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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Oesterreich gegen Preußen.
Steins freudigem Erstaunen, mit den Preußen treulich zusammenging.
Ganz unbekümmert um den Widerspruch der Nation schritten Castlereagh
und Wellington ihres Weges weiter. Der Herzog blieb dabei, die Been-
digung der Revolution sei der einzige Zweck dieses Krieges, daher könne
jetzt nur eine Occupation für wenige Jahre erfolgen. Castlereagh schloß
sich ihm an und vertröstete die Preußen auf besseren Lohn nach zukünfti-
gen Kriegen: *) "Fortgesetzte Ausschreitungen Frankreichs können ohne
Zweifel in künftigen Tagen Europa zur Zerstückelung Frankreichs nöthi-
gen, und Europa wird eine solche Veränderung seines Länderbestandes mit
Kraft durchführen und mit Einmuth aufrechthalten, wenn dieselbe dereinst
in den Augen der Menschheit als eine nothwendige und gerechtfertigte
Maßregel erscheinen wird." Aber der gegenwärtige Krieg ist nicht um
solcher Zwecke willen begonnen worden. Zum Schluß nochmals: "Wenn
die Alliirten durch den kriegerischen Ehrgeiz Frankreichs in ihrem Vertrauen
getäuscht werden sollten, dann werden sie nochmals die Waffen ergreifen,
nicht nur gestützt auf beherrschende militärische Positionen, sondern auch
mit jener sittlichen Kraft, welche allein eine solche Coalition zusammen-
halten kann."

Also in der angenehmen Erwartung neuen Blutvergießens, neuer
Kriegsnoth sollten die nach Frieden schmachtenden Deutschen diese einzige
Gelegenheit zur Sicherung ihrer Grenzen aus der Hand geben! Was
Wunder, daß diese Anweisung auf zukünftiges Elend, neben den sal-
bungsvollen Worten von der sittlichen Kraft der Coalition, allen Deut-
schen wie Spott klang? Die Stimmung ward mit jedem Tage erregter.
Sogar der gesellige Verkehr zwischen den Staatsmännern der beiden Par-
teien gerieth ins Stocken, die Briten beklagten sich bitter über Humboldts
eisige Kälte und schneidende Sarkasmen. So zog sich der Handel durch
anderthalb Monate. Endlich entschloß sich der Staatskanzler einen halben
Schritt zurückzuweichen; er erbot sich am 28. August, das obere Elsaß
aufzugeben, verlangte für Deutschland nur noch Diedenhofen und Saar-
louis, Landau und Bitsch, endlich Straßburg als freie Stadt.

Unterdessen hatte Gneisenau eine Denkschrift für den Czaren auf-
gesetzt, die am 31. August auf Befehl des Königs übergeben wurde;
Friedrich Wilhelm versprach sich von den feurigen Worten des Generals
einigen Eindruck und hoffte am nächsten Tage durch eine persönliche Un-
terredung seinen Freund vollends umzustimmen. **) Ohne auf die preußi-
schen Forderungen im Einzelnen einzugehen versuchte Gneisenau zunächst
nur das Herz des Czaren für den Grundsatz der Gebietsabtretung zu
gewinnen. Er zeigte, daß in der That Frankreich die Schuld an dem

*) Castlereaghs vertrauliche Note an Hardenberg, wahrscheinlich im August ge-
schrieben.
**) Boyen an Gneisenau 31. Aug. 1815. Gneisenau, Memorandum für S. Maj.
den Kaiser Alexander.

Oeſterreich gegen Preußen.
Steins freudigem Erſtaunen, mit den Preußen treulich zuſammenging.
Ganz unbekümmert um den Widerſpruch der Nation ſchritten Caſtlereagh
und Wellington ihres Weges weiter. Der Herzog blieb dabei, die Been-
digung der Revolution ſei der einzige Zweck dieſes Krieges, daher könne
jetzt nur eine Occupation für wenige Jahre erfolgen. Caſtlereagh ſchloß
ſich ihm an und vertröſtete die Preußen auf beſſeren Lohn nach zukünfti-
gen Kriegen: *) „Fortgeſetzte Ausſchreitungen Frankreichs können ohne
Zweifel in künftigen Tagen Europa zur Zerſtückelung Frankreichs nöthi-
gen, und Europa wird eine ſolche Veränderung ſeines Länderbeſtandes mit
Kraft durchführen und mit Einmuth aufrechthalten, wenn dieſelbe dereinſt
in den Augen der Menſchheit als eine nothwendige und gerechtfertigte
Maßregel erſcheinen wird.“ Aber der gegenwärtige Krieg iſt nicht um
ſolcher Zwecke willen begonnen worden. Zum Schluß nochmals: „Wenn
die Alliirten durch den kriegeriſchen Ehrgeiz Frankreichs in ihrem Vertrauen
getäuſcht werden ſollten, dann werden ſie nochmals die Waffen ergreifen,
nicht nur geſtützt auf beherrſchende militäriſche Poſitionen, ſondern auch
mit jener ſittlichen Kraft, welche allein eine ſolche Coalition zuſammen-
halten kann.“

Alſo in der angenehmen Erwartung neuen Blutvergießens, neuer
Kriegsnoth ſollten die nach Frieden ſchmachtenden Deutſchen dieſe einzige
Gelegenheit zur Sicherung ihrer Grenzen aus der Hand geben! Was
Wunder, daß dieſe Anweiſung auf zukünftiges Elend, neben den ſal-
bungsvollen Worten von der ſittlichen Kraft der Coalition, allen Deut-
ſchen wie Spott klang? Die Stimmung ward mit jedem Tage erregter.
Sogar der geſellige Verkehr zwiſchen den Staatsmännern der beiden Par-
teien gerieth ins Stocken, die Briten beklagten ſich bitter über Humboldts
eiſige Kälte und ſchneidende Sarkasmen. So zog ſich der Handel durch
anderthalb Monate. Endlich entſchloß ſich der Staatskanzler einen halben
Schritt zurückzuweichen; er erbot ſich am 28. Auguſt, das obere Elſaß
aufzugeben, verlangte für Deutſchland nur noch Diedenhofen und Saar-
louis, Landau und Bitſch, endlich Straßburg als freie Stadt.

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geſetzt, die am 31. Auguſt auf Befehl des Königs übergeben wurde;
Friedrich Wilhelm verſprach ſich von den feurigen Worten des Generals
einigen Eindruck und hoffte am nächſten Tage durch eine perſönliche Un-
terredung ſeinen Freund vollends umzuſtimmen. **) Ohne auf die preußi-
ſchen Forderungen im Einzelnen einzugehen verſuchte Gneiſenau zunächſt
nur das Herz des Czaren für den Grundſatz der Gebietsabtretung zu
gewinnen. Er zeigte, daß in der That Frankreich die Schuld an dem

*) Caſtlereaghs vertrauliche Note an Hardenberg, wahrſcheinlich im Auguſt ge-
ſchrieben.
**) Boyen an Gneiſenau 31. Aug. 1815. Gneiſenau, Memorandum für S. Maj.
den Kaiſer Alexander.
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[777/0793] Oeſterreich gegen Preußen. Steins freudigem Erſtaunen, mit den Preußen treulich zuſammenging. Ganz unbekümmert um den Widerſpruch der Nation ſchritten Caſtlereagh und Wellington ihres Weges weiter. Der Herzog blieb dabei, die Been- digung der Revolution ſei der einzige Zweck dieſes Krieges, daher könne jetzt nur eine Occupation für wenige Jahre erfolgen. Caſtlereagh ſchloß ſich ihm an und vertröſtete die Preußen auf beſſeren Lohn nach zukünfti- gen Kriegen: *) „Fortgeſetzte Ausſchreitungen Frankreichs können ohne Zweifel in künftigen Tagen Europa zur Zerſtückelung Frankreichs nöthi- gen, und Europa wird eine ſolche Veränderung ſeines Länderbeſtandes mit Kraft durchführen und mit Einmuth aufrechthalten, wenn dieſelbe dereinſt in den Augen der Menſchheit als eine nothwendige und gerechtfertigte Maßregel erſcheinen wird.“ Aber der gegenwärtige Krieg iſt nicht um ſolcher Zwecke willen begonnen worden. Zum Schluß nochmals: „Wenn die Alliirten durch den kriegeriſchen Ehrgeiz Frankreichs in ihrem Vertrauen getäuſcht werden ſollten, dann werden ſie nochmals die Waffen ergreifen, nicht nur geſtützt auf beherrſchende militäriſche Poſitionen, ſondern auch mit jener ſittlichen Kraft, welche allein eine ſolche Coalition zuſammen- halten kann.“ Alſo in der angenehmen Erwartung neuen Blutvergießens, neuer Kriegsnoth ſollten die nach Frieden ſchmachtenden Deutſchen dieſe einzige Gelegenheit zur Sicherung ihrer Grenzen aus der Hand geben! Was Wunder, daß dieſe Anweiſung auf zukünftiges Elend, neben den ſal- bungsvollen Worten von der ſittlichen Kraft der Coalition, allen Deut- ſchen wie Spott klang? Die Stimmung ward mit jedem Tage erregter. Sogar der geſellige Verkehr zwiſchen den Staatsmännern der beiden Par- teien gerieth ins Stocken, die Briten beklagten ſich bitter über Humboldts eiſige Kälte und ſchneidende Sarkasmen. So zog ſich der Handel durch anderthalb Monate. Endlich entſchloß ſich der Staatskanzler einen halben Schritt zurückzuweichen; er erbot ſich am 28. Auguſt, das obere Elſaß aufzugeben, verlangte für Deutſchland nur noch Diedenhofen und Saar- louis, Landau und Bitſch, endlich Straßburg als freie Stadt. Unterdeſſen hatte Gneiſenau eine Denkſchrift für den Czaren auf- geſetzt, die am 31. Auguſt auf Befehl des Königs übergeben wurde; Friedrich Wilhelm verſprach ſich von den feurigen Worten des Generals einigen Eindruck und hoffte am nächſten Tage durch eine perſönliche Un- terredung ſeinen Freund vollends umzuſtimmen. **) Ohne auf die preußi- ſchen Forderungen im Einzelnen einzugehen verſuchte Gneiſenau zunächſt nur das Herz des Czaren für den Grundſatz der Gebietsabtretung zu gewinnen. Er zeigte, daß in der That Frankreich die Schuld an dem *) Caſtlereaghs vertrauliche Note an Hardenberg, wahrſcheinlich im Auguſt ge- ſchrieben. **) Boyen an Gneiſenau 31. Aug. 1815. Gneiſenau, Memorandum für S. Maj. den Kaiſer Alexander.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 777. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/793>, abgerufen am 22.11.2024.