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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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Schön und die Oberpräsidenten.
und wie leicht könne die Macht der neuen Fachminister in einen gefähr-
lichen Despotismus ausarten! *) Der Ruf nach Herstellung der Pro-
vinzialministerien ward bald ein Losungswort für den Particularismus
der altständischen Adelspartei und fand auch Anklang bei einem Theile
der Oberpräsidenten. Diese hohen Beamten fühlten sich allesammt unbe-
haglich in ihrer schwierigen, noch nirgends klar begrenzten Mittelstellung
zwischen den Ministerien und den Bezirksregierungen; stolz auf ihre be-
währte Kraft standen sie ihren Vorgesetzten mit jener trotzigen Amtseifer-
sucht gegenüber, die dem preußischen Beamtenthum von jeher eigen war,
und da sie in ihren Provinzen fast nur Klagen über die ungewohnten
neuen Verhältnisse vernommen hatten, so überboten sie einander in düsteren
Berichten, sie bestärkten sich wechselseitig in ihrem Mißmuth und geriethen
allmählich unter die Leitung Schöns, des Mannes, in dem sich die ganze
unfruchtbare Verdrießlichkeit dieser Uebergangstage verkörperte.

In den ersten Zeiten der Hardenbergischen Verwaltung hatte Schön,
gleich Sack und vielen anderen tüchtigen Beamten, zur Einführung des Prä-
fektensystems gerathen; seit er selbst Oberpräsident von Westpreußen geworden,
empfahl er ebenso lebhaft eine fast unbeschränkte Selbständigkeit der Pro-
vinzialbehörden. Welche Lebensstellung hätte auch dem ewig Unbefriedigten
je genügen können? Die Abhängigkeit von den Ministern fiel seinem über-
spannten Selbstgefühle um so lästiger, da er sich bereits ein Idealbild von
der Geschichte der letzten Jahre zurecht gelegt hatte, in dessen Vordergrunde er
selber inmitten seiner altpreußischen Freunde glänzte. Eine unruhige Einbil-
dungskraft verband sich in seinem Geiste seltsam mit dialektischem Scharfsinn.
Wenn er erzählte -- oft viele Stunden lang mit unaufhaltsamer Lebendig-
keit und starker Leidenschaft -- dann überkam die Zuhörer schnell das Ge-
fühl, daß die Phantasie mit ihm durchging: durch ihn waren dem ideen-
losen Stein die leitenden Gedanken des gesammten Reformwerks geschenkt
worden, während er in Wahrheit nur an einem einzigen jener grundlegenden
Gesetze, an dem Edikte über die Aufhebung der Erbunterthänigkeit, wirksam
theilgenommen hatte; er allein hatte im Frühjahr 1813 die Provinz Preußen
vor Steins moskowitischen Eroberungsplänen gerettet; durch seine Freunde,
die Führer des Königsberger Landtags, war der große Liniensoldat Scharn-
horst wider Willen zur Bildung der Landwehr genöthigt worden. Solche
Märchen wiederholte er beharrlich in Wort und Schrift, bis er endlich
selbst daran glaubte; er fühlte kaum noch, wie schwer er sich an dem Ruhm
größerer Männer versündigte, und bekannte sich, derweil er in eitlem Selbst-
lob schwelgte, ganz unbefangen zu dem Wahlspruch: "thue das Gute und
wirf es ins Meer; sieht es der Fisch nicht, sieht es der Herr!" Geistreich,
beredt, vielseitig gebildet, ein Schüler Kants und Freund von Fichte und
Niebuhr, unterhielt er mit der gelehrten Welt einen regen Verkehr, so daß

*) Klewiz's Denkschriften an Hardenberg vom 24. Sept. 1816 und 20. Febr. 1817.

