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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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II. 5. Die Wiederherstellung des preußischen Staates.
sein Name auch draußen in den Kleinstaaten, wo man sich sonst um Preu-
ßens Männer und Dinge wenig kümmerte, überall mit Achtung genannt
wurde, und blieb dabei doch ein Mann der Geschäfte, ein gründlicher Kenner
des Landbaus und der Gewerbe, ein thatkräftiger Beamter, der die gute
Schule des trefflichen alten Provinzialministers v. Schrötter nicht verleugnete
und, wenn es galt, rücksichtslos, ja despotisch durchgriff. Fast seine gesammte
Dienstzeit hatte er in der Verwaltung seiner altpreußischen Heimath zuge-
bracht, kein Bauernhof der Salzburger Exulanten in Litthauen und keine
Fischerhütte auf den Dünen der kurischen Nehrung war ihm unbekannt.
So, mit dem zweifachen Stolze des Kantianers und des gewiegten Prak-
tikers schaute er verächtlich auf die staubige Weisheit des grünen Tisches
nieder, und da er die preußischen Staatsmänner sämmtlich, Stein so gut
wie Wittgenstein, auf der Wage seines kategorischen Imperativs allzu leicht
befand, so überschüttete er sie alle, sehr wenige ausgenommen, mit der
ätzenden Lauge eines grausamen Tadels, der zu Kants menschenfreund-
licher Weisheit wenig stimmte. Männer thuen uns noth, so wiederholte
er beständig, die von der Macht der Ideen ergriffen sind, Männer, die
vor dem Volke stehen und mit ihm leben! Die religiöse Erregung der
Kriegsjahre ließ seinen durchaus kritischen Geist ebenso kalt wie die vater-
ländische Schwärmerei der Teutonen, denn in der "Nationalität" wollte
er niemals mehr sehen als eine blinde Naturgewalt, die von der "Idee"
des Staates gebändigt werden müsse.

Sein Programm hatte er schon vor Jahren in dem sogenannten Poli-
tischen Testamente Steins niedergelegt. Diese bisher nur einigen hohen Be-
amten bekannte Denkschrift wurde eben jetzt (1817) von unbekannter Hand,
schwerlich ohne Vorwissen des Verfassers, im Weimarischen Oppositions-
blatte veröffentlicht und fand den lauten Beifall der süddeutschen Liberalen.
Ein abgesagter Feind aller Adelsvorrechte, hielt Schön für unzweifelhaft, daß
die Verheißungen jenes Testaments -- Volksvertretung für alle aktiven
Staatsbürger, Aufhebung der gutsherrlichen Polizei und der Patrimonial-
gerichte -- den Wünschen der gesammten Nation entsprächen, und schloß
seine heftigen Ausfälle gegen die Menschen, "die das Volk in den Maschinen-
dienst vor dem Jahre 1806 zurückzwingen wollen," gern mit dem Ausruf:
vox populi vox Dei. Auch sein fanatischer Haß gegen Rußland kam
seinem Rufe in der liberalen Welt zu statten. Wie oft wünschte er sich, in
seinen Briefen an Hardenberg, einen fröhlichen Krieg wider diese Barbaren,
"die auf der untersten Stufe der Entwicklung, nur bei den Prolegomenen
stehen"; als er dem Staatskanzler einst das Gerücht von einem Mord-
anschlage gegen den Czaren meldete, sprach er triumphirend seine Freude
aus, "daß dieses Volk sich selbst so tief lästert und von sich Dinge ver-
breitet, die die höchste Schande jedes Volks ausdrücken. Gott sei gelobt!"*)
Bei seinen altpreußischen Landsleuten stand er in hohem Ansehen, obwohl

*) Schön an Hardenberg, 14. Febr. 1816, 26. Sept. 1818, 1. Nov. 1819.

