Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

Bild:
<< vorherige Seite

Abgrenzung der Verwaltungsbezirke.
brandenburgischen Staates der Provinz Sachsen einzuverleiben; denn die
Landschaft war durch ihre Lage auf Magdeburg angewiesen und hatte seit
der westphälischen Herrschaft nichts mehr gemein mit der für die Kurmark
so wichtigen Schuldenverwaltung, auch ihr Communalwesen stimmte nicht
mehr zu dem brandenburgischen Brauche.

Im Herzogthum Preußen war noch unvergessen, daß einst die Städte
des Weichselthals zuerst das Banner des Aufruhrs gegen den Deutschen
Orden erhoben und den Polen ins Land gerufen hatten; das tapfere Volk
war gewohnt auf die westpreußischen Nachbarn wie auf Verräther herab-
zusehen und fühlte sich schwer gekränkt, als einige Striche Ostpreußens
der Weichselprovinz zugewiesen wurden. Durch flehentliche Bitten beim
Könige erlangten mindestens die Kreise Mohrungen und Neidenburg, daß
sie bei Ostpreußen verblieben. Dagegen verlangte eine Petition des pol-
nischen Adels in Michelau und dem Kulmerlande, daß dies alte Stamm-
land der deutschen Ordensmacht zum Großherzogthum Posen geschlagen
würde. Die treuen deutschen Städte aber widersprachen lebhaft, und die
Regierung wies den verdächtigen Vorschlag ab.*) Die Neuvorpommern
steiften sich auf ihre "Rechte, Privilegien und Freiheiten", welche der König
in den Verträgen mit Schweden und Dänemark aufrecht zu halten ver-
sprochen hatte; sie verstanden darunter, nach deutscher Weise, kurzweg alle
bestehenden Institutionen, das schwedische Zollwesen und die alte Münze
so gut wie das alte Beamtenthum, und vertheidigten ihre Unabhängigkeit
so hartnäckig, daß der Staatskanzler erst im Jahre 1818 wagte den kleinen
Regierungsbezirk Stralsund mit der Provinz Pommern zu vereinigen.
Darauf beschwerten sich die Deputirten der Kreise und Städte bei dem
Könige bitter über die Verletzung ihrer Privilegien; sie erklärten die schwe-
dische Gouvernements-Canzleiordnung von 1669 für unantastbar und ver-
stummten erst, als der König ihnen nachdrücklich erwidern ließ, keine Pro-
vinz dürfe unter dem Vorwand besonderer Gerechtsame eine Ausnahme
von der allgemeinen Verwaltungsordnung des Staates für sich verlangen.**)
In den westlichen Provinzen stieß die Einführung der neuen Verwaltungs-
bezirke auf geringeren Widerstand, da der Sondergeist der Städte und der
Landschaften hier schon längst durch die harte Faust des napoleonischen
Beamtenthums gebeugt war; doch ward auch hier um die Sitze der Be-
hörden leidenschaftlich gekämpft, zuweilen auch versucht, längst vergessene
altständische Ansprüche aus dem Staube der Jahrhunderte hervorzuholen.
Die Grafschaft Werden wollte nicht von der Grafschaft Mark getrennt
werden; die Stadt Herford erklärte dem Staatskanzler in einer pomp-
haften Zuschrift: sie könne und werde keinem Kreise beitreten, sie besitze

*) Bericht des Regierungspräsidenten v. Hippel an den Staatskanzler, Marienwerder
21. Juni 1815.
**) Kingabe der Kreise und Städte an den König, 9. Januar 1819. Cabinetsordre
vom 24. Mai 1819.
13*

Abgrenzung der Verwaltungsbezirke.
brandenburgiſchen Staates der Provinz Sachſen einzuverleiben; denn die
Landſchaft war durch ihre Lage auf Magdeburg angewieſen und hatte ſeit
der weſtphäliſchen Herrſchaft nichts mehr gemein mit der für die Kurmark
ſo wichtigen Schuldenverwaltung, auch ihr Communalweſen ſtimmte nicht
mehr zu dem brandenburgiſchen Brauche.

Im Herzogthum Preußen war noch unvergeſſen, daß einſt die Städte
des Weichſelthals zuerſt das Banner des Aufruhrs gegen den Deutſchen
Orden erhoben und den Polen ins Land gerufen hatten; das tapfere Volk
war gewohnt auf die weſtpreußiſchen Nachbarn wie auf Verräther herab-
zuſehen und fühlte ſich ſchwer gekränkt, als einige Striche Oſtpreußens
der Weichſelprovinz zugewieſen wurden. Durch flehentliche Bitten beim
Könige erlangten mindeſtens die Kreiſe Mohrungen und Neidenburg, daß
ſie bei Oſtpreußen verblieben. Dagegen verlangte eine Petition des pol-
niſchen Adels in Michelau und dem Kulmerlande, daß dies alte Stamm-
land der deutſchen Ordensmacht zum Großherzogthum Poſen geſchlagen
würde. Die treuen deutſchen Städte aber widerſprachen lebhaft, und die
Regierung wies den verdächtigen Vorſchlag ab.*) Die Neuvorpommern
ſteiften ſich auf ihre „Rechte, Privilegien und Freiheiten“, welche der König
in den Verträgen mit Schweden und Dänemark aufrecht zu halten ver-
ſprochen hatte; ſie verſtanden darunter, nach deutſcher Weiſe, kurzweg alle
beſtehenden Inſtitutionen, das ſchwediſche Zollweſen und die alte Münze
ſo gut wie das alte Beamtenthum, und vertheidigten ihre Unabhängigkeit
ſo hartnäckig, daß der Staatskanzler erſt im Jahre 1818 wagte den kleinen
Regierungsbezirk Stralſund mit der Provinz Pommern zu vereinigen.
Darauf beſchwerten ſich die Deputirten der Kreiſe und Städte bei dem
Könige bitter über die Verletzung ihrer Privilegien; ſie erklärten die ſchwe-
diſche Gouvernements-Canzleiordnung von 1669 für unantaſtbar und ver-
ſtummten erſt, als der König ihnen nachdrücklich erwidern ließ, keine Pro-
vinz dürfe unter dem Vorwand beſonderer Gerechtſame eine Ausnahme
von der allgemeinen Verwaltungsordnung des Staates für ſich verlangen.**)
In den weſtlichen Provinzen ſtieß die Einführung der neuen Verwaltungs-
bezirke auf geringeren Widerſtand, da der Sondergeiſt der Städte und der
Landſchaften hier ſchon längſt durch die harte Fauſt des napoleoniſchen
Beamtenthums gebeugt war; doch ward auch hier um die Sitze der Be-
hörden leidenſchaftlich gekämpft, zuweilen auch verſucht, längſt vergeſſene
altſtändiſche Anſprüche aus dem Staube der Jahrhunderte hervorzuholen.
Die Grafſchaft Werden wollte nicht von der Grafſchaft Mark getrennt
werden; die Stadt Herford erklärte dem Staatskanzler in einer pomp-
haften Zuſchrift: ſie könne und werde keinem Kreiſe beitreten, ſie beſitze

*) Bericht des Regierungspräſidenten v. Hippel an den Staatskanzler, Marienwerder
21. Juni 1815.
**) Kingabe der Kreiſe und Städte an den König, 9. Januar 1819. Cabinetsordre
vom 24. Mai 1819.
13*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0209" n="195"/><fw place="top" type="header">Abgrenzung der Verwaltungsbezirke.</fw><lb/>
brandenburgi&#x017F;chen Staates der Provinz Sach&#x017F;en einzuverleiben; denn die<lb/>
Land&#x017F;chaft war durch ihre Lage auf Magdeburg angewie&#x017F;en und hatte &#x017F;eit<lb/>
der we&#x017F;tphäli&#x017F;chen Herr&#x017F;chaft nichts mehr gemein mit der für die Kurmark<lb/>
&#x017F;o wichtigen Schuldenverwaltung, auch ihr Communalwe&#x017F;en &#x017F;timmte nicht<lb/>
mehr zu dem brandenburgi&#x017F;chen Brauche.</p><lb/>
          <p>Im Herzogthum Preußen war noch unverge&#x017F;&#x017F;en, daß ein&#x017F;t die Städte<lb/>
des Weich&#x017F;elthals zuer&#x017F;t das Banner des Aufruhrs gegen den Deut&#x017F;chen<lb/>
Orden erhoben und den Polen ins Land gerufen hatten; das tapfere Volk<lb/>
war gewohnt auf die we&#x017F;tpreußi&#x017F;chen Nachbarn wie auf Verräther herab-<lb/>
zu&#x017F;ehen und fühlte &#x017F;ich &#x017F;chwer gekränkt, als einige Striche O&#x017F;tpreußens<lb/>
der Weich&#x017F;elprovinz zugewie&#x017F;en wurden. Durch flehentliche Bitten beim<lb/>
Könige erlangten minde&#x017F;tens die Krei&#x017F;e Mohrungen und Neidenburg, daß<lb/>
&#x017F;ie bei O&#x017F;tpreußen verblieben. Dagegen verlangte eine Petition des pol-<lb/>
ni&#x017F;chen Adels in Michelau und dem Kulmerlande, daß dies alte Stamm-<lb/>
land der deut&#x017F;chen Ordensmacht zum Großherzogthum Po&#x017F;en ge&#x017F;chlagen<lb/>
würde. Die treuen deut&#x017F;chen Städte aber wider&#x017F;prachen lebhaft, und die<lb/>
Regierung wies den verdächtigen Vor&#x017F;chlag ab.<note place="foot" n="*)">Bericht des Regierungsprä&#x017F;identen v. Hippel an den Staatskanzler, Marienwerder<lb/>
21. Juni 1815.</note> Die Neuvorpommern<lb/>
&#x017F;teiften &#x017F;ich auf ihre &#x201E;Rechte, Privilegien und Freiheiten&#x201C;, welche der König<lb/>
in den Verträgen mit Schweden und Dänemark aufrecht zu halten ver-<lb/>
&#x017F;prochen hatte; &#x017F;ie ver&#x017F;tanden darunter, nach deut&#x017F;cher Wei&#x017F;e, kurzweg alle<lb/>
be&#x017F;tehenden In&#x017F;titutionen, das &#x017F;chwedi&#x017F;che Zollwe&#x017F;en und die alte Münze<lb/>
&#x017F;o gut wie das alte Beamtenthum, und vertheidigten ihre Unabhängigkeit<lb/>
&#x017F;o hartnäckig, daß der Staatskanzler er&#x017F;t im Jahre 1818 wagte den kleinen<lb/>
Regierungsbezirk Stral&#x017F;und mit der Provinz Pommern zu vereinigen.<lb/>
Darauf be&#x017F;chwerten &#x017F;ich die Deputirten der Krei&#x017F;e und Städte bei dem<lb/>
Könige bitter über die Verletzung ihrer Privilegien; &#x017F;ie erklärten die &#x017F;chwe-<lb/>
di&#x017F;che Gouvernements-Canzleiordnung von 1669 für unanta&#x017F;tbar und ver-<lb/>
&#x017F;tummten er&#x017F;t, als der König ihnen nachdrücklich erwidern ließ, keine Pro-<lb/>
vinz dürfe unter dem Vorwand be&#x017F;onderer Gerecht&#x017F;ame eine Ausnahme<lb/>
von der allgemeinen Verwaltungsordnung des Staates für &#x017F;ich verlangen.<note place="foot" n="**)">Kingabe der Krei&#x017F;e und Städte an den König, 9. Januar 1819. Cabinetsordre<lb/>
vom 24. Mai 1819.</note><lb/>
In den we&#x017F;tlichen Provinzen &#x017F;tieß die Einführung der neuen Verwaltungs-<lb/>
bezirke auf geringeren Wider&#x017F;tand, da der Sondergei&#x017F;t der Städte und der<lb/>
Land&#x017F;chaften hier &#x017F;chon läng&#x017F;t durch die harte Fau&#x017F;t des napoleoni&#x017F;chen<lb/>
Beamtenthums gebeugt war; doch ward auch hier um die Sitze der Be-<lb/>
