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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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II. 2. Belle Alliance.
welche Hardenberg zurückforderte, dachte die große Mehrheit des Volks den
Alliirten feindlich -- mit der einzigen Ausnahme des treuen Saarbrückens,
das den Staatskanzler schon auf der Durchreise festlich begrüßt und aber-
mals flehentlich um Vereinigung mit Preußen gebeten hatte*); selbst das
benachbarte Saarlouis, die Heimath Neys, war bis zum Fanatismus
französisch gesinnt.

Hinsichtlich der Geldentschädigung erinnerte Hardenberg an die thö-
richte, von Preußen vergeblich bekämpfte Großmuth vom vorigen Jahre:
"es wäre Narrheit noch einmal ebenso zu handeln." Er verlangte, ob-
gleich der ängstliche Altenstein ihm gerathen hatte sich mit 800 Mill. zu
begnügen**), die Zahlung von 1200 Mill. Fr., davon 200 Mill. vorab
für die Eroberer von Paris, Preußen und England. Eine Rechnung aus
der Staatskanzlei wies sodann nach, daß Frankreich in den Jahren 1806
bis 1812 aus Preußen allein 1228 Mill. erhoben hatte -- was noch um
reichlich 300 Mill. hinter der Wahrheit zurückblieb.***) Endlich für die
Zurückgabe der Kunstschätze und die Einlösung der anderen noch uner-
füllten Versprechungen des vorigen Jahres sollte eine europäische Com-
mission sorgen. Die preußischen Vorschläge waren streng, doch durchaus
gerecht, Angesichts der vollständigen Niederlage des napoleonischen Heeres
und der unbelehrbaren Feindseligkeit der Franzosen. Ein Unglück nur,
daß die Entsagung, welche der preußische Staat für sich selber übte, die
Behauptung der erhofften Beute erschwerte; denn wer anders als Preußen
konnte die widerspänstigen Elsasser mit starker Hand festhalten während der
bösen Uebergangszeit bis ein neues gut deutsches Geschlecht heranwuchs?
Da Oesterreich sein altes Erbe hartnäckig verschmähte, so tauchten die
wunderlichsten Vorschläge auf; man dachte an einen vierzigsten Bundes-
staat unter dem Kronprinzen von Württemberg, Gagern wollte das Elsaß
sogar in die Eidgenossenschaft aufnehmen. Und daneben in Frankreich
hunderttausende grollender napoleonischer Veteranen! Welche Aussichten
für die Zukunft!

Indeß ward dieser einzige stichhaltige Einwurf, der sich gegen Har-
denbergs Vorschläge erheben ließ, von der Gegenpartei kaum beiläufig
erwähnt. Die große Denkschrift, welche Capodistrias am 28. Juli über-
reichte, bewegte sich vielmehr in den luftigen Regionen der politischen Ro-
mantik, da Rußland die wirklichen Zwecke seiner Politik nicht enthüllen
durfte. Der gewandte Grieche hatte sich in den salbungsvollen Ton,
welcher der gegenwärtigen Stimmung Alexanders entsprach, um so leichter
eingelebt, da er selber die großen Worte und die leeren Allgemeinheiten
liebte, und führte beweglich aus: mit Frankreich habe Niemand Krieg ge-

*) Hardenbergs Tagebuch, 11. Juli 1815.
**) Altensteins Denkschrift über die Contribution, Paris 21. Juli 1815.
***) Vgl. oben S. 321 u. 391.

II. 2. Belle Alliance.
welche Hardenberg zurückforderte, dachte die große Mehrheit des Volks den
Alliirten feindlich — mit der einzigen Ausnahme des treuen Saarbrückens,
das den Staatskanzler ſchon auf der Durchreiſe feſtlich begrüßt und aber-
mals flehentlich um Vereinigung mit Preußen gebeten hatte*); ſelbſt das
benachbarte Saarlouis, die Heimath Neys, war bis zum Fanatismus
franzöſiſch geſinnt.

Hinſichtlich der Geldentſchädigung erinnerte Hardenberg an die thö-
richte, von Preußen vergeblich bekämpfte Großmuth vom vorigen Jahre:
„es wäre Narrheit noch einmal ebenſo zu handeln.“ Er verlangte, ob-
gleich der ängſtliche Altenſtein ihm gerathen hatte ſich mit 800 Mill. zu
begnügen**), die Zahlung von 1200 Mill. Fr., davon 200 Mill. vorab
für die Eroberer von Paris, Preußen und England. Eine Rechnung aus
der Staatskanzlei wies ſodann nach, daß Frankreich in den Jahren 1806
bis 1812 aus Preußen allein 1228 Mill. erhoben hatte — was noch um
reichlich 300 Mill. hinter der Wahrheit zurückblieb.***) Endlich für die
Zurückgabe der Kunſtſchätze und die Einlöſung der anderen noch uner-
füllten Verſprechungen des vorigen Jahres ſollte eine europäiſche Com-
miſſion ſorgen. Die preußiſchen Vorſchläge waren ſtreng, doch durchaus
gerecht, Angeſichts der vollſtändigen Niederlage des napoleoniſchen Heeres
und der unbelehrbaren Feindſeligkeit der Franzoſen. Ein Unglück nur,
daß die Entſagung, welche der preußiſche Staat für ſich ſelber übte, die
Behauptung der erhofften Beute erſchwerte; denn wer anders als Preußen
konnte die widerſpänſtigen Elſaſſer mit ſtarker Hand feſthalten während der
böſen Uebergangszeit bis ein neues gut deutſches Geſchlecht heranwuchs?
Da Oeſterreich ſein altes Erbe hartnäckig verſchmähte, ſo tauchten die
wunderlichſten Vorſchläge auf; man dachte an einen vierzigſten Bundes-
ſtaat unter dem Kronprinzen von Württemberg, Gagern wollte das Elſaß
ſogar in die Eidgenoſſenſchaft aufnehmen. Und daneben in Frankreich
hunderttauſende grollender napoleoniſcher Veteranen! Welche Ausſichten
für die Zukunft!

