I. 1. Deutschland nach dem Westphälischen Frieden.
blieben ist. Doch weder sein Haß gegen "die Goddam-Regierung", noch die überschwängliche Volksgunst, die ihm aus den Colonien entgegenklang, bewog ihn jemals nur einen Schritt über das Interesse seines Staates hinauszugehen. Sein alter Feind Kaunitz konnte sich noch immer den stolzen Gang der fridericianischen Politik nur aus der unberechenbaren Arglist einer dämonischen Natur erklären. Im Reiche aber schwand das alte Mißtrauen nach und nach; die Nation merkte, daß nirgendwo ihre Angelegenheiten so sachlich und maßvoll, so wachsam und so kalt er- wogen wurden, wie in der Einsiedelei von Sanssouci.
So konnte denn das Unerhörte geschehen, daß der hohe Adel des Reichs sich von freien Stücken um Friedrichs Fahnen schaarte. Kaiser Joseph nahm seine bairischen Pläne wieder auf -- um Preußens Macht zu erschüttern, wie er selber eingestand; er bedrohte zugleich durch hastige Secularisationsgedanken den Bestand seiner geistlichen Nachbarn. Ein jäher Schrecken ergriff die kleinen Staaten, da sie also ihren natür- lichen Beschützer zum Feinde werden sahen; man berieth über einen Bund der Mittelmächte, über eine Liga der geistlichen Fürsten, bis sich endlich die Erkenntniß aufdrängte, daß man ohne Preußens Hilfe nichts vermöge. Mit jugendlichem Feuer griff der alte König in den Streit ein. Alle die lockenden Anträge, die ihm vorschlugen sich mit dem Kaiser in den Besitz von Deutschland zu theilen, wies er weit von sich als Köder für "die gemeine Habgier"; er bezwang seine Verachtung gegen die Kleinfürsten und begriff, daß er ces gens la nur durch strenge Gerechtigkeit an sich fesseln konnte. Es gelang ihm, die große Mehrheit des Kurfürstenrathes und die meisten der mächtigeren Fürsten für seinen deutschen Fürstenbund zu ge- winnen, die alte Reichsverfassung und den Besitzstand der Reichsstände gegen den Kaiser zu behaupten. "Allein die Liebe zu meinem Vaterlande und die Pflicht des guten Bürgers, so schrieb er, treibt mich in meinem Alter noch zu diesem Unternehmen." Was er in seiner Jugend geträumt, ging dem Greise glänzender in Erfüllung: nicht mehr versteckt hinter einem bairischen Schattenkaiser, wie einst in den schlesischen Kriegen, sondern mit offenem Visier trat die Krone Preußen jetzt auf den Plan, als der Protector von Deutschland. Alle die Nachbarmächte, die auf Deutschlands Schwäche zählten, sahen die unerwartete Wendung der Reichspolitik mit ernster Besorgniß; Frankreich und Rußland näherten sich dem Wiener Hofe, die Allianz von 1756 drohte sich von Neuem zu schließen. Das Turiner Cabinet dagegen begrüßte den Fürstenbund mit Freuden als "den Schutzgott der italienischen Staaten".
Die Politik des Foederalismus war im Reiche seit zweihundert Jahren nicht über halbe Anläufe hinausgekommen; nun da sie sich auf die Macht des preußischen Staates stützte errang sie plötzlich einen großen Erfolg. Die Erinnerung an die Zeiten Maximilians I. und die Reformversuche Kurfürst Bertholds tauchte wieder auf. Der Fürstenbund war geschlossen um
I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.
blieben iſt. Doch weder ſein Haß gegen „die Goddam-Regierung“, noch die überſchwängliche Volksgunſt, die ihm aus den Colonien entgegenklang, bewog ihn jemals nur einen Schritt über das Intereſſe ſeines Staates hinauszugehen. Sein alter Feind Kaunitz konnte ſich noch immer den ſtolzen Gang der fridericianiſchen Politik nur aus der unberechenbaren Argliſt einer dämoniſchen Natur erklären. Im Reiche aber ſchwand das alte Mißtrauen nach und nach; die Nation merkte, daß nirgendwo ihre Angelegenheiten ſo ſachlich und maßvoll, ſo wachſam und ſo kalt er- wogen wurden, wie in der Einſiedelei von Sansſouci.
So konnte denn das Unerhörte geſchehen, daß der hohe Adel des Reichs ſich von freien Stücken um Friedrichs Fahnen ſchaarte. Kaiſer Joſeph nahm ſeine bairiſchen Pläne wieder auf — um Preußens Macht zu erſchüttern, wie er ſelber eingeſtand; er bedrohte zugleich durch haſtige Seculariſationsgedanken den Beſtand ſeiner geiſtlichen Nachbarn. Ein jäher Schrecken ergriff die kleinen Staaten, da ſie alſo ihren natür- lichen Beſchützer zum Feinde werden ſahen; man berieth über einen Bund der Mittelmächte, über eine Liga der geiſtlichen Fürſten, bis ſich endlich die Erkenntniß aufdrängte, daß man ohne Preußens Hilfe nichts vermöge. Mit jugendlichem Feuer griff der alte König in den Streit ein. Alle die lockenden Anträge, die ihm vorſchlugen ſich mit dem Kaiſer in den Beſitz von Deutſchland zu theilen, wies er weit von ſich als Köder für „die gemeine Habgier“; er bezwang ſeine Verachtung gegen die Kleinfürſten und begriff, daß er ces gens là nur durch ſtrenge Gerechtigkeit an ſich feſſeln konnte. Es gelang ihm, die große Mehrheit des Kurfürſtenrathes und die meiſten der mächtigeren Fürſten für ſeinen deutſchen Fürſtenbund zu ge- winnen, die alte Reichsverfaſſung und den Beſitzſtand der Reichsſtände gegen den Kaiſer zu behaupten. „Allein die Liebe zu meinem Vaterlande und die Pflicht des guten Bürgers, ſo ſchrieb er, treibt mich in meinem Alter noch zu dieſem Unternehmen.“ Was er in ſeiner Jugend geträumt, ging dem Greiſe glänzender in Erfüllung: nicht mehr verſteckt hinter einem bairiſchen Schattenkaiſer, wie einſt in den ſchleſiſchen Kriegen, ſondern mit offenem Viſier trat die Krone Preußen jetzt auf den Plan, als der Protector von Deutſchland. Alle die Nachbarmächte, die auf Deutſchlands Schwäche zählten, ſahen die unerwartete Wendung der Reichspolitik mit ernſter Beſorgniß; Frankreich und Rußland näherten ſich dem Wiener Hofe, die Allianz von 1756 drohte ſich von Neuem zu ſchließen. Das Turiner Cabinet dagegen begrüßte den Fürſtenbund mit Freuden als „den Schutzgott der italieniſchen Staaten“.
