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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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II. 5. Die Wiederherstellung des preußischen Staates.
die Wissenschaft durch Savigny vertreten. So lebte der alte Geheime
Staatsrath, der seit dem Kurfürsten Joachim Friedrich bis zu den Tagen
Steins, zuletzt nur noch als ein Schatten bestanden hatte, jetzt wieder
auf, in neuen Formen, welche den gesetzlichen Gang der Verwaltung sicherten,
ohne ihre rasche Schlagkraft zu lähmen. Dem neuen Staatsrathe ver-
dankte Preußen, daß die Gesetze der letzten Jahre Friedrich Wilhelms III.
gründlicher, brauchbarer, gediegener ausfielen als die zuweilen überhasteten
Arbeiten der großen Reformperiode und doch, trotz der reiflichen Berathung,
nicht wie späterhin die Gesetze der parlamentarischen Zeit den widerspruchs-
vollen Charakter mühseliger Partei-Compromisse trugen. Es war die letzte
glänzende Vertretung der alten absoluten Monarchie, eine Vereinigung
von Talent, Sachkenntniß und unerschrockenem Freimuth, wie sie außer
England kein anderer Staat jener Tage aufweisen konnte, eine Körper-
schaft, deren Wirksamkeit allein schon genügte, alle die gehässigen Urtheile
über den preußischen Staat, die jetzt wieder in den deutschen Kleinstaaten
umhergetragen wurden, zu widerlegen. Aber sie tagte geheim, in Preußen
selbst wußte das Volk kaum etwas von ihrem Dasein.

Am 30. März 1817 eröffnete Hardenberg die Sitzungen des Staats-
raths mit einer Rede, die noch einmal den zuversichtlichen Ton früherer Jahre
anschlug. Er sagte: die Aufgabe sei, "das Bestandene in die gegenwärtigen
Verhältnisse des Staats, in die Bildung des Volks und in die Forderungen
der Zeit verständig einzufügen. Der preußische Staat -- so schloß er -- muß
der Welt beweisen, daß wahre Freiheit und gesetzliche Ordnung, daß Gleich-
heit vor dem Gesetze und persönliche Sicherheit, daß Wohlstand des Ein-
zelnen sowie des Ganzen, daß Wissenschaft und Kunst, daß endlich, wenn's
unvermeidlich ist, Tapferkeit und Ausdauer im Kampfe fürs Vaterland
am besten und sichersten gedeihen unter einem gerechten Monarchen." *)
Darauf wurden die neuen Steuergesetz-Entwürfe des Finanzministers einer
Commission übergeben.

Währenddem besprachen sich die im Staatsrathe versammelten Ober-
präsidenten vertraulich über die Ergebnisse der neuen Verwaltungsordnung.
Das Werk Steins, die Einheit der obersten Verwaltung galt noch keines-
wegs allgemein als eine unwiderrufliche Thatsache; die rechte Grenze zwi-
schen den unveräußerlichen Rechten der Staatsgewalt und dem Uebermaße
der centrifugalen Kräfte war so schwer zu finden, daß im Schooße der
Regierung selber noch lebhaft darüber gestritten wurde. Vor Kurzem
erst hatte der Staatssekretär Klewiz, ein wohlmeinender, in der Provinzial-
verwaltung seiner magdeburgischen Heimath gründlich erfahrener Beamter
der alten Schule, dem Staatskanzler im besten Glauben einen ungeheuren
Rückschritt, die Wiederherstellung der Provinzialminister vorgeschlagen: eine
straffere Centralisation ertrage der so bunt zusammengesetzte Staat nicht,

*) Protokolle des Staatsraths, erste Sitzung.

II. 5. Die Wiederherſtellung des preußiſchen Staates.
die Wiſſenſchaft durch Savigny vertreten. So lebte der alte Geheime
Staatsrath, der ſeit dem Kurfürſten Joachim Friedrich bis zu den Tagen
Steins, zuletzt nur noch als ein Schatten beſtanden hatte, jetzt wieder
auf, in neuen Formen, welche den geſetzlichen Gang der Verwaltung ſicherten,
ohne ihre raſche Schlagkraft zu lähmen. Dem neuen Staatsrathe ver-
dankte Preußen, daß die Geſetze der letzten Jahre Friedrich Wilhelms III.
gründlicher, brauchbarer, gediegener ausfielen als die zuweilen überhaſteten
Arbeiten der großen Reformperiode und doch, trotz der reiflichen Berathung,
nicht wie ſpäterhin die Geſetze der parlamentariſchen Zeit den widerſpruchs-
vollen Charakter mühſeliger Partei-Compromiſſe trugen. Es war die letzte
glänzende Vertretung der alten abſoluten Monarchie, eine Vereinigung
von Talent, Sachkenntniß und unerſchrockenem Freimuth, wie ſie außer
England kein anderer Staat jener Tage aufweiſen konnte, eine Körper-
ſchaft, deren Wirkſamkeit allein ſchon genügte, alle die gehäſſigen Urtheile
über den preußiſchen Staat, die jetzt wieder in den deutſchen Kleinſtaaten
umhergetragen wurden, zu widerlegen. Aber ſie tagte geheim, in Preußen
ſelbſt wußte das Volk kaum etwas von ihrem Daſein.

