Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.Bairischer Erbfolgekrieg. Tribunale zu plaidiren", und der erbitterte Fürst Kaunitz sprach jeneWeissagung, die auf dem Felde von Königgrätz wider den Sinn des Propheten sich erfüllen sollte: wenn je die Schwerter Oesterreichs und Preußens nochmals auf einander schlügen, dann würden sie nicht eher wieder in die Scheide fahren, "als bis die Entscheidung offenbar, voll- kommen, unwiderruflich gefallen sei." Noch werthvoller fast als der augenblickliche Erfolg war der mächtige Umschwung der Meinung im Reiche. Der gefürchtete Störenfried, der Rebell gegen Kaiser und Reich erschien der Nation jetzt als der weise Beschirmer des Rechtes; die kleinen Höfe, die so oft vor dem preußischen Degen gezittert, blickten nunmehr, aufgescheucht durch Kaiser Josephs rastlose Pläne, hilfesuchend nach dem Schiedsrichter in Sanssouci. An den Bauernhäusern im bairischen Hochgebirge hing das Bild des Alten mit dem dreispitzigen Hute neben dem Volksheiligen Corbinian. In den Chor der schwäbischen und nord- deutschen Poeten, die von dem Ruhme des Königs erzählten, mischten sich bereits einzelne Stimmen aus dem tief verfeindeten Kursachsen; der Barde Ringulph besang in verzückten Oden, wie "aus der Allmacht Schooße, König Friedrich, deine große schlachtenfrohe Seele ging". Vor Kurzem noch hatte K. F. Moser ausgesprochen, der Blick des gewöhnlichen Menschen vermöge diesem Adler nicht in seine Höhen zu folgen, vielleicht erscheine dereinst ein Newton der Staatswissenschaft, der die Bahnen der fridericianischen Politik ermesse. Jetzt aber begannen die Deutschen zu fühlen, daß diese räthselhafte Politik im Grunde wunderbar einfach war, daß der Staatsmann Friedrich, jedes Hasses, jeder Liebe baar, gleichsam unper- sönlich, immer nur wollte was die klar erkannte Lage seines Staates gebot. Als die Empörung in Nordamerika ausbrach und die aufgeklärte 5*
Bairiſcher Erbfolgekrieg. Tribunale zu plaidiren“, und der erbitterte Fürſt Kaunitz ſprach jeneWeiſſagung, die auf dem Felde von Königgrätz wider den Sinn des Propheten ſich erfüllen ſollte: wenn je die Schwerter Oeſterreichs und Preußens nochmals auf einander ſchlügen, dann würden ſie nicht eher wieder in die Scheide fahren, „als bis die Entſcheidung offenbar, voll- kommen, unwiderruflich gefallen ſei.“ Noch werthvoller faſt als der augenblickliche Erfolg war der mächtige Umſchwung der Meinung im Reiche. Der gefürchtete Störenfried, der Rebell gegen Kaiſer und Reich erſchien der Nation jetzt als der weiſe Beſchirmer des Rechtes; die kleinen Höfe, die ſo oft vor dem preußiſchen Degen gezittert, blickten nunmehr, aufgeſcheucht durch Kaiſer Joſephs raſtloſe Pläne, hilfeſuchend nach dem Schiedsrichter in Sansſouci. An den Bauernhäuſern im bairiſchen Hochgebirge hing das Bild des Alten mit dem dreiſpitzigen Hute neben dem Volksheiligen Corbinian. In den Chor der ſchwäbiſchen und nord- deutſchen Poeten, die von dem Ruhme des Königs erzählten, miſchten ſich bereits einzelne Stimmen aus dem tief verfeindeten Kurſachſen; der Barde Ringulph beſang in verzückten Oden, wie „aus der Allmacht Schooße, König Friedrich, deine große ſchlachtenfrohe Seele ging“. Vor Kurzem noch hatte K. F. Moſer ausgeſprochen, der Blick des gewöhnlichen Menſchen vermöge dieſem Adler nicht in ſeine Höhen zu folgen, vielleicht erſcheine dereinſt ein Newton der Staatswiſſenſchaft, der die Bahnen der fridericianiſchen Politik ermeſſe. Jetzt aber begannen die Deutſchen zu fühlen, daß dieſe räthſelhafte Politik im Grunde wunderbar einfach war, daß der Staatsmann Friedrich, jedes Haſſes, jeder Liebe baar, gleichſam unper- ſönlich, immer nur wollte was die klar erkannte Lage ſeines Staates gebot. Als die Empörung in Nordamerika ausbrach und die aufgeklärte 5*