Die Politik des Foederalismus war im Reiche ſeit zweihundert Jahren nicht über halbe Anläufe hinausgekommen; nun da ſie ſich auf die Macht des preußiſchen Staates ſtützte errang ſie plötzlich einen großen Erfolg. Die Erinnerung an die Zeiten Maximilians I. und die Reformverſuche Kurfürſt Bertholds tauchte wieder auf. Der Fürſtenbund war geſchloſſen um
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blieben iſt. Doch weder ſein Haß gegen „die Goddam-Regierung“, noch
die überſchwängliche Volksgunſt, die ihm aus den Colonien entgegenklang,
bewog ihn jemals nur einen Schritt über das Intereſſe ſeines Staates
hinauszugehen. Sein alter Feind Kaunitz konnte ſich noch immer den
ſtolzen Gang der fridericianiſchen Politik nur aus der unberechenbaren
Argliſt einer dämoniſchen Natur erklären. Im Reiche aber ſchwand das
alte Mißtrauen nach und nach; die Nation merkte, daß nirgendwo ihre
Angelegenheiten ſo ſachlich und maßvoll, ſo wachſam und ſo kalt er-
wogen wurden, wie in der Einſiedelei von Sansſouci.
So konnte denn das Unerhörte geſchehen, daß der hohe Adel des
Reichs ſich von freien Stücken um Friedrichs Fahnen ſchaarte. Kaiſer
Joſeph nahm ſeine bairiſchen Pläne wieder auf — um Preußens Macht
zu erſchüttern, wie er ſelber eingeſtand; er bedrohte zugleich durch
haſtige Seculariſationsgedanken den Beſtand ſeiner geiſtlichen Nachbarn.
Ein jäher Schrecken ergriff die kleinen Staaten, da ſie alſo ihren natür-
lichen Beſchützer zum Feinde werden ſahen; man berieth über einen Bund
der Mittelmächte, über eine Liga der geiſtlichen Fürſten, bis ſich endlich
die Erkenntniß aufdrängte, daß man ohne Preußens Hilfe nichts vermöge.
Mit jugendlichem Feuer griff der alte König in den Streit ein. Alle
die lockenden Anträge, die ihm vorſchlugen ſich mit dem Kaiſer in den
Beſitz von Deutſchland zu theilen, wies er weit von ſich als Köder für „die
gemeine Habgier“; er bezwang ſeine Verachtung gegen die Kleinfürſten und
begriff, daß er ces gens là nur durch ſtrenge Gerechtigkeit an ſich feſſeln
konnte. Es gelang ihm, die große Mehrheit des Kurfürſtenrathes und die
meiſten der mächtigeren Fürſten für ſeinen deutſchen Fürſtenbund zu ge-
winnen, die alte Reichsverfaſſung und den Beſitzſtand der Reichsſtände gegen
den Kaiſer zu behaupten. „Allein die Liebe zu meinem Vaterlande und
die Pflicht des guten Bürgers, ſo ſchrieb er, treibt mich in meinem Alter
noch zu dieſem Unternehmen.“ Was er in ſeiner Jugend geträumt, ging
dem Greiſe glänzender in Erfüllung: nicht mehr verſteckt hinter einem
bairiſchen Schattenkaiſer, wie einſt in den ſchleſiſchen Kriegen, ſondern
mit offenem Viſier trat die Krone Preußen jetzt auf den Plan, als der
Protector von Deutſchland. Alle die Nachbarmächte, die auf Deutſchlands
Schwäche zählten, ſahen die unerwartete Wendung der Reichspolitik mit
ernſter Beſorgniß; Frankreich und Rußland näherten ſich dem Wiener
Hofe, die Allianz von 1756 drohte ſich von Neuem zu ſchließen. Das
Turiner Cabinet dagegen begrüßte den Fürſtenbund mit Freuden als
„den Schutzgott der italieniſchen Staaten“.
Die Politik des Foederalismus war im Reiche ſeit zweihundert Jahren
nicht über halbe Anläufe hinausgekommen; nun da ſie ſich auf die Macht
des preußiſchen Staates ſtützte errang ſie plötzlich einen großen Erfolg. Die
Erinnerung an die Zeiten Maximilians I. und die Reformverſuche Kurfürſt
Bertholds tauchte wieder auf. Der Fürſtenbund war geſchloſſen um
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/84>, abgerufen am 24.11.2024.
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