hörden leiden&#x017F;chaftlich gekämpft, zuweilen auch ver&#x017F;ucht, läng&#x017F;t verge&#x017F;&#x017F;ene<lb/>
alt&#x017F;tändi&#x017F;che An&#x017F;prüche aus dem Staube der Jahrhunderte hervorzuholen.<lb/>
Die Graf&#x017F;chaft Werden wollte nicht von der Graf&#x017F;chaft Mark getrennt<lb/>
werden; die Stadt Herford erklärte dem Staatskanzler in einer pomp-<lb/>
haften Zu&#x017F;chrift: &#x017F;ie könne und werde keinem Krei&#x017F;e beitreten, &#x017F;ie be&#x017F;itze<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">13*</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[195/0209] Abgrenzung der Verwaltungsbezirke. brandenburgiſchen Staates der Provinz Sachſen einzuverleiben; denn die Landſchaft war durch ihre Lage auf Magdeburg angewieſen und hatte ſeit der weſtphäliſchen Herrſchaft nichts mehr gemein mit der für die Kurmark ſo wichtigen Schuldenverwaltung, auch ihr Communalweſen ſtimmte nicht mehr zu dem brandenburgiſchen Brauche. Im Herzogthum Preußen war noch unvergeſſen, daß einſt die Städte des Weichſelthals zuerſt das Banner des Aufruhrs gegen den Deutſchen Orden erhoben und den Polen ins Land gerufen hatten; das tapfere Volk war gewohnt auf die weſtpreußiſchen Nachbarn wie auf Verräther herab- zuſehen und fühlte ſich ſchwer gekränkt, als einige Striche Oſtpreußens der Weichſelprovinz zugewieſen wurden. Durch flehentliche Bitten beim Könige erlangten mindeſtens die Kreiſe Mohrungen und Neidenburg, daß ſie bei Oſtpreußen verblieben. Dagegen verlangte eine Petition des pol- niſchen Adels in Michelau und dem Kulmerlande, daß dies alte Stamm- land der deutſchen Ordensmacht zum Großherzogthum Poſen geſchlagen würde. Die treuen deutſchen Städte aber widerſprachen lebhaft, und die Regierung wies den verdächtigen Vorſchlag ab. *) Die Neuvorpommern ſteiften ſich auf ihre „Rechte, Privilegien und Freiheiten“, welche der König in den Verträgen mit Schweden und Dänemark aufrecht zu halten ver- ſprochen hatte; ſie verſtanden darunter, nach deutſcher Weiſe, kurzweg alle beſtehenden Inſtitutionen, das ſchwediſche Zollweſen und die alte Münze ſo gut wie das alte Beamtenthum, und vertheidigten ihre Unabhängigkeit ſo hartnäckig, daß der Staatskanzler erſt im Jahre 1818 wagte den kleinen Regierungsbezirk Stralſund mit der Provinz Pommern zu vereinigen. Darauf beſchwerten ſich die Deputirten der Kreiſe und Städte bei dem Könige bitter über die Verletzung ihrer Privilegien; ſie erklärten die ſchwe- diſche Gouvernements-Canzleiordnung von 1669 für unantaſtbar und ver- ſtummten erſt, als der König ihnen nachdrücklich erwidern ließ, keine Pro- vinz dürfe unter dem Vorwand beſonderer Gerechtſame eine Ausnahme von der allgemeinen Verwaltungsordnung des Staates für ſich verlangen. **) In den weſtlichen Provinzen ſtieß die Einführung der neuen Verwaltungs- bezirke auf geringeren Widerſtand, da der Sondergeiſt der Städte und der Landſchaften hier ſchon längſt durch die harte Fauſt des napoleoniſchen Beamtenthums gebeugt war; doch ward auch hier um die Sitze der Be- hörden leidenſchaftlich gekämpft, zuweilen auch verſucht, längſt vergeſſene altſtändiſche Anſprüche aus dem Staube der Jahrhunderte hervorzuholen. Die Grafſchaft Werden wollte nicht von der Grafſchaft Mark getrennt werden; die Stadt Herford erklärte dem Staatskanzler in einer pomp- haften Zuſchrift: ſie könne und werde keinem Kreiſe beitreten, ſie beſitze *) Bericht des Regierungspräſidenten v. Hippel an den Staatskanzler, Marienwerder 21. Juni 1815. **) Kingabe der Kreiſe und Städte an den König, 9. Januar 1819. Cabinetsordre vom 24. Mai 1819. 13*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/209
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/209>, abgerufen am 21.11.2024.