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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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II. 2. Belle Alliance.
sichtsvollen Auftretens, den gehässigsten Angriffen nicht, ward einmal im
Theater geradezu aus der königlichen Loge hinausgepfiffen. Mit den
Preußen vollends lebte Jedermann auf Kriegsfuß. Welche Entrüstung
in Paris am 3. August, als die preußischen Truppen zur Feier ihres
nationalen Festtags ihre Quartiere und Kasernen erleuchteten und auf
dem Hause des Königs die Inschrift zu lesen stand: parcere subjectis
et debellare superbos!
Und welch ein kleinlicher Zank um den Sold
und die Verpflegung der Truppen! Anfangs waren die Bourbonen, bei
der allgemeinen Unordnung, in der That kaum im Stande den Pflichten
des Besiegten nachzukommen. Als aber Hardenberg 5 Mill. aus Preußen
herbeischaffen ließ um den rückständigen Sold zu bezahlen, weigerte sich
Blücher dies neue Opfer aus der Hand seiner Mitbürger anzunehmen
"die Armee, schrieb er stolz, ist kein Söldnerheer, das um jeden Preis
abgelohnt werden muß, sie ist mit der Nation eins!" Dann kam endlich
eine Vereinbarung zu Stande, kraft deren Frankreich die Verwaltung in
den occupirten Landestheilen wieder übernahm und zugleich die Pflicht
für Sold und Unterhalt der Heere zu sorgen. Doch wie die Bourbonen
im vorigen Jahre die versprochene Rückgabe der Kunstschätze verweigert
hatten, so brachen sie auch diesmal ihr Wort. Der in seiner Großmuth
unerschöpfliche Czar stundete sofort die fälligen Zahlungen, auch das reiche
England drückte ein Auge zu, und Oesterreich hatte nicht den Muth sich
von den Beiden zu trennen. Nur das von allen Mitteln entblößte Preußen
konnte keine Nachsicht üben. Als der Finanzminister Lonis an Humboldt
kurz und hochmüthig schrieb, die für die Bekleidung der preußischen Truppen
geforderten Summen könnten nicht bezahlt werden, da erhielt er die Ant-
wort: er selber trage die Schuld, wenn Preußen sich jetzt selber helfe. Die
Generale erhielten Befehl, in den Departements Requisitionen auszu-
schreiben, und nun endlich entschloß sich der bourbonische Hof seinen Ver-
pflichtungen nachzukommen. *)

Ganz im Sinne dieses steifen Hochmuths war auch die Note gehalten,
womit Talleyrand am 21. Septbr. das Ultimatum der Verbündeten be-
antwortete. Der gewandte Mann hatte aus dem beginnenden Abmarsch
der russischen Armee neue Hoffnungen geschöpft und begann hochtrabend:
der Allerchristlichste König habe mit den vier Mächten, seinen Verbündeten,
keinen Krieg geführt und könne ihnen folglich ein Eroberungsrecht nicht zuge-
stehen; niemals werde er eine Scholle Landes von "dem alten Frankreich"
abtreten; stellten die vier Mächte dergleichen Zumuthungen, so seien die
französischen Bevollmächtigten angewiesen, sie nicht einmal anzuhören!
Die Verbündeten forderten aber von dem "alten Frankreich" nichts weiter
als Saarlouis, Landau und einen Strich an der Maas; sie waren bereit,
dafür Avignon und das deutsche Viertel des Elsasses, die Eroberungen

*) Louis an Humboldt 23. Aug. Humboldts Bemerkungen dazu 24. Aug. 1815.

II. 2. Belle Alliance.
ſichtsvollen Auftretens, den gehäſſigſten Angriffen nicht, ward einmal im
Theater geradezu aus der königlichen Loge hinausgepfiffen. Mit den
Preußen vollends lebte Jedermann auf Kriegsfuß. Welche Entrüſtung
in Paris am 3. Auguſt, als die preußiſchen Truppen zur Feier ihres
nationalen Feſttags ihre Quartiere und Kaſernen erleuchteten und auf
dem Hauſe des Königs die Inſchrift zu leſen ſtand: parcere subjectis
et debellare superbos!
Und welch ein kleinlicher Zank um den Sold
und die Verpflegung der Truppen! Anfangs waren die Bourbonen, bei
der allgemeinen Unordnung, in der That kaum im Stande den Pflichten
des Beſiegten nachzukommen. Als aber Hardenberg 5 Mill. aus Preußen
herbeiſchaffen ließ um den rückſtändigen Sold zu bezahlen, weigerte ſich
Blücher dies neue Opfer aus der Hand ſeiner Mitbürger anzunehmen
„die Armee, ſchrieb er ſtolz, iſt kein Söldnerheer, das um jeden Preis
abgelohnt werden muß, ſie iſt mit der Nation eins!“ Dann kam endlich
eine Vereinbarung zu Stande, kraft deren Frankreich die Verwaltung in
den occupirten Landestheilen wieder übernahm und zugleich die Pflicht
für Sold und Unterhalt der Heere zu ſorgen. Doch wie die Bourbonen
im vorigen Jahre die verſprochene Rückgabe der Kunſtſchätze verweigert
hatten, ſo brachen ſie auch diesmal ihr Wort. Der in ſeiner Großmuth
unerſchöpfliche Czar ſtundete ſofort die fälligen Zahlungen, auch das reiche
England drückte ein Auge zu, und Oeſterreich hatte nicht den Muth ſich
von den Beiden zu trennen. Nur das von allen Mitteln entblößte Preußen
konnte keine Nachſicht üben. Als der Finanzminiſter Lonis an Humboldt
kurz und hochmüthig ſchrieb, die für die Bekleidung der preußiſchen Truppen
geforderten Summen könnten nicht bezahlt werden, da erhielt er die Ant-
wort: er ſelber trage die Schuld, wenn Preußen ſich jetzt ſelber helfe. Die
Generale erhielten Befehl, in den Departements Requiſitionen auszu-
ſchreiben, und nun endlich entſchloß ſich der bourboniſche Hof ſeinen Ver-
pflichtungen nachzukommen. *)

Ganz im Sinne dieſes ſteifen Hochmuths war auch die Note gehalten,
womit Talleyrand am 21. Septbr. das Ultimatum der Verbündeten be-
antwortete. Der gewandte Mann hatte aus dem beginnenden Abmarſch
der ruſſiſchen Armee neue Hoffnungen geſchöpft und begann hochtrabend:
der Allerchriſtlichſte König habe mit den vier Mächten, ſeinen Verbündeten,
keinen Krieg geführt und könne ihnen folglich ein Eroberungsrecht nicht zuge-
ſtehen; niemals werde er eine Scholle Landes von „dem alten Frankreich“
abtreten; ſtellten die vier Mächte dergleichen Zumuthungen, ſo ſeien die
franzöſiſchen Bevollmächtigten angewieſen, ſie nicht einmal anzuhören!
Die Verbündeten forderten aber von dem „alten Frankreich“ nichts weiter
als Saarlouis, Landau und einen Strich an der Maas; ſie waren bereit,
dafür Avignon und das deutſche Viertel des Elſaſſes, die Eroberungen

*) Louis an Humboldt 23. Aug. Humboldts Bemerkungen dazu 24. Aug. 1815.
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[782/0798] II. 2. Belle Alliance. ſichtsvollen Auftretens, den gehäſſigſten Angriffen nicht, ward einmal im Theater geradezu aus der königlichen Loge hinausgepfiffen. Mit den Preußen vollends lebte Jedermann auf Kriegsfuß. Welche Entrüſtung in Paris am 3. Auguſt, als die preußiſchen Truppen zur Feier ihres nationalen Feſttags ihre Quartiere und Kaſernen erleuchteten und auf dem Hauſe des Königs die Inſchrift zu leſen ſtand: parcere subjectis et debellare superbos! Und welch ein kleinlicher Zank um den Sold und die Verpflegung der Truppen! Anfangs waren die Bourbonen, bei der allgemeinen Unordnung, in der That kaum im Stande den Pflichten des Beſiegten nachzukommen. Als aber Hardenberg 5 Mill. aus Preußen herbeiſchaffen ließ um den rückſtändigen Sold zu bezahlen, weigerte ſich Blücher dies neue Opfer aus der Hand ſeiner Mitbürger anzunehmen „die Armee, ſchrieb er ſtolz, iſt kein Söldnerheer, das um jeden Preis abgelohnt werden muß, ſie iſt mit der Nation eins!“ Dann kam endlich eine Vereinbarung zu Stande, kraft deren Frankreich die Verwaltung in den occupirten Landestheilen wieder übernahm und zugleich die Pflicht für Sold und Unterhalt der Heere zu ſorgen. Doch wie die Bourbonen im vorigen Jahre die verſprochene Rückgabe der Kunſtſchätze verweigert hatten, ſo brachen ſie auch diesmal ihr Wort. Der in ſeiner Großmuth unerſchöpfliche Czar ſtundete ſofort die fälligen Zahlungen, auch das reiche England drückte ein Auge zu, und Oeſterreich hatte nicht den Muth ſich von den Beiden zu trennen. Nur das von allen Mitteln entblößte Preußen konnte keine Nachſicht üben. Als der Finanzminiſter Lonis an Humboldt kurz und hochmüthig ſchrieb, die für die Bekleidung der preußiſchen Truppen geforderten Summen könnten nicht bezahlt werden, da erhielt er die Ant- wort: er ſelber trage die Schuld, wenn Preußen ſich jetzt ſelber helfe. Die Generale erhielten Befehl, in den Departements Requiſitionen auszu- ſchreiben, und nun endlich entſchloß ſich der bourboniſche Hof ſeinen Ver- pflichtungen nachzukommen. *) Ganz im Sinne dieſes ſteifen Hochmuths war auch die Note gehalten, womit Talleyrand am 21. Septbr. das Ultimatum der Verbündeten be- antwortete. Der gewandte Mann hatte aus dem beginnenden Abmarſch der ruſſiſchen Armee neue Hoffnungen geſchöpft und begann hochtrabend: der Allerchriſtlichſte König habe mit den vier Mächten, ſeinen Verbündeten, keinen Krieg geführt und könne ihnen folglich ein Eroberungsrecht nicht zuge- ſtehen; niemals werde er eine Scholle Landes von „dem alten Frankreich“ abtreten; ſtellten die vier Mächte dergleichen Zumuthungen, ſo ſeien die franzöſiſchen Bevollmächtigten angewieſen, ſie nicht einmal anzuhören! Die Verbündeten forderten aber von dem „alten Frankreich“ nichts weiter als Saarlouis, Landau und einen Strich an der Maas; ſie waren bereit, dafür Avignon und das deutſche Viertel des Elſaſſes, die Eroberungen *) Louis an Humboldt 23. Aug. Humboldts Bemerkungen dazu 24. Aug. 1815.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 782. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/798>, abgerufen am 22.11.2024.