Mittlerweile hatte Graf Buol die Abwesenheit seines preußischen Amts- genossen geschickt benutzt und den Samen der k. k. Bundesgesinnung auf dem dankbaren Frankfurter Boden reichlich ausgestreut. Die kleinen Ge- sandten berichteten mit Entzücken, wie herablassend der Oesterreicher auf- trat: nicht einmal ein primus inter pares wollte er heißen, nur ein ser- vus servorum! Noch erfreulicher war die beglückende Gewißheit, daß Oesterreich an eine Umgestaltung und Erweiterung des übereilten Ver- fassungswerkes nicht im Entferntesten dachte. Die Bundesakte ist wie die Bibel, meinte Buol, man darf sie nur auslegen, nie verändern. Der ba- dische Gesandte Berstett, ein behäbiger Herr, der sich aus dem Frankfurter Frohndienste oftmals nach Paris und dem üppigen Tische der Freres Pro- vencaux zurücksehnte, schrieb befriedigt nach Hause: Niemand wagt mehr an dies Meisterwerk zu rühren; die Bundesakte wird als ein Heiligthum betrachtet, namentlich von den kleineren Staaten.*) Mehrere der Mittel- staaten zeigten sich von Haus aus entschlossen, dem Bundestage niemals eine ernsthafte Wirksamkeit zu gestatten. Der König von Württemberg er- klärte jetzt nachträglich seinen Beitritt zum Bunde mit der ausdrücklichen Bemerkung, die letzte Hälfte der Bundesakte scheine für den Zweck des Bundes nicht erforderlich. Aehnliche Gesinnungen hegte der hessische Kur- fürst; ihn vertrat in Frankfurt sein Günstling Buderus von Carlshausen, ein anrüchiger Geizhals, der sich das Vertrauen seines Herrn durch kunst- volle Ausnutzung der Heller-Brüche in den Rechnungen der kurfürstlichen Kriegskasse erworben hatte. Auch von den meisten andern Gesandten konnte Berstett mit Genugthuung melden, sie seien allesammt darin einig, nicht einmal den Schein eines gefährlichen Einflusses zu dulden; wenn Oester- reich und Preußen mit Plänen für das Bundesheerwesen hervorträten, so solle man nur sogleich irgend ein Gegenprojekt aufstellen, denn "dessen Unausführbarkeit muß erst bewiesen werden, bevor man es verwerfen kann".**) Niemand aber verstand die Gedanken des verstockten Particula- rismus so urkräftig auszusprechen wie der nassauische Gesandte Freiherr v. Marschall; der schaltete daheim als allmächtiger Minister mit rhein- bündischer Beamtenwillkür und kam gelegentlich auf seinen Frankfurter Posten herüber um die schwachen Gemüther durch sein despotisches Ge- bahren und plumpes Schelten wider die deutschthümelnden Demagogen aufzurichten.
Die Hintergedanken dieser Höfe verriethen sich sogleich, als man er- fuhr, daß England und Rußland beabsichtigten, ihre bei der Territorial- commission beschäftigten Diplomaten als Gesandte beim Bundestage zu beglaubigen. Alle Welt wußte, daß dieser Bund ohne Haupt keine auswär- tige Politik treiben, höchstens in Nothfällen einmal einen Gesandten in
*) Berstetts Berichte 16., 18. December 1815.
**) Berstetts Bericht 12. November 1816.
II. 4. Die Eröffnung des Deutſchen Bundestages.
Mittlerweile hatte Graf Buol die Abweſenheit ſeines preußiſchen Amts- genoſſen geſchickt benutzt und den Samen der k. k. Bundesgeſinnung auf dem dankbaren Frankfurter Boden reichlich ausgeſtreut. Die kleinen Ge- ſandten berichteten mit Entzücken, wie herablaſſend der Oeſterreicher auf- trat: nicht einmal ein primus inter pares wollte er heißen, nur ein ser- vus servorum! Noch erfreulicher war die beglückende Gewißheit, daß Oeſterreich an eine Umgeſtaltung und Erweiterung des übereilten Ver- faſſungswerkes nicht im Entfernteſten dachte. Die Bundesakte iſt wie die Bibel, meinte Buol, man darf ſie nur auslegen, nie verändern. Der ba- diſche Geſandte Berſtett, ein behäbiger Herr, der ſich aus dem Frankfurter Frohndienſte oftmals nach Paris und dem üppigen Tiſche der Frères Pro- vençaux zurückſehnte, ſchrieb befriedigt nach Hauſe: Niemand wagt mehr an dies Meiſterwerk zu rühren; die Bundesakte wird als ein Heiligthum betrachtet, namentlich von den kleineren Staaten.*) Mehrere der Mittel- ſtaaten zeigten ſich von Haus aus entſchloſſen, dem Bundestage niemals eine ernſthafte Wirkſamkeit zu geſtatten. Der König von Württemberg er- klärte jetzt nachträglich ſeinen Beitritt zum Bunde mit der ausdrücklichen Bemerkung, die letzte Hälfte der Bundesakte ſcheine für den Zweck des Bundes nicht erforderlich. Aehnliche Geſinnungen hegte der heſſiſche Kur- fürſt; ihn vertrat in Frankfurt ſein Günſtling Buderus von Carlshauſen, ein anrüchiger Geizhals, der ſich das Vertrauen ſeines Herrn durch kunſt- volle Ausnutzung der Heller-Brüche in den Rechnungen der kurfürſtlichen Kriegskaſſe erworben hatte. Auch von den meiſten andern Geſandten konnte Berſtett mit Genugthuung melden, ſie ſeien alleſammt darin einig, nicht einmal den Schein eines gefährlichen Einfluſſes zu dulden; wenn Oeſter- reich und Preußen mit Plänen für das Bundesheerweſen hervorträten, ſo ſolle man nur ſogleich irgend ein Gegenprojekt aufſtellen, denn „deſſen Unausführbarkeit muß erſt bewieſen werden, bevor man es verwerfen kann“.**) Niemand aber verſtand die Gedanken des verſtockten Particula- rismus ſo urkräftig auszuſprechen wie der naſſauiſche Geſandte Freiherr v. Marſchall; der ſchaltete daheim als allmächtiger Miniſter mit rhein- bündiſcher Beamtenwillkür und kam gelegentlich auf ſeinen Frankfurter Poſten herüber um die ſchwachen Gemüther durch ſein despotiſches Ge- bahren und plumpes Schelten wider die deutſchthümelnden Demagogen aufzurichten.
Die Hintergedanken dieſer Höfe verriethen ſich ſogleich, als man er- fuhr, daß England und Rußland beabſichtigten, ihre bei der Territorial- commiſſion beſchäftigten Diplomaten als Geſandte beim Bundestage zu beglaubigen. Alle Welt wußte, daß dieſer Bund ohne Haupt keine auswär- tige Politik treiben, höchſtens in Nothfällen einmal einen Geſandten in
*) Berſtetts Berichte 16., 18. December 1815.
**) Berſtetts Bericht 12. November 1816.
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genoſſen geſchickt benutzt und den Samen der k. k. Bundesgeſinnung auf
dem dankbaren Frankfurter Boden reichlich ausgeſtreut. Die kleinen Ge-
ſandten berichteten mit Entzücken, wie herablaſſend der Oeſterreicher auf-
trat: nicht einmal ein primus inter pares wollte er heißen, nur ein ser-
vus servorum! Noch erfreulicher war die beglückende Gewißheit, daß
Oeſterreich an eine Umgeſtaltung und Erweiterung des übereilten Ver-
faſſungswerkes nicht im Entfernteſten dachte. Die Bundesakte iſt wie die
Bibel, meinte Buol, man darf ſie nur auslegen, nie verändern. Der ba-
diſche Geſandte Berſtett, ein behäbiger Herr, der ſich aus dem Frankfurter
Frohndienſte oftmals nach Paris und dem üppigen Tiſche der Frères Pro-
vençaux zurückſehnte, ſchrieb befriedigt nach Hauſe: Niemand wagt mehr
an dies Meiſterwerk zu rühren; die Bundesakte wird als ein Heiligthum
betrachtet, namentlich von den kleineren Staaten. *) Mehrere der Mittel-
ſtaaten zeigten ſich von Haus aus entſchloſſen, dem Bundestage niemals
eine ernſthafte Wirkſamkeit zu geſtatten. Der König von Württemberg er-
klärte jetzt nachträglich ſeinen Beitritt zum Bunde mit der ausdrücklichen
Bemerkung, die letzte Hälfte der Bundesakte ſcheine für den Zweck des
Bundes nicht erforderlich. Aehnliche Geſinnungen hegte der heſſiſche Kur-
fürſt; ihn vertrat in Frankfurt ſein Günſtling Buderus von Carlshauſen,
ein anrüchiger Geizhals, der ſich das Vertrauen ſeines Herrn durch kunſt-
volle Ausnutzung der Heller-Brüche in den Rechnungen der kurfürſtlichen
Kriegskaſſe erworben hatte. Auch von den meiſten andern Geſandten konnte
Berſtett mit Genugthuung melden, ſie ſeien alleſammt darin einig, nicht
einmal den Schein eines gefährlichen Einfluſſes zu dulden; wenn Oeſter-
reich und Preußen mit Plänen für das Bundesheerweſen hervorträten,
ſo ſolle man nur ſogleich irgend ein Gegenprojekt aufſtellen, denn „deſſen
Unausführbarkeit muß erſt bewieſen werden, bevor man es verwerfen
kann“. **) Niemand aber verſtand die Gedanken des verſtockten Particula-
rismus ſo urkräftig auszuſprechen wie der naſſauiſche Geſandte Freiherr
v. Marſchall; der ſchaltete daheim als allmächtiger Miniſter mit rhein-
bündiſcher Beamtenwillkür und kam gelegentlich auf ſeinen Frankfurter
Poſten herüber um die ſchwachen Gemüther durch ſein despotiſches Ge-
bahren und plumpes Schelten wider die deutſchthümelnden Demagogen
aufzurichten.
Die Hintergedanken dieſer Höfe verriethen ſich ſogleich, als man er-
fuhr, daß England und Rußland beabſichtigten, ihre bei der Territorial-
commiſſion beſchäftigten Diplomaten als Geſandte beim Bundestage zu
beglaubigen. Alle Welt wußte, daß dieſer Bund ohne Haupt keine auswär-
tige Politik treiben, höchſtens in Nothfällen einmal einen Geſandten in
*) Berſtetts Berichte 16., 18. December 1815.
**) Berſtetts Bericht 12. November 1816.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/152>, abgerufen am 27.11.2024.
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