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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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II. 4. Die Eröffnung des Deutschen Bundestages.
Gleich zu Anfang dieser Berathungen erhob sich eine Vorfrage, welche die
ganze heillose Unwahrheit der Bundesverfassung an den Tag brachte. Be-
vor man die militärischen Leistungen der Bundesglieder festsetzte, mußte
man doch wissen, wo die Grenzen des Bundesgebietes lagen. Die Bun-
desakte hatte sich begnügt mit der unklaren Bestimmung, daß die Herrscher
von Oesterreich und Preußen "für ihre gesammten, vormals zum Deut-
schen Reiche gehörigen Besitzungen" dem Bunde beiträten. Da Metternich
von Haus aus entschlossen war dem Bundestage niemals eine Einwirkung
auf die inneren Verhältnisse der Kronlande zu erlauben, so hatte für ihn die
Angelegenheit keinen Werth; er erklärte unbedenklich, sein Kaiser beabsichtige
ein Gebiet von etwa 8 Mill. Einwohnern -- die Lande der Krone Böhmen,
das Erzherzogthum, Tyrol und Salzburg, die Steyermark, Kärnten und
Krain -- dem Bunde zu überweisen. Hardenberg hielt sich an seinen
Lieblingsgedanken, die vollkommene Gleichheit der beiden Großmächte, und
beantragte darum bei seinem Monarchen die Aufnahme eines preußischen
Gebietes von etwa gleicher Bevölkerung: außer den unzweifelhaften alten
Reichslanden der hohenzollern'schen Krone sollten auch Geldern, das zwei-
hundert Jahre lang dem Reiche entfremdet gewesen, und das souveräne
Herzogthum Schlesien nebst der Lausitz für Bundesland erklärt werden.

König Friedrich Wilhelm aber nahm die Frage sehr ernst und über-
raschte den Staatskanzler durch die bestimmte Erwiderung, daß er mit
seinem gesammten Staatsgebiete dem Deutschen Bunde beizutreten denke.
Er kannte die unberechenbaren Wechselfälle der europäischen Politik und
behielt, trotz seiner Freundschaft für den Czaren, auch die Möglichkeit eines
Krieges gegen Rußland wachsam im Auge. Da er sich selber schlechtweg
als deutscher Fürst fühlte und ehrlich entschlossen war jede Verletzung des
Bundesgebiets mit der gesammten Kraft seiner Monarchie zurückzuweisen,
so schien es ihm nur billig, daß auch der Bund sich verpflichtete den
preußischen Staat gegen jeden Angriff zu vertheidigen; er dachte dabei zu-
nächst an Posen und die unverhohlene Begehrlichkeit der Polen in War-
schau. Für den Fall, daß die förmliche Aufnahme des ganzen Staats-
gebietes in den Bund sich nicht durchsetzen ließ, verlangte der König min-
destens den Abschluß eines dauernden Vertheidigungsbündnisses zwischen
Preußen und dem Bunde. Schon im Herbst 1816 wurde diese Absicht
des Monarchen in der Instruktion für die Bundesgesandtschaft ausge-
sprochen und seitdem zu Hardenbergs Verzweiflung anderthalb Jahre lang
hartnäckig festgehalten. Die deutschen Dinge lagen indeß noch so verschroben,
daß gerade die einfachsten, die bestgemeinten politischen Gedanken verfrüht,
ja gefährlich erschienen. So gewiß die europäischen Interessen Preußens
mit denen des übrigen Deutschlands zusammenfielen, ebenso gewiß durfte
die preußische Krone nicht zu Gunsten dieses Bundestages auf die Selb-
ständigkeit ihrer auswärtigen Politik verzichten. Und so unzweifelhaft das
treue deutsche Ordensland durch Stammesart und Geschichte dem großen

