Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

Bild:
<< vorherige Seite

II. 5. Die Wiederherstellung des preußischen Staates.
Gutes hause, die Strolche würden ihm den Kohl und die Kartoffeln von
den Feldern stehlen; der passive Widerstand war unüberwindlich. Die
Monarchie erfuhr in hundert Fällen, was sie späterhin bei allen Reformen
der Communalverwaltung abermals erfahren sollte, daß es in Deutschland
ungleich leichter ist, zwei Staaten zu verschmelzen als zwei Kreise oder
Gemeinden.

Ueberall, im Volke wie auf den Thronen, überschätze man noch un-
endlich den Gegensatz der Landschaften und Stämme. Wenn sogar die
königlichen Beamten in Pommern sich nur bis zu der bescheidenen Hoff-
nung verstiegen, es werde im Verlaufe langer Jahre die allmähliche "An-
näherung zwischen den beiden Nationen" der schwedischen Pommern und
der Altpommern möglich werden; wenn selbst Sack in seinen Verwaltungs-
berichten versicherte, der Jülicher, der Aachener, der Kölner und der Mosel-
länder wichen in ihrem Charakter dermaßen von einander ab "als ob es
ganz verschiedene Nationen wären": so zeigte sich vollends im Volke die
nachbarliche Abneigung oft bis zur leidenschaftlichen Gehässigkeit gesteigert.

Alle altpreußischen Landestheile betrachteten es als eine Schande,
wenn man sie den neuen Provinzen einfügen wollte. Als die Regierung den
Plan faßte, die Niederlausitz sammt der altbrandenburgischen Herrschaft
Beeskow der Provinz Sachsen zuzutheilen, da wendeten sich die Stände
des Beeskow-Storkower Kreises an den König und klagten, ganz so laut
und stürmisch, wie sie einst unter Marwitz's Führung gegen Hardenbergs
Agrargesetze geeifert hatten: "Wir fangen mit demjenigen an, was uns das
Heiligste und Wichtigste sein muß, von Ew. Majestät Beamten aber ganz
unbeachtet gelassen, vielleicht als ein leeres Vorurtheil angesehen wird,
weil sie nicht gewohnt sind die Gesinnungen der Völker zu beachten: wir
sollen aufhören Brandenburger und Preußen zu sein! Sollen wir Bran-
denburger bleiben und unsere Volksthümlichkeit erhalten? Dann wird
es uns auf eine ähnliche Weise ergehen, wie es einst erging und noch er-
geht dem Ueberrest des wendischen Volks in unserer Nachbarschaft, das in
einem beständigen Mißtrauen, in einer beständigen Absonderung von seinen
Nachbarn und in einer beständigen Anfeindung seitens Letzterer seine Existenz
noch jetzt fortschleppt. Sollen wir aber den sächsischen Volkscharakter an-
nehmen? Das werden wir nicht können, nicht weil wir ihn für unwürdig
anerkennen, sondern weil wir einmal Brandenburger sind!"*) Da auch
die Stände des wieder gewonnenen Cottbuser Landes sich ebenso ungestüm
gegen jede Gemeinschaft mit den Sachsen verwahrten, so gab der Staats-
kanzler nach und ließ die Grenze der Provinz Brandenburg weiter nach
Süden verlegen. Minder glücklich fuhren die Altmärker. Auch sie ver-
langten ihre Wiedervereinigung mit der Kurmark als ein unbestreitbares
Recht. Die Regierung aber beharrte bei dem Entschlusse, die Wiege des

*) Eingabe der Kreisstände von Beeskow-Storkow an den König, 31. Oktbr. 1815.

II. 5. Die Wiederherſtellung des preußiſchen Staates.
Gutes hauſe, die Strolche würden ihm den Kohl und die Kartoffeln von
den Feldern ſtehlen; der paſſive Widerſtand war unüberwindlich. Die
Monarchie erfuhr in hundert Fällen, was ſie ſpäterhin bei allen Reformen
der Communalverwaltung abermals erfahren ſollte, daß es in Deutſchland
ungleich leichter iſt, zwei Staaten zu verſchmelzen als zwei Kreiſe oder
Gemeinden.

Ueberall, im Volke wie auf den Thronen, überſchätze man noch un-
endlich den Gegenſatz der Landſchaften und Stämme. Wenn ſogar die
königlichen Beamten in Pommern ſich nur bis zu der beſcheidenen Hoff-
nung verſtiegen, es werde im Verlaufe langer Jahre die allmähliche „An-
näherung zwiſchen den beiden Nationen“ der ſchwediſchen Pommern und
der Altpommern möglich werden; wenn ſelbſt Sack in ſeinen Verwaltungs-
berichten verſicherte, der Jülicher, der Aachener, der Kölner und der Moſel-
länder wichen in ihrem Charakter dermaßen von einander ab „als ob es
ganz verſchiedene Nationen wären“: ſo zeigte ſich vollends im Volke die
nachbarliche Abneigung oft bis zur leidenſchaftlichen Gehäſſigkeit geſteigert.

Alle altpreußiſchen Landestheile betrachteten es als eine Schande,
wenn man ſie den neuen Provinzen einfügen wollte. Als die Regierung den
Plan faßte, die Niederlauſitz ſammt der altbrandenburgiſchen Herrſchaft
Beeskow der Provinz Sachſen zuzutheilen, da wendeten ſich die Stände
des Beeskow-Storkower Kreiſes an den König und klagten, ganz ſo laut
und ſtürmiſch, wie ſie einſt unter Marwitz’s Führung gegen Hardenbergs
Agrargeſetze geeifert hatten: „Wir fangen mit demjenigen an, was uns das
Heiligſte und Wichtigſte ſein muß, von Ew. Majeſtät Beamten aber ganz
unbeachtet gelaſſen, vielleicht als ein leeres Vorurtheil angeſehen wird,
weil ſie nicht gewohnt ſind die Geſinnungen der Völker zu beachten: wir
ſollen aufhören Brandenburger und Preußen zu ſein! Sollen wir Bran-
denburger bleiben und unſere Volksthümlichkeit erhalten? Dann wird
es uns auf eine ähnliche Weiſe ergehen, wie es einſt erging und noch er-
geht dem Ueberreſt des wendiſchen Volks in unſerer Nachbarſchaft, das in
einem beſtändigen Mißtrauen, in einer beſtändigen Abſonderung von ſeinen
Nachbarn und in einer beſtändigen Anfeindung ſeitens Letzterer ſeine Exiſtenz
noch jetzt fortſchleppt. Sollen wir aber den ſächſiſchen Volkscharakter an-
nehmen? Das werden wir nicht können, nicht weil wir ihn für unwürdig
anerkennen, ſondern weil wir einmal Brandenburger ſind!“*) Da auch
die Stände des wieder gewonnenen Cottbuſer Landes ſich ebenſo ungeſtüm
gegen jede Gemeinſchaft mit den Sachſen verwahrten, ſo gab der Staats-
kanzler nach und ließ die Grenze der Provinz Brandenburg weiter nach
Süden verlegen. Minder glücklich fuhren die Altmärker. Auch ſie ver-
langten ihre Wiedervereinigung mit der Kurmark als ein unbeſtreitbares
Recht. Die Regierung aber beharrte bei dem Entſchluſſe, die Wiege des

