II. 5. Die Wiederherstellung des preußischen Staates.
wirrung, welche durch das übereilte Verfassungsversprechen hervorgerufen wurde.
Bei Alledem zeigte sich viel gesunder Menschenverstand und schließlich, obgleich jede Provinz ihre besonderen Beschwerden vorbrachte, doch eine überraschende Uebereinstimmung. Die Notabeln fanden zuerst eine Ant- wort auf die schwierige Frage, was an die Stelle der verworfenen in- direkten Steuern treten solle. Während der letzten Jahre hatte der Ge- danke einer allgemeinen, in wenige große Klassen abgestuften Personen- steuer in der Stille seinen Weg gemacht, ein Gedanke, der bereits in der ersten Zeit der Hardenbergischen Verwaltung von dem Finanzrath v. Prittwitz- Quilitz, einem landeskundigen, angesehenen Landwirth aufgebracht worden war. Er entsprach der herrschenden volkswirthschaftlichen Theorie wie dem allgemeinen Abscheu gegen das indirekte Steuersystem der Franzosen und schien leicht durchführbar, da die Masse des Volks noch seßhaft, unbeweg- lich in patriarchalischen Lebensverhältnissen verharrte. An eine Einkommen- steuer wagte man noch nicht zu denken; sie war schon durch den vergötterten A. Smith, neuerdings auch durch F. v. Raumer als tyrannisch gebrandmarkt und vollends in Verruf gekommen, seit der Versuch ihrer Einführung in der bitteren Noth des Jahres 1812 mit einem Mißerfolge geendet hatte. Im Staatsrathe trat der gelehrte Statistiker J. G. Hoffmann zuerst nach- drücklich für die Klassensteuer ein und fand Anklang bei der Mehrzahl der Oberpräsidenten. Als nun die Notabeln rathlos nach einem Ersatze für die Mahl- und Fleischsteuer suchten, wurden sie von ihren Vorsitzenden auf diesen Ausweg hingewiesen. So geschah es, daß die Mehrheit der Notabelnversammlungen die Einführung einer abgestuften Personensteuer -- einer "fixirten Consumtionssteuer", wie die Schlesier sich ausdrückten -- bei dem Staatskanzler befürworteten. Auf diese Gutachten gestützt entwarf dann Hoffmann (27. Okt.) eine große Denkschrift über die Klassensteuer und wies damit der preußischen Steuerpolitik einen neuen Weg, der freilich erst nach abermals zwei Jahren schwieriger Verhandlungen zögernd be- treten wurde. Während alle anderen Großmächte in verschiedenen Formen das System der überwiegenden indirekten Abgaben beibehielten, wendete sich Preußen mehr und mehr der Ausbildung seiner direkten Steuern zu. Die neue Steuerpolitik, welche sich hier ankündigte, war die Politik eines tief verarmten Staates, der das Geld nehmen mußte wo er es fand, eines wohlwollenden Absolutismus, der zwar die Anfänge der Selbstverwaltung bereits geschaffen hatte, aber von den Geldbedürfnissen großer Städte noch keine klare Vorstellung besaß, einer friedfertigen Regierung, die auf lange Jahre ungestörter Ruhe rechnete und darum sich nicht scheute den Noth- pfennig der Kriegszeiten, die direkten Steuern, schon im Frieden scharf anzugreifen.
Der lange Kampf im Staatsrathe war, zu Schuckmanns Kummer, "den Horchern an der Thür mit den Schreiberklauen" nicht unbekannt
II. 5. Die Wiederherſtellung des preußiſchen Staates.
wirrung, welche durch das übereilte Verfaſſungsverſprechen hervorgerufen wurde.
Bei Alledem zeigte ſich viel geſunder Menſchenverſtand und ſchließlich, obgleich jede Provinz ihre beſonderen Beſchwerden vorbrachte, doch eine überraſchende Uebereinſtimmung. Die Notabeln fanden zuerſt eine Ant- wort auf die ſchwierige Frage, was an die Stelle der verworfenen in- direkten Steuern treten ſolle. Während der letzten Jahre hatte der Ge- danke einer allgemeinen, in wenige große Klaſſen abgeſtuften Perſonen- ſteuer in der Stille ſeinen Weg gemacht, ein Gedanke, der bereits in der erſten Zeit der Hardenbergiſchen Verwaltung von dem Finanzrath v. Prittwitz- Quilitz, einem landeskundigen, angeſehenen Landwirth aufgebracht worden war. Er entſprach der herrſchenden volkswirthſchaftlichen Theorie wie dem allgemeinen Abſcheu gegen das indirekte Steuerſyſtem der Franzoſen und ſchien leicht durchführbar, da die Maſſe des Volks noch ſeßhaft, unbeweg- lich in patriarchaliſchen Lebensverhältniſſen verharrte. An eine Einkommen- ſteuer wagte man noch nicht zu denken; ſie war ſchon durch den vergötterten A. Smith, neuerdings auch durch F. v. Raumer als tyranniſch gebrandmarkt und vollends in Verruf gekommen, ſeit der Verſuch ihrer Einführung in der bitteren Noth des Jahres 1812 mit einem Mißerfolge geendet hatte. Im Staatsrathe trat der gelehrte Statiſtiker J. G. Hoffmann zuerſt nach- drücklich für die Klaſſenſteuer ein und fand Anklang bei der Mehrzahl der Oberpräſidenten. Als nun die Notabeln rathlos nach einem Erſatze für die Mahl- und Fleiſchſteuer ſuchten, wurden ſie von ihren Vorſitzenden auf dieſen Ausweg hingewieſen. So geſchah es, daß die Mehrheit der Notabelnverſammlungen die Einführung einer abgeſtuften Perſonenſteuer — einer „fixirten Conſumtionsſteuer“, wie die Schleſier ſich ausdrückten — bei dem Staatskanzler befürworteten. Auf dieſe Gutachten geſtützt entwarf dann Hoffmann (27. Okt.) eine große Denkſchrift über die Klaſſenſteuer und wies damit der preußiſchen Steuerpolitik einen neuen Weg, der freilich erſt nach abermals zwei Jahren ſchwieriger Verhandlungen zögernd be- treten wurde. Während alle anderen Großmächte in verſchiedenen Formen das Syſtem der überwiegenden indirekten Abgaben beibehielten, wendete ſich Preußen mehr und mehr der Ausbildung ſeiner direkten Steuern zu. Die neue Steuerpolitik, welche ſich hier ankündigte, war die Politik eines tief verarmten Staates, der das Geld nehmen mußte wo er es fand, eines wohlwollenden Abſolutismus, der zwar die Anfänge der Selbſtverwaltung bereits geſchaffen hatte, aber von den Geldbedürfniſſen großer Städte noch keine klare Vorſtellung beſaß, einer friedfertigen Regierung, die auf lange Jahre ungeſtörter Ruhe rechnete und darum ſich nicht ſcheute den Noth- pfennig der Kriegszeiten, die direkten Steuern, ſchon im Frieden ſcharf anzugreifen.
