Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.Die Particularisten am Bundestage. das Ausland senden konnte; sollte er gleichwohl die regelmäßige Anwesen-heit fremder Diplomaten ertragen? Unterdessen war bereits Graf Rein- hard als französischer Gesandter bei dem noch uneröffneten Bundestage eingetroffen. Der geistreiche Deutsch-Franzose zählte zu jenen seltsamen, aus Idealismus und halb unbewußter Verlogenheit gemischten Charakteren, wie sie das heimathlose Leben der alten deutschen Kleinstaaterei so häufig erzog. Im Grunde des Herzens blieb er immer der gelehrte schwäbische Theolog und folgte mit freudigem Verständniß den kühnen Flügen des deutschen Genius; er glaubte wirklich als ein guter Deutscher zu handeln, da er einst im Dienste Napoleons die Rheinbundsstaaten überwachte, und trug jetzt wieder kein Bedenken, im Namen des Allerchristlichen Königs gegen das siegreiche Deutschland eine Sprache zu führen, die an die Zeiten Ludwigs XIV. erinnerte. In einer an die Bundestagsgesandten ver- theilten Denkschrift fragte er höhnisch: ob der Deutsche Bund etwa auf alle auswärtigen Beziehungen verzichten wolle, wie einst die Türkei oder der Convent unter Robespierre? Welch ein unbilliges Vorrecht für die fremden Mächte Oesterreich, Preußen, England, Niederland, Dänemark, wenn sie am Bundestage vertreten sein sollten und die übrigen Mächte nicht! Ein deutscher Bund ohne regelmäßigen Verkehr mit dem Aus- lande wäre nichts anders als ein neuer Rheinbund, da dann Deutschlands auswärtige Politik allein in Wien und Berlin entschieden werden müßte. "Die Anwesenheit der fremden Gesandten in Frankfurt wird dazu bei- tragen, daß der Bund in dem wahren Geiste der Bundesakte gehandhabt wird." Zuletzt forderte Reinhard seine Zulassung kurzweg als ein Recht; denn sollte man in Frankfurt dereinst beschließen die Bundesakte "durch eine bessere Ordnung der Dinge zu ersetzen", so wären alle europäischen Mächte befugt bei dieser Aenderung der Wiener Verträge mitzuwirken! Der Franzose wußte wohl, was er sich gegen die kleinen deutschen *) Reinhard, memoire sur les legations a Francfort. Hacke, Weisung an Ber-
stett, 6. März 1816. Die Particulariſten am Bundestage. das Ausland ſenden konnte; ſollte er gleichwohl die regelmäßige Anweſen-heit fremder Diplomaten ertragen? Unterdeſſen war bereits Graf Rein- hard als franzöſiſcher Geſandter bei dem noch uneröffneten Bundestage eingetroffen. Der geiſtreiche Deutſch-Franzoſe zählte zu jenen ſeltſamen, aus Idealismus und halb unbewußter Verlogenheit gemiſchten Charakteren, wie ſie das heimathloſe Leben der alten deutſchen Kleinſtaaterei ſo häufig erzog. Im Grunde des Herzens blieb er immer der gelehrte ſchwäbiſche Theolog und folgte mit freudigem Verſtändniß den kühnen Flügen des deutſchen Genius; er glaubte wirklich als ein guter Deutſcher zu handeln, da er einſt im Dienſte Napoleons die Rheinbundsſtaaten überwachte, und trug jetzt wieder kein Bedenken, im Namen des Allerchriſtlichen Königs gegen das ſiegreiche Deutſchland eine Sprache zu führen, die an die Zeiten Ludwigs XIV. erinnerte. In einer an die Bundestagsgeſandten ver- theilten Denkſchrift fragte er höhniſch: ob der Deutſche Bund etwa auf alle auswärtigen Beziehungen verzichten wolle, wie einſt die Türkei oder der Convent unter Robespierre? Welch ein unbilliges Vorrecht für die fremden Mächte Oeſterreich, Preußen, England, Niederland, Dänemark, wenn ſie am Bundestage vertreten ſein ſollten und die übrigen Mächte nicht! Ein deutſcher Bund ohne regelmäßigen Verkehr mit dem Aus- lande wäre nichts anders als ein neuer Rheinbund, da dann Deutſchlands auswärtige Politik allein in Wien und Berlin entſchieden werden müßte. „Die Anweſenheit der fremden Geſandten in Frankfurt wird dazu bei- tragen, daß der Bund in dem wahren Geiſte der Bundesakte gehandhabt wird.“ Zuletzt forderte Reinhard ſeine Zulaſſung kurzweg als ein Recht; denn ſollte man in Frankfurt dereinſt beſchließen die Bundesakte „durch eine beſſere Ordnung der Dinge zu erſetzen“, ſo wären alle europäiſchen Mächte befugt bei dieſer Aenderung der Wiener Verträge mitzuwirken! Der Franzoſe wußte wohl, was er ſich gegen die kleinen deutſchen *) Reinhard, mémoire sur les légations à Francfort. Hacke, Weiſung an Ber-
ſtett, 6. März 1816. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0153" n="139"/><fw place="top" type="header">Die Particulariſten am Bundestage.</fw><lb/> das Ausland ſenden konnte; ſollte er gleichwohl die regelmäßige Anweſen-<lb/> heit fremder Diplomaten ertragen? Unterdeſſen war bereits Graf Rein-<lb/> hard als franzöſiſcher Geſandter bei dem noch uneröffneten Bundestage<lb/> eingetroffen. Der geiſtreiche Deutſch-Franzoſe zählte zu jenen ſeltſamen,<lb/> aus Idealismus und halb unbewußter Verlogenheit gemiſchten Charakteren,<lb/> wie ſie das heimathloſe Leben der alten deutſchen Kleinſtaaterei ſo häufig<lb/> erzog. Im Grunde des Herzens blieb er immer der gelehrte ſchwäbiſche<lb/> Theolog und folgte mit freudigem Verſtändniß den kühnen Flügen des<lb/> deutſchen Genius; er glaubte wirklich als ein guter Deutſcher zu handeln,<lb/> da er einſt im Dienſte Napoleons die Rheinbundsſtaaten überwachte, und<lb/> trug jetzt wieder kein Bedenken, im Namen des Allerchriſtlichen Königs<lb/> gegen das ſiegreiche Deutſchland eine Sprache zu führen, die an die Zeiten<lb/> Ludwigs <hi rendition="#aq">XIV.</hi> erinnerte. In einer an die Bundestagsgeſandten ver-<lb/> theilten Denkſchrift fragte er höhniſch: ob der Deutſche Bund etwa auf<lb/> alle auswärtigen Beziehungen verzichten wolle, wie einſt die Türkei oder<lb/> der Convent unter Robespierre? Welch ein unbilliges Vorrecht für die<lb/> fremden Mächte Oeſterreich, Preußen, England, Niederland, Dänemark,<lb/> wenn ſie am Bundestage vertreten ſein ſollten und die übrigen Mächte<lb/> nicht! Ein deutſcher Bund ohne regelmäßigen Verkehr mit dem Aus-<lb/> lande wäre nichts anders als ein neuer Rheinbund, da dann Deutſchlands<lb/> auswärtige Politik allein in Wien und Berlin entſchieden werden müßte.<lb/> „Die Anweſenheit der fremden Geſandten in Frankfurt wird dazu bei-<lb/> tragen, daß der Bund in dem wahren Geiſte der Bundesakte gehandhabt<lb/> wird.“ Zuletzt forderte Reinhard ſeine Zulaſſung kurzweg als ein Recht;<lb/> denn ſollte man in Frankfurt dereinſt beſchließen die Bundesakte „durch<lb/> eine beſſere Ordnung der Dinge zu erſetzen“, ſo wären alle europäiſchen<lb/> Mächte befugt bei dieſer Aenderung der Wiener Verträge mitzuwirken!</p><lb/> <p>Der Franzoſe wußte wohl, was er ſich gegen die kleinen deutſchen<lb/> Fürſten erlauben durfte; ſie alle fanden die Forderung des Tuilerienhofes<lb/> ſelbſtverſtändlich. Der badiſche Miniſter v. Hacke ſchrieb ſofort an Berſtett:<lb/> die Geſandten von Frankreich, Rußland und England müſſen durchaus<lb/> in Frankfurt bleiben, „da dieſe Mächte immer ein Schutz und eine Stütze<lb/> für die deutſchen Souveräne gegen Oeſterreich und Preußen ſind“.<note place="foot" n="*)">Reinhard, <hi rendition="#aq">mémoire sur les légations à Francfort.</hi> Hacke, Weiſung an Ber-<lb/> ſtett, 6. März 1816.</note> Was<lb/> der badiſche Hof in einer geheimen Inſtruktion verbarg, das ſprach Aretin<lb/> in ſeiner Alemannia offen aus. Auch der Gießener Statiſtiker Crome,<lb/> ein alter Bonapartiſt, der jetzt den Mantel des deutſchen Patrioten um-<lb/> hing, erwies in ſeiner Schrift „Deutſchlands und Europas Staats- und<lb/> Nationalintereſſe“: die Einheit Europas und Deutſchlands erſcheine dann<lb/> erſt geſichert, wenn jede europäiſche Macht von Rechtswegen bei dem deut-<lb/> ſchen Bundestage mitreden könne!</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [139/0153]
Die Particulariſten am Bundestage.
das Ausland ſenden konnte; ſollte er gleichwohl die regelmäßige Anweſen-
heit fremder Diplomaten ertragen? Unterdeſſen war bereits Graf Rein-
hard als franzöſiſcher Geſandter bei dem noch uneröffneten Bundestage
eingetroffen. Der geiſtreiche Deutſch-Franzoſe zählte zu jenen ſeltſamen,
aus Idealismus und halb unbewußter Verlogenheit gemiſchten Charakteren,
wie ſie das heimathloſe Leben der alten deutſchen Kleinſtaaterei ſo häufig
erzog. Im Grunde des Herzens blieb er immer der gelehrte ſchwäbiſche
Theolog und folgte mit freudigem Verſtändniß den kühnen Flügen des
deutſchen Genius; er glaubte wirklich als ein guter Deutſcher zu handeln,
da er einſt im Dienſte Napoleons die Rheinbundsſtaaten überwachte, und
trug jetzt wieder kein Bedenken, im Namen des Allerchriſtlichen Königs
gegen das ſiegreiche Deutſchland eine Sprache zu führen, die an die Zeiten
Ludwigs XIV. erinnerte. In einer an die Bundestagsgeſandten ver-
theilten Denkſchrift fragte er höhniſch: ob der Deutſche Bund etwa auf
alle auswärtigen Beziehungen verzichten wolle, wie einſt die Türkei oder
der Convent unter Robespierre? Welch ein unbilliges Vorrecht für die
fremden Mächte Oeſterreich, Preußen, England, Niederland, Dänemark,
wenn ſie am Bundestage vertreten ſein ſollten und die übrigen Mächte
nicht! Ein deutſcher Bund ohne regelmäßigen Verkehr mit dem Aus-
lande wäre nichts anders als ein neuer Rheinbund, da dann Deutſchlands
auswärtige Politik allein in Wien und Berlin entſchieden werden müßte.
„Die Anweſenheit der fremden Geſandten in Frankfurt wird dazu bei-
tragen, daß der Bund in dem wahren Geiſte der Bundesakte gehandhabt
wird.“ Zuletzt forderte Reinhard ſeine Zulaſſung kurzweg als ein Recht;
denn ſollte man in Frankfurt dereinſt beſchließen die Bundesakte „durch
eine beſſere Ordnung der Dinge zu erſetzen“, ſo wären alle europäiſchen
Mächte befugt bei dieſer Aenderung der Wiener Verträge mitzuwirken!
Der Franzoſe wußte wohl, was er ſich gegen die kleinen deutſchen
Fürſten erlauben durfte; ſie alle fanden die Forderung des Tuilerienhofes
ſelbſtverſtändlich. Der badiſche Miniſter v. Hacke ſchrieb ſofort an Berſtett:
die Geſandten von Frankreich, Rußland und England müſſen durchaus
in Frankfurt bleiben, „da dieſe Mächte immer ein Schutz und eine Stütze
für die deutſchen Souveräne gegen Oeſterreich und Preußen ſind“. *) Was
der badiſche Hof in einer geheimen Inſtruktion verbarg, das ſprach Aretin
in ſeiner Alemannia offen aus. Auch der Gießener Statiſtiker Crome,
ein alter Bonapartiſt, der jetzt den Mantel des deutſchen Patrioten um-
hing, erwies in ſeiner Schrift „Deutſchlands und Europas Staats- und
Nationalintereſſe“: die Einheit Europas und Deutſchlands erſcheine dann
erſt geſichert, wenn jede europäiſche Macht von Rechtswegen bei dem deut-
ſchen Bundestage mitreden könne!
*) Reinhard, mémoire sur les légations à Francfort. Hacke, Weiſung an Ber-
ſtett, 6. März 1816.
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