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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Preußens Friedensvorschläge.
des Allerchristlichsten Königs betrachtete, sprach Hardenberg am 22. Juli
seine Forderungen aus.*) Drei Ziele, sagt er, sind durch diesen Frie-
densschluß zu erreichen: Bürgschaft für die Ruhe Europas, Entschädigung
für die Kriegskosten, endlich Ausführung der beim ersten Frieden gegebenen
Versprechungen. Die Ruhe der Welt kann nur durch die Schwächung der
französischen Ostgrenze gesichert werden, da die Franzosen spätestens nach
Abzug unserer Heere sich wieder feindselig zeigen werden. Der letzte Krieg
hat die Verwundbarkeit der Niederlande offenbart, wie die militärische
Schwäche Oberdeutschlands durch die napoleonischen Feldzüge erwiesen ist.
Also Verstärkung der Niederlande durch eine Reihe französischer Festungen;
das Elsaß an Deutschland zurückgegeben, seine festen Plätze durch Oesterreich
besetzt; für Preußen die Festungen an der Saar und der oberen Mosel;
für die Schweiz einige Grenzfestungen im Jura, für Piemont ganz Sa-
voyen. Von Dünkirchen bis hinauf nach Chambery und den savoyischen
Seen sollte ein mehrere Meilen breiter Streifen, der die ganze Ostgrenze
entlang lief und die vorderste der drei Vauban'schen Festungsreihen um-
faßte, abgetrennt werden, wie eine Landkarte aus der Staatskanzlei
näher angab.

Wie Preußen überall in diesem Kriege seine rücksichtslose Hingebung
an die gemeinsame Sache Europas bethätigt hatte, so forderte Hardenberg
auch von dem Siegespreise für seinen eigenen Staat unmittelbar nur wenig:
Metz, Diedenhofen und Saarlouis. Selbst Gneisenau hatte rasch ein-
gesehen, wie stark das allgemeine Mißtrauen gegen Preußen sei und rieth
daher jetzt, mehr für die Niederlande, Oesterreich und Süddeutschland als
für Preußen selbst zu verlangen; den Briten müsse man vorstellen: so
werde Preußen im Westen gesichert und könne gegen Rußland schärfer
auftreten.**) Als eine Möglichkeit bezeichnete der Staatskanzler endlich
noch die Losreißung der freien Grafschaft Burgund, die sich nach ihrer
alten Freiheit zurücksehne. In der allgemeinen Zerrüttung jener Tage
regten sich allerdings auch vereinzelte centrifugale Bestrebungen, die man
längst erstorben glaubte: sogar aus Lyon kamen Abgesandte zu Kaiser
Franz und baten, die Stadt als selbständige Republik von Frankreich ab-
zutrennen. In der Franche Comte waren die alten habsburgischen Ueber-
lieferungen noch sehr lebendig; Besancon, die Stadt Granvellas, bewahrte
in jeder Straße Erinnerungen an die goldenen Zeiten Karls V., über dem
Thore des Rathhauses prangte noch der Adler mit dem alten stolzen Deo
et Caesari semper fidelis.
Doch das Alles bedeutete wenig; der Ver-
nichtungskrieg des Convents gegen die Provinzen hatte mit einem voll-
ständigen Siege der Staatseinheit geendet. In allen den Landstrichen,

*) Hardenberg, Denkschrift über die von dem Comite der Vier zu befolgenden
Grundsätze, 22. Juli 1815.
**) Gneisenau an Hardenberg, 27. Juli 1815.
49*

Preußens Friedensvorſchläge.
des Allerchriſtlichſten Königs betrachtete, ſprach Hardenberg am 22. Juli
ſeine Forderungen aus.*) Drei Ziele, ſagt er, ſind durch dieſen Frie-
densſchluß zu erreichen: Bürgſchaft für die Ruhe Europas, Entſchädigung
für die Kriegskoſten, endlich Ausführung der beim erſten Frieden gegebenen
Verſprechungen. Die Ruhe der Welt kann nur durch die Schwächung der
franzöſiſchen Oſtgrenze geſichert werden, da die Franzoſen ſpäteſtens nach
Abzug unſerer Heere ſich wieder feindſelig zeigen werden. Der letzte Krieg
hat die Verwundbarkeit der Niederlande offenbart, wie die militäriſche
Schwäche Oberdeutſchlands durch die napoleoniſchen Feldzüge erwieſen iſt.
Alſo Verſtärkung der Niederlande durch eine Reihe franzöſiſcher Feſtungen;
das Elſaß an Deutſchland zurückgegeben, ſeine feſten Plätze durch Oeſterreich
beſetzt; für Preußen die Feſtungen an der Saar und der oberen Moſel;
für die Schweiz einige Grenzfeſtungen im Jura, für Piemont ganz Sa-
voyen. Von Dünkirchen bis hinauf nach Chambery und den ſavoyiſchen
Seen ſollte ein mehrere Meilen breiter Streifen, der die ganze Oſtgrenze
entlang lief und die vorderſte der drei Vauban’ſchen Feſtungsreihen um-
faßte, abgetrennt werden, wie eine Landkarte aus der Staatskanzlei
näher angab.

