Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.II. 5. Die Wiederherstellung des preußischen Staates. Aufnahme, als er jetzt, durch Gneisenau lebhaft empfohlen, wieder inden preußischen Staatsdienst einzutreten verlangte. Sonderbares Schick- sal, daß gerade der Begründer der preußischen geheimen Polizei unter den Berichten der geheimen Agenten am Schwersten leiden mußte. In der Hofburg galt er, neben Stein und Görres, als das Haupt der deutschen Jakobiner. Im Sommer 1812 war er auf Metternichs Befehl nach Peter- wardein auf die Festung gebracht worden, weil er von Prag aus eine Schild- erhebung gegen Napoleon vorbereitete und mit Jahns "Deutschem Bunde" insgeheim verkehrte.*) Erst im Oktober 1813 freigelassen, hatte er dann als Gouverneur von Berg die Oesterreicher und die Rheinbündner durch die leidenschaftliche Sprache seiner Reden und Manifeste aufs Neue er- schreckt und beim Ausbruche des Krieges von 1815 gar einen geheimen Bund gestiftet, der zwar niemals zu einer Thätigkeit gelangte und alsbald nach dem Frieden wieder einging, aber schon durch seinen Wahlspruch "Deutschlands Einheit unter Preußen!" alle ängstlichen Gemüther mit Entsetzen erfüllte. Nach alledem hielt es der Staatskanzler für unmöglich, dem Vielverleumdeten ein einflußreiches Verwaltungsamt anzuvertrauen, und Gruner wurde mit dem bescheidenen Gesandtschaftsposten in Bern ab- gefunden. Alle diese Vorfälle berührten die öffentliche Meinung sehr pein- lich, zumal da sie fast gleichzeitig mit der Unterdrückung des Rheinischen Merkurs und bald nach dem Erscheinen der Schmalzischen Schrift er- folgten. Die argwöhnische Welt suchte nach einem geheimen Zusammen- hange, obgleich Gneisenau das Verbot des Görres'schen Blattes ganz in der Ordnung fand und Sack ein erklärter Gegner Gruners war. Die Luft ward täglich schwüler. Derweil man bei Hofe von den geheimen Umtrieben der Demagogen erzählte, klagten die Liberalen über den Anbruch der Reaktion. -- Trotz dieser Reibungen innerhalb der Regierung ging die unschein- *) Gruner an Hardenberg 27. Novbr. 1819.
II. 5. Die Wiederherſtellung des preußiſchen Staates. Aufnahme, als er jetzt, durch Gneiſenau lebhaft empfohlen, wieder inden preußiſchen Staatsdienſt einzutreten verlangte. Sonderbares Schick- ſal, daß gerade der Begründer der preußiſchen geheimen Polizei unter den Berichten der geheimen Agenten am Schwerſten leiden mußte. In der Hofburg galt er, neben Stein und Görres, als das Haupt der deutſchen Jakobiner. Im Sommer 1812 war er auf Metternichs Befehl nach Peter- wardein auf die Feſtung gebracht worden, weil er von Prag aus eine Schild- erhebung gegen Napoleon vorbereitete und mit Jahns „Deutſchem Bunde“ insgeheim verkehrte.*) Erſt im Oktober 1813 freigelaſſen, hatte er dann als Gouverneur von Berg die Oeſterreicher und die Rheinbündner durch die leidenſchaftliche Sprache ſeiner Reden und Manifeſte aufs Neue er- ſchreckt und beim Ausbruche des Krieges von 1815 gar einen geheimen Bund geſtiftet, der zwar niemals zu einer Thätigkeit gelangte und alsbald nach dem Frieden wieder einging, aber ſchon durch ſeinen Wahlſpruch „Deutſchlands Einheit unter Preußen!“ alle ängſtlichen Gemüther mit Entſetzen erfüllte. Nach alledem hielt es der Staatskanzler für unmöglich, dem Vielverleumdeten ein einflußreiches Verwaltungsamt anzuvertrauen, und Gruner wurde mit dem beſcheidenen Geſandtſchaftspoſten in Bern ab- gefunden. Alle dieſe Vorfälle berührten die öffentliche Meinung ſehr pein- lich, zumal da ſie faſt gleichzeitig mit der Unterdrückung des Rheiniſchen Merkurs und bald nach dem Erſcheinen der Schmalziſchen Schrift er- folgten. Die argwöhniſche Welt ſuchte nach einem geheimen Zuſammen- hange, obgleich Gneiſenau das Verbot des Görres’ſchen Blattes ganz in der Ordnung fand und Sack ein erklärter Gegner Gruners war. Die Luft ward täglich ſchwüler. Derweil man bei Hofe von den geheimen Umtrieben der Demagogen erzählte, klagten die Liberalen über den Anbruch der Reaktion. — Trotz dieſer Reibungen innerhalb der Regierung ging die unſchein- *) Gruner an Hardenberg 27. Novbr. 1819.
