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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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Verhandlungen über die Landstände.
von vornherein den weltbürgerlichen Charakter des modernen Judenthums.
Die fünf, durch den dankbaren Kaiser Franz baronisirten Söhne des alten
Amschel siedelten sich in allen Hauptplätzen Westeuropas an und befolgten
allesammt jenen einfachen Grundsatz, welchen einst ihr Vater gegen den
Kurfürsten von Hessen ausgesprochen hatte: "wer mir mein Geld nimmt,
nimmt mir meine Ehre, und meine Ehre ist mein Leben." Der Frank-
furter Zweig des Hauses blieb der Hofburg ein treuer Helfer in ihrer
ewigen Finanznoth und ein mächtiger Bundesgenosse ihrer deutschen Politik;
in Berlin war wenig zu gewinnen, da der preußische Staatshaushalt zehn
Jahre nach dem Frieden bereits wieder in Ordnung kam. Friedrich Gentz
aber schrieb voll uneigennütziger Begeisterung einen langen Aufsatz für
das Conversationslexikon, der die unvergleichliche Weisheit und Tugend der
Gebrüder Rothschild in vollendetem Bedientenstile feierte. --

Wenn der Bundestag die nächste und wichtigste seiner Pflichten so
schimpflich verabsäumte, um wie viel weniger konnte er den zahlreichen
anderen Aufgaben gerecht werden, welche ihm die vieldeutigen Worte der
Bundesakte zuwiesen. Schleunige Erfüllung des Art. 13, der die Ein-
führung von Landständen verhieß -- so lautete der einstimmige Ruf aller
Parteien der Opposition, und nichts wollte man dem Bundestage weniger
verzeihen, als daß er sich um jene Zusage so wenig kümmerte. Und doch
war die Bundesversammlung keineswegs berechtigt, sich auf Grund jener
unbestimmten Weissagung in die Verfassungskämpfe der Einzelstaaten ein-
zumischen. Obschon Hardenberg dem Grafen Goltz in seiner Instruktion
einschärfte, das Ausbleiben der verheißenen Verfassungen könne nach allen
den Drangsalen der Kriegsjahre hochgefährlich werden, so fanden sich doch
die Bundesgesandten bald zusammen in dem stillschweigenden Entschlusse
diese heikliche Frage nicht zu berühren. Alle Kabinette erfuhren bald, daß
die Verwirklichung jenes Versprechens doch weit schwieriger war als die
liberale Ungeduld wähnte, alle bewachten eifersüchtig ihre Souveränität
gegen den Bund, manche dachten auch schon im Stillen sich der unbe-
quemen Verpflichtung ganz zu entziehen, zumal seit in Württemberg ein
leidenschaftlicher Kampf zwischen der Krone und den Landständen ausge-
brochen war, der die Höfe mit Schrecken erfüllte.

Gleichwohl ward der Bundestag gezwungen sich mit der Angelegenheit
zu befassen. Karl August von Weimar hatte schon im Mai 1816, der Erste
unter seinen Genossen, eine Verfassung für sein Ländchen verkündigt und
verlangte im December die Bürgschaft des Bundes für dies Grundgesetz.
Der gradsinnige Fürst sprach offen aus, er sei gewillt die für Deutschland
aufgegangenen Hoffnungen in seinem Lande zu verwirklichen, und mit brau-
sendem Jubel feierte die liberale Presse "den einzigen deutschen Fürsten, der
sein Wort gehalten". Die Mehrheit des Bundestages empfing den wei-
marischen Antrag mit unverhohlenem Aerger; warum mußte dieser kleine
Herr sich so anmaßlich vordrängen und, um die Volksgunst buhlend, die

Verhandlungen über die Landſtände.
von vornherein den weltbürgerlichen Charakter des modernen Judenthums.
Die fünf, durch den dankbaren Kaiſer Franz baroniſirten Söhne des alten
Amſchel ſiedelten ſich in allen Hauptplätzen Weſteuropas an und befolgten
alleſammt jenen einfachen Grundſatz, welchen einſt ihr Vater gegen den
Kurfürſten von Heſſen ausgeſprochen hatte: „wer mir mein Geld nimmt,
nimmt mir meine Ehre, und meine Ehre iſt mein Leben.“ Der Frank-
furter Zweig des Hauſes blieb der Hofburg ein treuer Helfer in ihrer
ewigen Finanznoth und ein mächtiger Bundesgenoſſe ihrer deutſchen Politik;
in Berlin war wenig zu gewinnen, da der preußiſche Staatshaushalt zehn
Jahre nach dem Frieden bereits wieder in Ordnung kam. Friedrich Gentz
aber ſchrieb voll uneigennütziger Begeiſterung einen langen Aufſatz für
das Converſationslexikon, der die unvergleichliche Weisheit und Tugend der
Gebrüder Rothſchild in vollendetem Bedientenſtile feierte. —

Wenn der Bundestag die nächſte und wichtigſte ſeiner Pflichten ſo
ſchimpflich verabſäumte, um wie viel weniger konnte er den zahlreichen
anderen Aufgaben gerecht werden, welche ihm die vieldeutigen Worte der
Bundesakte zuwieſen. Schleunige Erfüllung des Art. 13, der die Ein-
führung von Landſtänden verhieß — ſo lautete der einſtimmige Ruf aller
Parteien der Oppoſition, und nichts wollte man dem Bundestage weniger
verzeihen, als daß er ſich um jene Zuſage ſo wenig kümmerte. Und doch
war die Bundesverſammlung keineswegs berechtigt, ſich auf Grund jener
unbeſtimmten Weiſſagung in die Verfaſſungskämpfe der Einzelſtaaten ein-
zumiſchen. Obſchon Hardenberg dem Grafen Goltz in ſeiner Inſtruktion
einſchärfte, das Ausbleiben der verheißenen Verfaſſungen könne nach allen
den Drangſalen der Kriegsjahre hochgefährlich werden, ſo fanden ſich doch
die Bundesgeſandten bald zuſammen in dem ſtillſchweigenden Entſchluſſe
dieſe heikliche Frage nicht zu berühren. Alle Kabinette erfuhren bald, daß
die Verwirklichung jenes Verſprechens doch weit ſchwieriger war als die
liberale Ungeduld wähnte, alle bewachten eiferſüchtig ihre Souveränität
gegen den Bund, manche dachten auch ſchon im Stillen ſich der unbe-
quemen Verpflichtung ganz zu entziehen, zumal ſeit in Württemberg ein
leidenſchaftlicher Kampf zwiſchen der Krone und den Landſtänden ausge-
brochen war, der die Höfe mit Schrecken erfüllte.

Gleichwohl ward der Bundestag gezwungen ſich mit der Angelegenheit
zu befaſſen. Karl Auguſt von Weimar hatte ſchon im Mai 1816, der Erſte
unter ſeinen Genoſſen, eine Verfaſſung für ſein Ländchen verkündigt und
verlangte im December die Bürgſchaft des Bundes für dies Grundgeſetz.
Der gradſinnige Fürſt ſprach offen aus, er ſei gewillt die für Deutſchland
aufgegangenen Hoffnungen in ſeinem Lande zu verwirklichen, und mit brau-
ſendem Jubel feierte die liberale Preſſe „den einzigen deutſchen Fürſten, der
ſein Wort gehalten“. Die Mehrheit des Bundestages empfing den wei-
mariſchen Antrag mit unverhohlenem Aerger; warum mußte dieſer kleine
Herr ſich ſo anmaßlich vordrängen und, um die Volksgunſt buhlend, die

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[165/0179] Verhandlungen über die Landſtände. von vornherein den weltbürgerlichen Charakter des modernen Judenthums. Die fünf, durch den dankbaren Kaiſer Franz baroniſirten Söhne des alten Amſchel ſiedelten ſich in allen Hauptplätzen Weſteuropas an und befolgten alleſammt jenen einfachen Grundſatz, welchen einſt ihr Vater gegen den Kurfürſten von Heſſen ausgeſprochen hatte: „wer mir mein Geld nimmt, nimmt mir meine Ehre, und meine Ehre iſt mein Leben.“ Der Frank- furter Zweig des Hauſes blieb der Hofburg ein treuer Helfer in ihrer ewigen Finanznoth und ein mächtiger Bundesgenoſſe ihrer deutſchen Politik; in Berlin war wenig zu gewinnen, da der preußiſche Staatshaushalt zehn Jahre nach dem Frieden bereits wieder in Ordnung kam. Friedrich Gentz aber ſchrieb voll uneigennütziger Begeiſterung einen langen Aufſatz für das Converſationslexikon, der die unvergleichliche Weisheit und Tugend der Gebrüder Rothſchild in vollendetem Bedientenſtile feierte. — Wenn der Bundestag die nächſte und wichtigſte ſeiner Pflichten ſo ſchimpflich verabſäumte, um wie viel weniger konnte er den zahlreichen anderen Aufgaben gerecht werden, welche ihm die vieldeutigen Worte der Bundesakte zuwieſen. Schleunige Erfüllung des Art. 13, der die Ein- führung von Landſtänden verhieß — ſo lautete der einſtimmige Ruf aller Parteien der Oppoſition, und nichts wollte man dem Bundestage weniger verzeihen, als daß er ſich um jene Zuſage ſo wenig kümmerte. Und doch war die Bundesverſammlung keineswegs berechtigt, ſich auf Grund jener unbeſtimmten Weiſſagung in die Verfaſſungskämpfe der Einzelſtaaten ein- zumiſchen. Obſchon Hardenberg dem Grafen Goltz in ſeiner Inſtruktion einſchärfte, das Ausbleiben der verheißenen Verfaſſungen könne nach allen den Drangſalen der Kriegsjahre hochgefährlich werden, ſo fanden ſich doch die Bundesgeſandten bald zuſammen in dem ſtillſchweigenden Entſchluſſe dieſe heikliche Frage nicht zu berühren. Alle Kabinette erfuhren bald, daß die Verwirklichung jenes Verſprechens doch weit ſchwieriger war als die liberale Ungeduld wähnte, alle bewachten eiferſüchtig ihre Souveränität gegen den Bund, manche dachten auch ſchon im Stillen ſich der unbe- quemen Verpflichtung ganz zu entziehen, zumal ſeit in Württemberg ein leidenſchaftlicher Kampf zwiſchen der Krone und den Landſtänden ausge- brochen war, der die Höfe mit Schrecken erfüllte. Gleichwohl ward der Bundestag gezwungen ſich mit der Angelegenheit zu befaſſen. Karl Auguſt von Weimar hatte ſchon im Mai 1816, der Erſte unter ſeinen Genoſſen, eine Verfaſſung für ſein Ländchen verkündigt und verlangte im December die Bürgſchaft des Bundes für dies Grundgeſetz. Der gradſinnige Fürſt ſprach offen aus, er ſei gewillt die für Deutſchland aufgegangenen Hoffnungen in ſeinem Lande zu verwirklichen, und mit brau- ſendem Jubel feierte die liberale Preſſe „den einzigen deutſchen Fürſten, der ſein Wort gehalten“. Die Mehrheit des Bundestages empfing den wei- mariſchen Antrag mit unverhohlenem Aerger; warum mußte dieſer kleine Herr ſich ſo anmaßlich vordrängen und, um die Volksgunſt buhlend, die

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/179>, abgerufen am 24.11.2024.