Am 30. März 1817 eröffnete Hardenberg die Sitzungen des Staats-
raths mit einer Rede, die noch einmal den zuverſichtlichen Ton früherer Jahre
anſchlug. Er ſagte: die Aufgabe ſei, „das Beſtandene in die gegenwärtigen
Verhältniſſe des Staats, in die Bildung des Volks und in die Forderungen
der Zeit verſtändig einzufügen. Der preußiſche Staat — ſo ſchloß er — muß
der Welt beweiſen, daß wahre Freiheit und geſetzliche Ordnung, daß Gleich-
heit vor dem Geſetze und perſönliche Sicherheit, daß Wohlſtand des Ein-
zelnen ſowie des Ganzen, daß Wiſſenſchaft und Kunſt, daß endlich, wenn’s
unvermeidlich iſt, Tapferkeit und Ausdauer im Kampfe fürs Vaterland
am beſten und ſicherſten gedeihen unter einem gerechten Monarchen.“ *)
Darauf wurden die neuen Steuergeſetz-Entwürfe des Finanzminiſters einer
Commiſſion übergeben.

Währenddem beſprachen ſich die im Staatsrathe verſammelten Ober-
präſidenten vertraulich über die Ergebniſſe der neuen Verwaltungsordnung.
Das Werk Steins, die Einheit der oberſten Verwaltung galt noch keines-
wegs allgemein als eine unwiderrufliche Thatſache; die rechte Grenze zwi-
ſchen den unveräußerlichen Rechten der Staatsgewalt und dem Uebermaße
der centrifugalen Kräfte war ſo ſchwer zu finden, daß im Schooße der
Regierung ſelber noch lebhaft darüber geſtritten wurde. Vor Kurzem
erſt hatte der Staatsſekretär Klewiz, ein wohlmeinender, in der Provinzial-
verwaltung ſeiner magdeburgiſchen Heimath gründlich erfahrener Beamter
der alten Schule, dem Staatskanzler im beſten Glauben einen ungeheuren
Rückſchritt, die Wiederherſtellung der Provinzialminiſter vorgeſchlagen: eine
ſtraffere Centraliſation ertrage der ſo bunt zuſammengeſetzte Staat nicht,

*) Protokolle des Staatsraths, erſte Sitzung.
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[198/0212] II. 5. Die Wiederherſtellung des preußiſchen Staates. die Wiſſenſchaft durch Savigny vertreten. So lebte der alte Geheime Staatsrath, der ſeit dem Kurfürſten Joachim Friedrich bis zu den Tagen Steins, zuletzt nur noch als ein Schatten beſtanden hatte, jetzt wieder auf, in neuen Formen, welche den geſetzlichen Gang der Verwaltung ſicherten, ohne ihre raſche Schlagkraft zu lähmen. Dem neuen Staatsrathe ver- dankte Preußen, daß die Geſetze der letzten Jahre Friedrich Wilhelms III. gründlicher, brauchbarer, gediegener ausfielen als die zuweilen überhaſteten Arbeiten der großen Reformperiode und doch, trotz der reiflichen Berathung, nicht wie ſpäterhin die Geſetze der parlamentariſchen Zeit den widerſpruchs- vollen Charakter mühſeliger Partei-Compromiſſe trugen. Es war die letzte glänzende Vertretung der alten abſoluten Monarchie, eine Vereinigung von Talent, Sachkenntniß und unerſchrockenem Freimuth, wie ſie außer England kein anderer Staat jener Tage aufweiſen konnte, eine Körper- ſchaft, deren Wirkſamkeit allein ſchon genügte, alle die gehäſſigen Urtheile über den preußiſchen Staat, die jetzt wieder in den deutſchen Kleinſtaaten umhergetragen wurden, zu widerlegen. Aber ſie tagte geheim, in Preußen ſelbſt wußte das Volk kaum etwas von ihrem Daſein. Am 30. März 1817 eröffnete Hardenberg die Sitzungen des Staats- raths mit einer Rede, die noch einmal den zuverſichtlichen Ton früherer Jahre anſchlug. Er ſagte: die Aufgabe ſei, „das Beſtandene in die gegenwärtigen Verhältniſſe des Staats, in die Bildung des Volks und in die Forderungen der Zeit verſtändig einzufügen. Der preußiſche Staat — ſo ſchloß er — muß der Welt beweiſen, daß wahre Freiheit und geſetzliche Ordnung, daß Gleich- heit vor dem Geſetze und perſönliche Sicherheit, daß Wohlſtand des Ein- zelnen ſowie des Ganzen, daß Wiſſenſchaft und Kunſt, daß endlich, wenn’s unvermeidlich iſt, Tapferkeit und Ausdauer im Kampfe fürs Vaterland am beſten und ſicherſten gedeihen unter einem gerechten Monarchen.“ *) Darauf wurden die neuen Steuergeſetz-Entwürfe des Finanzminiſters einer Commiſſion übergeben. Währenddem beſprachen ſich die im Staatsrathe verſammelten Ober- präſidenten vertraulich über die Ergebniſſe der neuen Verwaltungsordnung. Das Werk Steins, die Einheit der oberſten Verwaltung galt noch keines- wegs allgemein als eine unwiderrufliche Thatſache; die rechte Grenze zwi- ſchen den unveräußerlichen Rechten der Staatsgewalt und dem Uebermaße der centrifugalen Kräfte war ſo ſchwer zu finden, daß im Schooße der Regierung ſelber noch lebhaft darüber geſtritten wurde. Vor Kurzem erſt hatte der Staatsſekretär Klewiz, ein wohlmeinender, in der Provinzial- verwaltung ſeiner magdeburgiſchen Heimath gründlich erfahrener Beamter der alten Schule, dem Staatskanzler im beſten Glauben einen ungeheuren Rückſchritt, die Wiederherſtellung der Provinzialminiſter vorgeſchlagen: eine ſtraffere Centraliſation ertrage der ſo bunt zuſammengeſetzte Staat nicht, *) Protokolle des Staatsraths, erſte Sitzung.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/212>, abgerufen am 21.11.2024.