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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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Verhandlungen über den Eintritt des preußischen Gesammtstaats.
Vaterlande angehörte, ebenso sicher ließ sich doch voraussehen, daß weder
Oesterreich noch die Mittelstaaten diese Ostmark jemals freiwillig in den
Deutschen Bund aufnehmen würden, da sie ja sammt und sonders die Be-
schränkung der preußischen Macht als den Hauptzweck der Bundespolitik be-
trachteten.

Der Staatskanzler beschwor daher seinen königlichen Herrn, nicht durch
einen solchen Antrag allgemeines, peinliches Aufsehen zu erregen und "aus
der Reihe der europäischen Mächte gleichsam herauszutreten"; er verschmähte
sogar nicht die perfide Frage: "würde man dadurch nicht der Idee von
Deutschheit noch mehr Nahrung geben, die in den Schwindelköpfen der
Zeit liegt?"*) Humboldt schloß sich dem Staatskanzler an und erinnerte
nachdrücklich an die schwer errungene Stellung Preußens innerhalb der
europäischen Pentarchie. Auch Goltz berichtete aus Frankfurt: alle Klein-
staaten wünschten, daß der Bund nur eine passive Rolle in der europäi-
schen Politik spiele, und würden mithin nimmermehr den Eintritt des preu-
ßischen Gesammtstaates genehmigen. Nochmals stellte Hardenberg dem
Könige vor, welches Mißtrauen der Plan in Petersburg und an den kleinen
Höfen erwecken müsse.**) Die Möglichkeit aber, daß Preußen dereinst
durch eine österreichisch gesinnte Bundestagsmehrheit wider Willen in einen
italienischen Krieg der Habsburger hineingerissen werden könnte, fand noch
in keiner dieser Denkschriften Erwähnung; ein solcher Fall lag noch weit
außerhalb des Gesichtskreises der Zeit. Wurde Oesterreich in der Lom-
bardei angegriffen, so war Preußen, nach der einstimmigen Ansicht der Ber-
liner Staatsmänner, unzweifelhaft verpflichtet, den Bundesgenossen zu
unterstützen; denn wer anders als Frankreich konnte den Angriff unter-
nehmen? an eine Schilderhebung der Piemontesen wagte noch Niemand
zu denken.

Der König blieb unerschütterlich: "Ich kann, erwiderte er dem Staats-
kanzler (1. Decbr. 1817), in dieser so überaus wichtigen Sache durchaus
keine anderen Beschlüsse fassen, indem ich zu sehr von der Gefahr durch-
drungen bin, in die der Staat kommen kann."***) Hardenberg mußte also
schweren Herzens den Plan des Monarchen, nebst einer ausführlichen Denk-
schrift Ancillons, durch Geh. Rath Jordan der Hofburg mittheilen lassen.
Metternich aber war über seine Antwort nicht im Zweifel. Nichts lag ihm
ferner als der Gedanke, den preußischen Antrag etwa durch das Anerbieten
des Eintritts von Gesammt-Oesterreich zu überbieten; so verwegene Ent-
würfe galten damals noch allgemein als unausführbar, sie widersprachen
den Grundanschauungen der Stabilitätspolitik und erschienen dem Wiener
Hofe um so thörichter, da man ja den Plan der Bildung eines italieni-

*) Hardenberg an den König, 23. Febr. 1817.
**) Humboldts Votum 12. Juli, Hardenbergs Denkschrift 1. Decbr., Goltz's Denk-
schrift 30. Decbr. 1817.
***) König Friedrich Wilhelm an Hardenberg 1. Decbr. 1817.

Verhandlungen über den Eintritt des preußiſchen Geſammtſtaats.
Vaterlande angehörte, ebenſo ſicher ließ ſich doch vorausſehen, daß weder
Oeſterreich noch die Mittelſtaaten dieſe Oſtmark jemals freiwillig in den
Deutſchen Bund aufnehmen würden, da ſie ja ſammt und ſonders die Be-
ſchränkung der preußiſchen Macht als den Hauptzweck der Bundespolitik be-
trachteten.

Der Staatskanzler beſchwor daher ſeinen königlichen Herrn, nicht durch
einen ſolchen Antrag allgemeines, peinliches Aufſehen zu erregen und „aus
der Reihe der europäiſchen Mächte gleichſam herauszutreten“; er verſchmähte
ſogar nicht die perfide Frage: „würde man dadurch nicht der Idee von
Deutſchheit noch mehr Nahrung geben, die in den Schwindelköpfen der
Zeit liegt?“*) Humboldt ſchloß ſich dem Staatskanzler an und erinnerte
nachdrücklich an die ſchwer errungene Stellung Preußens innerhalb der
europäiſchen Pentarchie. Auch Goltz berichtete aus Frankfurt: alle Klein-
ſtaaten wünſchten, daß der Bund nur eine paſſive Rolle in der europäi-
ſchen Politik ſpiele, und würden mithin nimmermehr den Eintritt des preu-
ßiſchen Geſammtſtaates genehmigen. Nochmals ſtellte Hardenberg dem
Könige vor, welches Mißtrauen der Plan in Petersburg und an den kleinen
Höfen erwecken müſſe.**) Die Möglichkeit aber, daß Preußen dereinſt
durch eine öſterreichiſch geſinnte Bundestagsmehrheit wider Willen in einen
italieniſchen Krieg der Habsburger hineingeriſſen werden könnte, fand noch
in keiner dieſer Denkſchriften Erwähnung; ein ſolcher Fall lag noch weit
außerhalb des Geſichtskreiſes der Zeit. Wurde Oeſterreich in der Lom-
bardei angegriffen, ſo war Preußen, nach der einſtimmigen Anſicht der Ber-
liner Staatsmänner, unzweifelhaft verpflichtet, den Bundesgenoſſen zu
unterſtützen; denn wer anders als Frankreich konnte den Angriff unter-
nehmen? an eine Schilderhebung der Piemonteſen wagte noch Niemand
zu denken.

