Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.Kirche und Schule. Geiste erfüllt war jene neue reifere Form des deutschen Protestantismus,welche endlich aus den Gedankenkämpfen der gährenden Zeit siegreich hervorging und ein Gemeingut des norddeutschen Volkes wurde: die Ethik Kants. Der kategorische Imperativ konnte nur auf diesem Boden der evangelischen Freiheit und der entsagenden pflichtgetreuen Arbeit er- dacht werden. Wo vordem rauhe Befehle die schweigende Unterwerfung erzwangen, da sah sich jetzt jedes freimüthige Urtheil herausgefordert durch das Vorbild des Königs, der furchtlos auf die Kraft des forschenden Verstandes baute und gern bekannte: wer zum Besten räsonnirt, bringt es am Weitesten. Friedrich führte die altpreußische Politik der kirchlichen Duldung in freiem Sinne fort, verkündete in seinem Gesetzbuche den Grundsatz: "die Begriffe der Einwohner von Gott und göttlichen Dingen können kein Gegenstand von Zwangsgesetzen sein." Auch die Unionsbe- strebungen seiner Ahnen hat der Freigeist nicht aufgegeben, sondern streng darauf gehalten, daß die beiden evangelischen Kirchen einander im Noth- fall die Sacramentsgemeinschaft nicht versagten. Die oberstbischöfliche Gewalt, die er für seine Krone in Anspruch nahm, sicherte ihn gegen staatsfeindliche Umtriebe der Geistlichkeit, erlaubte ihm sogar die vom Papste aufgehobene Gesellschaft Jesu in seinem Staate zu dulden. Er ge- währte der Presse eine selten beschränkte Freiheit, denn "Gazetten, wenn sie interessant sein sollen, dürfen nicht genirt werden". Er erklärte alle Schulen für "Veranstaltungen des Staates", sprach gern und geistvoll von der Pflicht des Staates, das junge Geschlecht zu selbständigem Denken und aufopfernder Vaterlandsliebe zu erziehen. Wie oft hat er den Glanz der Gelehrsamkeit und Dichtung als den schönsten Schmuck der Kronen gepriesen; auch darin zeigte er sich als ein Deutscher und ein Friedens- fürst, daß er den classischen Unterricht für den Quell aller höheren Bil- dung ansah, nicht die exacten Wissenschaften, wie der Soldat Napoleon. Trotz Alledem hat der König für die Pflege der Volksbildung unmittelbar nur wenig geleistet. Die Knappheit der Geldmittel, der Mangel an brauchbaren Volksschul- Kirche und Schule. Geiſte erfüllt war jene neue reifere Form des deutſchen Proteſtantismus,welche endlich aus den Gedankenkämpfen der gährenden Zeit ſiegreich hervorging und ein Gemeingut des norddeutſchen Volkes wurde: die Ethik Kants. Der kategoriſche Imperativ konnte nur auf dieſem Boden der evangeliſchen Freiheit und der entſagenden pflichtgetreuen Arbeit er- dacht werden. Wo vordem rauhe Befehle die ſchweigende Unterwerfung erzwangen, da ſah ſich jetzt jedes freimüthige Urtheil herausgefordert durch das Vorbild des Königs, der furchtlos auf die Kraft des forſchenden Verſtandes baute und gern bekannte: wer zum Beſten räſonnirt, bringt es am Weiteſten. Friedrich führte die altpreußiſche Politik der kirchlichen Duldung in freiem Sinne fort, verkündete in ſeinem Geſetzbuche den Grundſatz: „die Begriffe der Einwohner von Gott und göttlichen Dingen können kein Gegenſtand von Zwangsgeſetzen ſein.“ Auch die Unionsbe- ſtrebungen ſeiner Ahnen hat der Freigeiſt nicht aufgegeben, ſondern ſtreng darauf gehalten, daß die beiden evangeliſchen Kirchen einander im Noth- fall die Sacramentsgemeinſchaft nicht verſagten. Die oberſtbiſchöfliche Gewalt, die er für ſeine Krone in Anſpruch nahm, ſicherte ihn gegen ſtaatsfeindliche Umtriebe der Geiſtlichkeit, erlaubte ihm ſogar die vom Papſte aufgehobene Geſellſchaft Jeſu in ſeinem Staate zu dulden. Er ge- währte der Preſſe eine ſelten beſchränkte Freiheit, denn „Gazetten, wenn ſie intereſſant ſein ſollen, dürfen nicht genirt werden“. Er erklärte alle Schulen für „Veranſtaltungen des Staates“, ſprach gern und geiſtvoll von der Pflicht des Staates, das junge Geſchlecht zu ſelbſtändigem Denken und aufopfernder Vaterlandsliebe zu erziehen. Wie oft hat er den Glanz der Gelehrſamkeit und Dichtung als den ſchönſten Schmuck der Kronen geprieſen; auch darin zeigte er ſich als ein Deutſcher und ein Friedens- fürſt, daß er den claſſiſchen Unterricht für den Quell aller höheren Bil- dung anſah, nicht die exacten Wiſſenſchaften, wie der Soldat Napoleon. Trotz Alledem hat der König für die Pflege der Volksbildung unmittelbar nur wenig geleiſtet. 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Für alles Andere wußte der<lb/> Sparſame leichter Rath zu ſchaffen als für die Zwecke des Unterrichts.<lb/> Wenn die Deutſchen im Reiche ſpotteten, dies Preußen habe ſich groß<lb/> gehungert, ſo dachten ſie dabei zunächſt an die preußiſchen Gelehrten.<lb/> Für die Volksſchulen geſchah nur das Nothdürftige; die wiederholt einge-<lb/> ſchärfte Regel der allgemeinen Schulpflicht blieb für weite Striche des<lb/> platten Landes noch ein todter Buchſtabe. Keine der preußiſchen Uni-<lb/> verſitäten reichte an den Ruhm der neuen Georgia Auguſta heran. Erſt<lb/> gegen das Ende der fridericianiſchen Zeit, als Zedlitz, der Freund Kants,<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [79/0095]
Kirche und Schule.
