und Braunschweig wurden die westphälischen Gesetze allesammt für nichtig erklärt, nur die wohlerworbenen Rechte der Unterthanen behandelte man mit Schonung.
Um so dreister griff der hessische Kurfürst zu. Alles und Jedes in seinem Lande sollte auf den Stand vom Herbste 1806 zurückgebracht werden, und der geizige Herr verfuhr bei diesem ungeheuerlichen Unternehmen nicht, wie gleichzeitig der König von Sardinien, mit der naiven Ehrlichkeit des legitimistischen Fanatikers, sondern mit offenbarer Gaunerei. Was sein "Verwalter Jerome" für die Kronkasse erworben hatte, ward als recht- mäßige Kriegsbeute behalten, was er veräußert als Raub zurückgefordert; die Handwerker, die dem lustigen Napoleoniden seine Gemächer ausge- schmückt, empfingen keine Bezahlung, aber die gelieferten Möbel verblieben den kurfürstlichen Schlössern. Selbst in den Zeiten der polnischen Auguste hatte das geduldige Deutschland so freche Willkür kaum gesehen. Am Schwersten litten die Käufer der zahlreichen durch König Jerome ver- äußerten Domänen; sie wurden aus ihrem Eigenthum vertrieben und be- stürmten den Bund mit Klagen. Als diese Beschwerden in Frankfurt zur Verhandlung kamen, stimmte der kurhessische Gesandte wieder den gewohnten Ton an und warf mit "frechsten Lügen" um sich. Martens, der Ver- treter Braunschweigs, hatte die Stirn, dem treuen Volke dieser welfisch- hessischen Lande, das so unsäglich viel für seine angestammten Fürsten ge- opfert und gelitten hatte, drohend zuzurufen: man müsse durch Aufstel- lung streng legitimistischer Grundsätze "zum Voraus den deutschen Unter- thanen die Lust benehmen, dem eindringenden Feinde behilflich zu sein!" Die Mehrheit des Bundestages, gewitzigt durch die bitteren Erfahrungen in der Hofmann'schen Sache, begnügte sich diesmal, die Klagenden dem Wohlwollen des Kurfürsten zu empfehlen (17. Juli 1817). Damit ward die Entscheidung der unsauberen Händel nur vertagt; denn alsbald mel- deten sich andere Opfer der kurfürstlichen Tyrannei. --
Derweil der Bundestag also seine Zeit verdarb, bemühte sich Harden- berg redlich, den einzigen politisch bedeutsamen Artikel der Bundesakte, der bei gutem Willen noch der Verwirklichung fähig schien, auszuführen: jenen Art. 11, welcher den Bundesstaaten gemeinsamen Schutz gegen feindlichen Angriff versprach. Die Hoffnungen Preußens für das deutsche Bundes- heerwesen blieben vom Wiener Congresse bis zur Auflösung des Bundes immer die gleichen: der Berliner Hof wünschte die Zweitheilung des Bun- desheeres, und nur wenn sich der Widerstand der deutschen Höfe nicht anders besiegen ließ war er bereit den Mittelstaaten die Bildung selb- ständiger Armeecorps zuzugestehen. Ungeschreckt durch Hänleins Erfahrun- gen begann der Staatskanzler sogleich mit dem Wiener Hofe vertraulich zu unterhandeln, obgleich er doch aus den Instruktionen des Präsidialge- sandten wissen mußte, daß die Hofburg keineswegs geneigt war, durch Son- derverhandlungen das Wohlwollen der kleinen Souveräne zu verscherzen.
Die weſtphäliſchen Domänenkäufer.
und Braunſchweig wurden die weſtphäliſchen Geſetze alleſammt für nichtig erklärt, nur die wohlerworbenen Rechte der Unterthanen behandelte man mit Schonung.
Um ſo dreiſter griff der heſſiſche Kurfürſt zu. Alles und Jedes in ſeinem Lande ſollte auf den Stand vom Herbſte 1806 zurückgebracht werden, und der geizige Herr verfuhr bei dieſem ungeheuerlichen Unternehmen nicht, wie gleichzeitig der König von Sardinien, mit der naiven Ehrlichkeit des legitimiſtiſchen Fanatikers, ſondern mit offenbarer Gaunerei. Was ſein „Verwalter Jerome“ für die Kronkaſſe erworben hatte, ward als recht- mäßige Kriegsbeute behalten, was er veräußert als Raub zurückgefordert; die Handwerker, die dem luſtigen Napoleoniden ſeine Gemächer ausge- ſchmückt, empfingen keine Bezahlung, aber die gelieferten Möbel verblieben den kurfürſtlichen Schlöſſern. Selbſt in den Zeiten der polniſchen Auguſte hatte das geduldige Deutſchland ſo freche Willkür kaum geſehen. Am Schwerſten litten die Käufer der zahlreichen durch König Jerome ver- äußerten Domänen; ſie wurden aus ihrem Eigenthum vertrieben und be- ſtürmten den Bund mit Klagen. Als dieſe Beſchwerden in Frankfurt zur Verhandlung kamen, ſtimmte der kurheſſiſche Geſandte wieder den gewohnten Ton an und warf mit „frechſten Lügen“ um ſich. Martens, der Ver- treter Braunſchweigs, hatte die Stirn, dem treuen Volke dieſer welfiſch- heſſiſchen Lande, das ſo unſäglich viel für ſeine angeſtammten Fürſten ge- opfert und gelitten hatte, drohend zuzurufen: man müſſe durch Aufſtel- lung ſtreng legitimiſtiſcher Grundſätze „zum Voraus den deutſchen Unter- thanen die Luſt benehmen, dem eindringenden Feinde behilflich zu ſein!“ Die Mehrheit des Bundestages, gewitzigt durch die bitteren Erfahrungen in der Hofmann’ſchen Sache, begnügte ſich diesmal, die Klagenden dem Wohlwollen des Kurfürſten zu empfehlen (17. Juli 1817). Damit ward die Entſcheidung der unſauberen Händel nur vertagt; denn alsbald mel- deten ſich andere Opfer der kurfürſtlichen Tyrannei. —
Derweil der Bundestag alſo ſeine Zeit verdarb, bemühte ſich Harden- berg redlich, den einzigen politiſch bedeutſamen Artikel der Bundesakte, der bei gutem Willen noch der Verwirklichung fähig ſchien, auszuführen: jenen Art. 11, welcher den Bundesſtaaten gemeinſamen Schutz gegen feindlichen Angriff verſprach. Die Hoffnungen Preußens für das deutſche Bundes- heerweſen blieben vom Wiener Congreſſe bis zur Auflöſung des Bundes immer die gleichen: der Berliner Hof wünſchte die Zweitheilung des Bun- desheeres, und nur wenn ſich der Widerſtand der deutſchen Höfe nicht anders beſiegen ließ war er bereit den Mittelſtaaten die Bildung ſelb- ſtändiger Armeecorps zuzugeſtehen. Ungeſchreckt durch Hänleins Erfahrun- gen begann der Staatskanzler ſogleich mit dem Wiener Hofe vertraulich zu unterhandeln, obgleich er doch aus den Inſtruktionen des Präſidialge- ſandten wiſſen mußte, daß die Hofburg keineswegs geneigt war, durch Son- derverhandlungen das Wohlwollen der kleinen Souveräne zu verſcherzen.