Schön und die Oberpräſidenten.
und wie leicht könne die Macht der neuen Fachminiſter in einen gefähr-
lichen Despotismus ausarten! *) Der Ruf nach Herſtellung der Pro-
vinzialminiſterien ward bald ein Loſungswort für den Particularismus
der altſtändiſchen Adelspartei und fand auch Anklang bei einem Theile
der Oberpräſidenten. Dieſe hohen Beamten fühlten ſich alleſammt unbe-
haglich in ihrer ſchwierigen, noch nirgends klar begrenzten Mittelſtellung
zwiſchen den Miniſterien und den Bezirksregierungen; ſtolz auf ihre be-
währte Kraft ſtanden ſie ihren Vorgeſetzten mit jener trotzigen Amtseifer-
ſucht gegenüber, die dem preußiſchen Beamtenthum von jeher eigen war,
und da ſie in ihren Provinzen faſt nur Klagen über die ungewohnten
neuen Verhältniſſe vernommen hatten, ſo überboten ſie einander in düſteren
Berichten, ſie beſtärkten ſich wechſelſeitig in ihrem Mißmuth und geriethen
allmählich unter die Leitung Schöns, des Mannes, in dem ſich die ganze
unfruchtbare Verdrießlichkeit dieſer Uebergangstage verkörperte.

In den erſten Zeiten der Hardenbergiſchen Verwaltung hatte Schön,
gleich Sack und vielen anderen tüchtigen Beamten, zur Einführung des Prä-
fektenſyſtems gerathen; ſeit er ſelbſt Oberpräſident von Weſtpreußen geworden,
empfahl er ebenſo lebhaft eine faſt unbeſchränkte Selbſtändigkeit der Pro-
vinzialbehörden. Welche Lebensſtellung hätte auch dem ewig Unbefriedigten
je genügen können? Die Abhängigkeit von den Miniſtern fiel ſeinem über-
ſpannten Selbſtgefühle um ſo läſtiger, da er ſich bereits ein Idealbild von
der Geſchichte der letzten Jahre zurecht gelegt hatte, in deſſen Vordergrunde er
ſelber inmitten ſeiner altpreußiſchen Freunde glänzte. Eine unruhige Einbil-
dungskraft verband ſich in ſeinem Geiſte ſeltſam mit dialektiſchem Scharfſinn.
Wenn er erzählte — oft viele Stunden lang mit unaufhaltſamer Lebendig-
keit und ſtarker Leidenſchaft — dann überkam die Zuhörer ſchnell das Ge-
fühl, daß die Phantaſie mit ihm durchging: durch ihn waren dem ideen-
loſen Stein die leitenden Gedanken des geſammten Reformwerks geſchenkt
worden, während er in Wahrheit nur an einem einzigen jener grundlegenden
Geſetze, an dem Edikte über die Aufhebung der Erbunterthänigkeit, wirkſam
theilgenommen hatte; er allein hatte im Frühjahr 1813 die Provinz Preußen
vor Steins moskowitiſchen Eroberungsplänen gerettet; durch ſeine Freunde,
die Führer des Königsberger Landtags, war der große Linienſoldat Scharn-
horſt wider Willen zur Bildung der Landwehr genöthigt worden. Solche
Märchen wiederholte er beharrlich in Wort und Schrift, bis er endlich
ſelbſt daran glaubte; er fühlte kaum noch, wie ſchwer er ſich an dem Ruhm
größerer Männer verſündigte, und bekannte ſich, derweil er in eitlem Selbſt-
lob ſchwelgte, ganz unbefangen zu dem Wahlſpruch: „thue das Gute und
wirf es ins Meer; ſieht es der Fiſch nicht, ſieht es der Herr!“ Geiſtreich,
beredt, vielſeitig gebildet, ein Schüler Kants und Freund von Fichte und
Niebuhr, unterhielt er mit der gelehrten Welt einen regen Verkehr, ſo daß