II. 5. Die Wiederherſtellung des preußiſchen Staates.
ſein Name auch draußen in den Kleinſtaaten, wo man ſich ſonſt um Preu-
ßens Männer und Dinge wenig kümmerte, überall mit Achtung genannt
wurde, und blieb dabei doch ein Mann der Geſchäfte, ein gründlicher Kenner
des Landbaus und der Gewerbe, ein thatkräftiger Beamter, der die gute
Schule des trefflichen alten Provinzialminiſters v. Schrötter nicht verleugnete
und, wenn es galt, rückſichtslos, ja despotiſch durchgriff. Faſt ſeine geſammte
Dienſtzeit hatte er in der Verwaltung ſeiner altpreußiſchen Heimath zuge-
bracht, kein Bauernhof der Salzburger Exulanten in Litthauen und keine
Fiſcherhütte auf den Dünen der kuriſchen Nehrung war ihm unbekannt.
So, mit dem zweifachen Stolze des Kantianers und des gewiegten Prak-
tikers ſchaute er verächtlich auf die ſtaubige Weisheit des grünen Tiſches
nieder, und da er die preußiſchen Staatsmänner ſämmtlich, Stein ſo gut
wie Wittgenſtein, auf der Wage ſeines kategoriſchen Imperativs allzu leicht
befand, ſo überſchüttete er ſie alle, ſehr wenige ausgenommen, mit der
ätzenden Lauge eines grauſamen Tadels, der zu Kants menſchenfreund-
licher Weisheit wenig ſtimmte. Männer thuen uns noth, ſo wiederholte
er beſtändig, die von der Macht der Ideen ergriffen ſind, Männer, die
vor dem Volke ſtehen und mit ihm leben! Die religiöſe Erregung der
Kriegsjahre ließ ſeinen durchaus kritiſchen Geiſt ebenſo kalt wie die vater-
ländiſche Schwärmerei der Teutonen, denn in der „Nationalität“ wollte
er niemals mehr ſehen als eine blinde Naturgewalt, die von der „Idee“
des Staates gebändigt werden müſſe.

Sein Programm hatte er ſchon vor Jahren in dem ſogenannten Poli-
tiſchen Teſtamente Steins niedergelegt. Dieſe bisher nur einigen hohen Be-
amten bekannte Denkſchrift wurde eben jetzt (1817) von unbekannter Hand,
ſchwerlich ohne Vorwiſſen des Verfaſſers, im Weimariſchen Oppoſitions-
blatte veröffentlicht und fand den lauten Beifall der ſüddeutſchen Liberalen.
Ein abgeſagter Feind aller Adelsvorrechte, hielt Schön für unzweifelhaft, daß
die Verheißungen jenes Teſtaments — Volksvertretung für alle aktiven
Staatsbürger, Aufhebung der gutsherrlichen Polizei und der Patrimonial-
gerichte — den Wünſchen der geſammten Nation entſprächen, und ſchloß
ſeine heftigen Ausfälle gegen die Menſchen, „die das Volk in den Maſchinen-
dienſt vor dem Jahre 1806 zurückzwingen wollen,“ gern mit dem Ausruf:
vox populi vox Dei. Auch ſein fanatiſcher Haß gegen Rußland kam
ſeinem Rufe in der liberalen Welt zu ſtatten. Wie oft wünſchte er ſich, in
ſeinen Briefen an Hardenberg, einen fröhlichen Krieg wider dieſe Barbaren,
„die auf der unterſten Stufe der Entwicklung, nur bei den Prolegomenen
ſtehen“; als er dem Staatskanzler einſt das Gerücht von einem Mord-
anſchlage gegen den Czaren meldete, ſprach er triumphirend ſeine Freude
aus, „daß dieſes Volk ſich ſelbſt ſo tief läſtert und von ſich Dinge ver-
breitet, die die höchſte Schande jedes Volks ausdrücken. Gott ſei gelobt!“*)
Bei ſeinen altpreußiſchen Landsleuten ſtand er in hohem Anſehen, obwohl