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Die weſtphäliſchen Domänenkäufer.
und Braunſchweig wurden die weſtphäliſchen Geſetze alleſammt für nichtig
erklärt, nur die wohlerworbenen Rechte der Unterthanen behandelte man
mit Schonung.
Um ſo dreiſter griff der heſſiſche Kurfürſt zu. Alles und Jedes in
ſeinem Lande ſollte auf den Stand vom Herbſte 1806 zurückgebracht werden,
und der geizige Herr verfuhr bei dieſem ungeheuerlichen Unternehmen nicht,
wie gleichzeitig der König von Sardinien, mit der naiven Ehrlichkeit des
legitimiſtiſchen Fanatikers, ſondern mit offenbarer Gaunerei. Was ſein
„Verwalter Jerome“ für die Kronkaſſe erworben hatte, ward als recht-
mäßige Kriegsbeute behalten, was er veräußert als Raub zurückgefordert;
die Handwerker, die dem luſtigen Napoleoniden ſeine Gemächer ausge-
ſchmückt, empfingen keine Bezahlung, aber die gelieferten Möbel verblieben
den kurfürſtlichen Schlöſſern. Selbſt in den Zeiten der polniſchen Auguſte
hatte das geduldige Deutſchland ſo freche Willkür kaum geſehen. Am
Schwerſten litten die Käufer der zahlreichen durch König Jerome ver-
äußerten Domänen; ſie wurden aus ihrem Eigenthum vertrieben und be-
ſtürmten den Bund mit Klagen. Als dieſe Beſchwerden in Frankfurt zur
Verhandlung kamen, ſtimmte der kurheſſiſche Geſandte wieder den gewohnten
Ton an und warf mit „frechſten Lügen“ um ſich. Martens, der Ver-
treter Braunſchweigs, hatte die Stirn, dem treuen Volke dieſer welfiſch-
heſſiſchen Lande, das ſo unſäglich viel für ſeine angeſtammten Fürſten ge-
opfert und gelitten hatte, drohend zuzurufen: man müſſe durch Aufſtel-
lung ſtreng legitimiſtiſcher Grundſätze „zum Voraus den deutſchen Unter-
thanen die Luſt benehmen, dem eindringenden Feinde behilflich zu ſein!“
Die Mehrheit des Bundestages, gewitzigt durch die bitteren Erfahrungen
in der Hofmann’ſchen Sache, begnügte ſich diesmal, die Klagenden dem
Wohlwollen des Kurfürſten zu empfehlen (17. Juli 1817). Damit ward
die Entſcheidung der unſauberen Händel nur vertagt; denn alsbald mel-
deten ſich andere Opfer der kurfürſtlichen Tyrannei. —
Derweil der Bundestag alſo ſeine Zeit verdarb, bemühte ſich Harden-
berg redlich, den einzigen politiſch bedeutſamen Artikel der Bundesakte, der
bei gutem Willen noch der Verwirklichung fähig ſchien, auszuführen: jenen
Art. 11, welcher den Bundesſtaaten gemeinſamen Schutz gegen feindlichen
Angriff verſprach. Die Hoffnungen Preußens für das deutſche Bundes-
heerweſen blieben vom Wiener Congreſſe bis zur Auflöſung des Bundes
immer die gleichen: der Berliner Hof wünſchte die Zweitheilung des Bun-
desheeres, und nur wenn ſich der Widerſtand der deutſchen Höfe nicht
anders beſiegen ließ war er bereit den Mittelſtaaten die Bildung ſelb-
ſtändiger Armeecorps zuzugeſtehen. Ungeſchreckt durch Hänleins Erfahrun-
gen begann der Staatskanzler ſogleich mit dem Wiener Hofe vertraulich zu
unterhandeln, obgleich er doch aus den Inſtruktionen des Präſidialge-
ſandten wiſſen mußte, daß die Hofburg keineswegs geneigt war, durch Son-
derverhandlungen das Wohlwollen der kleinen Souveräne zu verſcherzen.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/167>, abgerufen am 26.11.2024.
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