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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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Hänleins Sturz.
legenheit durch schneidende Sarkasmen und abweisende Kälte empfinden.
Die meisten standen vor ihm mit ähnlichen Gefühlen wie der Hund vor
einem Glase Wein. Man wußte, daß Humboldt das Ministerium des
Auswärtigen zu übernehmen hoffte, aber bei Hardenbergs unversöhnlichem
Mißtrauen seinen Wunsch nicht durchsetzen konnte. Natürlich, daß die rein
persönliche Gegnerschaft der beiden Staatsmänner sofort als politische Feind-
schaft gedeutet und Humboldt als der geheime Führer der preußischen Um-
sturzpartei verrufen wurde. Keine radikale Tollheit, die man ihm nicht
zutraute. Die Diplomaten in Wessenbergs Hause wußten ganz sicher,
daß Preußen einen Krieg auf Leben und Tod gegen die Mittelstaaten
vorbereitete; schon habe Humboldt einen Verfassungsplan "von beispiel-
loser Liberalität" ausgearbeitet; sobald Blücher nach Berlin zurückkomme,
wolle "diese exaltirte Armee" dem Könige eine Bittschrift überreichen und
fordern, daß das Heer, wie einst Cromwells Dragoner, durch Armeede-
putirte in dem preußischen Reichstage vertreten werde.*) Mit Begierde
verschlangen die Bundesgesandten einen Brief, welchen der liberale würt-
tembergische Minister Wangenheim zur Empfehlung seines Verfassungsent-
wurfs an seinen König gerichtet und sofort veröffentlicht hatte. Darin ward
Preußen als ein durch Geheimbünde völlig zerrütteter Staat geschildert und
dann dem Stuttgarter Despoten die Lockung vorgehalten: wenn in Preußen
eine Revolution ausbräche und zugleich im Süden ein deutscher Staat mit
einer freien Verfassung bestände, so wäre ein Umschwung der Dinge mög-
lich, wie ihn die kühnste Phantasie kaum ersinnen könnte!

So war die Stimmung am Bundestage, als Hänlein mit seinen
vertraulichen Aufträgen zurückkehrte. Graf Buol besaß ein unfehlbares
Mittel um die preußischen Vorschläge sofort zu beseitigen; er brauchte sie
nur den kleinen Genossen mitzutheilen und er stand nicht an diese Waffe
zu gebrauchen. Der zärtliche Freund, der im Winter der ersten Anfrage
so freundlich entgegengekommen war, nahm jetzt, wie Hänlein klagte, die
neue Eröffnung sehr tragisch auf (30. Juni); er hielt sich verpflichtet so-
gleich mit den andern Gesandten Rücksprache zu nehmen und zwang da-
durch den Preußen, auch seinerseits das Geheimniß zu brechen. Der Er-
folg war augenblicklich und vollkommen. Ein Aufschrei der Entrüstung
ging durch den gesammten Bundestag. Wie, dieser revolutionäre Staat
unterstand sich, die kaum erst abgeschlossene Bundesakte, die Bibel Buols,
anzutasten und forderte sogar den Oberbefehl über die Kriegsmacht einiger
Souveräne! Jedermann überhäufte den ungeschicktesten aller preußischen
Diplomaten mit Vorwürfen; selbst der ruhige Plessen sagte ihm in's Ge-
sicht: "der Bund kann auch ohne Preußen bestehen." Der Staatskanzler
war auf das Peinlichste überrascht, als er in Karlsbad von diesen Frank-
furter Auftritten hörte und gleichzeitig unmittelbar aus Wien erfuhr, daß

*) Berstetts Berichte 16. December 1815, 6. März 1816.

Hänleins Sturz.
legenheit durch ſchneidende Sarkasmen und abweiſende Kälte empfinden.
Die meiſten ſtanden vor ihm mit ähnlichen Gefühlen wie der Hund vor
einem Glaſe Wein. Man wußte, daß Humboldt das Miniſterium des
Auswärtigen zu übernehmen hoffte, aber bei Hardenbergs unverſöhnlichem
Mißtrauen ſeinen Wunſch nicht durchſetzen konnte. Natürlich, daß die rein
perſönliche Gegnerſchaft der beiden Staatsmänner ſofort als politiſche Feind-
ſchaft gedeutet und Humboldt als der geheime Führer der preußiſchen Um-
ſturzpartei verrufen wurde. Keine radikale Tollheit, die man ihm nicht
zutraute. Die Diplomaten in Weſſenbergs Hauſe wußten ganz ſicher,
daß Preußen einen Krieg auf Leben und Tod gegen die Mittelſtaaten
vorbereitete; ſchon habe Humboldt einen Verfaſſungsplan „von beiſpiel-
loſer Liberalität“ ausgearbeitet; ſobald Blücher nach Berlin zurückkomme,
wolle „dieſe exaltirte Armee“ dem Könige eine Bittſchrift überreichen und
fordern, daß das Heer, wie einſt Cromwells Dragoner, durch Armeede-
putirte in dem preußiſchen Reichstage vertreten werde.*) Mit Begierde
verſchlangen die Bundesgeſandten einen Brief, welchen der liberale würt-
tembergiſche Miniſter Wangenheim zur Empfehlung ſeines Verfaſſungsent-
wurfs an ſeinen König gerichtet und ſofort veröffentlicht hatte. Darin ward
Preußen als ein durch Geheimbünde völlig zerrütteter Staat geſchildert und
dann dem Stuttgarter Despoten die Lockung vorgehalten: wenn in Preußen
eine Revolution ausbräche und zugleich im Süden ein deutſcher Staat mit
einer freien Verfaſſung beſtände, ſo wäre ein Umſchwung der Dinge mög-
lich, wie ihn die kühnſte Phantaſie kaum erſinnen könnte!

