I. 1. Deutschland nach dem Westphälischen Frieden.
Volke von Privatmenschen noch irgend eine politische Leidenschaft lebte, so war es die stille Erbitterung gegen den französischen Hochmuth, der, so oft vom deutschen Schwerte gezüchtigt, zuletzt doch immer das Feld behauptet hatte und jetzt wieder die rheinischen Lande mit Blut und Trümmern bedeckte. Nun traf ihn Friedrichs guter Degen und stürzte ihn in einen Pfuhl der Schande; ein lautes Frohlocken ging durch alle deutschen Gauen, und der Schwabe Schubart rief: "Da griff ich ungestüm die goldne Harfe, darein zu stürmen Friedrichs Lob." Damals zuerst überkam die Deutschen im Reiche wieder ein Gefühl, das dem National- stolze ähnlich sah, und sie sangen mit dem alten Gleim: "Laßt uns Deutsche sein und bleiben!" Die von den deutschen Schlachtfeldern heimkehrenden französischen Offiziere verkündeten in Paris selber unbefangen das Lob des Siegers von Roßbach, da ihr Stolz noch gar nicht für möglich hielt, daß dies kleine Preußen die Macht Frankreichs jemals ernstlich bedrohen könnte; im deutschen Lustspiel aber erhielt der einst gefürchtete Franzose jetzt zuweilen die Rollen der komischen Person und des windigen Abenteurers.
Ein politisches Verständniß für das Wesen des preußischen Staates ging der Nation freilich auch jetzt noch nicht auf; dies gelehrte Volk lebte in einer wunderbaren Unwissenheit über die entscheidenden Thatsachen seiner neuen Geschichte wie über die Institutionen seiner mächtigsten Staatsbildung. Wenn die Siege Friedrichs den alten Haß gegen Preußen etwas beschwichtigt hatten, so pries sich doch selbst in den protestantischen Reichslanden jeder Bürgersmann glücklich, daß er kein Preuße war. Die geschäftigen Erdichtungen der österreichischen Partei fanden überall willige Hörer; "diese freien Leute, schrieb Friedrich Nicolai um das Jahr 1780 aus Schwaben, sehen auf uns arme Brandenburger wie auf Sklaven herab." Nur auf starke und hochstrebende Naturen wirkte die Anziehungskraft des mächtigen Staates. Seit den fridericia- nischen Tagen begann eine stattliche Schaar junger Talente aus dem Reiche in preußische Dienste einzutreten; die Einen trieb die Bewunderung für den König, Andere die Sehnsucht nach reicher Thätigkeit, Mancher ahnte auch dunkel die Bestimmung dieser Krone. Die Monarchie war jetzt der Engherzigkeit des territorialen Lebens völlig entwachsen, nahm alle gesunden Kräfte aus dem Reiche willig auf und fand in den Kreisen der Einwanderer viele ihrer treuesten und fähigsten Diener, auch ihren Retter, den Freiherrn Karl vom Stein.
Mit den Hubertusburger Verträgen brachen für den deutschen Norden vier Jahrzehnte tiefer Ruhe an: jene reich gesegnete Friedenszeit, deren der alte Goethe späterhin so oft mit dankbarer Rührung gedachte. Da- mals begann die alte Ueberlieferung von Preußens Armuth zur Fabel zu werden. Das sociale Leben, vornehmlich in der Hauptstadt, gewann reichere und freiere Formen, der Volkswohlstand nahm einen über-
I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.
Volke von Privatmenſchen noch irgend eine politiſche Leidenſchaft lebte, ſo war es die ſtille Erbitterung gegen den franzöſiſchen Hochmuth, der, ſo oft vom deutſchen Schwerte gezüchtigt, zuletzt doch immer das Feld behauptet hatte und jetzt wieder die rheiniſchen Lande mit Blut und Trümmern bedeckte. Nun traf ihn Friedrichs guter Degen und ſtürzte ihn in einen Pfuhl der Schande; ein lautes Frohlocken ging durch alle deutſchen Gauen, und der Schwabe Schubart rief: „Da griff ich ungeſtüm die goldne Harfe, darein zu ſtürmen Friedrichs Lob.“ Damals zuerſt überkam die Deutſchen im Reiche wieder ein Gefühl, das dem National- ſtolze ähnlich ſah, und ſie ſangen mit dem alten Gleim: „Laßt uns Deutſche ſein und bleiben!“ Die von den deutſchen Schlachtfeldern heimkehrenden franzöſiſchen Offiziere verkündeten in Paris ſelber unbefangen das Lob des Siegers von Roßbach, da ihr Stolz noch gar nicht für möglich hielt, daß dies kleine Preußen die Macht Frankreichs jemals ernſtlich bedrohen könnte; im deutſchen Luſtſpiel aber erhielt der einſt gefürchtete Franzoſe jetzt zuweilen die Rollen der komiſchen Perſon und des windigen Abenteurers.
