Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.Die neuen Provinzialbehörden. Wilhelm wünschte, in großen, lebensfähigen Provinzen die Eigenart derStämme und Landschaften sich frei entfalten zu lassen; er wollte, daß die be- dachtsame Unparteilichkeit der collegialischen Regierungen an der Thatkraft und dem persönlichen Ansehen der vorgesetzten Einzelbeamten ihre Ergän- zung fände und die Verwaltung dergestalt die Vorzüge des collegialischen und des bureaukratischen Systems vereinigte. Zugleich hegte er jetzt schon die Absicht, neben jeden Oberpräsidenten einen commandirenden General zu stellen und also, nach dem Vorbilde Oesterreichs und Rußlands, die militärische Eintheilung des Landes der Civilverwaltung anzupassen. Den Vorschlag Bülows, die Regierungscollegien durch Präfekten zu ersetzen, lehnte der König rundweg ab und verwarf auch den Plan, ihnen selb- ständige Finanzcollegien an die Seite zu stellen.*) Sie behielten ihre colle- gialische Form, zerfielen aber fortan in zwei Abtheilungen, deren eine unter der Aufsicht des Ministers des Innern die Hoheitssachen, die Polizei und das Gemeindewesen bearbeitete, während die zweite, dem Finanzminister untergeordnet, das Finanzwesen und die Gewerbeangelegenheiten übernahm, so daß jeder Minister so weit möglich seine eigenen, von ihm allein ab- hängigen Organe erhielt. Bei der Abgrenzung der neuen Verwaltungsbezirke verfuhr die Re- *) Entwurf einer "Verordnung wegen Einrichtung der Provinzialregierungen und Finanzcollegien", Frühjahr 1815. Treitschke, Deutsche Geschichte. II. 13
Die neuen Provinzialbehörden. Wilhelm wünſchte, in großen, lebensfähigen Provinzen die Eigenart derStämme und Landſchaften ſich frei entfalten zu laſſen; er wollte, daß die be- dachtſame Unparteilichkeit der collegialiſchen Regierungen an der Thatkraft und dem perſönlichen Anſehen der vorgeſetzten Einzelbeamten ihre Ergän- zung fände und die Verwaltung dergeſtalt die Vorzüge des collegialiſchen und des bureaukratiſchen Syſtems vereinigte. Zugleich hegte er jetzt ſchon die Abſicht, neben jeden Oberpräſidenten einen commandirenden General zu ſtellen und alſo, nach dem Vorbilde Oeſterreichs und Rußlands, die militäriſche Eintheilung des Landes der Civilverwaltung anzupaſſen. Den Vorſchlag Bülows, die Regierungscollegien durch Präfekten zu erſetzen, lehnte der König rundweg ab und verwarf auch den Plan, ihnen ſelb- ſtändige Finanzcollegien an die Seite zu ſtellen.*) Sie behielten ihre colle- gialiſche Form, zerfielen aber fortan in zwei Abtheilungen, deren eine unter der Aufſicht des Miniſters des Innern die Hoheitsſachen, die Polizei und das Gemeindeweſen bearbeitete, während die zweite, dem Finanzminiſter untergeordnet, das Finanzweſen und die Gewerbeangelegenheiten übernahm, ſo daß jeder Miniſter ſo weit möglich ſeine eigenen, von ihm allein ab- hängigen Organe erhielt. Bei der Abgrenzung der neuen Verwaltungsbezirke verfuhr die Re- *) Entwurf einer „Verordnung wegen Einrichtung der Provinzialregierungen und Finanzcollegien“, Frühjahr 1815. Treitſchke, Deutſche Geſchichte. II. 13
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0207" n="193"/><fw place="top" type="header">Die neuen Provinzialbehörden.</fw><lb/> Wilhelm wünſchte, in großen, lebensfähigen Provinzen die Eigenart der<lb/> Stämme und Landſchaften ſich frei entfalten zu laſſen; er wollte, daß die be-<lb/> dachtſame Unparteilichkeit der collegialiſchen Regierungen an der Thatkraft<lb/> und dem perſönlichen Anſehen der vorgeſetzten Einzelbeamten ihre Ergän-<lb/> zung fände und die Verwaltung dergeſtalt die Vorzüge des collegialiſchen<lb/> und des bureaukratiſchen Syſtems vereinigte. Zugleich hegte er jetzt ſchon<lb/> die Abſicht, neben jeden Oberpräſidenten einen commandirenden General<lb/> zu ſtellen und alſo, nach dem Vorbilde Oeſterreichs und Rußlands, die<lb/> militäriſche Eintheilung des Landes der Civilverwaltung anzupaſſen. Den<lb/> Vorſchlag Bülows, die Regierungscollegien durch Präfekten zu erſetzen,<lb/> lehnte der König rundweg ab und verwarf auch den Plan, ihnen ſelb-<lb/> ſtändige Finanzcollegien an die Seite zu ſtellen.<note place="foot" n="*)">Entwurf einer „Verordnung wegen Einrichtung der Provinzialregierungen und<lb/> Finanzcollegien“, Frühjahr 1815.</note> Sie behielten ihre colle-<lb/> gialiſche Form, zerfielen aber fortan in zwei Abtheilungen, deren eine unter<lb/> der Aufſicht des Miniſters des Innern die Hoheitsſachen, die Polizei und<lb/> das Gemeindeweſen bearbeitete, während die zweite, dem Finanzminiſter<lb/> untergeordnet, das Finanzweſen und die Gewerbeangelegenheiten übernahm,<lb/> ſo daß jeder Miniſter ſo weit möglich ſeine eigenen, von ihm allein ab-<lb/> hängigen Organe erhielt.</p><lb/> <p>Bei der Abgrenzung der neuen Verwaltungsbezirke verfuhr die Re-<lb/> gierung mit höchſter Schonung, mit jener Pietät für das hiſtoriſch Ge-<lb/> gebene, die von Altersher im Charakter der preußiſchen Staatskunſt lag.<lb/> Sobald ein Dorf aus ſeinem alten Kreisverbande ausgeſchieden werden<lb/> ſollte, mußten zwei Miniſterien ihr Gutachten abgeben; der König ſelbſt<lb/> entſchied und, wo irgend möglich, rückſichtsvoll nach dem Wunſche der<lb/> Einwohner. Gleichwohl ließ ſich die Störung mancher altgewohnten Ver-<lb/> hältniſſe nicht vermeiden, da die neuerworbenen Länderfetzen unter ein-<lb/> ander und mit den alten Gebietstheilen in krauſem Gemenge lagen. Keine<lb/> von den alten Provinzen konnte ihre alten Grenzen unverändert behalten.<lb/> Sofort begann denn ein allgemeines Sturmlaufen gegen die Regierung.<lb/> Die ungeheure Macht des Particularismus, in Preußen um nichts ſchwächer<lb/> als in den kleinen deutſchen Staaten, erhob ſich aufgeſcheucht; die tauſend<lb/> und tauſend zähen Intereſſen des örtlichen Kleinlebens, an denen der Sturm<lb/> einer ungeheuern Zeit unbemerkt vorübergerauſcht war, riefen um Hilfe.<lb/> Aus unzähligen Eingaben erklang überall dieſelbe ſtarr conſervative Ge-<lb/> ſinnung, überall derſelbe Jammerruf: „wir wollen uns nicht trennen von<lb/> unſeren Brüdern, die mit uns Freud’ und Leid in ſchwerer Zeit getheilt.“<lb/> Als man den Sitz der Kreisbehörde des Freyſtädter Kreiſes nach Neuſalz<lb/> verlegen wollte, da häuften ſich die Petitionen, eine Geſandtſchaft drang<lb/> bis zum Könige; der alte Kalkreuth ſchrieb an Hardenberg, er müſſe zu<lb/> Grunde gehen, wenn die Behörde nicht mehr in der Nachbarſchaft ſeines<lb/> <fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Treitſchke</hi>, Deutſche Geſchichte. <hi rendition="#aq">II.</hi> 13</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [193/0207]
Die neuen Provinzialbehörden.
