teten auf die wichtige Maasfestung Givet und auf Conde: der glorreiche Name dieses Platzes war dem Hause der Kapetinger gar zu theuer!
Ein Ministerwechsel in den Tuilerien kam dem Abschluß des Friedens- werkes zu statten. Da die legitimistischen Ultras durch die Gewaltmittel des weißen Schreckens den Sieg bei den Kammerwahlen davongetragen hatten, so konnte weder der Königsmörder Fouche noch der vermittelnde Talleyrand sich im Cabinet behaupten. Der Czar half in der Stille nach, da ihm Fouches Verkehr mit den Engländern verdächtig war; er dachte sogar ernstlich daran, seinem Pozzo di Borgo als geborenem Fran- zosen eine Stelle in dem Ministerium zu verschaffen, fand es jedoch zu- letzt klüger den Vertrauten in der sicheren Stellung eines russischen Ge- sandten zu belassen. Der Herzog von Richelieu bildete am 26. September das neue Cabinet, ein wohlmeinender, aber mit Frankreich völlig unbe- kannter Staatsmann, der sich durch langen Aufenthalt in Rußland das Wohlwollen des Czaren erworben hatte. Machtlos wie er war, allein angewiesen auf die Gunst Alexanders fand er sich rasch in das Unver- meidliche, und schon am 2. October kam die entscheidende Vereinbarung zwischen Frankreich und den vier Mächten zu Stande. Das Protokoll brauchte wieder den hochtrabenden Ausdruck, die Grenze von 1790 solle die Regel bilden; doch in Wahrheit trat Frankreich nur ab: einen Land- strich an der belgischen Grenze mit Marienburg und Philippeville, ferner den Rest von Savoyen, endlich Landau und Saarlouis mit Saarbrücken.
Czar Alexander konnte den Schauplatz seiner Thaten nicht verlassen, ohne die Welt noch einmal durch eine Offenbarung erhabener Gefühle in Erstaunen zu setzen. In den angstvollen Tagen nach der Schlacht von Bautzen hatte König Friedrich Wilhelm einmal tiefbewegt auf einem einsamen Ritt zu seinem Freunde gesagt: "jetzt kann uns nur Gott allein noch retten; siegen wir, so wollen wir ihm vor aller Welt die Ehre geben!" Wie oft war seitdem jene weihevolle Stunde dem Czaren wieder vor die Seele getreten. Hochaufgeregt durch die Weissagungen der Frau von Krüdener und durch ein phantastisches Schriftchen des deutschen Philo- sophen Baader, beschloß er jetzt den hingeworfenen Gedanken seines Freundes nach seiner Weise zu gestalten und schrieb eigenhändig die Ur- kunde der heiligen Allianz nieder, ein persönliches Glaubensbekenntniß, das der Welt zeigen sollte, das neue europäische Dreigestirn verdanke seinen Glanz allein der Sonne Christi. Aller Edelsinn und alle Glaubensinbrunst, aber auch die ganze unklare Gefühlsseligkeit und die weltliche Eitelkeit dieses schwammigen Charakters waren in dem wundersamen Acten[ - 5 Zeichen fehlen] niedergelegt. Die Erkenntniß, daß die europäische Staatengesellschaft eine lebendige Gemeinschaft bildet, diese alte halbvergessene Wahrheit, die sich nach den Gräueln des napoleonischen Zeitalters der Welt wieder über- mächtig aufdrängte, empfing unter den Händen des Gottbegeisterten eine sonderbare theokratische Umbildung. Die drei Monarchen von Oesterreich,
II. 2. Belle Alliance.
teten auf die wichtige Maasfeſtung Givet und auf Condé: der glorreiche Name dieſes Platzes war dem Hauſe der Kapetinger gar zu theuer!
Ein Miniſterwechſel in den Tuilerien kam dem Abſchluß des Friedens- werkes zu ſtatten. Da die legitimiſtiſchen Ultras durch die Gewaltmittel des weißen Schreckens den Sieg bei den Kammerwahlen davongetragen hatten, ſo konnte weder der Königsmörder Fouché noch der vermittelnde Talleyrand ſich im Cabinet behaupten. Der Czar half in der Stille nach, da ihm Fouchés Verkehr mit den Engländern verdächtig war; er dachte ſogar ernſtlich daran, ſeinem Pozzo di Borgo als geborenem Fran- zoſen eine Stelle in dem Miniſterium zu verſchaffen, fand es jedoch zu- letzt klüger den Vertrauten in der ſicheren Stellung eines ruſſiſchen Ge- ſandten zu belaſſen. Der Herzog von Richelieu bildete am 26. September das neue Cabinet, ein wohlmeinender, aber mit Frankreich völlig unbe- kannter Staatsmann, der ſich durch langen Aufenthalt in Rußland das Wohlwollen des Czaren erworben hatte. Machtlos wie er war, allein angewieſen auf die Gunſt Alexanders fand er ſich raſch in das Unver- meidliche, und ſchon am 2. October kam die entſcheidende Vereinbarung zwiſchen Frankreich und den vier Mächten zu Stande. Das Protokoll brauchte wieder den hochtrabenden Ausdruck, die Grenze von 1790 ſolle die Regel bilden; doch in Wahrheit trat Frankreich nur ab: einen Land- ſtrich an der belgiſchen Grenze mit Marienburg und Philippeville, ferner den Reſt von Savoyen, endlich Landau und Saarlouis mit Saarbrücken.