*) Schön an Hardenberg, 14. Febr. 1816, 26. Sept. 1818, 1. Nov. 1819.
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[200/0214] II. 5. Die Wiederherſtellung des preußiſchen Staates. ſein Name auch draußen in den Kleinſtaaten, wo man ſich ſonſt um Preu- ßens Männer und Dinge wenig kümmerte, überall mit Achtung genannt wurde, und blieb dabei doch ein Mann der Geſchäfte, ein gründlicher Kenner des Landbaus und der Gewerbe, ein thatkräftiger Beamter, der die gute Schule des trefflichen alten Provinzialminiſters v. Schrötter nicht verleugnete und, wenn es galt, rückſichtslos, ja despotiſch durchgriff. Faſt ſeine geſammte Dienſtzeit hatte er in der Verwaltung ſeiner altpreußiſchen Heimath zuge- bracht, kein Bauernhof der Salzburger Exulanten in Litthauen und keine Fiſcherhütte auf den Dünen der kuriſchen Nehrung war ihm unbekannt. So, mit dem zweifachen Stolze des Kantianers und des gewiegten Prak- tikers ſchaute er verächtlich auf die ſtaubige Weisheit des grünen Tiſches nieder, und da er die preußiſchen Staatsmänner ſämmtlich, Stein ſo gut wie Wittgenſtein, auf der Wage ſeines kategoriſchen Imperativs allzu leicht befand, ſo überſchüttete er ſie alle, ſehr wenige ausgenommen, mit der ätzenden Lauge eines grauſamen Tadels, der zu Kants menſchenfreund- licher Weisheit wenig ſtimmte. Männer thuen uns noth, ſo wiederholte er beſtändig, die von der Macht der Ideen ergriffen ſind, Männer, die vor dem Volke ſtehen und mit ihm leben! Die religiöſe Erregung der Kriegsjahre ließ ſeinen durchaus kritiſchen Geiſt ebenſo kalt wie die vater- ländiſche Schwärmerei der Teutonen, denn in der „Nationalität“ wollte er niemals mehr ſehen als eine blinde Naturgewalt, die von der „Idee“ des Staates gebändigt werden müſſe. Sein Programm hatte er ſchon vor Jahren in dem ſogenannten Poli- tiſchen Teſtamente Steins niedergelegt. Dieſe bisher nur einigen hohen Be- amten bekannte Denkſchrift wurde eben jetzt (1817) von unbekannter Hand, ſchwerlich ohne Vorwiſſen des Verfaſſers, im Weimariſchen Oppoſitions- blatte veröffentlicht und fand den lauten Beifall der ſüddeutſchen Liberalen. Ein abgeſagter Feind aller Adelsvorrechte, hielt Schön für unzweifelhaft, daß die Verheißungen jenes Teſtaments — Volksvertretung für alle aktiven Staatsbürger, Aufhebung der gutsherrlichen Polizei und der Patrimonial- gerichte — den Wünſchen der geſammten Nation entſprächen, und ſchloß ſeine heftigen Ausfälle gegen die Menſchen, „die das Volk in den Maſchinen- dienſt vor dem Jahre 1806 zurückzwingen wollen,“ gern mit dem Ausruf: vox populi vox Dei. Auch ſein fanatiſcher Haß gegen Rußland kam ſeinem Rufe in der liberalen Welt zu ſtatten. Wie oft wünſchte er ſich, in ſeinen Briefen an Hardenberg, einen fröhlichen Krieg wider dieſe Barbaren, „die auf der unterſten Stufe der Entwicklung, nur bei den Prolegomenen ſtehen“; als er dem Staatskanzler einſt das Gerücht von einem Mord- anſchlage gegen den Czaren meldete, ſprach er triumphirend ſeine Freude aus, „daß dieſes Volk ſich ſelbſt ſo tief läſtert und von ſich Dinge ver- breitet, die die höchſte Schande jedes Volks ausdrücken. Gott ſei gelobt!“ *) Bei ſeinen altpreußiſchen Landsleuten ſtand er in hohem Anſehen, obwohl *) Schön an Hardenberg, 14. Febr. 1816, 26. Sept. 1818, 1. Nov. 1819.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/214>, abgerufen am 24.11.2024.