*) Eingabe der Kreisſtände von Beeskow-Storkow an den König, 31. Oktbr. 1815.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0208" n="194"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">II.</hi> 5. Die Wiederher&#x017F;tellung des preußi&#x017F;chen Staates.</fw><lb/>
Gutes hau&#x017F;e, die Strolche würden ihm den Kohl und die Kartoffeln von<lb/>
den Feldern &#x017F;tehlen; der pa&#x017F;&#x017F;ive Wider&#x017F;tand war unüberwindlich. Die<lb/>
Monarchie erfuhr in hundert Fällen, was &#x017F;ie &#x017F;päterhin bei allen Reformen<lb/>
der Communalverwaltung abermals erfahren &#x017F;ollte, daß es in Deut&#x017F;chland<lb/>
ungleich leichter i&#x017F;t, zwei Staaten zu ver&#x017F;chmelzen als zwei Krei&#x017F;e oder<lb/>
Gemeinden.</p><lb/>
          <p>Ueberall, im Volke wie auf den Thronen, über&#x017F;chätze man noch un-<lb/>
endlich den Gegen&#x017F;atz der Land&#x017F;chaften und Stämme. Wenn &#x017F;ogar die<lb/>
königlichen Beamten in Pommern &#x017F;ich nur bis zu der be&#x017F;cheidenen Hoff-<lb/>
nung ver&#x017F;tiegen, es werde im Verlaufe langer Jahre die allmähliche &#x201E;An-<lb/>
näherung zwi&#x017F;chen den beiden Nationen&#x201C; der &#x017F;chwedi&#x017F;chen Pommern und<lb/>
der Altpommern möglich werden; wenn &#x017F;elb&#x017F;t Sack in &#x017F;einen Verwaltungs-<lb/>
berichten ver&#x017F;icherte, der Jülicher, der Aachener, der Kölner und der Mo&#x017F;el-<lb/>
länder wichen in ihrem Charakter dermaßen von einander ab &#x201E;als ob es<lb/>
ganz ver&#x017F;chiedene Nationen wären&#x201C;: &#x017F;o zeigte &#x017F;ich vollends im Volke die<lb/>
nachbarliche Abneigung oft bis zur leiden&#x017F;chaftlichen Gehä&#x017F;&#x017F;igkeit ge&#x017F;teigert.</p><lb/>
          <p>Alle altpreußi&#x017F;chen Landestheile betrachteten es als eine Schande,<lb/>
wenn man &#x017F;ie den neuen Provinzen einfügen wollte. Als die Regierung den<lb/>
Plan faßte, die Niederlau&#x017F;itz &#x017F;ammt der altbrandenburgi&#x017F;chen Herr&#x017F;chaft<lb/>
Beeskow der Provinz Sach&#x017F;en zuzutheilen, da wendeten &#x017F;ich die Stände<lb/>
des Beeskow-Storkower Krei&#x017F;es an den König und klagten, ganz &#x017F;o laut<lb/>
und &#x017F;türmi&#x017F;ch, wie &#x017F;ie ein&#x017F;t unter Marwitz&#x2019;s Führung gegen Hardenbergs<lb/>
Agrarge&#x017F;etze geeifert hatten: &#x201E;Wir fangen mit demjenigen an, was uns das<lb/>
Heilig&#x017F;te und Wichtig&#x017F;te &#x017F;ein muß, von Ew. Maje&#x017F;tät Beamten aber ganz<lb/>
unbeachtet gela&#x017F;&#x017F;en, vielleicht als ein leeres Vorurtheil ange&#x017F;ehen wird,<lb/>
weil &#x017F;ie nicht gewohnt &#x017F;ind die Ge&#x017F;innungen der Völker zu beachten: wir<lb/>
&#x017F;ollen aufhören Brandenburger und Preußen zu &#x017F;ein! Sollen wir Bran-<lb/>
denburger bleiben und un&#x017F;ere Volksthümlichkeit erhalten? Dann wird<lb/>
es uns auf eine ähnliche Wei&#x017F;e ergehen, wie es ein&#x017F;t erging und noch er-<lb/>
geht dem Ueberre&#x017F;t des wendi&#x017F;chen Volks in un&#x017F;erer Nachbar&#x017F;chaft, das in<lb/>
einem be&#x017F;tändigen Mißtrauen, in einer be&#x017F;tändigen Ab&#x017F;onderung von &#x017F;einen<lb/>
Nachbarn und in einer be&#x017F;tändigen Anfeindung &#x017F;eitens Letzterer &#x017F;eine Exi&#x017F;tenz<lb/>
noch jetzt fort&#x017F;chleppt. Sollen wir aber den &#x017F;äch&#x017F;i&#x017F;chen Volkscharakter an-<lb/>
nehmen? Das werden wir nicht können, nicht weil wir ihn für unwürdig<lb/>
anerkennen, &#x017F;ondern weil wir einmal Brandenburger &#x017F;ind!&#x201C;<note place="foot" n="*)">Eingabe der Kreis&#x017F;tände von Beeskow-Storkow an den König, 31. Oktbr. 1815.</note> Da auch<lb/>