Der lange Kampf im Staatsrathe war, zu Schuckmanns Kummer, „den Horchern an der Thür mit den Schreiberklauen“ nicht unbekannt
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II. 5. Die Wiederherſtellung des preußiſchen Staates.
wirrung, welche durch das übereilte Verfaſſungsverſprechen hervorgerufen
wurde.
Bei Alledem zeigte ſich viel geſunder Menſchenverſtand und ſchließlich,
obgleich jede Provinz ihre beſonderen Beſchwerden vorbrachte, doch eine
überraſchende Uebereinſtimmung. Die Notabeln fanden zuerſt eine Ant-
wort auf die ſchwierige Frage, was an die Stelle der verworfenen in-
direkten Steuern treten ſolle. Während der letzten Jahre hatte der Ge-
danke einer allgemeinen, in wenige große Klaſſen abgeſtuften Perſonen-
ſteuer in der Stille ſeinen Weg gemacht, ein Gedanke, der bereits in der erſten
Zeit der Hardenbergiſchen Verwaltung von dem Finanzrath v. Prittwitz-
Quilitz, einem landeskundigen, angeſehenen Landwirth aufgebracht worden
war. Er entſprach der herrſchenden volkswirthſchaftlichen Theorie wie dem
allgemeinen Abſcheu gegen das indirekte Steuerſyſtem der Franzoſen und
ſchien leicht durchführbar, da die Maſſe des Volks noch ſeßhaft, unbeweg-
lich in patriarchaliſchen Lebensverhältniſſen verharrte. An eine Einkommen-
ſteuer wagte man noch nicht zu denken; ſie war ſchon durch den vergötterten
A. Smith, neuerdings auch durch F. v. Raumer als tyranniſch gebrandmarkt
und vollends in Verruf gekommen, ſeit der Verſuch ihrer Einführung in
der bitteren Noth des Jahres 1812 mit einem Mißerfolge geendet hatte.
Im Staatsrathe trat der gelehrte Statiſtiker J. G. Hoffmann zuerſt nach-
drücklich für die Klaſſenſteuer ein und fand Anklang bei der Mehrzahl
der Oberpräſidenten. Als nun die Notabeln rathlos nach einem Erſatze
für die Mahl- und Fleiſchſteuer ſuchten, wurden ſie von ihren Vorſitzenden
auf dieſen Ausweg hingewieſen. So geſchah es, daß die Mehrheit der
Notabelnverſammlungen die Einführung einer abgeſtuften Perſonenſteuer
— einer „fixirten Conſumtionsſteuer“, wie die Schleſier ſich ausdrückten —
bei dem Staatskanzler befürworteten. Auf dieſe Gutachten geſtützt entwarf
dann Hoffmann (27. Okt.) eine große Denkſchrift über die Klaſſenſteuer
und wies damit der preußiſchen Steuerpolitik einen neuen Weg, der freilich
erſt nach abermals zwei Jahren ſchwieriger Verhandlungen zögernd be-
treten wurde. Während alle anderen Großmächte in verſchiedenen Formen
das Syſtem der überwiegenden indirekten Abgaben beibehielten, wendete
ſich Preußen mehr und mehr der Ausbildung ſeiner direkten Steuern zu.
Die neue Steuerpolitik, welche ſich hier ankündigte, war die Politik eines tief
verarmten Staates, der das Geld nehmen mußte wo er es fand, eines
wohlwollenden Abſolutismus, der zwar die Anfänge der Selbſtverwaltung
bereits geſchaffen hatte, aber von den Geldbedürfniſſen großer Städte noch
keine klare Vorſtellung beſaß, einer friedfertigen Regierung, die auf lange
Jahre ungeſtörter Ruhe rechnete und darum ſich nicht ſcheute den Noth-
pfennig der Kriegszeiten, die direkten Steuern, ſchon im Frieden ſcharf
anzugreifen.
Der lange Kampf im Staatsrathe war, zu Schuckmanns Kummer,
„den Horchern an der Thür mit den Schreiberklauen“ nicht unbekannt
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 208. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/222>, abgerufen am 21.11.2024.
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