Wilhelm wünſchte, in großen, lebensfähigen Provinzen die Eigenart der
Stämme und Landſchaften ſich frei entfalten zu laſſen; er wollte, daß die be-
dachtſame Unparteilichkeit der collegialiſchen Regierungen an der Thatkraft
und dem perſönlichen Anſehen der vorgeſetzten Einzelbeamten ihre Ergän-
zung fände und die Verwaltung dergeſtalt die Vorzüge des collegialiſchen
und des bureaukratiſchen Syſtems vereinigte. Zugleich hegte er jetzt ſchon
die Abſicht, neben jeden Oberpräſidenten einen commandirenden General
zu ſtellen und alſo, nach dem Vorbilde Oeſterreichs und Rußlands, die
militäriſche Eintheilung des Landes der Civilverwaltung anzupaſſen. Den
Vorſchlag Bülows, die Regierungscollegien durch Präfekten zu erſetzen,
lehnte der König rundweg ab und verwarf auch den Plan, ihnen ſelb-
ſtändige Finanzcollegien an die Seite zu ſtellen. *) Sie behielten ihre colle-
gialiſche Form, zerfielen aber fortan in zwei Abtheilungen, deren eine unter
der Aufſicht des Miniſters des Innern die Hoheitsſachen, die Polizei und
das Gemeindeweſen bearbeitete, während die zweite, dem Finanzminiſter
untergeordnet, das Finanzweſen und die Gewerbeangelegenheiten übernahm,
ſo daß jeder Miniſter ſo weit möglich ſeine eigenen, von ihm allein ab-
hängigen Organe erhielt.
Bei der Abgrenzung der neuen Verwaltungsbezirke verfuhr die Re-
gierung mit höchſter Schonung, mit jener Pietät für das hiſtoriſch Ge-
gebene, die von Altersher im Charakter der preußiſchen Staatskunſt lag.
Sobald ein Dorf aus ſeinem alten Kreisverbande ausgeſchieden werden
ſollte, mußten zwei Miniſterien ihr Gutachten abgeben; der König ſelbſt
entſchied und, wo irgend möglich, rückſichtsvoll nach dem Wunſche der
Einwohner. Gleichwohl ließ ſich die Störung mancher altgewohnten Ver-
hältniſſe nicht vermeiden, da die neuerworbenen Länderfetzen unter ein-
ander und mit den alten Gebietstheilen in krauſem Gemenge lagen. Keine
von den alten Provinzen konnte ihre alten Grenzen unverändert behalten.
Sofort begann denn ein allgemeines Sturmlaufen gegen die Regierung.
Die ungeheure Macht des Particularismus, in Preußen um nichts ſchwächer
als in den kleinen deutſchen Staaten, erhob ſich aufgeſcheucht; die tauſend
und tauſend zähen Intereſſen des örtlichen Kleinlebens, an denen der Sturm
einer ungeheuern Zeit unbemerkt vorübergerauſcht war, riefen um Hilfe.
Aus unzähligen Eingaben erklang überall dieſelbe ſtarr conſervative Ge-
ſinnung, überall derſelbe Jammerruf: „wir wollen uns nicht trennen von
unſeren Brüdern, die mit uns Freud’ und Leid in ſchwerer Zeit getheilt.“
Als man den Sitz der Kreisbehörde des Freyſtädter Kreiſes nach Neuſalz
verlegen wollte, da häuften ſich die Petitionen, eine Geſandtſchaft drang
bis zum Könige; der alte Kalkreuth ſchrieb an Hardenberg, er müſſe zu
Grunde gehen, wenn die Behörde nicht mehr in der Nachbarſchaft ſeines
*) Entwurf einer „Verordnung wegen Einrichtung der Provinzialregierungen und
Finanzcollegien“, Frühjahr 1815.
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. II. 13
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |