Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.I. 1. Deutschland nach dem Westphälischen Frieden. gehaust, mit jener hoffärtigen Mißachtung fremden Rechtes und fremdenVolksthums, welche die Polen vor allen Nationen Europas auszeichnet. Noch rühriger als vordem in Schlesien mußte hier der neue Herrscher schalten, um in den alten ehrenreichen Stätten deutschen Kriegsruhms und Bürgerfleißes, in Thorn, Culm und Marienburg deutsches Wesen wieder zu Ehren zu bringen, die ersten Anfänge wirthschaftlichen Verkehrs wieder über das gänzlich verödete flache Land zu leiten. Und wie einst die ersten deutschen Eroberer die Kornkammer der Werder den Strömen entrissen, so stieg jetzt aus den Sümpfen neben dem aufblühenden Bromberg der fleißige Netzegau empor, die Schöpfung des zweiten Eroberers. Friedrich selber ahnte nur dunkel, was die Wiedererwerbung des Ordens- landes in dem großen Zusammenhange der deutschen Geschichte bedeutete; der Nation aber war ihr eigenes Alterthum fremd geworden, sie wußte kaum noch, daß diese Gauen jemals deutsch gewesen. Die Einen ver- dammten mit dem herben Dünkel des Sittenrichters das zweideutige diplomatische Spiel, das den Heimfall des Landes vorbereitet hatte; Andere wiederholten gläubig, was Polens alte Bundesgenossen, die Franzosen erdichteten um die Theilungsmächte zu brandmarken; die Meisten blieben kalt und befestigten sich nur von Neuem in der landläufigen Meinung, daß der alte Fritz den Teufel im Leibe habe. Für die neue Wohlthat, die er unserem Volke erwiesen, dankte ihm Niemand im Reiche. Der unruhige Ehrgeiz Kaiser Josephs II. führte den König am Abend I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden. gehauſt, mit jener hoffärtigen Mißachtung fremden Rechtes und fremdenVolksthums, welche die Polen vor allen Nationen Europas auszeichnet. Noch rühriger als vordem in Schleſien mußte hier der neue Herrſcher ſchalten, um in den alten ehrenreichen Stätten deutſchen Kriegsruhms und Bürgerfleißes, in Thorn, Culm und Marienburg deutſches Weſen wieder zu Ehren zu bringen, die erſten Anfänge wirthſchaftlichen Verkehrs wieder über das gänzlich verödete flache Land zu leiten. Und wie einſt die erſten deutſchen Eroberer die Kornkammer der Werder den Strömen entriſſen, ſo ſtieg jetzt aus den Sümpfen neben dem aufblühenden Bromberg der fleißige Netzegau empor, die Schöpfung des zweiten Eroberers. Friedrich ſelber ahnte nur dunkel, was die Wiedererwerbung des Ordens- landes in dem großen Zuſammenhange der deutſchen Geſchichte bedeutete; der Nation aber war ihr eigenes Alterthum fremd geworden, ſie wußte kaum noch, daß dieſe Gauen jemals deutſch geweſen. Die Einen ver- dammten mit dem herben Dünkel des Sittenrichters das zweideutige diplomatiſche Spiel, das den Heimfall des Landes vorbereitet hatte; Andere wiederholten gläubig, was Polens alte Bundesgenoſſen, die Franzoſen erdichteten um die Theilungsmächte zu brandmarken; die Meiſten blieben kalt und befeſtigten ſich nur von Neuem in der landläufigen Meinung, daß der alte Fritz den Teufel im Leibe habe. Für die neue Wohlthat, die er unſerem Volke erwieſen, dankte ihm Niemand im Reiche. Der unruhige Ehrgeiz Kaiſer Joſephs II. führte den König am Abend <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0082" n="66"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">I.</hi> 1. 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Der bairiſche<lb/> Erbfolgekrieg zeigt in ſeinem Feldzugsplane wie in ſeinen politiſchen Zielen<lb/> manche überraſchende Aehnlichkeit mit dem Entſcheidungskriege von 1866,<lb/> doch nicht um Deutſchland von Oeſterreichs Herrſchaft zu befreien zog<lb/> Preußen das Schwert, wie drei Menſchenalter ſpäter, ſondern lediglich<lb/> zur Abwehr öſterreichiſcher Uebergriffe, zur Wahrung des Beſitzſtandes.<lb/> Obſchon der alternde Held nicht mehr die Verwegenheit beſaß, ſeinen<lb/> Kriegsplan ſo groß wie er gedacht war durchzuführen, ſo erwies ſich doch<lb/> Preußens Macht ſtark genug den Wiener Hof auch ohne glänzende Kriegs-<lb/> erfolge zum Nachgeben zu zwingen. Baiern ward zum zweiten male<lb/> gerettet, der ſtolze Kaiſerhof mußte ſich herbeilaſſen „vor dem Berliner<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [66/0082]
I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.
gehauſt, mit jener hoffärtigen Mißachtung fremden Rechtes und fremden
Volksthums, welche die Polen vor allen Nationen Europas auszeichnet.