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II. 5. Die Wiederherſtellung des preußiſchen Staates.
Aufnahme, als er jetzt, durch Gneiſenau lebhaft empfohlen, wieder in
den preußiſchen Staatsdienſt einzutreten verlangte. Sonderbares Schick-
ſal, daß gerade der Begründer der preußiſchen geheimen Polizei unter den
Berichten der geheimen Agenten am Schwerſten leiden mußte. In der
Hofburg galt er, neben Stein und Görres, als das Haupt der deutſchen
Jakobiner. Im Sommer 1812 war er auf Metternichs Befehl nach Peter-
wardein auf die Feſtung gebracht worden, weil er von Prag aus eine Schild-
erhebung gegen Napoleon vorbereitete und mit Jahns „Deutſchem Bunde“
insgeheim verkehrte. *) Erſt im Oktober 1813 freigelaſſen, hatte er dann
als Gouverneur von Berg die Oeſterreicher und die Rheinbündner durch
die leidenſchaftliche Sprache ſeiner Reden und Manifeſte aufs Neue er-
ſchreckt und beim Ausbruche des Krieges von 1815 gar einen geheimen
Bund geſtiftet, der zwar niemals zu einer Thätigkeit gelangte und alsbald
nach dem Frieden wieder einging, aber ſchon durch ſeinen Wahlſpruch
„Deutſchlands Einheit unter Preußen!“ alle ängſtlichen Gemüther mit
Entſetzen erfüllte. Nach alledem hielt es der Staatskanzler für unmöglich,
dem Vielverleumdeten ein einflußreiches Verwaltungsamt anzuvertrauen,
und Gruner wurde mit dem beſcheidenen Geſandtſchaftspoſten in Bern ab-
gefunden. Alle dieſe Vorfälle berührten die öffentliche Meinung ſehr pein-
lich, zumal da ſie faſt gleichzeitig mit der Unterdrückung des Rheiniſchen
Merkurs und bald nach dem Erſcheinen der Schmalziſchen Schrift er-
folgten. Die argwöhniſche Welt ſuchte nach einem geheimen Zuſammen-
hange, obgleich Gneiſenau das Verbot des Görres’ſchen Blattes ganz in
der Ordnung fand und Sack ein erklärter Gegner Gruners war. Die
Luft ward täglich ſchwüler. Derweil man bei Hofe von den geheimen
Umtrieben der Demagogen erzählte, klagten die Liberalen über den Anbruch
der Reaktion. —
Trotz dieſer Reibungen innerhalb der Regierung ging die unſchein-
bare und doch ſo folgenreiche Arbeit der Neuordnung der Verwaltung
ſtetig und ſicher vorwärts. Sobald ſich der Umfang der neugewonnenen
Landſchaften einigermaßen überſehen ließ, genehmigte der König, noch in
Wien, am 30. April 1815 die Verordnung über die verbeſſerte Einrichtung
der Provinzialbehörden, welche das Staatsgebiet in zehn Provinzen und fünf-
undzwanzig Regierungsbezirke eintheilte. Zwei dieſer Provinzen, Niederrhein
und Weſtpreußen, wurden ſpäter mit den Nachbarprovinzen Jülich-Cleve-
Berg und Oſtpreußen vereinigt: die ſechs anderen, Brandenburg, Pommern,
Schleſien, Poſen, Sachſen, Weſtphalen, beſtehen noch heute unverändert.
Es war das Werk des Königs, daß die im Jahre 1810 durch Hardenberg
aufgehobenen Aemter der Oberpräſidenten wiederhergeſtellt wurden. Friedrich
*) Gruner an Hardenberg 27. Novbr. 1819.
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