Nur der Berliner Hof trat den Ansprüchen des Auslandes entschieden entgegen und stellte jetzt schon eine, leider keineswegs unanfechtbare, Rechts- ansicht auf, welcher Preußen seitdem immer treu geblieben ist: die Be- hauptung nämlich, daß die europäischen Mächte, als sie die ersten Artikel der Bundesakte in die Wiener Schlußakte aufnahmen, zwar den Bestand des Deutschen Bundes anerkannt, doch mit nichten eine Bürgschaft für seine Verfassung übernommen hätten. Schon im Februar erinnerte eine preußische Denkschrift an die trostlosen letzten Regensburger Erfahrungen: der Deutsche Bund sei nun einmal nur ein Staatenbund ohne wirkliche Cen- tralgewalt; "das Leben dieses Bundes als solchen muß gegen das Ausland in dem Begriff von Ruhe liegen." Dem Wiener Hofe stellte Hardenberg dringend vor: stehende auswärtige Gesandtschaften könnten bei einer solchen Bundesversammlung nur gefährliche Einmischungsversuche hervorrufen.*) Aber Czar Alexander stand auf Frankreichs Seite und ließ, um die Be- sorgnisse des preußischen Hofes zu beschwichtigen, die ostensible Weisung, welche dem Gesandten Anstett nach Frankfurt geschickt wurde, in Berlin vorlegen. Sie lautete kindlich unschuldig: "Als Minister des Kaisers haben Sie keine Meinung über die inneren Angelegenheiten des Deutschen Bun- des. Es ist nützlich, es ist nothwendig, daß Sie auch persönlich keine Mei- nung darüber haben. Der Kaiser wünscht es."**) Damit war die voll- kommene Harmlosigkeit der auswärtigen Gesandtschaften für die Patrioten des Bundestags erwiesen. Es ließ sich jetzt schon vorhersehen, daß Preu- ßens Widerspruch erfolglos bleiben und der Bundestag auch in der aus- wärtigen Politik der würdige Erbe des Regensburger Reichstages werden sollte: selber unvertreten im Auslande und dem geheimen Ränkespiele der fremden Mächte wehrlos ausgesetzt.
Neben jenen Vertretern des ungeschminkten Particularismus hatte sich auch eine lange Reihe wohlmeinender, patriotischer Staatsmänner aus den kleinen Staaten eingefunden: so die Hanseaten Smidt und Hach, der Mecklenburger Plessen, der schon von Wien her als ein sachkundiger und redlicher Geschäftsmann bekannt war, der Holsteiner Eyben und, nicht zu- letzt, der unvermeidliche Gagern. Wie glückselig fühlte sich der Rastlose in diesen ersten Monaten, da noch keine Geschäfte vorlagen und Jeder noch nach Belieben dem ungeborenen Bundestage den Weg zur Hölle mit guten Vorsätzen pflastern konnte! Mit gewohnter Selbstgefälligkeit legte er, ungeschreckt durch die kühlen Erwiderungen, den Wiener und den Ber- liner Staatsmännern die endlose Liste seiner Wünsche vor. "Pest, Skla- verei, Judenthum, Fanatismus, Handelssperre, Colonisation, Literatur, Künste und Handwerke, Lob unserer großen Männer" -- alle diese und
*) Hardenberg, Denkschrift über die fremden Gesandtschaften, Februar 1816. Wei- sung an Krusemark 11. Mai 1816.
**) Ministerialschreiben an Anstett, Petersburg 9. August 1816.
II. 4. Die Eröffnung des Deutſchen Bundestages.
Nur der Berliner Hof trat den Anſprüchen des Auslandes entſchieden entgegen und ſtellte jetzt ſchon eine, leider keineswegs unanfechtbare, Rechts- anſicht auf, welcher Preußen ſeitdem immer treu geblieben iſt: die Be- hauptung nämlich, daß die europäiſchen Mächte, als ſie die erſten Artikel der Bundesakte in die Wiener Schlußakte aufnahmen, zwar den Beſtand des Deutſchen Bundes anerkannt, doch mit nichten eine Bürgſchaft für ſeine Verfaſſung übernommen hätten. Schon im Februar erinnerte eine preußiſche Denkſchrift an die troſtloſen letzten Regensburger Erfahrungen: der Deutſche Bund ſei nun einmal nur ein Staatenbund ohne wirkliche Cen- tralgewalt; „das Leben dieſes Bundes als ſolchen muß gegen das Ausland in dem Begriff von Ruhe liegen.“ Dem Wiener Hofe ſtellte Hardenberg dringend vor: ſtehende auswärtige Geſandtſchaften könnten bei einer ſolchen Bundesverſammlung nur gefährliche Einmiſchungsverſuche hervorrufen.*) Aber Czar Alexander ſtand auf Frankreichs Seite und ließ, um die Be- ſorgniſſe des preußiſchen Hofes zu beſchwichtigen, die oſtenſible Weiſung, welche dem Geſandten Anſtett nach Frankfurt geſchickt wurde, in Berlin vorlegen. Sie lautete kindlich unſchuldig: „Als Miniſter des Kaiſers haben Sie keine Meinung über die inneren Angelegenheiten des Deutſchen Bun- des. Es iſt nützlich, es iſt nothwendig, daß Sie auch perſönlich keine Mei- nung darüber haben. Der Kaiſer wünſcht es.“**) Damit war die voll- kommene Harmloſigkeit der auswärtigen Geſandtſchaften für die Patrioten des Bundestags erwieſen. Es ließ ſich jetzt ſchon vorherſehen, daß Preu- ßens Widerſpruch erfolglos bleiben und der Bundestag auch in der aus- wärtigen Politik der würdige Erbe des Regensburger Reichstages werden ſollte: ſelber unvertreten im Auslande und dem geheimen Ränkeſpiele der fremden Mächte wehrlos ausgeſetzt.
Neben jenen Vertretern des ungeſchminkten Particularismus hatte ſich auch eine lange Reihe wohlmeinender, patriotiſcher Staatsmänner aus den kleinen Staaten eingefunden: ſo die Hanſeaten Smidt und Hach, der Mecklenburger Pleſſen, der ſchon von Wien her als ein ſachkundiger und redlicher Geſchäftsmann bekannt war, der Holſteiner Eyben und, nicht zu- letzt, der unvermeidliche Gagern. Wie glückſelig fühlte ſich der Raſtloſe in dieſen erſten Monaten, da noch keine Geſchäfte vorlagen und Jeder noch nach Belieben dem ungeborenen Bundestage den Weg zur Hölle mit guten Vorſätzen pflaſtern konnte! Mit gewohnter Selbſtgefälligkeit legte er, ungeſchreckt durch die kühlen Erwiderungen, den Wiener und den Ber- liner Staatsmännern die endloſe Liſte ſeiner Wünſche vor. „Peſt, Skla- verei, Judenthum, Fanatismus, Handelsſperre, Coloniſation, Literatur, Künſte und Handwerke, Lob unſerer großen Männer“ — alle dieſe und
*) Hardenberg, Denkſchrift über die fremden Geſandtſchaften, Februar 1816. Wei- ſung an Kruſemark 11. Mai 1816.
**) Miniſterialſchreiben an Anſtett, Petersburg 9. Auguſt 1816.
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II. 4. Die Eröffnung des Deutſchen Bundestages.
Nur der Berliner Hof trat den Anſprüchen des Auslandes entſchieden
entgegen und ſtellte jetzt ſchon eine, leider keineswegs unanfechtbare, Rechts-
anſicht auf, welcher Preußen ſeitdem immer treu geblieben iſt: die Be-
hauptung nämlich, daß die europäiſchen Mächte, als ſie die erſten Artikel
der Bundesakte in die Wiener Schlußakte aufnahmen, zwar den Beſtand
des Deutſchen Bundes anerkannt, doch mit nichten eine Bürgſchaft für
ſeine Verfaſſung übernommen hätten. Schon im Februar erinnerte eine
preußiſche Denkſchrift an die troſtloſen letzten Regensburger Erfahrungen: der
Deutſche Bund ſei nun einmal nur ein Staatenbund ohne wirkliche Cen-
tralgewalt; „das Leben dieſes Bundes als ſolchen muß gegen das Ausland
in dem Begriff von Ruhe liegen.“ Dem Wiener Hofe ſtellte Hardenberg
dringend vor: ſtehende auswärtige Geſandtſchaften könnten bei einer ſolchen
Bundesverſammlung nur gefährliche Einmiſchungsverſuche hervorrufen. *)
Aber Czar Alexander ſtand auf Frankreichs Seite und ließ, um die Be-
ſorgniſſe des preußiſchen Hofes zu beſchwichtigen, die oſtenſible Weiſung,
welche dem Geſandten Anſtett nach Frankfurt geſchickt wurde, in Berlin
vorlegen. Sie lautete kindlich unſchuldig: „Als Miniſter des Kaiſers haben
Sie keine Meinung über die inneren Angelegenheiten des Deutſchen Bun-
des. Es iſt nützlich, es iſt nothwendig, daß Sie auch perſönlich keine Mei-
nung darüber haben. Der Kaiſer wünſcht es.“ **) Damit war die voll-
kommene Harmloſigkeit der auswärtigen Geſandtſchaften für die Patrioten
des Bundestags erwieſen. Es ließ ſich jetzt ſchon vorherſehen, daß Preu-
ßens Widerſpruch erfolglos bleiben und der Bundestag auch in der aus-
wärtigen Politik der würdige Erbe des Regensburger Reichstages werden
ſollte: ſelber unvertreten im Auslande und dem geheimen Ränkeſpiele der
fremden Mächte wehrlos ausgeſetzt.
Neben jenen Vertretern des ungeſchminkten Particularismus hatte ſich
auch eine lange Reihe wohlmeinender, patriotiſcher Staatsmänner aus den
kleinen Staaten eingefunden: ſo die Hanſeaten Smidt und Hach, der
Mecklenburger Pleſſen, der ſchon von Wien her als ein ſachkundiger und
redlicher Geſchäftsmann bekannt war, der Holſteiner Eyben und, nicht zu-
letzt, der unvermeidliche Gagern. Wie glückſelig fühlte ſich der Raſtloſe
in dieſen erſten Monaten, da noch keine Geſchäfte vorlagen und Jeder
noch nach Belieben dem ungeborenen Bundestage den Weg zur Hölle mit
guten Vorſätzen pflaſtern konnte! Mit gewohnter Selbſtgefälligkeit legte er,
ungeſchreckt durch die kühlen Erwiderungen, den Wiener und den Ber-
liner Staatsmännern die endloſe Liſte ſeiner Wünſche vor. „Peſt, Skla-
verei, Judenthum, Fanatismus, Handelsſperre, Coloniſation, Literatur,
Künſte und Handwerke, Lob unſerer großen Männer“ — alle dieſe und
*) Hardenberg, Denkſchrift über die fremden Geſandtſchaften, Februar 1816. Wei-
ſung an Kruſemark 11. Mai 1816.
**) Miniſterialſchreiben an Anſtett, Petersburg 9. Auguſt 1816.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/154>, abgerufen am 27.11.2024.
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