wisch, dem geistsprühenden Heißsporn, und den Führern des schleswig- holsteinischen Adels, den Reventlow, Rumohr, Baudissin, Moltke in hei- terer Geselligkeit zusammen. Sie Alle schwärmten für Goethe, sie Alle fühlten sich stolz, das deutsche Wesen hier in der äußersten Nordmark gegen den wachsenden Uebermuth der dänischen Krone zu vertheidigen, und wenn sie für constitutionelle Rechte sich begeisterten, so meinten sie damit nur das Ideal freier Menschenbildung, das einst in Weimar verkündet ward, zu verwirklichen.
Aus dieser kleinen Welt voll Geist und Anmuth gingen Dahlmanns Aufsätze "ein Wort über Verfassung" (1815) hervor, in Form und In- halt das genaue Gegentheil der Schriften Rottecks. Der Kieler Gelehrte schrieb ebenso gedankenreich, kurz und markig wie der Freiburger dünn und breit. Wenn dieser das historische Recht bekämpfte, so mahnte Dahl- mann die Deutschen, sich das vollständige Dasein ihrer Väter zu vergegen- wärtigen, um also sittlich zu genesen. Wollte Rotteck das Königthum nur vorläufig dulden, so bekannte Dahlmann unumwunden seine streng mon- archische Gesinnung und sagte zum Entsetzen der Philologen: die Grie- chen und Römer mißkannten den Zeitpunkt, wo es nützlich war zur Mon- archie überzugehen. Nicht in Frankreich, sondern in England suchte er sein Staatsideal: "hier sind die Grundlagen der Verfassung, zu welcher alle neu-europäischen Völker streben, am reinsten ausgebildet und aufbe- wahrt." Seit Montequieus Geist der Gesetze in Deutschland Eingang gefunden, hatte es zwar an unbestimmten Lobpreisungen der englischen Freiheit nie gefehlt; eben jetzt ließ Rückert die rückkehrende Freiheit sagen:
O baut mir einen Tempel Nach Albions Exempel!
Doch unter den Publicisten war Dahlmann der erste, der mit gründ- licher Sachkenntniß und frei von blinder Nachahmungssucht das englische Parlament als ein Muster für Deutschland hinstellte, wie Vincke kurz zuvor die britische Selbstverwaltung. Männer wie Niebuhr, Schleier- macher und Thibaut sprachen dem Kieler Historiker ihre freudige Zustim- mung aus; aber erst nach vielen Jahren fanden seine Gedanken in weiteren Kreisen Anklang. Die Kieler Blätter drangen nicht weit über Schleswig- Holstein hinaus; denn die Masse des Volkes im Norden ging in wirthschaft- lichen Sorgen unter, und wer in Süddeutschland für die constitutionellen Ideen empfänglich war, hielt sich lieber an den bequemeren Katechismus des Rotteck'schen Vernunftrechts.
Beiden Richtungen des Liberalismus stand, durch eines Himmels Weite getrennt, der gefürchtete Restaurator der Staatswissenschaft Karl Ludwig v. Haller gegenüber. Der Berner Aristokrat hatte die Macht seiner Stan- desgenossen vor den Gewaltstreichen der Revolution zusammenbrechen sehen und dann in der Verbannung, im österreichischen Dienste, sich das poli- tische System gebildet, das "die Monarchie wieder auf ihrem wahren Grunde
Dahlmann. Haller.
wiſch, dem geiſtſprühenden Heißſporn, und den Führern des ſchleswig- holſteiniſchen Adels, den Reventlow, Rumohr, Baudiſſin, Moltke in hei- terer Geſelligkeit zuſammen. Sie Alle ſchwärmten für Goethe, ſie Alle fühlten ſich ſtolz, das deutſche Weſen hier in der äußerſten Nordmark gegen den wachſenden Uebermuth der däniſchen Krone zu vertheidigen, und wenn ſie für conſtitutionelle Rechte ſich begeiſterten, ſo meinten ſie damit nur das Ideal freier Menſchenbildung, das einſt in Weimar verkündet ward, zu verwirklichen.
Aus dieſer kleinen Welt voll Geiſt und Anmuth gingen Dahlmanns Aufſätze „ein Wort über Verfaſſung“ (1815) hervor, in Form und In- halt das genaue Gegentheil der Schriften Rottecks. Der Kieler Gelehrte ſchrieb ebenſo gedankenreich, kurz und markig wie der Freiburger dünn und breit. Wenn dieſer das hiſtoriſche Recht bekämpfte, ſo mahnte Dahl- mann die Deutſchen, ſich das vollſtändige Daſein ihrer Väter zu vergegen- wärtigen, um alſo ſittlich zu geneſen. Wollte Rotteck das Königthum nur vorläufig dulden, ſo bekannte Dahlmann unumwunden ſeine ſtreng mon- archiſche Geſinnung und ſagte zum Entſetzen der Philologen: die Grie- chen und Römer mißkannten den Zeitpunkt, wo es nützlich war zur Mon- archie überzugehen. Nicht in Frankreich, ſondern in England ſuchte er ſein Staatsideal: „hier ſind die Grundlagen der Verfaſſung, zu welcher alle neu-europäiſchen Völker ſtreben, am reinſten ausgebildet und aufbe- wahrt.“ Seit Montequieus Geiſt der Geſetze in Deutſchland Eingang gefunden, hatte es zwar an unbeſtimmten Lobpreiſungen der engliſchen Freiheit nie gefehlt; eben jetzt ließ Rückert die rückkehrende Freiheit ſagen:
O baut mir einen Tempel Nach Albions Exempel!
Doch unter den Publiciſten war Dahlmann der erſte, der mit gründ- licher Sachkenntniß und frei von blinder Nachahmungsſucht das engliſche Parlament als ein Muſter für Deutſchland hinſtellte, wie Vincke kurz zuvor die britiſche Selbſtverwaltung. Männer wie Niebuhr, Schleier- macher und Thibaut ſprachen dem Kieler Hiſtoriker ihre freudige Zuſtim- mung aus; aber erſt nach vielen Jahren fanden ſeine Gedanken in weiteren Kreiſen Anklang. Die Kieler Blätter drangen nicht weit über Schleswig- Holſtein hinaus; denn die Maſſe des Volkes im Norden ging in wirthſchaft- lichen Sorgen unter, und wer in Süddeutſchland für die conſtitutionellen Ideen empfänglich war, hielt ſich lieber an den bequemeren Katechismus des Rotteck’ſchen Vernunftrechts.
Beiden Richtungen des Liberalismus ſtand, durch eines Himmels Weite getrennt, der gefürchtete Reſtaurator der Staatswiſſenſchaft Karl Ludwig v. Haller gegenüber. Der Berner Ariſtokrat hatte die Macht ſeiner Stan- desgenoſſen vor den Gewaltſtreichen der Revolution zuſammenbrechen ſehen und dann in der Verbannung, im öſterreichiſchen Dienſte, ſich das poli- tiſche Syſtem gebildet, das „die Monarchie wieder auf ihrem wahren Grunde
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Dahlmann. Haller.
wiſch, dem geiſtſprühenden Heißſporn, und den Führern des ſchleswig-
holſteiniſchen Adels, den Reventlow, Rumohr, Baudiſſin, Moltke in hei-
terer Geſelligkeit zuſammen. Sie Alle ſchwärmten für Goethe, ſie Alle
fühlten ſich ſtolz, das deutſche Weſen hier in der äußerſten Nordmark gegen
den wachſenden Uebermuth der däniſchen Krone zu vertheidigen, und wenn
ſie für conſtitutionelle Rechte ſich begeiſterten, ſo meinten ſie damit nur
das Ideal freier Menſchenbildung, das einſt in Weimar verkündet ward,
zu verwirklichen.
Aus dieſer kleinen Welt voll Geiſt und Anmuth gingen Dahlmanns
Aufſätze „ein Wort über Verfaſſung“ (1815) hervor, in Form und In-
halt das genaue Gegentheil der Schriften Rottecks. Der Kieler Gelehrte
ſchrieb ebenſo gedankenreich, kurz und markig wie der Freiburger dünn
und breit. Wenn dieſer das hiſtoriſche Recht bekämpfte, ſo mahnte Dahl-
mann die Deutſchen, ſich das vollſtändige Daſein ihrer Väter zu vergegen-
wärtigen, um alſo ſittlich zu geneſen. Wollte Rotteck das Königthum nur
vorläufig dulden, ſo bekannte Dahlmann unumwunden ſeine ſtreng mon-
archiſche Geſinnung und ſagte zum Entſetzen der Philologen: die Grie-
chen und Römer mißkannten den Zeitpunkt, wo es nützlich war zur Mon-
archie überzugehen. Nicht in Frankreich, ſondern in England ſuchte er
ſein Staatsideal: „hier ſind die Grundlagen der Verfaſſung, zu welcher
alle neu-europäiſchen Völker ſtreben, am reinſten ausgebildet und aufbe-
wahrt.“ Seit Montequieus Geiſt der Geſetze in Deutſchland Eingang
gefunden, hatte es zwar an unbeſtimmten Lobpreiſungen der engliſchen
Freiheit nie gefehlt; eben jetzt ließ Rückert die rückkehrende Freiheit ſagen:
O baut mir einen Tempel
Nach Albions Exempel!
Doch unter den Publiciſten war Dahlmann der erſte, der mit gründ-
licher Sachkenntniß und frei von blinder Nachahmungsſucht das engliſche
Parlament als ein Muſter für Deutſchland hinſtellte, wie Vincke kurz
zuvor die britiſche Selbſtverwaltung. Männer wie Niebuhr, Schleier-
macher und Thibaut ſprachen dem Kieler Hiſtoriker ihre freudige Zuſtim-
mung aus; aber erſt nach vielen Jahren fanden ſeine Gedanken in weiteren
Kreiſen Anklang. Die Kieler Blätter drangen nicht weit über Schleswig-
Holſtein hinaus; denn die Maſſe des Volkes im Norden ging in wirthſchaft-
lichen Sorgen unter, und wer in Süddeutſchland für die conſtitutionellen
Ideen empfänglich war, hielt ſich lieber an den bequemeren Katechismus
des Rotteck’ſchen Vernunftrechts.
Beiden Richtungen des Liberalismus ſtand, durch eines Himmels Weite
getrennt, der gefürchtete Reſtaurator der Staatswiſſenſchaft Karl Ludwig
v. Haller gegenüber. Der Berner Ariſtokrat hatte die Macht ſeiner Stan-
desgenoſſen vor den Gewaltſtreichen der Revolution zuſammenbrechen ſehen
und dann in der Verbannung, im öſterreichiſchen Dienſte, ſich das poli-
tiſche Syſtem gebildet, das „die Monarchie wieder auf ihrem wahren Grunde
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/125>, abgerufen am 29.11.2024.
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