Der König blieb unerſchütterlich: „Ich kann, erwiderte er dem Staats-
kanzler (1. Decbr. 1817), in dieſer ſo überaus wichtigen Sache durchaus
keine anderen Beſchlüſſe faſſen, indem ich zu ſehr von der Gefahr durch-
drungen bin, in die der Staat kommen kann.“***) Hardenberg mußte alſo
ſchweren Herzens den Plan des Monarchen, nebſt einer ausführlichen Denk-
ſchrift Ancillons, durch Geh. Rath Jordan der Hofburg mittheilen laſſen.
Metternich aber war über ſeine Antwort nicht im Zweifel. Nichts lag ihm
ferner als der Gedanke, den preußiſchen Antrag etwa durch das Anerbieten
des Eintritts von Geſammt-Oeſterreich zu überbieten; ſo verwegene Ent-
würfe galten damals noch allgemein als unausführbar, ſie widerſprachen
den Grundanſchauungen der Stabilitätspolitik und erſchienen dem Wiener
Hofe um ſo thörichter, da man ja den Plan der Bildung eines italieni-

*) Hardenberg an den König, 23. Febr. 1817.
**) Humboldts Votum 12. Juli, Hardenbergs Denkſchrift 1. Decbr., Goltz’s Denk-
ſchrift 30. Decbr. 1817.
***) König Friedrich Wilhelm an Hardenberg 1. Decbr. 1817.
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[155/0169] Verhandlungen über den Eintritt des preußiſchen Geſammtſtaats. Vaterlande angehörte, ebenſo ſicher ließ ſich doch vorausſehen, daß weder Oeſterreich noch die Mittelſtaaten dieſe Oſtmark jemals freiwillig in den Deutſchen Bund aufnehmen würden, da ſie ja ſammt und ſonders die Be- ſchränkung der preußiſchen Macht als den Hauptzweck der Bundespolitik be- trachteten. Der Staatskanzler beſchwor daher ſeinen königlichen Herrn, nicht durch einen ſolchen Antrag allgemeines, peinliches Aufſehen zu erregen und „aus der Reihe der europäiſchen Mächte gleichſam herauszutreten“; er verſchmähte ſogar nicht die perfide Frage: „würde man dadurch nicht der Idee von Deutſchheit noch mehr Nahrung geben, die in den Schwindelköpfen der Zeit liegt?“ *) Humboldt ſchloß ſich dem Staatskanzler an und erinnerte nachdrücklich an die ſchwer errungene Stellung Preußens innerhalb der europäiſchen Pentarchie. Auch Goltz berichtete aus Frankfurt: alle Klein- ſtaaten wünſchten, daß der Bund nur eine paſſive Rolle in der europäi- ſchen Politik ſpiele, und würden mithin nimmermehr den Eintritt des preu- ßiſchen Geſammtſtaates genehmigen. Nochmals ſtellte Hardenberg dem Könige vor, welches Mißtrauen der Plan in Petersburg und an den kleinen Höfen erwecken müſſe. **) Die Möglichkeit aber, daß Preußen dereinſt durch eine öſterreichiſch geſinnte Bundestagsmehrheit wider Willen in einen italieniſchen Krieg der Habsburger hineingeriſſen werden könnte, fand noch in keiner dieſer Denkſchriften Erwähnung; ein ſolcher Fall lag noch weit außerhalb des Geſichtskreiſes der Zeit. Wurde Oeſterreich in der Lom- bardei angegriffen, ſo war Preußen, nach der einſtimmigen Anſicht der Ber- liner Staatsmänner, unzweifelhaft verpflichtet, den Bundesgenoſſen zu unterſtützen; denn wer anders als Frankreich konnte den Angriff unter- nehmen? an eine Schilderhebung der Piemonteſen wagte noch Niemand zu denken. Der König blieb unerſchütterlich: „Ich kann, erwiderte er dem Staats- kanzler (1. Decbr. 1817), in dieſer ſo überaus wichtigen Sache durchaus keine anderen Beſchlüſſe faſſen, indem ich zu ſehr von der Gefahr durch- drungen bin, in die der Staat kommen kann.“ ***) Hardenberg mußte alſo ſchweren Herzens den Plan des Monarchen, nebſt einer ausführlichen Denk- ſchrift Ancillons, durch Geh. Rath Jordan der Hofburg mittheilen laſſen. Metternich aber war über ſeine Antwort nicht im Zweifel. Nichts lag ihm ferner als der Gedanke, den preußiſchen Antrag etwa durch das Anerbieten des Eintritts von Geſammt-Oeſterreich zu überbieten; ſo verwegene Ent- würfe galten damals noch allgemein als unausführbar, ſie widerſprachen den Grundanſchauungen der Stabilitätspolitik und erſchienen dem Wiener Hofe um ſo thörichter, da man ja den Plan der Bildung eines italieni- *) Hardenberg an den König, 23. Febr. 1817. **) Humboldts Votum 12. Juli, Hardenbergs Denkſchrift 1. Decbr., Goltz’s Denk- ſchrift 30. Decbr. 1817. ***) König Friedrich Wilhelm an Hardenberg 1. Decbr. 1817.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/169>, abgerufen am 25.11.2024.