Gleich der evangelischen ward auch die katholische Kirche durch die Ausschweifungen rohen Aberglaubens heimgesucht. In München stand die Hochburg der katholischen Magier. Dort in Baiern waren die Teufel- austreibungen des verstorbenen Gaßner noch unvergessen; jetzt rühmte sich Baader einer vom Teufel besessenen Tochter. In Franken zog ein Bauerncardinal mit einer Dirne, die den Heiland unter dem Herzen trug, durch die Dörfer; droben im Schwarzwälder Alpgau unter den groben Hotzen wurde die Schwarmgeisterei der alten Salpeterer wieder rege; aus Oesterreich kam die fanatische Sekte der Pöschelianer nach Baiern hinüber, ein wüstes Gesindel, das selbst vor dem religiösen Morde nicht zurückschrak und nur durch harte Strafen gebändigt werden konnte. Unter den zahl- losen frommen Zauberern that sich ein vornehmer Priester, Fürst Ale- xander Hohenlohe durch kecke Zuversicht hervor. Papst Pius, der seinen Mann kannte, meinte achselzuckend: questo far' dei miracoli! -- als er vernahm, wie der Fürst durch die Kraft des Gebetes sogar aus der Ferne Todkranke heilte, und das fränkische Landvolk ihm in Schaaren zu- strömte. In einem stolzen Aufrufe redete der Wunderthäter die Fürsten des heiligen Bundes an: nicht mehr durch Waffen würde die Revolution besiegt, die Erziehung müsse verwandelt, die Jugend zurückgeführt werden in den Schooß der Kirche. Der fromme Wahn wirkte hier ebenso unwider- stehlich ansteckend, wie unter den Protestanten: sogar Sailer betete einmal gläubig an dem Bette der Wunder-Nonne von Dülmen.
Die unversöhnliche Härte der kirchlichen Gegensätze, die ganze Fried- losigkeit unseres religiösen Lebens trat mit erschreckender Klarheit zu Tage, als auf dem heißen Boden Heidelbergs wieder einmal ein literarischer Zank ausbrach. In der kleinen Stadt hausten so viele namhafte Vertreter grund- verschiedener Richtungen eng bei einander; der Kampf der Meinungen ward dort stets mit gehässiger Bitterkeit geführt. Um seinen Gegnern Daub und Creuzer die Stange zu halten, hatte Paulus die Zeitschrift Sophro- nizon gegründet; geschickt redigirt gewann sie bald Ansehen durch frei- müthigen Tadel mancher Mißstände in Staat und Kirche. Der kleinstaatliche Liberalismus, der von den Bedingungen der Macht des Staates nichts ahnte, und der Rationalismus, der von dem religiösen Gefühle des gläubigen Ge- müths nichts wissen wollte, fanden da selbander ihren Sprechsaal. Als nun Graf Friedrich Stolberg in Adam Müllers hochconservativem Staats- anzeiger einen scharfen Aufsatz über die Verirrungen des Zeitgeistes ver- öffentlicht hatte, brach Voß im Sophronizon (1819) gegen den Jugendgenossen los. "Wie ward Fritz Stolberg ein Unfreier?" fragte er grimmig. Ein Greis gegen den Greis wollte er Zeugniß ablegen, weil er bald jenseits "wo kein Ritter noch Pfaff schaltet", sich verantworten müsse. Darum meinte er sich jeder Treue, jeder Anstandsrücksicht gegen den alten Frennd entbunden, dem er vor vierzig Jahren seine Odyssee gewidmet hatte und schilderte mit herzloser Roheit, selbst das häusliche Leben schamlos auf-
Treitschke, Deutsche Geschichte. II. 7
Voß und Stolberg.
Gleich der evangeliſchen ward auch die katholiſche Kirche durch die Ausſchweifungen rohen Aberglaubens heimgeſucht. In München ſtand die Hochburg der katholiſchen Magier. Dort in Baiern waren die Teufel- austreibungen des verſtorbenen Gaßner noch unvergeſſen; jetzt rühmte ſich Baader einer vom Teufel beſeſſenen Tochter. In Franken zog ein Bauerncardinal mit einer Dirne, die den Heiland unter dem Herzen trug, durch die Dörfer; droben im Schwarzwälder Alpgau unter den groben Hotzen wurde die Schwarmgeiſterei der alten Salpeterer wieder rege; aus Oeſterreich kam die fanatiſche Sekte der Pöſchelianer nach Baiern hinüber, ein wüſtes Geſindel, das ſelbſt vor dem religiöſen Morde nicht zurückſchrak und nur durch harte Strafen gebändigt werden konnte. Unter den zahl- loſen frommen Zauberern that ſich ein vornehmer Prieſter, Fürſt Ale- xander Hohenlohe durch kecke Zuverſicht hervor. Papſt Pius, der ſeinen Mann kannte, meinte achſelzuckend: questo far’ dei miracoli! — als er vernahm, wie der Fürſt durch die Kraft des Gebetes ſogar aus der Ferne Todkranke heilte, und das fränkiſche Landvolk ihm in Schaaren zu- ſtrömte. In einem ſtolzen Aufrufe redete der Wunderthäter die Fürſten des heiligen Bundes an: nicht mehr durch Waffen würde die Revolution beſiegt, die Erziehung müſſe verwandelt, die Jugend zurückgeführt werden in den Schooß der Kirche. Der fromme Wahn wirkte hier ebenſo unwider- ſtehlich anſteckend, wie unter den Proteſtanten: ſogar Sailer betete einmal gläubig an dem Bette der Wunder-Nonne von Dülmen.
Die unverſöhnliche Härte der kirchlichen Gegenſätze, die ganze Fried- loſigkeit unſeres religiöſen Lebens trat mit erſchreckender Klarheit zu Tage, als auf dem heißen Boden Heidelbergs wieder einmal ein literariſcher Zank ausbrach. In der kleinen Stadt hauſten ſo viele namhafte Vertreter grund- verſchiedener Richtungen eng bei einander; der Kampf der Meinungen ward dort ſtets mit gehäſſiger Bitterkeit geführt. Um ſeinen Gegnern Daub und Creuzer die Stange zu halten, hatte Paulus die Zeitſchrift Sophro- nizon gegründet; geſchickt redigirt gewann ſie bald Anſehen durch frei- müthigen Tadel mancher Mißſtände in Staat und Kirche. Der kleinſtaatliche Liberalismus, der von den Bedingungen der Macht des Staates nichts ahnte, und der Rationalismus, der von dem religiöſen Gefühle des gläubigen Ge- müths nichts wiſſen wollte, fanden da ſelbander ihren Sprechſaal. Als nun Graf Friedrich Stolberg in Adam Müllers hochconſervativem Staats- anzeiger einen ſcharfen Aufſatz über die Verirrungen des Zeitgeiſtes ver- öffentlicht hatte, brach Voß im Sophronizon (1819) gegen den Jugendgenoſſen los. „Wie ward Fritz Stolberg ein Unfreier?“ fragte er grimmig. Ein Greis gegen den Greis wollte er Zeugniß ablegen, weil er bald jenſeits „wo kein Ritter noch Pfaff ſchaltet“, ſich verantworten müſſe. Darum meinte er ſich jeder Treue, jeder Anſtandsrückſicht gegen den alten Frennd entbunden, dem er vor vierzig Jahren ſeine Odyſſee gewidmet hatte und ſchilderte mit herzloſer Roheit, ſelbſt das häusliche Leben ſchamlos auf-
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. II. 7
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[97/0111]
Voß und Stolberg.
Gleich der evangeliſchen ward auch die katholiſche Kirche durch die
Ausſchweifungen rohen Aberglaubens heimgeſucht. In München ſtand die
Hochburg der katholiſchen Magier. Dort in Baiern waren die Teufel-
austreibungen des verſtorbenen Gaßner noch unvergeſſen; jetzt rühmte
ſich Baader einer vom Teufel beſeſſenen Tochter. In Franken zog ein
Bauerncardinal mit einer Dirne, die den Heiland unter dem Herzen trug,
durch die Dörfer; droben im Schwarzwälder Alpgau unter den groben
Hotzen wurde die Schwarmgeiſterei der alten Salpeterer wieder rege; aus
Oeſterreich kam die fanatiſche Sekte der Pöſchelianer nach Baiern hinüber,
ein wüſtes Geſindel, das ſelbſt vor dem religiöſen Morde nicht zurückſchrak
und nur durch harte Strafen gebändigt werden konnte. Unter den zahl-
loſen frommen Zauberern that ſich ein vornehmer Prieſter, Fürſt Ale-
xander Hohenlohe durch kecke Zuverſicht hervor. Papſt Pius, der ſeinen
Mann kannte, meinte achſelzuckend: questo far’ dei miracoli! — als er
vernahm, wie der Fürſt durch die Kraft des Gebetes ſogar aus der Ferne
Todkranke heilte, und das fränkiſche Landvolk ihm in Schaaren zu-
ſtrömte. In einem ſtolzen Aufrufe redete der Wunderthäter die Fürſten
des heiligen Bundes an: nicht mehr durch Waffen würde die Revolution
beſiegt, die Erziehung müſſe verwandelt, die Jugend zurückgeführt werden
in den Schooß der Kirche. Der fromme Wahn wirkte hier ebenſo unwider-
ſtehlich anſteckend, wie unter den Proteſtanten: ſogar Sailer betete einmal
gläubig an dem Bette der Wunder-Nonne von Dülmen.
Die unverſöhnliche Härte der kirchlichen Gegenſätze, die ganze Fried-
loſigkeit unſeres religiöſen Lebens trat mit erſchreckender Klarheit zu Tage,
als auf dem heißen Boden Heidelbergs wieder einmal ein literariſcher Zank
ausbrach. In der kleinen Stadt hauſten ſo viele namhafte Vertreter grund-
verſchiedener Richtungen eng bei einander; der Kampf der Meinungen
ward dort ſtets mit gehäſſiger Bitterkeit geführt. Um ſeinen Gegnern Daub
und Creuzer die Stange zu halten, hatte Paulus die Zeitſchrift Sophro-
nizon gegründet; geſchickt redigirt gewann ſie bald Anſehen durch frei-
müthigen Tadel mancher Mißſtände in Staat und Kirche. Der kleinſtaatliche
Liberalismus, der von den Bedingungen der Macht des Staates nichts ahnte,
und der Rationalismus, der von dem religiöſen Gefühle des gläubigen Ge-
müths nichts wiſſen wollte, fanden da ſelbander ihren Sprechſaal. Als
nun Graf Friedrich Stolberg in Adam Müllers hochconſervativem Staats-
anzeiger einen ſcharfen Aufſatz über die Verirrungen des Zeitgeiſtes ver-
öffentlicht hatte, brach Voß im Sophronizon (1819) gegen den Jugendgenoſſen
los. „Wie ward Fritz Stolberg ein Unfreier?“ fragte er grimmig. Ein
Greis gegen den Greis wollte er Zeugniß ablegen, weil er bald jenſeits
„wo kein Ritter noch Pfaff ſchaltet“, ſich verantworten müſſe. Darum
meinte er ſich jeder Treue, jeder Anſtandsrückſicht gegen den alten Frennd
entbunden, dem er vor vierzig Jahren ſeine Odyſſee gewidmet hatte und
ſchilderte mit herzloſer Roheit, ſelbſt das häusliche Leben ſchamlos auf-
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. II. 7
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/111>, abgerufen am 28.11.2024.
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