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0083" n="67"/><fw place="top" type="header">Bairiſcher Erbfolgekrieg.</fw><lb/> Tribunale zu plaidiren“, und der erbitterte Fürſt Kaunitz ſprach jene<lb/> Weiſſagung, die auf dem Felde von Königgrätz wider den Sinn des<lb/> Propheten ſich erfüllen ſollte: wenn je die Schwerter Oeſterreichs und<lb/> Preußens nochmals auf einander ſchlügen, dann würden ſie nicht eher<lb/> wieder in die Scheide fahren, „als bis die Entſcheidung offenbar, voll-<lb/> kommen, unwiderruflich gefallen ſei.“ Noch werthvoller faſt als der<lb/> augenblickliche Erfolg war der mächtige Umſchwung der Meinung im<lb/> Reiche. Der gefürchtete Störenfried, der Rebell gegen Kaiſer und Reich<lb/> erſchien der Nation jetzt als der weiſe Beſchirmer des Rechtes; die kleinen<lb/> Höfe, die ſo oft vor dem preußiſchen Degen gezittert, blickten nunmehr,<lb/> aufgeſcheucht durch Kaiſer Joſephs raſtloſe Pläne, hilfeſuchend nach dem<lb/> Schiedsrichter in Sansſouci. An den Bauernhäuſern im bairiſchen<lb/> Hochgebirge hing das Bild des Alten mit dem dreiſpitzigen Hute neben<lb/> dem Volksheiligen Corbinian. In den Chor der ſchwäbiſchen und nord-<lb/> deutſchen Poeten, die von dem Ruhme des Königs erzählten, miſchten ſich<lb/> bereits einzelne Stimmen aus dem tief verfeindeten Kurſachſen; der Barde<lb/> Ringulph beſang in verzückten Oden, wie „aus der Allmacht Schooße,<lb/> König Friedrich, deine große ſchlachtenfrohe Seele ging“. Vor Kurzem<lb/> noch hatte K. F. Moſer ausgeſprochen, der Blick des gewöhnlichen<lb/> Menſchen vermöge dieſem Adler nicht in ſeine Höhen zu folgen, vielleicht<lb/> erſcheine dereinſt ein Newton der Staatswiſſenſchaft, der die Bahnen der<lb/> fridericianiſchen Politik ermeſſe. Jetzt aber begannen die Deutſchen zu fühlen,<lb/> daß dieſe räthſelhafte Politik im Grunde wunderbar einfach war, daß der<lb/> Staatsmann Friedrich, jedes Haſſes, jeder Liebe baar, gleichſam unper-<lb/> ſönlich, immer nur wollte was die klar erkannte Lage ſeines Staates gebot.</p><lb/> <p>Als die Empörung in Nordamerika ausbrach und die aufgeklärte<lb/> Welt der neuen Sonne, die im Weſten aufging, zujubelte, da hat auch<lb/> Friedrich ſeine Freude nicht verhehlt. Seiner jungen Großmacht war<lb/> ein neuer Staat, der ſich in den Kreis der alten Mächte eindrängte,<lb/> willkommen; es that ihm wohl, dies England, das ihn im letzten Kriege<lb/> ſo ſchmählich verrathen und ihn dann während der polniſchen Händel<lb/> an der Erwerbung von Danzig gehindert hatte, jetzt in peinlicher Ver-<lb/> legenheit zu ſehen. Er erklärte offen, daß er nicht zum zweiten male<lb/> Hannover für das undankbare England vertheidigen werde; er hat einmal<lb/> ſogar den Durchmarſch der in Deutſchland erkauften engliſchen Hilfs-<lb/> völker verboten, weil ihn dieſer ſchmutzige Menſchenhandel empörte und<lb/> mehr noch weil er der jungen Männer aus dem Reiche für ſein eignes<lb/> Heer bedurfte. Er benutzte die Noth der Meereskönigin um durch den<lb/> Bund der bewaffneten Neutralität die Rechte der Marinen zweiten Ranges<lb/> zu wahren; er ſchloß nach dem Frieden, der Erſte unter den europäiſchen<lb/> Fürſten, einen Handelsvertrag mit der jungen Republik und bekannte ſich<lb/> darin zu jener freien, menſchlichen Auffaſſung des Völkerrechts, welche<lb/> ſeitdem eine treu bewahrte Ueberlieferung des preußiſchen Staates ge-<lb/> <fw place="bottom" type="sig">5*</fw><lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [67/0083]
Bairiſcher Erbfolgekrieg.
Tribunale zu plaidiren“, und der erbitterte Fürſt Kaunitz ſprach jene
Weiſſagung, die auf dem Felde von Königgrätz wider den Sinn des
Propheten ſich erfüllen ſollte: wenn je die Schwerter Oeſterreichs und
Preußens nochmals auf einander ſchlügen, dann würden ſie nicht eher
wieder in die Scheide fahren, „als bis die Entſcheidung offenbar, voll-
kommen, unwiderruflich gefallen ſei.“ Noch werthvoller faſt als der
augenblickliche Erfolg war der mächtige Umſchwung der Meinung im
Reiche. Der gefürchtete Störenfried, der Rebell gegen Kaiſer und Reich
erſchien der Nation jetzt als der weiſe Beſchirmer des Rechtes; die kleinen
Höfe, die ſo oft vor dem preußiſchen Degen gezittert, blickten nunmehr,
aufgeſcheucht durch Kaiſer Joſephs raſtloſe Pläne, hilfeſuchend nach dem
Schiedsrichter in Sansſouci. An den Bauernhäuſern im bairiſchen
Hochgebirge hing das Bild des Alten mit dem dreiſpitzigen Hute neben
dem Volksheiligen Corbinian. In den Chor der ſchwäbiſchen und nord-
deutſchen Poeten, die von dem Ruhme des Königs erzählten, miſchten ſich
bereits einzelne Stimmen aus dem tief verfeindeten Kurſachſen; der Barde
Ringulph beſang in verzückten Oden, wie „aus der Allmacht Schooße,
König Friedrich, deine große ſchlachtenfrohe Seele ging“. Vor Kurzem
noch hatte K. F. Moſer ausgeſprochen, der Blick des gewöhnlichen
Menſchen vermöge dieſem Adler nicht in ſeine Höhen zu folgen, vielleicht
erſcheine dereinſt ein Newton der Staatswiſſenſchaft, der die Bahnen der
fridericianiſchen Politik ermeſſe. Jetzt aber begannen die Deutſchen zu fühlen,
daß dieſe räthſelhafte Politik im Grunde wunderbar einfach war, daß der
Staatsmann Friedrich, jedes Haſſes, jeder Liebe baar, gleichſam unper-
ſönlich, immer nur wollte was die klar erkannte Lage ſeines Staates gebot.
Als die Empörung in Nordamerika ausbrach und die aufgeklärte
Welt der neuen Sonne, die im Weſten aufging, zujubelte, da hat auch
Friedrich ſeine Freude nicht verhehlt. Seiner jungen Großmacht war
ein neuer Staat, der ſich in den Kreis der alten Mächte eindrängte,
willkommen; es that ihm wohl, dies England, das ihn im letzten Kriege
ſo ſchmählich verrathen und ihn dann während der polniſchen Händel
an der Erwerbung von Danzig gehindert hatte, jetzt in peinlicher Ver-
legenheit zu ſehen. Er erklärte offen, daß er nicht zum zweiten male
Hannover für das undankbare England vertheidigen werde; er hat einmal
ſogar den Durchmarſch der in Deutſchland erkauften engliſchen Hilfs-
völker verboten, weil ihn dieſer ſchmutzige Menſchenhandel empörte und
mehr noch weil er der jungen Männer aus dem Reiche für ſein eignes
Heer bedurfte. Er benutzte die Noth der Meereskönigin um durch den
Bund der bewaffneten Neutralität die Rechte der Marinen zweiten Ranges
zu wahren; er ſchloß nach dem Frieden, der Erſte unter den europäiſchen
Fürſten, einen Handelsvertrag mit der jungen Republik und bekannte ſich
darin zu jener freien, menſchlichen Auffaſſung des Völkerrechts, welche
ſeitdem eine treu bewahrte Ueberlieferung des preußiſchen Staates ge-
5*
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |