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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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II. 4. Die Eröffnung des Deutschen Bundestages.
anderen Souveräne in den Schatten stellen? Es kam zu heftigen Auf-
tritten. Als Baiern die Competenz des Bundestages bezweifelte, erwiderte
der Gesandte der ernestinischen Höfe scharf: durch solche Behauptungen be-
stätige man nur den weitverbreiteten grundlosen Vorwurf, als ob der Bund
lediglich die neuen Souveränitätsrechte wahren, den Unterthanen aber ihre
vormals durch die Reichsverfassung gesicherten Rechte vorenthalten wolle.
Der arglose Gagern vermehrte noch die Verstimmung, da er dem Groß-
herzog treuherzig seinen Dank aussprach für diesen Vorgang, der eine Trieb-
feder mehr für andere Fürsten sein würde. In Wien war man peinlich
überrascht, da man weder dem fürstlichen Demagogen in Weimar eine Aner-
kennung gönnte noch dem Bundestage eine schiedsrichterliche Gewalt ein-
räumen wollte. Hardenberg dagegen, der noch zuversichtlich an das Ge-
lingen seiner eigenen Verfassungspläne glaubte, nahm sich des Großherzogs
an, lobte die patriotische Gesinnung, die sich in dem weimarischen Antrage
bekundete, und beschwichtigte durch einen vertraulichen Brief vorläufig die
Bedenken Metternichs. Mit der üblichen feierlichen Langsamkeit that der
Bundestag endlich was er nicht lassen durfte und bewilligte, nach reichlich
vier Monaten, in den trockensten Worten die erbetene Bürgschaft; doch
fügte der österreichische Gesandte nachdrücklich hinzu: in solchen Fragen müsse
grundsätzlich Alles der freien Vereinigung der Fürsten und der Stände
überlassen bleiben.

Um die nämliche Zeit hatte ein Löwenstein'scher Justizrath Beck im
Odenwalde eine unschuldige Petition angefertigt, die den Bundestag um
schleunige Ausführung des geliebten Art. 13 bat; einige Heißsporne aus
der Jenenser und Heidelberger Studentenschaft trugen das Schriftstück auf
weiten Fußwanderungen von Ort zu Ort. Der Mann kam selbst nach
Frankfurt, besuchte einige der Gesandten und führte, wie die Erschreckten
heim berichteten, eine höchst revolutionäre Sprache. Trotz des Eifers der
Studenten und des Beifalls der liberalen Presse fand die Bittschrift in ganz
Deutschland kaum tausend Unterzeichner; aber es war seit unvordenklichen
Zeiten das erste Beispiel einer über mehrere deutsche Staaten verzweigten
politischen Agitation, und der Beamtenstaat hing noch überall an der alten
unverbrüchlichen Regel: jede Bitte ist erlaubt, nur nicht das Sammeln
von Unterschriften. Daher erregte dies schüchterne Erwachen des Partei-
lebens allgemeine Bestürzung an den Höfen; selbst Hardenberg befahl dem
Gesandten in Frankfurt lebhaft erregt, dies gefährliche demagogische Treiben
scharf im Auge zu behalten.*)

Nach wie vor blieb Metternich entschlossen den Bundestag von diesen
schwierigen Fragen fern zu halten. Er sah mit Befriedigung, daß in den
österreichischen Kronländern die Verheißung der Bundesakte längst herrlich
erfüllt war; hier bestanden ja noch jene mumienhaften Postulatenlandtage,

*) Weisung an Goltz, 8. December 1818.

II. 4. Die Eröffnung des Deutſchen Bundestages.
anderen Souveräne in den Schatten ſtellen? Es kam zu heftigen Auf-
tritten. Als Baiern die Competenz des Bundestages bezweifelte, erwiderte
der Geſandte der erneſtiniſchen Höfe ſcharf: durch ſolche Behauptungen be-
ſtätige man nur den weitverbreiteten grundloſen Vorwurf, als ob der Bund
lediglich die neuen Souveränitätsrechte wahren, den Unterthanen aber ihre
vormals durch die Reichsverfaſſung geſicherten Rechte vorenthalten wolle.
Der argloſe Gagern vermehrte noch die Verſtimmung, da er dem Groß-
herzog treuherzig ſeinen Dank ausſprach für dieſen Vorgang, der eine Trieb-
feder mehr für andere Fürſten ſein würde. In Wien war man peinlich
überraſcht, da man weder dem fürſtlichen Demagogen in Weimar eine Aner-
kennung gönnte noch dem Bundestage eine ſchiedsrichterliche Gewalt ein-
räumen wollte. Hardenberg dagegen, der noch zuverſichtlich an das Ge-
lingen ſeiner eigenen Verfaſſungspläne glaubte, nahm ſich des Großherzogs
an, lobte die patriotiſche Geſinnung, die ſich in dem weimariſchen Antrage
bekundete, und beſchwichtigte durch einen vertraulichen Brief vorläufig die
Bedenken Metternichs. Mit der üblichen feierlichen Langſamkeit that der
Bundestag endlich was er nicht laſſen durfte und bewilligte, nach reichlich
vier Monaten, in den trockenſten Worten die erbetene Bürgſchaft; doch
fügte der öſterreichiſche Geſandte nachdrücklich hinzu: in ſolchen Fragen müſſe
grundſätzlich Alles der freien Vereinigung der Fürſten und der Stände
überlaſſen bleiben.

Um die nämliche Zeit hatte ein Löwenſtein’ſcher Juſtizrath Beck im
Odenwalde eine unſchuldige Petition angefertigt, die den Bundestag um
ſchleunige Ausführung des geliebten Art. 13 bat; einige Heißſporne aus
der Jenenſer und Heidelberger Studentenſchaft trugen das Schriftſtück auf
weiten Fußwanderungen von Ort zu Ort. Der Mann kam ſelbſt nach
Frankfurt, beſuchte einige der Geſandten und führte, wie die Erſchreckten
heim berichteten, eine höchſt revolutionäre Sprache. Trotz des Eifers der
Studenten und des Beifalls der liberalen Preſſe fand die Bittſchrift in ganz
Deutſchland kaum tauſend Unterzeichner; aber es war ſeit unvordenklichen
Zeiten das erſte Beiſpiel einer über mehrere deutſche Staaten verzweigten
politiſchen Agitation, und der Beamtenſtaat hing noch überall an der alten
unverbrüchlichen Regel: jede Bitte iſt erlaubt, nur nicht das Sammeln
von Unterſchriften. Daher erregte dies ſchüchterne Erwachen des Partei-
lebens allgemeine Beſtürzung an den Höfen; ſelbſt Hardenberg befahl dem
Geſandten in Frankfurt lebhaft erregt, dies gefährliche demagogiſche Treiben
ſcharf im Auge zu behalten.*)

Nach wie vor blieb Metternich entſchloſſen den Bundestag von dieſen
ſchwierigen Fragen fern zu halten. Er ſah mit Befriedigung, daß in den
öſterreichiſchen Kronländern die Verheißung der Bundesakte längſt herrlich
erfüllt war; hier beſtanden ja noch jene mumienhaften Poſtulatenlandtage,

*) Weiſung an Goltz, 8. December 1818.
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[166/0180] II. 4. Die Eröffnung des Deutſchen Bundestages. anderen Souveräne in den Schatten ſtellen? Es kam zu heftigen Auf- tritten. Als Baiern die Competenz des Bundestages bezweifelte, erwiderte der Geſandte der erneſtiniſchen Höfe ſcharf: durch ſolche Behauptungen be- ſtätige man nur den weitverbreiteten grundloſen Vorwurf, als ob der Bund lediglich die neuen Souveränitätsrechte wahren, den Unterthanen aber ihre vormals durch die Reichsverfaſſung geſicherten Rechte vorenthalten wolle. Der argloſe Gagern vermehrte noch die Verſtimmung, da er dem Groß- herzog treuherzig ſeinen Dank ausſprach für dieſen Vorgang, der eine Trieb- feder mehr für andere Fürſten ſein würde. In Wien war man peinlich überraſcht, da man weder dem fürſtlichen Demagogen in Weimar eine Aner- kennung gönnte noch dem Bundestage eine ſchiedsrichterliche Gewalt ein- räumen wollte. Hardenberg dagegen, der noch zuverſichtlich an das Ge- lingen ſeiner eigenen Verfaſſungspläne glaubte, nahm ſich des Großherzogs an, lobte die patriotiſche Geſinnung, die ſich in dem weimariſchen Antrage bekundete, und beſchwichtigte durch einen vertraulichen Brief vorläufig die Bedenken Metternichs. Mit der üblichen feierlichen Langſamkeit that der Bundestag endlich was er nicht laſſen durfte und bewilligte, nach reichlich vier Monaten, in den trockenſten Worten die erbetene Bürgſchaft; doch fügte der öſterreichiſche Geſandte nachdrücklich hinzu: in ſolchen Fragen müſſe grundſätzlich Alles der freien Vereinigung der Fürſten und der Stände überlaſſen bleiben. Um die nämliche Zeit hatte ein Löwenſtein’ſcher Juſtizrath Beck im Odenwalde eine unſchuldige Petition angefertigt, die den Bundestag um ſchleunige Ausführung des geliebten Art. 13 bat; einige Heißſporne aus der Jenenſer und Heidelberger Studentenſchaft trugen das Schriftſtück auf weiten Fußwanderungen von Ort zu Ort. Der Mann kam ſelbſt nach Frankfurt, beſuchte einige der Geſandten und führte, wie die Erſchreckten heim berichteten, eine höchſt revolutionäre Sprache. Trotz des Eifers der Studenten und des Beifalls der liberalen Preſſe fand die Bittſchrift in ganz Deutſchland kaum tauſend Unterzeichner; aber es war ſeit unvordenklichen Zeiten das erſte Beiſpiel einer über mehrere deutſche Staaten verzweigten politiſchen Agitation, und der Beamtenſtaat hing noch überall an der alten unverbrüchlichen Regel: jede Bitte iſt erlaubt, nur nicht das Sammeln von Unterſchriften. Daher erregte dies ſchüchterne Erwachen des Partei- lebens allgemeine Beſtürzung an den Höfen; ſelbſt Hardenberg befahl dem Geſandten in Frankfurt lebhaft erregt, dies gefährliche demagogiſche Treiben ſcharf im Auge zu behalten. *) Nach wie vor blieb Metternich entſchloſſen den Bundestag von dieſen ſchwierigen Fragen fern zu halten. Er ſah mit Befriedigung, daß in den öſterreichiſchen Kronländern die Verheißung der Bundesakte längſt herrlich erfüllt war; hier beſtanden ja noch jene mumienhaften Poſtulatenlandtage, *) Weiſung an Goltz, 8. December 1818.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 166. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/180>, abgerufen am 24.11.2024.