Wie Preußen überall in dieſem Kriege ſeine rückſichtsloſe Hingebung
an die gemeinſame Sache Europas bethätigt hatte, ſo forderte Hardenberg
auch von dem Siegespreiſe für ſeinen eigenen Staat unmittelbar nur wenig:
Metz, Diedenhofen und Saarlouis. Selbſt Gneiſenau hatte raſch ein-
geſehen, wie ſtark das allgemeine Mißtrauen gegen Preußen ſei und rieth
daher jetzt, mehr für die Niederlande, Oeſterreich und Süddeutſchland als
für Preußen ſelbſt zu verlangen; den Briten müſſe man vorſtellen: ſo
werde Preußen im Weſten geſichert und könne gegen Rußland ſchärfer
auftreten.**) Als eine Möglichkeit bezeichnete der Staatskanzler endlich
noch die Losreißung der freien Grafſchaft Burgund, die ſich nach ihrer
alten Freiheit zurückſehne. In der allgemeinen Zerrüttung jener Tage
regten ſich allerdings auch vereinzelte centrifugale Beſtrebungen, die man
längſt erſtorben glaubte: ſogar aus Lyon kamen Abgeſandte zu Kaiſer
Franz und baten, die Stadt als ſelbſtändige Republik von Frankreich ab-
zutrennen. In der Franche Comté waren die alten habsburgiſchen Ueber-
lieferungen noch ſehr lebendig; Beſançon, die Stadt Granvellas, bewahrte
in jeder Straße Erinnerungen an die goldenen Zeiten Karls V., über dem
Thore des Rathhauſes prangte noch der Adler mit dem alten ſtolzen Deo
et Caesari semper fidelis.
Doch das Alles bedeutete wenig; der Ver-
nichtungskrieg des Convents gegen die Provinzen hatte mit einem voll-
ſtändigen Siege der Staatseinheit geendet. In allen den Landſtrichen,

*) Hardenberg, Denkſchrift über die von dem Comité der Vier zu befolgenden
Grundſätze, 22. Juli 1815.
**) Gneiſenau an Hardenberg, 27. Juli 1815.
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[771/0787] Preußens Friedensvorſchläge. des Allerchriſtlichſten Königs betrachtete, ſprach Hardenberg am 22. Juli ſeine Forderungen aus. *) Drei Ziele, ſagt er, ſind durch dieſen Frie- densſchluß zu erreichen: Bürgſchaft für die Ruhe Europas, Entſchädigung für die Kriegskoſten, endlich Ausführung der beim erſten Frieden gegebenen Verſprechungen. Die Ruhe der Welt kann nur durch die Schwächung der franzöſiſchen Oſtgrenze geſichert werden, da die Franzoſen ſpäteſtens nach Abzug unſerer Heere ſich wieder feindſelig zeigen werden. Der letzte Krieg hat die Verwundbarkeit der Niederlande offenbart, wie die militäriſche Schwäche Oberdeutſchlands durch die napoleoniſchen Feldzüge erwieſen iſt. Alſo Verſtärkung der Niederlande durch eine Reihe franzöſiſcher Feſtungen; das Elſaß an Deutſchland zurückgegeben, ſeine feſten Plätze durch Oeſterreich beſetzt; für Preußen die Feſtungen an der Saar und der oberen Moſel; für die Schweiz einige Grenzfeſtungen im Jura, für Piemont ganz Sa- voyen. Von Dünkirchen bis hinauf nach Chambery und den ſavoyiſchen Seen ſollte ein mehrere Meilen breiter Streifen, der die ganze Oſtgrenze entlang lief und die vorderſte der drei Vauban’ſchen Feſtungsreihen um- faßte, abgetrennt werden, wie eine Landkarte aus der Staatskanzlei näher angab. Wie Preußen überall in dieſem Kriege ſeine rückſichtsloſe Hingebung an die gemeinſame Sache Europas bethätigt hatte, ſo forderte Hardenberg auch von dem Siegespreiſe für ſeinen eigenen Staat unmittelbar nur wenig: Metz, Diedenhofen und Saarlouis. Selbſt Gneiſenau hatte raſch ein- geſehen, wie ſtark das allgemeine Mißtrauen gegen Preußen ſei und rieth daher jetzt, mehr für die Niederlande, Oeſterreich und Süddeutſchland als für Preußen ſelbſt zu verlangen; den Briten müſſe man vorſtellen: ſo werde Preußen im Weſten geſichert und könne gegen Rußland ſchärfer auftreten. **) Als eine Möglichkeit bezeichnete der Staatskanzler endlich noch die Losreißung der freien Grafſchaft Burgund, die ſich nach ihrer alten Freiheit zurückſehne. In der allgemeinen Zerrüttung jener Tage regten ſich allerdings auch vereinzelte centrifugale Beſtrebungen, die man längſt erſtorben glaubte: ſogar aus Lyon kamen Abgeſandte zu Kaiſer Franz und baten, die Stadt als ſelbſtändige Republik von Frankreich ab- zutrennen. In der Franche Comté waren die alten habsburgiſchen Ueber- lieferungen noch ſehr lebendig; Beſançon, die Stadt Granvellas, bewahrte in jeder Straße Erinnerungen an die goldenen Zeiten Karls V., über dem Thore des Rathhauſes prangte noch der Adler mit dem alten ſtolzen Deo et Caesari semper fidelis. Doch das Alles bedeutete wenig; der Ver- nichtungskrieg des Convents gegen die Provinzen hatte mit einem voll- ſtändigen Siege der Staatseinheit geendet. In allen den Landſtrichen, *) Hardenberg, Denkſchrift über die von dem Comité der Vier zu befolgenden Grundſätze, 22. Juli 1815. **) Gneiſenau an Hardenberg, 27. Juli 1815. 49*

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 771. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/787>, abgerufen am 22.11.2024.