſammt einquartiert, obgleich die Bourgeois über ſolche Beſchim- pfung leidenſchaftlich klagten. Behörden und Bürgerſchaft zeigten die höchſte Gehäſſigkeit; daß dieſe Preußen in vier Tagen der franzöſiſchen Kriegsherrlichkeit ein Ende gemacht, war ihnen eine unbegreifliche Unver- ſchämtheit. Der Sieger verlangte die Zahlung von zwei Monaten Sold für die Armee und ſofort zwei Millionen Kriegsſteuer; die Klagenden ver- wies er an Daru: der verſtehe, wie man das Geld zur Stelle ſchaffe. Gleich am erſten Abend wurde das Danziger Bild von preußiſchen Mus- ketieren aus dem Louvre entführt, und nun begann die Zurücknahme des Raubes. Haarklein müſſen ſie Alles herausgeben — meinte der Alte und trieb zur Eile, damit die verfluchten Diplomatiker nicht dazwiſchen kämen. Allein dem harten Willen des deutſchen Feldherrn verdankte die Welt, daß der europäiſche Skandal des großen Pariſer Plünderungs- magazins nun ein Ende nahm. Altenſtein, Eichhorn und der junge Kölniſche Kunſtforſcher de Groote zeigten den preußiſchen Soldaten das geſtohlene Gut; doch trotz dem Spüreifer der deutſchen Gelehrten ward ein Theil des unüberſehbaren Raubes nicht wieder aufgefunden. Nach- dem die Preußen das Werk der Sühne einmal in Gang gebracht, machten auch andere Staaten ihre Anſprüche geltend. Der Manuſcripten- ſchatz der Heidelberger Palatina, den einſt Tilly nach Rom, dann Bona- parte nach Paris entführt hatte, gelangte endlich wieder an den Neckar zurück; das kunſtſinnige Volk von Florenz empfing mit Sang und Klang
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0781"n="765"/><fwplace="top"type="header">Zweite Einnahme von Paris.</fw><lb/>
damme in der folgenden Nacht verſuchte, von Iſſy aus dieſe Poſition<lb/>
zurückzuerobern, ward er gänzlich geſchlagen; die Ueberlegenheit der preußi-<lb/>ſchen Waffen zeigte ſich ſo glänzend, daß Davouſt noch am ſelben Morgen<lb/>ſich zur Uebergabe bereit erklärte. Blücher ſendete den General Müff-<lb/>
ling als Unterhändler. Der hatte einſt in Blüchers Namen die unver-<lb/>
geßliche Capitulation von Ratkau abgeſchloſſen; der Alte konnte ihn ſeit-<lb/>
dem nie ohne ſtillen Aerger anſehen und hieß ihn jetzt eine andere Capi-<lb/>
tulation zu Stande bringen, die den letzten Flecken von ſeinem Ehrenſchilde<lb/>
tilgen ſollte. Binnen drei Tagen mußte die Stadt übergeben werden, Da-<lb/>
vouſt mit den Trümmern der Armee über die Loire zurückgehen. Triumphi-<lb/>
rend ſchrieb Blücher an Kneſebeck: „Mein Tagewerk iſt vollendet, Paris<lb/>
iſt mein! Meinen braven Truppen, ihrer Ausdauer und meinem eiſernen<lb/>
Willen verdanke ich Alles!“ Nachher ward noch der ganze Weſten und<lb/>
Norden des Landes von den Heeren der Verbündeten beſetzt. Welche<lb/>
Freude, als Scharnhorſts Schwiegerſohn Friedrich Dohna ſeine Reiter<lb/>
ihre Roſſe in der Loire tränken ließ; er dachte ſtolz an ſeine tapferen<lb/>
Ahnen, die in den Hugenottenkriegen gleichfalls den Schrecken der deut-<lb/>ſchen Waffen bis vor die Wälle von Blois und Orleans getragen hatten.</p><lb/><p>Diesmal wollte Blücher der verhaßten Stadt weder die Ehre ſeines<lb/>
Beſuches noch die Augenweide eines feierlichen Einzugs gönnen. Sie<lb/>ſollte fühlen was der Krieg iſt. Die Regimenter rückten einzeln ein und<lb/>
wurden alleſammt einquartiert, obgleich die Bourgeois über ſolche Beſchim-<lb/>
pfung leidenſchaftlich klagten. Behörden und Bürgerſchaft zeigten die<lb/>
höchſte Gehäſſigkeit; daß dieſe Preußen in vier Tagen der franzöſiſchen<lb/>
Kriegsherrlichkeit ein Ende gemacht, war ihnen eine unbegreifliche Unver-<lb/>ſchämtheit. Der Sieger verlangte die Zahlung von zwei Monaten Sold<lb/>
für die Armee und ſofort zwei Millionen Kriegsſteuer; die Klagenden ver-<lb/>
wies er an Daru: der verſtehe, wie man das Geld zur Stelle ſchaffe.<lb/>
Gleich am erſten Abend wurde das Danziger Bild von preußiſchen Mus-<lb/>
ketieren aus dem Louvre entführt, und nun begann die Zurücknahme<lb/>
des Raubes. Haarklein müſſen ſie Alles herausgeben — meinte der<lb/>
Alte und trieb zur Eile, damit die verfluchten Diplomatiker nicht dazwiſchen<lb/>
kämen. Allein dem harten Willen des deutſchen Feldherrn verdankte die<lb/>
Welt, daß der europäiſche Skandal des großen Pariſer Plünderungs-<lb/>
magazins nun ein Ende nahm. Altenſtein, Eichhorn und der junge<lb/>
Kölniſche Kunſtforſcher de Groote zeigten den preußiſchen Soldaten das<lb/>
geſtohlene Gut; doch trotz dem Spüreifer der deutſchen Gelehrten ward<lb/>
ein Theil des unüberſehbaren Raubes nicht wieder aufgefunden. Nach-<lb/>
dem die Preußen das Werk der Sühne einmal in Gang gebracht,<lb/>
machten auch andere Staaten ihre Anſprüche geltend. Der Manuſcripten-<lb/>ſchatz der Heidelberger Palatina, den einſt Tilly nach Rom, dann Bona-<lb/>
parte nach Paris entführt hatte, gelangte endlich wieder an den Neckar<lb/>
zurück; das kunſtſinnige Volk von Florenz empfing mit Sang und Klang<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[765/0781]
Zweite Einnahme von Paris.