Czar Alexander konnte den Schauplatz ſeiner Thaten nicht verlaſſen, ohne die Welt noch einmal durch eine Offenbarung erhabener Gefühle in Erſtaunen zu ſetzen. In den angſtvollen Tagen nach der Schlacht von Bautzen hatte König Friedrich Wilhelm einmal tiefbewegt auf einem einſamen Ritt zu ſeinem Freunde geſagt: „jetzt kann uns nur Gott allein noch retten; ſiegen wir, ſo wollen wir ihm vor aller Welt die Ehre geben!“ Wie oft war ſeitdem jene weihevolle Stunde dem Czaren wieder vor die Seele getreten. Hochaufgeregt durch die Weiſſagungen der Frau von Krüdener und durch ein phantaſtiſches Schriftchen des deutſchen Philo- ſophen Baader, beſchloß er jetzt den hingeworfenen Gedanken ſeines Freundes nach ſeiner Weiſe zu geſtalten und ſchrieb eigenhändig die Ur- kunde der heiligen Allianz nieder, ein perſönliches Glaubensbekenntniß, das der Welt zeigen ſollte, das neue europäiſche Dreigeſtirn verdanke ſeinen Glanz allein der Sonne Chriſti. Aller Edelſinn und alle Glaubensinbrunſt, aber auch die ganze unklare Gefühlsſeligkeit und die weltliche Eitelkeit dieſes ſchwammigen Charakters waren in dem wunderſamen Acten[ – 5 Zeichen fehlen] niedergelegt. Die Erkenntniß, daß die europäiſche Staatengeſellſchaft eine lebendige Gemeinſchaft bildet, dieſe alte halbvergeſſene Wahrheit, die ſich nach den Gräueln des napoleoniſchen Zeitalters der Welt wieder über- mächtig aufdrängte, empfing unter den Händen des Gottbegeiſterten eine ſonderbare theokratiſche Umbildung. Die drei Monarchen von Oeſterreich,
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II. 2. Belle Alliance.
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Ein Miniſterwechſel in den Tuilerien kam dem Abſchluß des Friedens-
werkes zu ſtatten. Da die legitimiſtiſchen Ultras durch die Gewaltmittel
des weißen Schreckens den Sieg bei den Kammerwahlen davongetragen
hatten, ſo konnte weder der Königsmörder Fouché noch der vermittelnde
Talleyrand ſich im Cabinet behaupten. Der Czar half in der Stille
nach, da ihm Fouchés Verkehr mit den Engländern verdächtig war; er
dachte ſogar ernſtlich daran, ſeinem Pozzo di Borgo als geborenem Fran-
zoſen eine Stelle in dem Miniſterium zu verſchaffen, fand es jedoch zu-
letzt klüger den Vertrauten in der ſicheren Stellung eines ruſſiſchen Ge-
ſandten zu belaſſen. Der Herzog von Richelieu bildete am 26. September
das neue Cabinet, ein wohlmeinender, aber mit Frankreich völlig unbe-
kannter Staatsmann, der ſich durch langen Aufenthalt in Rußland das
Wohlwollen des Czaren erworben hatte. Machtlos wie er war, allein
angewieſen auf die Gunſt Alexanders fand er ſich raſch in das Unver-
meidliche, und ſchon am 2. October kam die entſcheidende Vereinbarung
zwiſchen Frankreich und den vier Mächten zu Stande. Das Protokoll
brauchte wieder den hochtrabenden Ausdruck, die Grenze von 1790 ſolle
die Regel bilden; doch in Wahrheit trat Frankreich nur ab: einen Land-
ſtrich an der belgiſchen Grenze mit Marienburg und Philippeville, ferner
den Reſt von Savoyen, endlich Landau und Saarlouis mit Saarbrücken.
Czar Alexander konnte den Schauplatz ſeiner Thaten nicht verlaſſen,
ohne die Welt noch einmal durch eine Offenbarung erhabener Gefühle
in Erſtaunen zu ſetzen. In den angſtvollen Tagen nach der Schlacht
von Bautzen hatte König Friedrich Wilhelm einmal tiefbewegt auf einem
einſamen Ritt zu ſeinem Freunde geſagt: „jetzt kann uns nur Gott allein
noch retten; ſiegen wir, ſo wollen wir ihm vor aller Welt die Ehre geben!“
Wie oft war ſeitdem jene weihevolle Stunde dem Czaren wieder vor die
Seele getreten. Hochaufgeregt durch die Weiſſagungen der Frau von
Krüdener und durch ein phantaſtiſches Schriftchen des deutſchen Philo-
ſophen Baader, beſchloß er jetzt den hingeworfenen Gedanken ſeines
Freundes nach ſeiner Weiſe zu geſtalten und ſchrieb eigenhändig die Ur-
kunde der heiligen Allianz nieder, ein perſönliches Glaubensbekenntniß,
das der Welt zeigen ſollte, das neue europäiſche Dreigeſtirn verdanke ſeinen
Glanz allein der Sonne Chriſti. Aller Edelſinn und alle Glaubensinbrunſt,
aber auch die ganze unklare Gefühlsſeligkeit und die weltliche Eitelkeit
dieſes ſchwammigen Charakters waren in dem wunderſamen Acten_____
niedergelegt. Die Erkenntniß, daß die europäiſche Staatengeſellſchaft eine
lebendige Gemeinſchaft bildet, dieſe alte halbvergeſſene Wahrheit, die ſich
nach den Gräueln des napoleoniſchen Zeitalters der Welt wieder über-
mächtig aufdrängte, empfing unter den Händen des Gottbegeiſterten eine
ſonderbare theokratiſche Umbildung. Die drei Monarchen von Oeſterreich,
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 784. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/800>, abgerufen am 22.11.2024.
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