II. 4. Die Eröffnung des Deutſchen Bundestages.
Gleich zu Anfang dieſer Berathungen erhob ſich eine Vorfrage, welche die
ganze heilloſe Unwahrheit der Bundesverfaſſung an den Tag brachte. Be-
vor man die militäriſchen Leiſtungen der Bundesglieder feſtſetzte, mußte
man doch wiſſen, wo die Grenzen des Bundesgebietes lagen. Die Bun-
desakte hatte ſich begnügt mit der unklaren Beſtimmung, daß die Herrſcher
von Oeſterreich und Preußen „für ihre geſammten, vormals zum Deut-
ſchen Reiche gehörigen Beſitzungen“ dem Bunde beiträten. Da Metternich
von Haus aus entſchloſſen war dem Bundestage niemals eine Einwirkung
auf die inneren Verhältniſſe der Kronlande zu erlauben, ſo hatte für ihn die
Angelegenheit keinen Werth; er erklärte unbedenklich, ſein Kaiſer beabſichtige
ein Gebiet von etwa 8 Mill. Einwohnern — die Lande der Krone Böhmen,
das Erzherzogthum, Tyrol und Salzburg, die Steyermark, Kärnten und
Krain — dem Bunde zu überweiſen. Hardenberg hielt ſich an ſeinen
Lieblingsgedanken, die vollkommene Gleichheit der beiden Großmächte, und
beantragte darum bei ſeinem Monarchen die Aufnahme eines preußiſchen
Gebietes von etwa gleicher Bevölkerung: außer den unzweifelhaften alten
Reichslanden der hohenzollern’ſchen Krone ſollten auch Geldern, das zwei-
hundert Jahre lang dem Reiche entfremdet geweſen, und das ſouveräne
Herzogthum Schleſien nebſt der Lauſitz für Bundesland erklärt werden.

König Friedrich Wilhelm aber nahm die Frage ſehr ernſt und über-
raſchte den Staatskanzler durch die beſtimmte Erwiderung, daß er mit
ſeinem geſammten Staatsgebiete dem Deutſchen Bunde beizutreten denke.
Er kannte die unberechenbaren Wechſelfälle der europäiſchen Politik und
behielt, trotz ſeiner Freundſchaft für den Czaren, auch die Möglichkeit eines
Krieges gegen Rußland wachſam im Auge. Da er ſich ſelber ſchlechtweg
als deutſcher Fürſt fühlte und ehrlich entſchloſſen war jede Verletzung des
Bundesgebiets mit der geſammten Kraft ſeiner Monarchie zurückzuweiſen,
ſo ſchien es ihm nur billig, daß auch der Bund ſich verpflichtete den
preußiſchen Staat gegen jeden Angriff zu vertheidigen; er dachte dabei zu-
nächſt an Poſen und die unverhohlene Begehrlichkeit der Polen in War-
ſchau. Für den Fall, daß die förmliche Aufnahme des ganzen Staats-
gebietes in den Bund ſich nicht durchſetzen ließ, verlangte der König min-
deſtens den Abſchluß eines dauernden Vertheidigungsbündniſſes zwiſchen
Preußen und dem Bunde. Schon im Herbſt 1816 wurde dieſe Abſicht
des Monarchen in der Inſtruktion für die Bundesgeſandtſchaft ausge-
ſprochen und ſeitdem zu Hardenbergs Verzweiflung anderthalb Jahre lang
hartnäckig feſtgehalten. Die deutſchen Dinge lagen indeß noch ſo verſchroben,
daß gerade die einfachſten, die beſtgemeinten politiſchen Gedanken verfrüht,
ja gefährlich erſchienen. So gewiß die europäiſchen Intereſſen Preußens
mit denen des übrigen Deutſchlands zuſammenfielen, ebenſo gewiß durfte
die preußiſche Krone nicht zu Gunſten dieſes Bundestages auf die Selb-
ſtändigkeit ihrer auswärtigen Politik verzichten. Und ſo unzweifelhaft das
treue deutſche Ordensland durch Stammesart und Geſchichte dem großen

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[154/0168] II. 4. Die Eröffnung des Deutſchen Bundestages. Gleich zu Anfang dieſer Berathungen erhob ſich eine Vorfrage, welche die ganze heilloſe Unwahrheit der Bundesverfaſſung an den Tag brachte. Be- vor man die militäriſchen Leiſtungen der Bundesglieder feſtſetzte, mußte man doch wiſſen, wo die Grenzen des Bundesgebietes lagen. Die Bun- desakte hatte ſich begnügt mit der unklaren Beſtimmung, daß die Herrſcher von Oeſterreich und Preußen „für ihre geſammten, vormals zum Deut- ſchen Reiche gehörigen Beſitzungen“ dem Bunde beiträten. Da Metternich von Haus aus entſchloſſen war dem Bundestage niemals eine Einwirkung auf die inneren Verhältniſſe der Kronlande zu erlauben, ſo hatte für ihn die Angelegenheit keinen Werth; er erklärte unbedenklich, ſein Kaiſer beabſichtige ein Gebiet von etwa 8 Mill. Einwohnern — die Lande der Krone Böhmen, das Erzherzogthum, Tyrol und Salzburg, die Steyermark, Kärnten und Krain — dem Bunde zu überweiſen. Hardenberg hielt ſich an ſeinen Lieblingsgedanken, die vollkommene Gleichheit der beiden Großmächte, und beantragte darum bei ſeinem Monarchen die Aufnahme eines preußiſchen Gebietes von etwa gleicher Bevölkerung: außer den unzweifelhaften alten Reichslanden der hohenzollern’ſchen Krone ſollten auch Geldern, das zwei- hundert Jahre lang dem Reiche entfremdet geweſen, und das ſouveräne Herzogthum Schleſien nebſt der Lauſitz für Bundesland erklärt werden. König Friedrich Wilhelm aber nahm die Frage ſehr ernſt und über- raſchte den Staatskanzler durch die beſtimmte Erwiderung, daß er mit ſeinem geſammten Staatsgebiete dem Deutſchen Bunde beizutreten denke. Er kannte die unberechenbaren Wechſelfälle der europäiſchen Politik und behielt, trotz ſeiner Freundſchaft für den Czaren, auch die Möglichkeit eines Krieges gegen Rußland wachſam im Auge. Da er ſich ſelber ſchlechtweg als deutſcher Fürſt fühlte und ehrlich entſchloſſen war jede Verletzung des Bundesgebiets mit der geſammten Kraft ſeiner Monarchie zurückzuweiſen, ſo ſchien es ihm nur billig, daß auch der Bund ſich verpflichtete den preußiſchen Staat gegen jeden Angriff zu vertheidigen; er dachte dabei zu- nächſt an Poſen und die unverhohlene Begehrlichkeit der Polen in War- ſchau. Für den Fall, daß die förmliche Aufnahme des ganzen Staats- gebietes in den Bund ſich nicht durchſetzen ließ, verlangte der König min- deſtens den Abſchluß eines dauernden Vertheidigungsbündniſſes zwiſchen Preußen und dem Bunde. Schon im Herbſt 1816 wurde dieſe Abſicht des Monarchen in der Inſtruktion für die Bundesgeſandtſchaft ausge- ſprochen und ſeitdem zu Hardenbergs Verzweiflung anderthalb Jahre lang hartnäckig feſtgehalten. Die deutſchen Dinge lagen indeß noch ſo verſchroben, daß gerade die einfachſten, die beſtgemeinten politiſchen Gedanken verfrüht, ja gefährlich erſchienen. So gewiß die europäiſchen Intereſſen Preußens mit denen des übrigen Deutſchlands zuſammenfielen, ebenſo gewiß durfte die preußiſche Krone nicht zu Gunſten dieſes Bundestages auf die Selb- ſtändigkeit ihrer auswärtigen Politik verzichten. Und ſo unzweifelhaft das treue deutſche Ordensland durch Stammesart und Geſchichte dem großen

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/168>, abgerufen am 25.11.2024.