Geiſte erfüllt war jene neue reifere Form des deutſchen Proteſtantismus,
welche endlich aus den Gedankenkämpfen der gährenden Zeit ſiegreich
hervorging und ein Gemeingut des norddeutſchen Volkes wurde: die
Ethik Kants. Der kategoriſche Imperativ konnte nur auf dieſem Boden
der evangeliſchen Freiheit und der entſagenden pflichtgetreuen Arbeit er-
dacht werden. Wo vordem rauhe Befehle die ſchweigende Unterwerfung
erzwangen, da ſah ſich jetzt jedes freimüthige Urtheil herausgefordert durch
das Vorbild des Königs, der furchtlos auf die Kraft des forſchenden
Verſtandes baute und gern bekannte: wer zum Beſten räſonnirt, bringt
es am Weiteſten. Friedrich führte die altpreußiſche Politik der kirchlichen
Duldung in freiem Sinne fort, verkündete in ſeinem Geſetzbuche den
Grundſatz: „die Begriffe der Einwohner von Gott und göttlichen Dingen
können kein Gegenſtand von Zwangsgeſetzen ſein.“ Auch die Unionsbe-
ſtrebungen ſeiner Ahnen hat der Freigeiſt nicht aufgegeben, ſondern ſtreng
darauf gehalten, daß die beiden evangeliſchen Kirchen einander im Noth-
fall die Sacramentsgemeinſchaft nicht verſagten. Die oberſtbiſchöfliche
Gewalt, die er für ſeine Krone in Anſpruch nahm, ſicherte ihn gegen
ſtaatsfeindliche Umtriebe der Geiſtlichkeit, erlaubte ihm ſogar die vom
Papſte aufgehobene Geſellſchaft Jeſu in ſeinem Staate zu dulden. Er ge-
währte der Preſſe eine ſelten beſchränkte Freiheit, denn „Gazetten, wenn
ſie intereſſant ſein ſollen, dürfen nicht genirt werden“. Er erklärte alle
Schulen für „Veranſtaltungen des Staates“, ſprach gern und geiſtvoll
von der Pflicht des Staates, das junge Geſchlecht zu ſelbſtändigem Denken
und aufopfernder Vaterlandsliebe zu erziehen. Wie oft hat er den Glanz
der Gelehrſamkeit und Dichtung als den ſchönſten Schmuck der Kronen
geprieſen; auch darin zeigte er ſich als ein Deutſcher und ein Friedens-
fürſt, daß er den claſſiſchen Unterricht für den Quell aller höheren Bil-
dung anſah, nicht die exacten Wiſſenſchaften, wie der Soldat Napoleon.
Trotz Alledem hat der König für die Pflege der Volksbildung unmittelbar
nur wenig geleiſtet.
Die Knappheit der Geldmittel, der Mangel an brauchbaren Volksſchul-
lehrern und die unabläſſigen Kämpfe bald mit auswärtigen Feinden bald mit
der wirthſchaftlichen Noth daheim erſchwerten ihm die Ausführung ſeiner
Pläne; und ſchließlich brach auch bei dem Sohne der trockene Nützlich-
keitsſinn des Vaters immer wieder durch. Für alles Andere wußte der
Sparſame leichter Rath zu ſchaffen als für die Zwecke des Unterrichts.
Wenn die Deutſchen im Reiche ſpotteten, dies Preußen habe ſich groß
gehungert, ſo dachten ſie dabei zunächſt an die preußiſchen Gelehrten.
Für die Volksſchulen geſchah nur das Nothdürftige; die wiederholt einge-
ſchärfte Regel der allgemeinen Schulpflicht blieb für weite Striche des
platten Landes noch ein todter Buchſtabe. Keine der preußiſchen Uni-
verſitäten reichte an den Ruhm der neuen Georgia Auguſta heran. Erſt
gegen das Ende der fridericianiſchen Zeit, als Zedlitz, der Freund Kants,
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