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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Oesterreichs scheinbare Vermittlung.
1200 Mill. Kriegsentschädigung und eine siebenjährige Besetzung des Landes
durch 150,000 Mann, welche unter Wellingtons Oberbefehl "die euro-
päische Polizei" handhaben sollen. *)

Also von Oesterreich preisgegeben, erklärte Hardenberg nunmehr
(8. September), daß sein König um der Eintracht willen auf seine weiter-
gehenden Ansichten verzichte und die Grenzen von 1790 annehme; jedoch
er verstand diesen Grundsatz ehrlich und verlangte -- zum Ersatz für
jene eingesprengten deutschen Gebiete im Elsaß -- außer Landau auch
Saarlouis, Bitsch und den nördlichsten Streifen des Elsasses mit Fort
Louis, Weißenburg, Hagenau. Selbst England erklärte sich jetzt mit einer
mäßigen Gebietsforderung einverstanden, und so endigte denn die Ver-
handlung, wie einst der Streit über Sachsen, mit einem widerwärtigen
Feilschen um die einzelnen Städte und Festungen. Hardenberg verthei-
digte jede seiner letzten Forderungen mit der höchsten Hartnäckigkeit, doch
da ihn keine der anderen Mächte unterstützte, so konnte er zuletzt nur
Landau, Saarlouis und das Kohlenbecken von Saarbrücken für Deutsch-
land retten. Von dem Metternich'schen Vorschlage "Besitzstand von 1790"
blieb zuletzt nicht viel mehr übrig als der Name, da der sogenannte Ver-
mittler sein eigenes Wort nicht ernst nahm. Am 19. September be-
schlossen die vier Mächte, nunmehr mit Frankreich in Verhandlungen ein-
zutreten. Tags darauf überreichten sie ihr gemeinsames Ultimatum. Sie
nahmen an, der Friede sei gesichert, denn was konnte das waffenlose
Frankreich wider ihre nur allzu milden Bedingungen ausrichten? Die
russische Armee trat bereits den Rückmarsch an. Blücher schrieb schon
am 23. September in die Heimath: "Der Friede ist zu Stande, aber
leider nicht so wie er hatte sein sollen, wie ich es eingeleitet, aber durch
Hardenberg seine zuletzt bewiesene Standhaftigkeit ist er doch noch besser
zu Stande gekommen wie es den Anschein hatte. Wir hatten gleichsam
gegen Alle zu fechten." **)

In den Augen der Franzosen dagegen bildete das Ultimatum der
Verbündeten erst den Anfang der eigentlichen Verhandlungen. Ganz
Paris beeiferte sich, wie nach einer stillen Verschwörung, den hochsinnigen
Czaren von seinen Alliirten zu trennen. Die vornehme Welt schwelgte
in jenen frommen Redensarten, welche dem neuen Weltheiland wohl
thaten, und bewunderte den weihevollen Spruch Talleyrands: "Nichts ist
weniger aristokratisch als der Unglaube." Der Czar wurde mit geistreichen
Huldigungen wie mit plumpen Schmeicheleien überschüttet; als er zum
Abschied sein Heer auf der Ebene von Vertus musterte, sagten die Pariser
Blätter wonnetrunken: wie heimisch müsse sich der edle Herrscher dort auf
dem Tugendfelde fühlen! Wellington dagegen entging, trotz seines rück-

*) Metternichs Denkschrift für das Comite der Vier, 8. Sept. 1815.
**) Blücher an Heinen, 23. Sept. 1815.

Oeſterreichs ſcheinbare Vermittlung.
1200 Mill. Kriegsentſchädigung und eine ſiebenjährige Beſetzung des Landes
durch 150,000 Mann, welche unter Wellingtons Oberbefehl „die euro-
päiſche Polizei“ handhaben ſollen. *)

Alſo von Oeſterreich preisgegeben, erklärte Hardenberg nunmehr
(8. September), daß ſein König um der Eintracht willen auf ſeine weiter-
gehenden Anſichten verzichte und die Grenzen von 1790 annehme; jedoch
er verſtand dieſen Grundſatz ehrlich und verlangte — zum Erſatz für
jene eingeſprengten deutſchen Gebiete im Elſaß — außer Landau auch
Saarlouis, Bitſch und den nördlichſten Streifen des Elſaſſes mit Fort
Louis, Weißenburg, Hagenau. Selbſt England erklärte ſich jetzt mit einer
mäßigen Gebietsforderung einverſtanden, und ſo endigte denn die Ver-
handlung, wie einſt der Streit über Sachſen, mit einem widerwärtigen
Feilſchen um die einzelnen Städte und Feſtungen. Hardenberg verthei-
digte jede ſeiner letzten Forderungen mit der höchſten Hartnäckigkeit, doch
da ihn keine der anderen Mächte unterſtützte, ſo konnte er zuletzt nur
Landau, Saarlouis und das Kohlenbecken von Saarbrücken für Deutſch-
land retten. Von dem Metternich’ſchen Vorſchlage „Beſitzſtand von 1790“
blieb zuletzt nicht viel mehr übrig als der Name, da der ſogenannte Ver-
mittler ſein eigenes Wort nicht ernſt nahm. Am 19. September be-
ſchloſſen die vier Mächte, nunmehr mit Frankreich in Verhandlungen ein-
zutreten. Tags darauf überreichten ſie ihr gemeinſames Ultimatum. Sie
nahmen an, der Friede ſei geſichert, denn was konnte das waffenloſe
Frankreich wider ihre nur allzu milden Bedingungen ausrichten? Die
ruſſiſche Armee trat bereits den Rückmarſch an. Blücher ſchrieb ſchon
am 23. September in die Heimath: „Der Friede iſt zu Stande, aber
leider nicht ſo wie er hatte ſein ſollen, wie ich es eingeleitet, aber durch
Hardenberg ſeine zuletzt bewieſene Standhaftigkeit iſt er doch noch beſſer
zu Stande gekommen wie es den Anſchein hatte. Wir hatten gleichſam
gegen Alle zu fechten.“ **)

In den Augen der Franzoſen dagegen bildete das Ultimatum der
Verbündeten erſt den Anfang der eigentlichen Verhandlungen. Ganz
Paris beeiferte ſich, wie nach einer ſtillen Verſchwörung, den hochſinnigen
Czaren von ſeinen Alliirten zu trennen. Die vornehme Welt ſchwelgte
in jenen frommen Redensarten, welche dem neuen Weltheiland wohl
thaten, und bewunderte den weihevollen Spruch Talleyrands: „Nichts iſt
weniger ariſtokratiſch als der Unglaube.“ Der Czar wurde mit geiſtreichen
Huldigungen wie mit plumpen Schmeicheleien überſchüttet; als er zum
Abſchied ſein Heer auf der Ebene von Vertus muſterte, ſagten die Pariſer
Blätter wonnetrunken: wie heimiſch müſſe ſich der edle Herrſcher dort auf
dem Tugendfelde fühlen! Wellington dagegen entging, trotz ſeines rück-

*) Metternichs Denkſchrift für das Comité der Vier, 8. Sept. 1815.
**) Blücher an Heinen, 23. Sept. 1815.
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[781/0797] Oeſterreichs ſcheinbare Vermittlung. 1200 Mill. Kriegsentſchädigung und eine ſiebenjährige Beſetzung des Landes durch 150,000 Mann, welche unter Wellingtons Oberbefehl „die euro- päiſche Polizei“ handhaben ſollen. *) Alſo von Oeſterreich preisgegeben, erklärte Hardenberg nunmehr (8. September), daß ſein König um der Eintracht willen auf ſeine weiter- gehenden Anſichten verzichte und die Grenzen von 1790 annehme; jedoch er verſtand dieſen Grundſatz ehrlich und verlangte — zum Erſatz für jene eingeſprengten deutſchen Gebiete im Elſaß — außer Landau auch Saarlouis, Bitſch und den nördlichſten Streifen des Elſaſſes mit Fort Louis, Weißenburg, Hagenau. Selbſt England erklärte ſich jetzt mit einer mäßigen Gebietsforderung einverſtanden, und ſo endigte denn die Ver- handlung, wie einſt der Streit über Sachſen, mit einem widerwärtigen Feilſchen um die einzelnen Städte und Feſtungen. Hardenberg verthei- digte jede ſeiner letzten Forderungen mit der höchſten Hartnäckigkeit, doch da ihn keine der anderen Mächte unterſtützte, ſo konnte er zuletzt nur Landau, Saarlouis und das Kohlenbecken von Saarbrücken für Deutſch- land retten. Von dem Metternich’ſchen Vorſchlage „Beſitzſtand von 1790“ blieb zuletzt nicht viel mehr übrig als der Name, da der ſogenannte Ver- mittler ſein eigenes Wort nicht ernſt nahm. Am 19. September be- ſchloſſen die vier Mächte, nunmehr mit Frankreich in Verhandlungen ein- zutreten. Tags darauf überreichten ſie ihr gemeinſames Ultimatum. Sie nahmen an, der Friede ſei geſichert, denn was konnte das waffenloſe Frankreich wider ihre nur allzu milden Bedingungen ausrichten? Die ruſſiſche Armee trat bereits den Rückmarſch an. Blücher ſchrieb ſchon am 23. September in die Heimath: „Der Friede iſt zu Stande, aber leider nicht ſo wie er hatte ſein ſollen, wie ich es eingeleitet, aber durch Hardenberg ſeine zuletzt bewieſene Standhaftigkeit iſt er doch noch beſſer zu Stande gekommen wie es den Anſchein hatte. Wir hatten gleichſam gegen Alle zu fechten.“ **) In den Augen der Franzoſen dagegen bildete das Ultimatum der Verbündeten erſt den Anfang der eigentlichen Verhandlungen. Ganz Paris beeiferte ſich, wie nach einer ſtillen Verſchwörung, den hochſinnigen Czaren von ſeinen Alliirten zu trennen. Die vornehme Welt ſchwelgte in jenen frommen Redensarten, welche dem neuen Weltheiland wohl thaten, und bewunderte den weihevollen Spruch Talleyrands: „Nichts iſt weniger ariſtokratiſch als der Unglaube.“ Der Czar wurde mit geiſtreichen Huldigungen wie mit plumpen Schmeicheleien überſchüttet; als er zum Abſchied ſein Heer auf der Ebene von Vertus muſterte, ſagten die Pariſer Blätter wonnetrunken: wie heimiſch müſſe ſich der edle Herrſcher dort auf dem Tugendfelde fühlen! Wellington dagegen entging, trotz ſeines rück- *) Metternichs Denkſchrift für das Comité der Vier, 8. Sept. 1815. **) Blücher an Heinen, 23. Sept. 1815.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 781. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/797>, abgerufen am 22.11.2024.