*) Klewiz’s Denkſchriften an Hardenberg vom 24. Sept. 1816 und 20. Febr. 1817.
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[199/0213] Schön und die Oberpräſidenten. und wie leicht könne die Macht der neuen Fachminiſter in einen gefähr- lichen Despotismus ausarten! *) Der Ruf nach Herſtellung der Pro- vinzialminiſterien ward bald ein Loſungswort für den Particularismus der altſtändiſchen Adelspartei und fand auch Anklang bei einem Theile der Oberpräſidenten. Dieſe hohen Beamten fühlten ſich alleſammt unbe- haglich in ihrer ſchwierigen, noch nirgends klar begrenzten Mittelſtellung zwiſchen den Miniſterien und den Bezirksregierungen; ſtolz auf ihre be- währte Kraft ſtanden ſie ihren Vorgeſetzten mit jener trotzigen Amtseifer- ſucht gegenüber, die dem preußiſchen Beamtenthum von jeher eigen war, und da ſie in ihren Provinzen faſt nur Klagen über die ungewohnten neuen Verhältniſſe vernommen hatten, ſo überboten ſie einander in düſteren Berichten, ſie beſtärkten ſich wechſelſeitig in ihrem Mißmuth und geriethen allmählich unter die Leitung Schöns, des Mannes, in dem ſich die ganze unfruchtbare Verdrießlichkeit dieſer Uebergangstage verkörperte. In den erſten Zeiten der Hardenbergiſchen Verwaltung hatte Schön, gleich Sack und vielen anderen tüchtigen Beamten, zur Einführung des Prä- fektenſyſtems gerathen; ſeit er ſelbſt Oberpräſident von Weſtpreußen geworden, empfahl er ebenſo lebhaft eine faſt unbeſchränkte Selbſtändigkeit der Pro- vinzialbehörden. Welche Lebensſtellung hätte auch dem ewig Unbefriedigten je genügen können? Die Abhängigkeit von den Miniſtern fiel ſeinem über- ſpannten Selbſtgefühle um ſo läſtiger, da er ſich bereits ein Idealbild von der Geſchichte der letzten Jahre zurecht gelegt hatte, in deſſen Vordergrunde er ſelber inmitten ſeiner altpreußiſchen Freunde glänzte. Eine unruhige Einbil- dungskraft verband ſich in ſeinem Geiſte ſeltſam mit dialektiſchem Scharfſinn. Wenn er erzählte — oft viele Stunden lang mit unaufhaltſamer Lebendig- keit und ſtarker Leidenſchaft — dann überkam die Zuhörer ſchnell das Ge- fühl, daß die Phantaſie mit ihm durchging: durch ihn waren dem ideen- loſen Stein die leitenden Gedanken des geſammten Reformwerks geſchenkt worden, während er in Wahrheit nur an einem einzigen jener grundlegenden Geſetze, an dem Edikte über die Aufhebung der Erbunterthänigkeit, wirkſam theilgenommen hatte; er allein hatte im Frühjahr 1813 die Provinz Preußen vor Steins moskowitiſchen Eroberungsplänen gerettet; durch ſeine Freunde, die Führer des Königsberger Landtags, war der große Linienſoldat Scharn- horſt wider Willen zur Bildung der Landwehr genöthigt worden. Solche Märchen wiederholte er beharrlich in Wort und Schrift, bis er endlich ſelbſt daran glaubte; er fühlte kaum noch, wie ſchwer er ſich an dem Ruhm größerer Männer verſündigte, und bekannte ſich, derweil er in eitlem Selbſt- lob ſchwelgte, ganz unbefangen zu dem Wahlſpruch: „thue das Gute und wirf es ins Meer; ſieht es der Fiſch nicht, ſieht es der Herr!“ Geiſtreich, beredt, vielſeitig gebildet, ein Schüler Kants und Freund von Fichte und Niebuhr, unterhielt er mit der gelehrten Welt einen regen Verkehr, ſo daß *) Klewiz’s Denkſchriften an Hardenberg vom 24. Sept. 1816 und 20. Febr. 1817.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/213>, abgerufen am 21.11.2024.