raschenden Aufschwung, die deutsche Dichtung trat in ihre großen Jahre. Der Krieg hatte die Lage des Reiches zugleich vereinfacht und erschwert. Von der alten Ordnung war nichts mehr lebendig als der ungelöste Gegensatz der beiden Großmächte. Das Vorgefühl einer schweren Ent- scheidung ging durch die deutsche Welt; die kleinen Höfe beriethen in ge- schäftigen Verhandlungen, wie sie durch einen Bund der Mindermächtigen sich decken sollten, falls ein neuer Zusammenstoß "der beiden Kolosse Deutschlands" sie zu zermalmen drohe. König Friedrich aber, gründlich belehrt über die unendliche Macht der Trägheit in diesem alten Reiche, beschied sich die erschöpften Kräfte seines eigenen Staates von Neuem zu sammeln; seine deutsche Politik zielte fortan nur dahin, jedes Einwirken fremder Mächte vom Reiche fern und dem Einfluß Oesterreichs das Gleich- gewicht zu halten.
Eine schwere Gefahr, die vom Osten her der deutschen Macht drohte, riß ihn aus seinen friedlichen Plänen. Die polnische Republik war seit dem Kriege dem Willen der Czarin unterthänig, die förmliche Vereinigung des zerrütteten Staates mit dem russischen Reiche schien nur noch eine Frage der Zeit. Da entsprang aus Friedrichs Haupte der Gedanke der Theilung Polens, der die Absichten der Russen durchkreuzte, ihrem Ehrgeiz Schranken setzte. Es war ein Sieg der deutschen Politik, zugleich über Rußlands ausgreifende Ländergier und über die Westmächte, die von den dreist vorgehenden Mächten des Ostens rücksichtslos zur Seite geschoben wurden. Die nothwendige That eröffnete freilich die Aussicht auf unab- sehbare Verwicklungen, da das verfaulte Reich des sarmatischen Adels nunmehr rettungslos dem Untergange entgegentrieb; doch sie war noth- wendig, sie rettete das treue Ostpreußen vor der Wiederkehr der mosko- witischen Herrschaft und sicherte dem Staate die Brücke zwischen dem Pregel- und dem Oderlande, welche schon der Kronprinz Friedrich als un- entbehrlich erkannt hatte. Der König erschien zum zweiten male als der Mehrer des Reichs, er schenkte das Kernland der Deutschordens-Macht, das schöne Weichselthal, das einst der deutsche Ritter den Barbaren, der deutsche Bauer der Wuth der Elemente abgerungen, dem großen Vaterlande wieder. Als die Stände von Westpreußen im Remter des Hochmeisterschlosses zu Marienburg "der wiederhergestellten Herrschaft Treue schwuren" -- wie die Denkmünze des Huldigungsfestes bezeichnend sagt -- da ward gesühnt, was drei Jahrhunderte zuvor der Ueber- muth der Polen und der Landesverrath der ständischen Libertät an diesem deutschen Lande gefrevelt hatten. Der halbtausendjährige Kampf der Deutschen und der Polen um den Besitz der Ostseeküste war zu Deutsch- lands Gunsten entschieden.
Alsdann begann der Staat, der selber noch aus den Wunden des letzten Krieges blutete, die schwere Arbeit der friedlichen Wieder- eroberung. Entsetzlich hatte der sarmatische Adel im Weichsellande
Treitschke, Deutsche Geschichte. I. 5
Befreiung Weſtpreußens.
raſchenden Aufſchwung, die deutſche Dichtung trat in ihre großen Jahre. Der Krieg hatte die Lage des Reiches zugleich vereinfacht und erſchwert. Von der alten Ordnung war nichts mehr lebendig als der ungelöſte Gegenſatz der beiden Großmächte. Das Vorgefühl einer ſchweren Ent- ſcheidung ging durch die deutſche Welt; die kleinen Höfe beriethen in ge- ſchäftigen Verhandlungen, wie ſie durch einen Bund der Mindermächtigen ſich decken ſollten, falls ein neuer Zuſammenſtoß „der beiden Koloſſe Deutſchlands“ ſie zu zermalmen drohe. König Friedrich aber, gründlich belehrt über die unendliche Macht der Trägheit in dieſem alten Reiche, beſchied ſich die erſchöpften Kräfte ſeines eigenen Staates von Neuem zu ſammeln; ſeine deutſche Politik zielte fortan nur dahin, jedes Einwirken fremder Mächte vom Reiche fern und dem Einfluß Oeſterreichs das Gleich- gewicht zu halten.
Eine ſchwere Gefahr, die vom Oſten her der deutſchen Macht drohte, riß ihn aus ſeinen friedlichen Plänen. Die polniſche Republik war ſeit dem Kriege dem Willen der Czarin unterthänig, die förmliche Vereinigung des zerrütteten Staates mit dem ruſſiſchen Reiche ſchien nur noch eine Frage der Zeit. Da entſprang aus Friedrichs Haupte der Gedanke der Theilung Polens, der die Abſichten der Ruſſen durchkreuzte, ihrem Ehrgeiz Schranken ſetzte. Es war ein Sieg der deutſchen Politik, zugleich über Rußlands ausgreifende Ländergier und über die Weſtmächte, die von den dreiſt vorgehenden Mächten des Oſtens rückſichtslos zur Seite geſchoben wurden. Die nothwendige That eröffnete freilich die Ausſicht auf unab- ſehbare Verwicklungen, da das verfaulte Reich des ſarmatiſchen Adels nunmehr rettungslos dem Untergange entgegentrieb; doch ſie war noth- wendig, ſie rettete das treue Oſtpreußen vor der Wiederkehr der mosko- witiſchen Herrſchaft und ſicherte dem Staate die Brücke zwiſchen dem Pregel- und dem Oderlande, welche ſchon der Kronprinz Friedrich als un- entbehrlich erkannt hatte. Der König erſchien zum zweiten male als der Mehrer des Reichs, er ſchenkte das Kernland der Deutſchordens-Macht, das ſchöne Weichſelthal, das einſt der deutſche Ritter den Barbaren, der deutſche Bauer der Wuth der Elemente abgerungen, dem großen Vaterlande wieder. Als die Stände von Weſtpreußen im Remter des Hochmeiſterſchloſſes zu Marienburg „der wiederhergeſtellten Herrſchaft Treue ſchwuren“ — wie die Denkmünze des Huldigungsfeſtes bezeichnend ſagt — da ward geſühnt, was drei Jahrhunderte zuvor der Ueber- muth der Polen und der Landesverrath der ſtändiſchen Libertät an dieſem deutſchen Lande gefrevelt hatten. Der halbtauſendjährige Kampf der Deutſchen und der Polen um den Beſitz der Oſtſeeküſte war zu Deutſch- lands Gunſten entſchieden.
Alsdann begann der Staat, der ſelber noch aus den Wunden des letzten Krieges blutete, die ſchwere Arbeit der friedlichen Wieder- eroberung. Entſetzlich hatte der ſarmatiſche Adel im Weichſellande
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. I. 5
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Befreiung Weſtpreußens.
raſchenden Aufſchwung, die deutſche Dichtung trat in ihre großen Jahre.
Der Krieg hatte die Lage des Reiches zugleich vereinfacht und erſchwert.
Von der alten Ordnung war nichts mehr lebendig als der ungelöſte
Gegenſatz der beiden Großmächte. Das Vorgefühl einer ſchweren Ent-
ſcheidung ging durch die deutſche Welt; die kleinen Höfe beriethen in ge-
ſchäftigen Verhandlungen, wie ſie durch einen Bund der Mindermächtigen
ſich decken ſollten, falls ein neuer Zuſammenſtoß „der beiden Koloſſe
Deutſchlands“ ſie zu zermalmen drohe. König Friedrich aber, gründlich
belehrt über die unendliche Macht der Trägheit in dieſem alten Reiche,
beſchied ſich die erſchöpften Kräfte ſeines eigenen Staates von Neuem zu
ſammeln; ſeine deutſche Politik zielte fortan nur dahin, jedes Einwirken
fremder Mächte vom Reiche fern und dem Einfluß Oeſterreichs das Gleich-
gewicht zu halten.
Eine ſchwere Gefahr, die vom Oſten her der deutſchen Macht drohte,
riß ihn aus ſeinen friedlichen Plänen. Die polniſche Republik war ſeit
dem Kriege dem Willen der Czarin unterthänig, die förmliche Vereinigung
des zerrütteten Staates mit dem ruſſiſchen Reiche ſchien nur noch eine
Frage der Zeit. Da entſprang aus Friedrichs Haupte der Gedanke der
Theilung Polens, der die Abſichten der Ruſſen durchkreuzte, ihrem Ehrgeiz
Schranken ſetzte. Es war ein Sieg der deutſchen Politik, zugleich über
Rußlands ausgreifende Ländergier und über die Weſtmächte, die von den
dreiſt vorgehenden Mächten des Oſtens rückſichtslos zur Seite geſchoben
wurden. Die nothwendige That eröffnete freilich die Ausſicht auf unab-
ſehbare Verwicklungen, da das verfaulte Reich des ſarmatiſchen Adels
nunmehr rettungslos dem Untergange entgegentrieb; doch ſie war noth-
wendig, ſie rettete das treue Oſtpreußen vor der Wiederkehr der mosko-
witiſchen Herrſchaft und ſicherte dem Staate die Brücke zwiſchen dem
Pregel- und dem Oderlande, welche ſchon der Kronprinz Friedrich als un-
entbehrlich erkannt hatte. Der König erſchien zum zweiten male als der
Mehrer des Reichs, er ſchenkte das Kernland der Deutſchordens-Macht,
das ſchöne Weichſelthal, das einſt der deutſche Ritter den Barbaren,
der deutſche Bauer der Wuth der Elemente abgerungen, dem großen
Vaterlande wieder. Als die Stände von Weſtpreußen im Remter des
Hochmeiſterſchloſſes zu Marienburg „der wiederhergeſtellten Herrſchaft
Treue ſchwuren“ — wie die Denkmünze des Huldigungsfeſtes bezeichnend
ſagt — da ward geſühnt, was drei Jahrhunderte zuvor der Ueber-
muth der Polen und der Landesverrath der ſtändiſchen Libertät an dieſem
deutſchen Lande gefrevelt hatten. Der halbtauſendjährige Kampf der
Deutſchen und der Polen um den Beſitz der Oſtſeeküſte war zu Deutſch-
lands Gunſten entſchieden.
Alsdann begann der Staat, der ſelber noch aus den Wunden
des letzten Krieges blutete, die ſchwere Arbeit der friedlichen Wieder-
eroberung. Entſetzlich hatte der ſarmatiſche Adel im Weichſellande
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. I. 5
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/81>, abgerufen am 16.02.2025.
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