die Stände des wieder gewonnenen Cottbu&#x017F;er Landes &#x017F;ich eben&#x017F;o unge&#x017F;tüm<lb/>
gegen jede Gemein&#x017F;chaft mit den Sach&#x017F;en verwahrten, &#x017F;o gab der Staats-<lb/>
kanzler nach und ließ die Grenze der Provinz Brandenburg weiter nach<lb/>
Süden verlegen. Minder glücklich fuhren die Altmärker. Auch &#x017F;ie ver-<lb/>
langten ihre Wiedervereinigung mit der Kurmark als ein unbe&#x017F;treitbares<lb/>
Recht. Die Regierung aber beharrte bei dem Ent&#x017F;chlu&#x017F;&#x017F;e, die Wiege des<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[194/0208] II. 5. Die Wiederherſtellung des preußiſchen Staates. Gutes hauſe, die Strolche würden ihm den Kohl und die Kartoffeln von den Feldern ſtehlen; der paſſive Widerſtand war unüberwindlich. Die Monarchie erfuhr in hundert Fällen, was ſie ſpäterhin bei allen Reformen der Communalverwaltung abermals erfahren ſollte, daß es in Deutſchland ungleich leichter iſt, zwei Staaten zu verſchmelzen als zwei Kreiſe oder Gemeinden. Ueberall, im Volke wie auf den Thronen, überſchätze man noch un- endlich den Gegenſatz der Landſchaften und Stämme. Wenn ſogar die königlichen Beamten in Pommern ſich nur bis zu der beſcheidenen Hoff- nung verſtiegen, es werde im Verlaufe langer Jahre die allmähliche „An- näherung zwiſchen den beiden Nationen“ der ſchwediſchen Pommern und der Altpommern möglich werden; wenn ſelbſt Sack in ſeinen Verwaltungs- berichten verſicherte, der Jülicher, der Aachener, der Kölner und der Moſel- länder wichen in ihrem Charakter dermaßen von einander ab „als ob es ganz verſchiedene Nationen wären“: ſo zeigte ſich vollends im Volke die nachbarliche Abneigung oft bis zur leidenſchaftlichen Gehäſſigkeit geſteigert. Alle altpreußiſchen Landestheile betrachteten es als eine Schande, wenn man ſie den neuen Provinzen einfügen wollte. Als die Regierung den Plan faßte, die Niederlauſitz ſammt der altbrandenburgiſchen Herrſchaft Beeskow der Provinz Sachſen zuzutheilen, da wendeten ſich die Stände des Beeskow-Storkower Kreiſes an den König und klagten, ganz ſo laut und ſtürmiſch, wie ſie einſt unter Marwitz’s Führung gegen Hardenbergs Agrargeſetze geeifert hatten: „Wir fangen mit demjenigen an, was uns das Heiligſte und Wichtigſte ſein muß, von Ew. Majeſtät Beamten aber ganz unbeachtet gelaſſen, vielleicht als ein leeres Vorurtheil angeſehen wird, weil ſie nicht gewohnt ſind die Geſinnungen der Völker zu beachten: wir ſollen aufhören Brandenburger und Preußen zu ſein! Sollen wir Bran- denburger bleiben und unſere Volksthümlichkeit erhalten? Dann wird es uns auf eine ähnliche Weiſe ergehen, wie es einſt erging und noch er- geht dem Ueberreſt des wendiſchen Volks in unſerer Nachbarſchaft, das in einem beſtändigen Mißtrauen, in einer beſtändigen Abſonderung von ſeinen Nachbarn und in einer beſtändigen Anfeindung ſeitens Letzterer ſeine Exiſtenz noch jetzt fortſchleppt. Sollen wir aber den ſächſiſchen Volkscharakter an- nehmen? Das werden wir nicht können, nicht weil wir ihn für unwürdig anerkennen, ſondern weil wir einmal Brandenburger ſind!“ *) Da auch die Stände des wieder gewonnenen Cottbuſer Landes ſich ebenſo ungeſtüm gegen jede Gemeinſchaft mit den Sachſen verwahrten, ſo gab der Staats- kanzler nach und ließ die Grenze der Provinz Brandenburg weiter nach Süden verlegen. Minder glücklich fuhren die Altmärker. Auch ſie ver- langten ihre Wiedervereinigung mit der Kurmark als ein unbeſtreitbares Recht. Die Regierung aber beharrte bei dem Entſchluſſe, die Wiege des *) Eingabe der Kreisſtände von Beeskow-Storkow an den König, 31. Oktbr. 1815.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/208
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/208>, abgerufen am 17.05.2024.