Noch rühriger als vordem in Schleſien mußte hier der neue Herrſcher
ſchalten, um in den alten ehrenreichen Stätten deutſchen Kriegsruhms
und Bürgerfleißes, in Thorn, Culm und Marienburg deutſches Weſen
wieder zu Ehren zu bringen, die erſten Anfänge wirthſchaftlichen Verkehrs
wieder über das gänzlich verödete flache Land zu leiten. Und wie einſt
die erſten deutſchen Eroberer die Kornkammer der Werder den Strömen
entriſſen, ſo ſtieg jetzt aus den Sümpfen neben dem aufblühenden Bromberg
der fleißige Netzegau empor, die Schöpfung des zweiten Eroberers.
Friedrich ſelber ahnte nur dunkel, was die Wiedererwerbung des Ordens-
landes in dem großen Zuſammenhange der deutſchen Geſchichte bedeutete;
der Nation aber war ihr eigenes Alterthum fremd geworden, ſie wußte
kaum noch, daß dieſe Gauen jemals deutſch geweſen. Die Einen ver-
dammten mit dem herben Dünkel des Sittenrichters das zweideutige
diplomatiſche Spiel, das den Heimfall des Landes vorbereitet hatte; Andere
wiederholten gläubig, was Polens alte Bundesgenoſſen, die Franzoſen
erdichteten um die Theilungsmächte zu brandmarken; die Meiſten blieben
kalt und befeſtigten ſich nur von Neuem in der landläufigen Meinung,
daß der alte Fritz den Teufel im Leibe habe. Für die neue Wohlthat,
die er unſerem Volke erwieſen, dankte ihm Niemand im Reiche.
Der unruhige Ehrgeiz Kaiſer Joſephs II. führte den König am Abend
ſeines Lebens zu den Ideen der Reichspolitik zurück, welche ſeine Jugend
beſchäftigt hatten. Der Wiener Hof gab die conſervative Haltung auf,
welche dem Kaiſerhauſe allein noch Anſehen im Reiche ſichern konnte, und
unternahm ſich in Baiern für den Verluſt von Schleſien zu entſchädigen;
der ganze Verlauf der öſterreichiſchen Geſchichte ſeit zweihundert Jahren,
das ſtetige Hinauswachſen des Kaiſerſtaates aus dem Reiche ſollte durch
einen abenteuerlichen Einfall urplötzlich zum Rücklaufe gebracht werden.
Da ſchloß König Friedrich zum zweiten male ſeinen Bund mit den
Wittelsbachern und verbot dem Hauſe Oeſterreich mit dem Schwerte, ſeine
Macht auf deutſchem Boden zu erweitern; ſcharf und klar wie niemals
früher trat der Gegenſatz der beiden Nebenbuhler an den Tag. Der bairiſche
Erbfolgekrieg zeigt in ſeinem Feldzugsplane wie in ſeinen politiſchen Zielen
manche überraſchende Aehnlichkeit mit dem Entſcheidungskriege von 1866,
doch nicht um Deutſchland von Oeſterreichs Herrſchaft zu befreien zog
Preußen das Schwert, wie drei Menſchenalter ſpäter, ſondern lediglich
zur Abwehr öſterreichiſcher Uebergriffe, zur Wahrung des Beſitzſtandes.
Obſchon der alternde Held nicht mehr die Verwegenheit beſaß, ſeinen
Kriegsplan ſo groß wie er gedacht war durchzuführen, ſo erwies ſich doch
Preußens Macht ſtark genug den Wiener Hof auch ohne glänzende Kriegs-
erfolge zum Nachgeben zu zwingen. Baiern ward zum zweiten male
gerettet, der ſtolze Kaiſerhof mußte ſich herbeilaſſen „vor dem Berliner
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