damme in der folgenden Nacht verſuchte, von Iſſy aus dieſe Poſition
zurückzuerobern, ward er gänzlich geſchlagen; die Ueberlegenheit der preußi-
ſchen Waffen zeigte ſich ſo glänzend, daß Davouſt noch am ſelben Morgen
ſich zur Uebergabe bereit erklärte. Blücher ſendete den General Müff-
ling als Unterhändler. Der hatte einſt in Blüchers Namen die unver-
geßliche Capitulation von Ratkau abgeſchloſſen; der Alte konnte ihn ſeit-
dem nie ohne ſtillen Aerger anſehen und hieß ihn jetzt eine andere Capi-
tulation zu Stande bringen, die den letzten Flecken von ſeinem Ehrenſchilde
tilgen ſollte. Binnen drei Tagen mußte die Stadt übergeben werden, Da-
vouſt mit den Trümmern der Armee über die Loire zurückgehen. Triumphi-
rend ſchrieb Blücher an Kneſebeck: „Mein Tagewerk iſt vollendet, Paris
iſt mein! Meinen braven Truppen, ihrer Ausdauer und meinem eiſernen
Willen verdanke ich Alles!“ Nachher ward noch der ganze Weſten und
Norden des Landes von den Heeren der Verbündeten beſetzt. Welche
Freude, als Scharnhorſts Schwiegerſohn Friedrich Dohna ſeine Reiter
ihre Roſſe in der Loire tränken ließ; er dachte ſtolz an ſeine tapferen
Ahnen, die in den Hugenottenkriegen gleichfalls den Schrecken der deut-
ſchen Waffen bis vor die Wälle von Blois und Orleans getragen hatten.
Diesmal wollte Blücher der verhaßten Stadt weder die Ehre ſeines
Beſuches noch die Augenweide eines feierlichen Einzugs gönnen. Sie
ſollte fühlen was der Krieg iſt. Die Regimenter rückten einzeln ein und
wurden alleſammt einquartiert, obgleich die Bourgeois über ſolche Beſchim-
pfung leidenſchaftlich klagten. Behörden und Bürgerſchaft zeigten die
höchſte Gehäſſigkeit; daß dieſe Preußen in vier Tagen der franzöſiſchen
Kriegsherrlichkeit ein Ende gemacht, war ihnen eine unbegreifliche Unver-
ſchämtheit. Der Sieger verlangte die Zahlung von zwei Monaten Sold
für die Armee und ſofort zwei Millionen Kriegsſteuer; die Klagenden ver-
wies er an Daru: der verſtehe, wie man das Geld zur Stelle ſchaffe.
Gleich am erſten Abend wurde das Danziger Bild von preußiſchen Mus-
ketieren aus dem Louvre entführt, und nun begann die Zurücknahme
des Raubes. Haarklein müſſen ſie Alles herausgeben — meinte der
Alte und trieb zur Eile, damit die verfluchten Diplomatiker nicht dazwiſchen
kämen. Allein dem harten Willen des deutſchen Feldherrn verdankte die
Welt, daß der europäiſche Skandal des großen Pariſer Plünderungs-
magazins nun ein Ende nahm. Altenſtein, Eichhorn und der junge
Kölniſche Kunſtforſcher de Groote zeigten den preußiſchen Soldaten das
geſtohlene Gut; doch trotz dem Spüreifer der deutſchen Gelehrten ward
ein Theil des unüberſehbaren Raubes nicht wieder aufgefunden. Nach-
dem die Preußen das Werk der Sühne einmal in Gang gebracht,
machten auch andere Staaten ihre Anſprüche geltend. Der Manuſcripten-
ſchatz der Heidelberger Palatina, den einſt Tilly nach Rom, dann Bona-
parte nach Paris entführt hatte, gelangte endlich wieder an den Neckar
zurück; das kunſtſinnige Volk von Florenz empfing mit Sang und Klang
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 765. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/781>, abgerufen am 09.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.