Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.Verhandlungen über den Wirkungskreis der Provinzialbehörden. seine Schroffheit nirgends Liebe erweckte; der rationalistische Zug seinesGeistes entsprach der Gesinnung, die in der Stadt der reinen Vernunft seit Langem vorherrschte, und Alle wußten, wie glühend er seine Heimath liebte, wie einsichtig und unerschrocken er sich aller ihrer Interessen vor dem Throne annahm. Das Beispiel seiner absprechenden Tadelsucht wirkte verderblich auf das ohnehin zu scharfem Urtheil geneigte Volk; durch Schöns langjährige Verwaltung wurde die Uebermacht der extremen Parteien in unserer Ostmark zuerst begründet. In Berlin spottete man insgeheim über seinen unermeßlichen Dünkel und erzählte sich lächelnd, wie er einmal, unmittelbar vor der Heimreise, eine Einladung Hardenbergs mit den Worten ausgeschlagen hatte: "meine Provinz kann meiner nicht eine Stunde länger entbehren;" doch mochte Niemand gern dem streitbaren Manne mit den strengen, strafenden Augen offen entgegentreten. Witzleben, Klewiz, Vincke schätzten ihn hoch; auch der König nahm von ihm manches herbe Wort hin, da er seine Ergebenheit kannte. Als Schön aus den Verhandlungen des Staatsraths die Uneinigkeit Verhandlungen über den Wirkungskreis der Provinzialbehörden. ſeine Schroffheit nirgends Liebe erweckte; der rationaliſtiſche Zug ſeinesGeiſtes entſprach der Geſinnung, die in der Stadt der reinen Vernunft ſeit Langem vorherrſchte, und Alle wußten, wie glühend er ſeine Heimath liebte, wie einſichtig und unerſchrocken er ſich aller ihrer Intereſſen vor dem Throne annahm. Das Beiſpiel ſeiner abſprechenden Tadelſucht wirkte verderblich auf das ohnehin zu ſcharfem Urtheil geneigte Volk; durch Schöns langjährige Verwaltung wurde die Uebermacht der extremen Parteien in unſerer Oſtmark zuerſt begründet. In Berlin ſpottete man insgeheim über ſeinen unermeßlichen Dünkel und erzählte ſich lächelnd, wie er einmal, unmittelbar vor der Heimreiſe, eine Einladung Hardenbergs mit den Worten ausgeſchlagen hatte: „meine Provinz kann meiner nicht eine Stunde länger entbehren;“ doch mochte Niemand gern dem ſtreitbaren Manne mit den ſtrengen, ſtrafenden Augen offen entgegentreten. Witzleben, Klewiz, Vincke ſchätzten ihn hoch; auch der König nahm von ihm manches herbe Wort hin, da er ſeine Ergebenheit kannte. Als Schön aus den Verhandlungen des Staatsraths die Uneinigkeit <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0215" n="201"/><fw place="top" type="header">Verhandlungen über den Wirkungskreis der Provinzialbehörden.</fw><lb/> ſeine Schroffheit nirgends Liebe erweckte; der rationaliſtiſche Zug ſeines<lb/> Geiſtes entſprach der Geſinnung, die in der Stadt der reinen Vernunft<lb/> ſeit Langem vorherrſchte, und Alle wußten, wie glühend er ſeine Heimath<lb/> liebte, wie einſichtig und unerſchrocken er ſich aller ihrer Intereſſen vor<lb/> dem Throne annahm. Das Beiſpiel ſeiner abſprechenden Tadelſucht wirkte<lb/> verderblich auf das ohnehin zu ſcharfem Urtheil geneigte Volk; durch Schöns<lb/> langjährige Verwaltung wurde die Uebermacht der extremen Parteien in<lb/> unſerer Oſtmark zuerſt begründet. In Berlin ſpottete man insgeheim über<lb/> ſeinen unermeßlichen Dünkel und erzählte ſich lächelnd, wie er einmal,<lb/> unmittelbar vor der Heimreiſe, eine Einladung Hardenbergs mit den Worten<lb/> ausgeſchlagen hatte: „meine Provinz kann meiner nicht eine Stunde länger<lb/> entbehren;“ doch mochte Niemand gern dem ſtreitbaren Manne mit den<lb/> ſtrengen, ſtrafenden Augen offen entgegentreten. Witzleben, Klewiz, Vincke<lb/> ſchätzten ihn hoch; auch der König nahm von ihm manches herbe Wort<lb/> hin, da er ſeine Ergebenheit kannte.</p><lb/> <p>Als Schön aus den Verhandlungen des Staatsraths die Uneinigkeit<lb/> der Miniſter kennen lernte, hielt er die Lage des Staates alsbald für<lb/> ebenſo verzweifelt wie ſie vor der Schlacht von Jena geweſen, und rieth<lb/> dem Staatskanzler dringend zur Bildung eines neuen Miniſteriums, das<lb/> nur aus Geſinnungsgenoſſen beſtände und, gleich dem engliſchen Kabinet,<lb/> durch „die Achtung des Volks“ getragen würde: dies England blieb ihm nun<lb/> einmal der liberale Muſterſtaat, obgleich dem Hochtory-Kabinet jener Tage<lb/> wahrlich nichts gleichgiltiger war als die Achtung des Volks. Um ſeinen<lb/> Vorſchlägen Nachdruck zu geben, überreichte Schön ſodann den verſammelten<lb/> Oberpräſidenten den Entwurf einer gemeinſamen Beſchwerdeſchrift, die den<lb/> Monarchen über „den bekümmernden