So war die Stimmung am Bundestage, als Hänlein mit ſeinen
vertraulichen Aufträgen zurückkehrte. Graf Buol beſaß ein unfehlbares
Mittel um die preußiſchen Vorſchläge ſofort zu beſeitigen; er brauchte ſie
nur den kleinen Genoſſen mitzutheilen und er ſtand nicht an dieſe Waffe
zu gebrauchen. Der zärtliche Freund, der im Winter der erſten Anfrage
ſo freundlich entgegengekommen war, nahm jetzt, wie Hänlein klagte, die
neue Eröffnung ſehr tragiſch auf (30. Juni); er hielt ſich verpflichtet ſo-
gleich mit den andern Geſandten Rückſprache zu nehmen und zwang da-
durch den Preußen, auch ſeinerſeits das Geheimniß zu brechen. Der Er-
folg war augenblicklich und vollkommen. Ein Aufſchrei der Entrüſtung
ging durch den geſammten Bundestag. Wie, dieſer revolutionäre Staat
unterſtand ſich, die kaum erſt abgeſchloſſene Bundesakte, die Bibel Buols,
anzutaſten und forderte ſogar den Oberbefehl über die Kriegsmacht einiger
Souveräne! Jedermann überhäufte den ungeſchickteſten aller preußiſchen
Diplomaten mit Vorwürfen; ſelbſt der ruhige Pleſſen ſagte ihm in’s Ge-
ſicht: „der Bund kann auch ohne Preußen beſtehen.“ Der Staatskanzler
war auf das Peinlichſte überraſcht, als er in Karlsbad von dieſen Frank-
furter Auftritten hörte und gleichzeitig unmittelbar aus Wien erfuhr, daß

*) Berſtetts Berichte 16. December 1815, 6. März 1816.
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[143/0157] Hänleins Sturz. legenheit durch ſchneidende Sarkasmen und abweiſende Kälte empfinden. Die meiſten ſtanden vor ihm mit ähnlichen Gefühlen wie der Hund vor einem Glaſe Wein. Man wußte, daß Humboldt das Miniſterium des Auswärtigen zu übernehmen hoffte, aber bei Hardenbergs unverſöhnlichem Mißtrauen ſeinen Wunſch nicht durchſetzen konnte. Natürlich, daß die rein perſönliche Gegnerſchaft der beiden Staatsmänner ſofort als politiſche Feind- ſchaft gedeutet und Humboldt als der geheime Führer der preußiſchen Um- ſturzpartei verrufen wurde. Keine radikale Tollheit, die man ihm nicht zutraute. Die Diplomaten in Weſſenbergs Hauſe wußten ganz ſicher, daß Preußen einen Krieg auf Leben und Tod gegen die Mittelſtaaten vorbereitete; ſchon habe Humboldt einen Verfaſſungsplan „von beiſpiel- loſer Liberalität“ ausgearbeitet; ſobald Blücher nach Berlin zurückkomme, wolle „dieſe exaltirte Armee“ dem Könige eine Bittſchrift überreichen und fordern, daß das Heer, wie einſt Cromwells Dragoner, durch Armeede- putirte in dem preußiſchen Reichstage vertreten werde. *) Mit Begierde verſchlangen die Bundesgeſandten einen Brief, welchen der liberale würt- tembergiſche Miniſter Wangenheim zur Empfehlung ſeines Verfaſſungsent- wurfs an ſeinen König gerichtet und ſofort veröffentlicht hatte. Darin ward Preußen als ein durch Geheimbünde völlig zerrütteter Staat geſchildert und dann dem Stuttgarter Despoten die Lockung vorgehalten: wenn in Preußen eine Revolution ausbräche und zugleich im Süden ein deutſcher Staat mit einer freien Verfaſſung beſtände, ſo wäre ein Umſchwung der Dinge mög- lich, wie ihn die kühnſte Phantaſie kaum erſinnen könnte! So war die Stimmung am Bundestage, als Hänlein mit ſeinen vertraulichen Aufträgen zurückkehrte. Graf Buol beſaß ein unfehlbares Mittel um die preußiſchen Vorſchläge ſofort zu beſeitigen; er brauchte ſie nur den kleinen Genoſſen mitzutheilen und er ſtand nicht an dieſe Waffe zu gebrauchen. Der zärtliche Freund, der im Winter der erſten Anfrage ſo freundlich entgegengekommen war, nahm jetzt, wie Hänlein klagte, die neue Eröffnung ſehr tragiſch auf (30. Juni); er hielt ſich verpflichtet ſo- gleich mit den andern Geſandten Rückſprache zu nehmen und zwang da- durch den Preußen, auch ſeinerſeits das Geheimniß zu brechen. Der Er- folg war augenblicklich und vollkommen. Ein Aufſchrei der Entrüſtung ging durch den geſammten Bundestag. Wie, dieſer revolutionäre Staat unterſtand ſich, die kaum erſt abgeſchloſſene Bundesakte, die Bibel Buols, anzutaſten und forderte ſogar den Oberbefehl über die Kriegsmacht einiger Souveräne! Jedermann überhäufte den ungeſchickteſten aller preußiſchen Diplomaten mit Vorwürfen; ſelbſt der ruhige Pleſſen ſagte ihm in’s Ge- ſicht: „der Bund kann auch ohne Preußen beſtehen.“ Der Staatskanzler war auf das Peinlichſte überraſcht, als er in Karlsbad von dieſen Frank- furter Auftritten hörte und gleichzeitig unmittelbar aus Wien erfuhr, daß *) Berſtetts Berichte 16. December 1815, 6. März 1816.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/157>, abgerufen am 26.11.2024.