Indeß ward dieſer einzige ſtichhaltige Einwurf, der ſich gegen Har-
denbergs Vorſchläge erheben ließ, von der Gegenpartei kaum beiläufig
erwähnt. Die große Denkſchrift, welche Capodiſtrias am 28. Juli über-
reichte, bewegte ſich vielmehr in den luftigen Regionen der politiſchen Ro-
mantik, da Rußland die wirklichen Zwecke ſeiner Politik nicht enthüllen
durfte. Der gewandte Grieche hatte ſich in den ſalbungsvollen Ton,
welcher der gegenwärtigen Stimmung Alexanders entſprach, um ſo leichter
eingelebt, da er ſelber die großen Worte und die leeren Allgemeinheiten
liebte, und führte beweglich aus: mit Frankreich habe Niemand Krieg ge-

*) Hardenbergs Tagebuch, 11. Juli 1815.
**) Altenſteins Denkſchrift über die Contribution, Paris 21. Juli 1815.
***) Vgl. oben S. 321 u. 391.
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[772/0788] II. 2. Belle Alliance. welche Hardenberg zurückforderte, dachte die große Mehrheit des Volks den Alliirten feindlich — mit der einzigen Ausnahme des treuen Saarbrückens, das den Staatskanzler ſchon auf der Durchreiſe feſtlich begrüßt und aber- mals flehentlich um Vereinigung mit Preußen gebeten hatte *); ſelbſt das benachbarte Saarlouis, die Heimath Neys, war bis zum Fanatismus franzöſiſch geſinnt. Hinſichtlich der Geldentſchädigung erinnerte Hardenberg an die thö- richte, von Preußen vergeblich bekämpfte Großmuth vom vorigen Jahre: „es wäre Narrheit noch einmal ebenſo zu handeln.“ Er verlangte, ob- gleich der ängſtliche Altenſtein ihm gerathen hatte ſich mit 800 Mill. zu begnügen **), die Zahlung von 1200 Mill. Fr., davon 200 Mill. vorab für die Eroberer von Paris, Preußen und England. Eine Rechnung aus der Staatskanzlei wies ſodann nach, daß Frankreich in den Jahren 1806 bis 1812 aus Preußen allein 1228 Mill. erhoben hatte — was noch um reichlich 300 Mill. hinter der Wahrheit zurückblieb. ***) Endlich für die Zurückgabe der Kunſtſchätze und die Einlöſung der anderen noch uner- füllten Verſprechungen des vorigen Jahres ſollte eine europäiſche Com- miſſion ſorgen. Die preußiſchen Vorſchläge waren ſtreng, doch durchaus gerecht, Angeſichts der vollſtändigen Niederlage des napoleoniſchen Heeres und der unbelehrbaren Feindſeligkeit der Franzoſen. Ein Unglück nur, daß die Entſagung, welche der preußiſche Staat für ſich ſelber übte, die Behauptung der erhofften Beute erſchwerte; denn wer anders als Preußen konnte die widerſpänſtigen Elſaſſer mit ſtarker Hand feſthalten während der böſen Uebergangszeit bis ein neues gut deutſches Geſchlecht heranwuchs? Da Oeſterreich ſein altes Erbe hartnäckig verſchmähte, ſo tauchten die wunderlichſten Vorſchläge auf; man dachte an einen vierzigſten Bundes- ſtaat unter dem Kronprinzen von Württemberg, Gagern wollte das Elſaß ſogar in die Eidgenoſſenſchaft aufnehmen. Und daneben in Frankreich hunderttauſende grollender napoleoniſcher Veteranen! Welche Ausſichten für die Zukunft! Indeß ward dieſer einzige ſtichhaltige Einwurf, der ſich gegen Har- denbergs Vorſchläge erheben ließ, von der Gegenpartei kaum beiläufig erwähnt. Die große Denkſchrift, welche Capodiſtrias am 28. Juli über- reichte, bewegte ſich vielmehr in den luftigen Regionen der politiſchen Ro- mantik, da Rußland die wirklichen Zwecke ſeiner Politik nicht enthüllen durfte. Der gewandte Grieche hatte ſich in den ſalbungsvollen Ton, welcher der gegenwärtigen Stimmung Alexanders entſprach, um ſo leichter eingelebt, da er ſelber die großen Worte und die leeren Allgemeinheiten liebte, und führte beweglich aus: mit Frankreich habe Niemand Krieg ge- *) Hardenbergs Tagebuch, 11. Juli 1815. **) Altenſteins Denkſchrift über die Contribution, Paris 21. Juli 1815. ***) Vgl. oben S. 321 u. 391.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 772. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/788>, abgerufen am 09.11.2024.