in bekränztem Zuge seine Götterbilder, die Venus und den Apollino, als sie wieder heimkehrten in die herrliche Tribuna der Ufficien. Die Brücke von Jena wollte Blücher in die Luft sprengen lassen -- am Liebsten, wenn sich Fürst Talleyrand vorher darauf gesetzt hätte; nur das Einschreiten der Monarchen vereitelte die Absicht.
Das Hauptquartier blieb zu St. Cloud. In jenem Saale der Orangerie, wo einst der Staatsstreich des Brumaire vollführt wurde, schlugen die preußischen Regimentsschneider ihre Werkstatt auf; zum Ab- schied nahm der Feldmarschall noch das David'sche Bild von Bonapartes Alpenzuge mit hinweg und schenkte es seinem Könige für das Berliner Schloß. In Paris führte der Gouverneur Müffling ein strenges Regiment, über die Truppen wie über die ewig scheltenden und jammernden Quar- tierwirthe. Unter ihm gebot der Commandant Oberst Pfuel, ein eifriger Teutone, hochgerühmt auf allen Turn- und Schwimmplätzen der nord- deutschen Jugend; dem handfesten Manne kam es nicht darauf an, einem schimpfenden Franzosen sogleich mit der nationalen Waffe, dem Floret, Satisfaction zu geben. Er hatte einen schweren Stand unter dem fiebe- risch aufgeregten Volke; häufig wurden die preußischen Wachposten Näch- tens angefallen, mehrmals mußten sie in den Arkaden des Palais Royal mit der Waffe einschreiten, wenn der herausfordernde Hohn der Gäste in den Cafehäusern gar zu übermüthig wurde.
Einen seltsamen Gegensatz zu dem scharfen, doch keineswegs ge- waltthätigen Auftreten der Preußen bildete Wellingtons berechnete Milde. Der Herzog ließ seine Truppen im Freien beim Boulogner Gehölz lagern, vermied Alles was die Pariser Eitelkeit irgend kränken konnte, und voll- endete unterdeß in aller Gelassenheit einen Meisterstreich britischer Diplo- matie, der dem gewandtesten Londoner Stockjobber zur Ehre gereichte. Wie er die Dinge ansah, verstand sichs ganz von selbst, daß Englands Wille in diesem Coalitionskriege allein entscheiden mußte. Ohne bei den verbündeten Höfen auch nur anzufragen ließ er den Bourbonen, unter dem Schutze der englischen Bajonette, in die Tuilerien einziehen. Als die drei Monarchen am Abend des 10. Juli in Paris eintrafen, saß König Ludwig schon seit zwei Tagen wieder auf seinem Throne und empfing sie als leutseliger Hausherr. Fouche, der rasch merkte woher der Wind wehte, hatte sich den Bourbonen noch rechtzeitig angeschlossen und dafür gesorgt, daß die Kammern des Kaiserreichs sich nicht wieder versammelten. Was frommte es, daß Blücher jede Einladung König Ludwigs ausschlug, daß die preußischen Wachen in den Tuilerien den Hof gar nicht bemerken wollten? Die zweite Restauration war vollzogen, durch England allein; an die Wiedervertreibung der Bourbonen konnte keine der anderen Mächte im Ernst denken. Durch diese vollendete Thatsache vereitelte die britische Politik zugleich die gerechten Forderungen der deutschen Nation. Die Ab- trennung von Elsaß-Lothringen war möglich, wenn die Alliirten sich zu-
II. 2. Belle Alliance.
in bekränztem Zuge ſeine Götterbilder, die Venus und den Apollino, als ſie wieder heimkehrten in die herrliche Tribuna der Ufficien. Die Brücke von Jena wollte Blücher in die Luft ſprengen laſſen — am Liebſten, wenn ſich Fürſt Talleyrand vorher darauf geſetzt hätte; nur das Einſchreiten der Monarchen vereitelte die Abſicht.
Das Hauptquartier blieb zu St. Cloud. In jenem Saale der Orangerie, wo einſt der Staatsſtreich des Brumaire vollführt wurde, ſchlugen die preußiſchen Regimentsſchneider ihre Werkſtatt auf; zum Ab- ſchied nahm der Feldmarſchall noch das David’ſche Bild von Bonapartes Alpenzuge mit hinweg und ſchenkte es ſeinem Könige für das Berliner Schloß. In Paris führte der Gouverneur Müffling ein ſtrenges Regiment, über die Truppen wie über die ewig ſcheltenden und jammernden Quar- tierwirthe. Unter ihm gebot der Commandant Oberſt Pfuel, ein eifriger Teutone, hochgerühmt auf allen Turn- und Schwimmplätzen der nord- deutſchen Jugend; dem handfeſten Manne kam es nicht darauf an, einem ſchimpfenden Franzoſen ſogleich mit der nationalen Waffe, dem Floret, Satisfaction zu geben. Er hatte einen ſchweren Stand unter dem fiebe- riſch aufgeregten Volke; häufig wurden die preußiſchen Wachpoſten Näch- tens angefallen, mehrmals mußten ſie in den Arkaden des Palais Royal mit der Waffe einſchreiten, wenn der herausfordernde Hohn der Gäſte in den Cafehäuſern gar zu übermüthig wurde.
Einen ſeltſamen Gegenſatz zu dem ſcharfen, doch keineswegs ge- waltthätigen Auftreten der Preußen bildete Wellingtons berechnete Milde. Der Herzog ließ ſeine Truppen im Freien beim Boulogner Gehölz lagern, vermied Alles was die Pariſer Eitelkeit irgend kränken konnte, und voll- endete unterdeß in aller Gelaſſenheit einen Meiſterſtreich britiſcher Diplo- matie, der dem gewandteſten Londoner Stockjobber zur Ehre gereichte. Wie er die Dinge anſah, verſtand ſichs ganz von ſelbſt, daß Englands Wille in dieſem Coalitionskriege allein entſcheiden mußte. Ohne bei den verbündeten Höfen auch nur anzufragen ließ er den Bourbonen, unter dem Schutze der engliſchen Bajonette, in die Tuilerien einziehen. Als die drei Monarchen am Abend des 10. Juli in Paris eintrafen, ſaß König Ludwig ſchon ſeit zwei Tagen wieder auf ſeinem Throne und empfing ſie als leutſeliger Hausherr. Fouché, der raſch merkte woher der Wind wehte, hatte ſich den Bourbonen noch rechtzeitig angeſchloſſen und dafür geſorgt, daß die Kammern des Kaiſerreichs ſich nicht wieder verſammelten. Was frommte es, daß Blücher jede Einladung König Ludwigs ausſchlug, daß die preußiſchen Wachen in den Tuilerien den Hof gar nicht bemerken wollten? Die zweite Reſtauration war vollzogen, durch England allein; an die Wiedervertreibung der Bourbonen konnte keine der anderen Mächte im Ernſt denken. Durch dieſe vollendete Thatſache vereitelte die britiſche Politik zugleich die gerechten Forderungen der deutſchen Nation. Die Ab- trennung von Elſaß-Lothringen war möglich, wenn die Alliirten ſich zu-
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II. 2. Belle Alliance.
in bekränztem Zuge ſeine Götterbilder, die Venus und den Apollino, als
ſie wieder heimkehrten in die herrliche Tribuna der Ufficien. Die Brücke
von Jena wollte Blücher in die Luft ſprengen laſſen — am Liebſten, wenn
ſich Fürſt Talleyrand vorher darauf geſetzt hätte; nur das Einſchreiten der
Monarchen vereitelte die Abſicht.
Das Hauptquartier blieb zu St. Cloud. In jenem Saale der
Orangerie, wo einſt der Staatsſtreich des Brumaire vollführt wurde,
ſchlugen die preußiſchen Regimentsſchneider ihre Werkſtatt auf; zum Ab-
ſchied nahm der Feldmarſchall noch das David’ſche Bild von Bonapartes
Alpenzuge mit hinweg und ſchenkte es ſeinem Könige für das Berliner
Schloß. In Paris führte der Gouverneur Müffling ein ſtrenges Regiment,
über die Truppen wie über die ewig ſcheltenden und jammernden Quar-
tierwirthe. Unter ihm gebot der Commandant Oberſt Pfuel, ein eifriger
Teutone, hochgerühmt auf allen Turn- und Schwimmplätzen der nord-
deutſchen Jugend; dem handfeſten Manne kam es nicht darauf an, einem
ſchimpfenden Franzoſen ſogleich mit der nationalen Waffe, dem Floret,
Satisfaction zu geben. Er hatte einen ſchweren Stand unter dem fiebe-
riſch aufgeregten Volke; häufig wurden die preußiſchen Wachpoſten Näch-
tens angefallen, mehrmals mußten ſie in den Arkaden des Palais Royal
mit der Waffe einſchreiten, wenn der herausfordernde Hohn der Gäſte in
den Cafehäuſern gar zu übermüthig wurde.
Einen ſeltſamen Gegenſatz zu dem ſcharfen, doch keineswegs ge-
waltthätigen Auftreten der Preußen bildete Wellingtons berechnete Milde.
Der Herzog ließ ſeine Truppen im Freien beim Boulogner Gehölz lagern,
vermied Alles was die Pariſer Eitelkeit irgend kränken konnte, und voll-
endete unterdeß in aller Gelaſſenheit einen Meiſterſtreich britiſcher Diplo-
matie, der dem gewandteſten Londoner Stockjobber zur Ehre gereichte.
Wie er die Dinge anſah, verſtand ſichs ganz von ſelbſt, daß Englands
Wille in dieſem Coalitionskriege allein entſcheiden mußte. Ohne bei den
verbündeten Höfen auch nur anzufragen ließ er den Bourbonen, unter dem
Schutze der engliſchen Bajonette, in die Tuilerien einziehen. Als die drei
Monarchen am Abend des 10. Juli in Paris eintrafen, ſaß König Ludwig
ſchon ſeit zwei Tagen wieder auf ſeinem Throne und empfing ſie als
leutſeliger Hausherr. Fouché, der raſch merkte woher der Wind wehte,
hatte ſich den Bourbonen noch rechtzeitig angeſchloſſen und dafür geſorgt,
daß die Kammern des Kaiſerreichs ſich nicht wieder verſammelten. Was
frommte es, daß Blücher jede Einladung König Ludwigs ausſchlug, daß
die preußiſchen Wachen in den Tuilerien den Hof gar nicht bemerken
wollten? Die zweite Reſtauration war vollzogen, durch England allein;
an die Wiedervertreibung der Bourbonen konnte keine der anderen Mächte
im Ernſt denken. Durch dieſe vollendete Thatſache vereitelte die britiſche
Politik zugleich die gerechten Forderungen der deutſchen Nation. Die Ab-
trennung von Elſaß-Lothringen war möglich, wenn die Alliirten ſich zu-
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 766. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/782>, abgerufen am 22.11.2024.
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