Ein politiſches Verſtändniß für das Weſen des preußiſchen Staates ging der Nation freilich auch jetzt noch nicht auf; dies gelehrte Volk lebte in einer wunderbaren Unwiſſenheit über die entſcheidenden Thatſachen ſeiner neuen Geſchichte wie über die Inſtitutionen ſeiner mächtigſten Staatsbildung. Wenn die Siege Friedrichs den alten Haß gegen Preußen etwas beſchwichtigt hatten, ſo pries ſich doch ſelbſt in den proteſtantiſchen Reichslanden jeder Bürgersmann glücklich, daß er kein Preuße war. Die geſchäftigen Erdichtungen der öſterreichiſchen Partei fanden überall willige Hörer; „dieſe freien Leute, ſchrieb Friedrich Nicolai um das Jahr 1780 aus Schwaben, ſehen auf uns arme Brandenburger wie auf Sklaven herab.“ Nur auf ſtarke und hochſtrebende Naturen wirkte die Anziehungskraft des mächtigen Staates. Seit den fridericia- niſchen Tagen begann eine ſtattliche Schaar junger Talente aus dem Reiche in preußiſche Dienſte einzutreten; die Einen trieb die Bewunderung für den König, Andere die Sehnſucht nach reicher Thätigkeit, Mancher ahnte auch dunkel die Beſtimmung dieſer Krone. Die Monarchie war jetzt der Engherzigkeit des territorialen Lebens völlig entwachſen, nahm alle geſunden Kräfte aus dem Reiche willig auf und fand in den Kreiſen der Einwanderer viele ihrer treueſten und fähigſten Diener, auch ihren Retter, den Freiherrn Karl vom Stein.
Mit den Hubertusburger Verträgen brachen für den deutſchen Norden vier Jahrzehnte tiefer Ruhe an: jene reich geſegnete Friedenszeit, deren der alte Goethe ſpäterhin ſo oft mit dankbarer Rührung gedachte. Da- mals begann die alte Ueberlieferung von Preußens Armuth zur Fabel zu werden. Das ſociale Leben, vornehmlich in der Hauptſtadt, gewann reichere und freiere Formen, der Volkswohlſtand nahm einen über-
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I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.
Volke von Privatmenſchen noch irgend eine politiſche Leidenſchaft lebte,
ſo war es die ſtille Erbitterung gegen den franzöſiſchen Hochmuth, der,
ſo oft vom deutſchen Schwerte gezüchtigt, zuletzt doch immer das Feld
behauptet hatte und jetzt wieder die rheiniſchen Lande mit Blut und
Trümmern bedeckte. Nun traf ihn Friedrichs guter Degen und ſtürzte
ihn in einen Pfuhl der Schande; ein lautes Frohlocken ging durch alle
deutſchen Gauen, und der Schwabe Schubart rief: „Da griff ich ungeſtüm
die goldne Harfe, darein zu ſtürmen Friedrichs Lob.“ Damals zuerſt
überkam die Deutſchen im Reiche wieder ein Gefühl, das dem National-
ſtolze ähnlich ſah, und ſie ſangen mit dem alten Gleim: „Laßt uns
Deutſche ſein und bleiben!“ Die von den deutſchen Schlachtfeldern
heimkehrenden franzöſiſchen Offiziere verkündeten in Paris ſelber unbefangen
das Lob des Siegers von Roßbach, da ihr Stolz noch gar nicht für
möglich hielt, daß dies kleine Preußen die Macht Frankreichs jemals
ernſtlich bedrohen könnte; im deutſchen Luſtſpiel aber erhielt der einſt
gefürchtete Franzoſe jetzt zuweilen die Rollen der komiſchen Perſon und
des windigen Abenteurers.
Ein politiſches Verſtändniß für das Weſen des preußiſchen Staates
ging der Nation freilich auch jetzt noch nicht auf; dies gelehrte
Volk lebte in einer wunderbaren Unwiſſenheit über die entſcheidenden
Thatſachen ſeiner neuen Geſchichte wie über die Inſtitutionen ſeiner
mächtigſten Staatsbildung. Wenn die Siege Friedrichs den alten Haß
gegen Preußen etwas beſchwichtigt hatten, ſo pries ſich doch ſelbſt in den
proteſtantiſchen Reichslanden jeder Bürgersmann glücklich, daß er kein
Preuße war. Die geſchäftigen Erdichtungen der öſterreichiſchen Partei
fanden überall willige Hörer; „dieſe freien Leute, ſchrieb Friedrich Nicolai
um das Jahr 1780 aus Schwaben, ſehen auf uns arme Brandenburger
wie auf Sklaven herab.“ Nur auf ſtarke und hochſtrebende Naturen
wirkte die Anziehungskraft des mächtigen Staates. Seit den fridericia-
niſchen Tagen begann eine ſtattliche Schaar junger Talente aus dem
Reiche in preußiſche Dienſte einzutreten; die Einen trieb die Bewunderung
für den König, Andere die Sehnſucht nach reicher Thätigkeit, Mancher
ahnte auch dunkel die Beſtimmung dieſer Krone. Die Monarchie war
jetzt der Engherzigkeit des territorialen Lebens völlig entwachſen, nahm
alle geſunden Kräfte aus dem Reiche willig auf und fand in den Kreiſen
der Einwanderer viele ihrer treueſten und fähigſten Diener, auch ihren
Retter, den Freiherrn Karl vom Stein.
Mit den Hubertusburger Verträgen brachen für den deutſchen Norden
vier Jahrzehnte tiefer Ruhe an: jene reich geſegnete Friedenszeit, deren
der alte Goethe ſpäterhin ſo oft mit dankbarer Rührung gedachte. Da-
mals begann die alte Ueberlieferung von Preußens Armuth zur Fabel zu
werden. Das ſociale Leben, vornehmlich in der Hauptſtadt, gewann
reichere und freiere Formen, der Volkswohlſtand nahm einen über-
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/80>, abgerufen am 21.11.2024.
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