Zuſtand der Verwaltung“ aufklären<lb/> ſollte. Dies ſonderbare, an draſtiſchen Wendungen überreiche Schriftſtück<lb/> ſchilderte mit grellen Farben, Wahres und Falſches willkürlich vermiſchend:<lb/> wie der ſo bunt zuſammengeſetzte Staat allein durch den Geiſt zuſammen-<lb/> gehalten werden könne, und dieſer Geiſt jetzt unterdrückt werde; die Polizei<lb/> bekunde ſich als Druck, die allgemeine Wehrpflicht arte in eine Laſt des<lb/> Landes aus, die Juſtiz ſei nur noch eine leidende Maſchine in der Hand<lb/> des Miniſters, für Kirche und Schule geſchehe gar nichts. Daran ſchloſſen<lb/> ſich ſcharfe Anklagen wider die eigenmächtige und nachläſſige Amtsführung<lb/> des Finanzminiſters und wohlberechtigte Beſchwerden über „das ungebundene<lb/> Ziehen aller Geſchäfte der Provinzialverwaltung, in franzöſiſcher Art, nach<lb/> der Mitte“. So mächtig war die grämliche Verſtimmung der Zeit, daß<lb/> ſieben von den zehn Oberpräſidenten ſich entſchloſſen, dies lange Regiſter<lb/> unbeſtimmter und zum Theil grundloſer Klagen zu unterzeichnen (30. Juni).<lb/> Nur Zerboni, ein perſönlicher Freund Hardenbergs, und der hochconſer-<lb/> vative Heydebreck verweigerten die Unterſchrift; der Oberpräſident von<lb/> Sachſen war als Bruder des Finanzminiſters von vornherein aus dem<lb/> Spiele geblieben.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [201/0215]
Verhandlungen über den Wirkungskreis der Provinzialbehörden.
ſeine Schroffheit nirgends Liebe erweckte; der rationaliſtiſche Zug ſeines
Geiſtes entſprach der Geſinnung, die in der Stadt der reinen Vernunft
ſeit Langem vorherrſchte, und Alle wußten, wie glühend er ſeine Heimath
liebte, wie einſichtig und unerſchrocken er ſich aller ihrer Intereſſen vor
dem Throne annahm. Das Beiſpiel ſeiner abſprechenden Tadelſucht wirkte
verderblich auf das ohnehin zu ſcharfem Urtheil geneigte Volk; durch Schöns
langjährige Verwaltung wurde die Uebermacht der extremen Parteien in
unſerer Oſtmark zuerſt begründet. In Berlin ſpottete man insgeheim über
ſeinen unermeßlichen Dünkel und erzählte ſich lächelnd, wie er einmal,
unmittelbar vor der Heimreiſe, eine Einladung Hardenbergs mit den Worten
ausgeſchlagen hatte: „meine Provinz kann meiner nicht eine Stunde länger
entbehren;“ doch mochte Niemand gern dem ſtreitbaren Manne mit den
ſtrengen, ſtrafenden Augen offen entgegentreten. Witzleben, Klewiz, Vincke
ſchätzten ihn hoch; auch der König nahm von ihm manches herbe Wort
hin, da er ſeine Ergebenheit kannte.
Als Schön aus den Verhandlungen des Staatsraths die Uneinigkeit
der Miniſter kennen lernte, hielt er die Lage des Staates alsbald für
ebenſo verzweifelt wie ſie vor der Schlacht von Jena geweſen, und rieth
dem Staatskanzler dringend zur Bildung eines neuen Miniſteriums, das
nur aus Geſinnungsgenoſſen beſtände und, gleich dem engliſchen Kabinet,
durch „die Achtung des Volks“ getragen würde: dies England blieb ihm nun
einmal der liberale Muſterſtaat, obgleich dem Hochtory-Kabinet jener Tage
wahrlich nichts gleichgiltiger war als die Achtung des Volks. Um ſeinen
Vorſchlägen Nachdruck zu geben, überreichte Schön ſodann den verſammelten
Oberpräſidenten den Entwurf einer gemeinſamen Beſchwerdeſchrift, die den
Monarchen über „den bekümmernden Zuſtand der Verwaltung“ aufklären
ſollte. Dies ſonderbare, an draſtiſchen Wendungen überreiche Schriftſtück
ſchilderte mit grellen Farben, Wahres und Falſches willkürlich vermiſchend:
wie der ſo bunt zuſammengeſetzte Staat allein durch den Geiſt zuſammen-
gehalten werden könne, und dieſer Geiſt jetzt unterdrückt werde; die Polizei
bekunde ſich als Druck, die allgemeine Wehrpflicht arte in eine Laſt des
Landes aus, die Juſtiz ſei nur noch eine leidende Maſchine in der Hand
des Miniſters, für Kirche und Schule geſchehe gar nichts. Daran ſchloſſen
ſich ſcharfe Anklagen wider die eigenmächtige und nachläſſige Amtsführung
des Finanzminiſters und wohlberechtigte Beſchwerden über „das ungebundene
Ziehen aller Geſchäfte der Provinzialverwaltung, in franzöſiſcher Art, nach
der Mitte“. So mächtig war die grämliche Verſtimmung der Zeit, daß
ſieben von den zehn Oberpräſidenten ſich entſchloſſen, dies lange Regiſter
unbeſtimmter und zum Theil grundloſer Klagen zu unterzeichnen (30. Juni).
Nur Zerboni, ein perſönlicher Freund Hardenbergs, und der hochconſer-
vative Heydebreck verweigerten die Unterſchrift; der Oberpräſident von
Sachſen war als Bruder des Finanzminiſters von vornherein aus dem
Spiele geblieben.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |