Stande, auch nur einen genauen Voranschlag für das gesammte Budget zu entwerfen. Uebellaunig und mißtrauisch wie die Zeit war, schenkte die öffentliche Meinung jedem gehässigen Märchen Glauben, das über die geheimnißvolle Lage der Finanzen ausgesprengt wurde. --
Gleichwohl gelang unter dieser wunderlich zersplitterten Verwaltung der große Umschwung der preußischen Handelspolitik, die folgenreichste politische That der Epoche. Das Verdienst des neuen Finanzministers wurde nur in dem Kreise seiner vertrauten Räthe ganz gewürdigt; der häßliche kleine Mann mit dem gutmüthigen Philistergesichte wußte sich nicht recht zur Geltung zu bringen, diente dem jungen Kronprinzen oft zur Zielscheibe für seine ausgelassenen Witze. Eine conservative Natur, langsam im Urtheil, nicht reich an eigenen Gedanken, verstand Klewiz doch die reformatorischen Ideen Anderer besonnen und gründlich zu verarbeiten, und was er sich einmal angeeignet, das hielt er fest mit zäher Geduld und unerschütterlichem Gleichmuth. Wie er einst in Königsberg bei der Aufhebung der Erbunterthänigkeit freudig mitgewirkt hatte, so rettete er jetzt aus dem Schiffbruch der Bülow'schen Entwürfe den werthvollsten Theil, das Zollgesetz, und führte die radikale Neuerung gelassen durch unter dem leidenschaftlichen Widerstande des In- und Auslandes.*)
In dem Sturm und Drang der großen Reformperiode war für die Umgestaltung des alten Accisewesens wenig geschehen; man hatte sich be- gnügt, dem flachen Lande mehrere städtische Steuern aufzulegen und in Altpreußen die Einfuhr fremder Fabrikwaaren gegen eine Accise von 8 1/3 Procent des Werthes zu gestatten. Daneben bestanden in den alten Pro- vinzen noch siebenundsechzig verschiedene Tarife, nahezu 3000 Waaren- klassen umfassend; außerdem die kursächsische Generalaccise im Herzogthum Sachsen, das schwedische Zollwesen in Neuvorpommern, in den Rhein- landen endlich seit Aufhebung der napoleonischen Douanen ein schlechter- dings anarchischer Zustand. Und diese unerträgliche Belästigung des Ver- kehrs gewährte doch, da eine geordnete Grenzbewachung noch fehlte, keinen Schutz gegen das Ausland. Auch in dem chaotischen Geldwesen zeigte sich die Abhängigkeit des verarmten Staates von den Fremden: in Posen und Pommern mußten 48, in den Provinzen links der Elbe 71 fremde Geld- sorten amtlich anerkannt und tarifirt werden. Schon längst bemerkte der König mit Besorgniß, wie schwer der gesetzliche Sinn des Volkes durch die Fortdauer des überlebten Prohibitivsystems geschädigt wurde. Seit die bürgerlichen Gewerbe auf dem platten Lande sich ansiedelten, nahm der Schmuggel einen ungeheuren Aufschwung. Im Jahre 1815 versteuerte jeder Materialwaarenladen der alten Provinzen täglich nur zwei Pfund Kaffee.
*) Ich benutze hier u. A. einen handschriftlichen Aufsatz von L. Kühne, Wer ist der Stifter des Zollvereins? (1841). Aus den Papieren des Herrn v. Motz.
14*
Der Miniſterwechſel vom November 1817.
Stande, auch nur einen genauen Voranſchlag für das geſammte Budget zu entwerfen. Uebellaunig und mißtrauiſch wie die Zeit war, ſchenkte die öffentliche Meinung jedem gehäſſigen Märchen Glauben, das über die geheimnißvolle Lage der Finanzen ausgeſprengt wurde. —
Gleichwohl gelang unter dieſer wunderlich zerſplitterten Verwaltung der große Umſchwung der preußiſchen Handelspolitik, die folgenreichſte politiſche That der Epoche. Das Verdienſt des neuen Finanzminiſters wurde nur in dem Kreiſe ſeiner vertrauten Räthe ganz gewürdigt; der häßliche kleine Mann mit dem gutmüthigen Philiſtergeſichte wußte ſich nicht recht zur Geltung zu bringen, diente dem jungen Kronprinzen oft zur Zielſcheibe für ſeine ausgelaſſenen Witze. Eine conſervative Natur, langſam im Urtheil, nicht reich an eigenen Gedanken, verſtand Klewiz doch die reformatoriſchen Ideen Anderer beſonnen und gründlich zu verarbeiten, und was er ſich einmal angeeignet, das hielt er feſt mit zäher Geduld und unerſchütterlichem Gleichmuth. Wie er einſt in Königsberg bei der Aufhebung der Erbunterthänigkeit freudig mitgewirkt hatte, ſo rettete er jetzt aus dem Schiffbruch der Bülow’ſchen Entwürfe den werthvollſten Theil, das Zollgeſetz, und führte die radikale Neuerung gelaſſen durch unter dem leidenſchaftlichen Widerſtande des In- und Auslandes.*)
In dem Sturm und Drang der großen Reformperiode war für die Umgeſtaltung des alten Acciſeweſens wenig geſchehen; man hatte ſich be- gnügt, dem flachen Lande mehrere ſtädtiſche Steuern aufzulegen und in Altpreußen die Einfuhr fremder Fabrikwaaren gegen eine Acciſe von 8⅓ Procent des Werthes zu geſtatten. Daneben beſtanden in den alten Pro- vinzen noch ſiebenundſechzig verſchiedene Tarife, nahezu 3000 Waaren- klaſſen umfaſſend; außerdem die kurſächſiſche Generalacciſe im Herzogthum Sachſen, das ſchwediſche Zollweſen in Neuvorpommern, in den Rhein- landen endlich ſeit Aufhebung der napoleoniſchen Douanen ein ſchlechter- dings anarchiſcher Zuſtand. Und dieſe unerträgliche Beläſtigung des Ver- kehrs gewährte doch, da eine geordnete Grenzbewachung noch fehlte, keinen Schutz gegen das Ausland. Auch in dem chaotiſchen Geldweſen zeigte ſich die Abhängigkeit des verarmten Staates von den Fremden: in Poſen und Pommern mußten 48, in den Provinzen links der Elbe 71 fremde Geld- ſorten amtlich anerkannt und tarifirt werden. Schon längſt bemerkte der König mit Beſorgniß, wie ſchwer der geſetzliche Sinn des Volkes durch die Fortdauer des überlebten Prohibitivſyſtems geſchädigt wurde. Seit die bürgerlichen Gewerbe auf dem platten Lande ſich anſiedelten, nahm der Schmuggel einen ungeheuren Aufſchwung. Im Jahre 1815 verſteuerte jeder Materialwaarenladen der alten Provinzen täglich nur zwei Pfund Kaffee.
*) Ich benutze hier u. A. einen handſchriftlichen Aufſatz von L. Kühne, Wer iſt der Stifter des Zollvereins? (1841). Aus den Papieren des Herrn v. Motz.
14*
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0225"n="211"/><fwplace="top"type="header">Der Miniſterwechſel vom November 1817.</fw><lb/>
Stande, auch nur einen genauen Voranſchlag für das geſammte Budget<lb/>
zu entwerfen. Uebellaunig und mißtrauiſch wie die Zeit war, ſchenkte<lb/>
die öffentliche Meinung jedem gehäſſigen Märchen Glauben, das über die<lb/>
geheimnißvolle Lage der Finanzen ausgeſprengt wurde. —</p><lb/><p>Gleichwohl gelang unter dieſer wunderlich zerſplitterten Verwaltung<lb/>
der große Umſchwung der preußiſchen Handelspolitik, die folgenreichſte<lb/>
politiſche That der Epoche. Das Verdienſt des neuen Finanzminiſters<lb/>
wurde nur in dem Kreiſe ſeiner vertrauten Räthe ganz gewürdigt; der<lb/>
häßliche kleine Mann mit dem gutmüthigen Philiſtergeſichte wußte ſich<lb/>
nicht recht zur Geltung zu bringen, diente dem jungen Kronprinzen oft<lb/>
zur Zielſcheibe für ſeine ausgelaſſenen Witze. Eine conſervative Natur,<lb/>
langſam im Urtheil, nicht reich an eigenen Gedanken, verſtand Klewiz doch<lb/>
die reformatoriſchen Ideen Anderer beſonnen und gründlich zu verarbeiten,<lb/>
und was er ſich einmal angeeignet, das hielt er feſt mit zäher Geduld<lb/>
und unerſchütterlichem Gleichmuth. Wie er einſt in Königsberg bei der<lb/>
Aufhebung der Erbunterthänigkeit freudig mitgewirkt hatte, ſo rettete er<lb/>
jetzt aus dem Schiffbruch der Bülow’ſchen Entwürfe den werthvollſten<lb/>
Theil, das Zollgeſetz, und führte die radikale Neuerung gelaſſen durch<lb/>
unter dem leidenſchaftlichen Widerſtande des In- und Auslandes.<noteplace="foot"n="*)">Ich benutze hier u. A. einen handſchriftlichen Aufſatz von L. Kühne, Wer iſt der<lb/>
Stifter des Zollvereins? (1841). Aus den Papieren des Herrn v. Motz.</note></p><lb/><p>In dem Sturm und Drang der großen Reformperiode war für die<lb/>
Umgeſtaltung des alten Acciſeweſens wenig geſchehen; man hatte ſich be-<lb/>
gnügt, dem flachen Lande mehrere ſtädtiſche Steuern aufzulegen und in<lb/>
Altpreußen die Einfuhr fremder Fabrikwaaren gegen eine Acciſe von 8⅓<lb/>
Procent des Werthes zu geſtatten. Daneben beſtanden in den alten Pro-<lb/>
vinzen noch ſiebenundſechzig verſchiedene Tarife, nahezu 3000 Waaren-<lb/>
klaſſen umfaſſend; außerdem die kurſächſiſche Generalacciſe im Herzogthum<lb/>
Sachſen, das ſchwediſche Zollweſen in Neuvorpommern, in den Rhein-<lb/>
landen endlich ſeit Aufhebung der napoleoniſchen Douanen ein ſchlechter-<lb/>
dings anarchiſcher Zuſtand. Und dieſe unerträgliche Beläſtigung des Ver-<lb/>
kehrs gewährte doch, da eine geordnete Grenzbewachung noch fehlte, keinen<lb/>
Schutz gegen das Ausland. Auch in dem chaotiſchen Geldweſen zeigte ſich<lb/>
die Abhängigkeit des verarmten Staates von den Fremden: in Poſen und<lb/>
Pommern mußten 48, in den Provinzen links der Elbe 71 fremde Geld-<lb/>ſorten amtlich anerkannt und tarifirt werden. Schon längſt bemerkte der<lb/>
König mit Beſorgniß, wie ſchwer der geſetzliche Sinn des Volkes durch<lb/>
die Fortdauer des überlebten Prohibitivſyſtems geſchädigt wurde. Seit die<lb/>
bürgerlichen Gewerbe auf dem platten Lande ſich anſiedelten, nahm der<lb/>
Schmuggel einen ungeheuren Aufſchwung. Im Jahre 1815 verſteuerte<lb/>
jeder Materialwaarenladen der alten Provinzen täglich nur zwei Pfund<lb/>
Kaffee.</p><lb/><fwplace="bottom"type="sig">14*</fw><lb/></div></div></body></text></TEI>
[211/0225]
Der Miniſterwechſel vom November 1817.
Stande, auch nur einen genauen Voranſchlag für das geſammte Budget
zu entwerfen. Uebellaunig und mißtrauiſch wie die Zeit war, ſchenkte
die öffentliche Meinung jedem gehäſſigen Märchen Glauben, das über die
geheimnißvolle Lage der Finanzen ausgeſprengt wurde. —
Gleichwohl gelang unter dieſer wunderlich zerſplitterten Verwaltung
der große Umſchwung der preußiſchen Handelspolitik, die folgenreichſte
politiſche That der Epoche. Das Verdienſt des neuen Finanzminiſters
wurde nur in dem Kreiſe ſeiner vertrauten Räthe ganz gewürdigt; der
häßliche kleine Mann mit dem gutmüthigen Philiſtergeſichte wußte ſich
nicht recht zur Geltung zu bringen, diente dem jungen Kronprinzen oft
zur Zielſcheibe für ſeine ausgelaſſenen Witze. Eine conſervative Natur,
langſam im Urtheil, nicht reich an eigenen Gedanken, verſtand Klewiz doch
die reformatoriſchen Ideen Anderer beſonnen und gründlich zu verarbeiten,
und was er ſich einmal angeeignet, das hielt er feſt mit zäher Geduld
und unerſchütterlichem Gleichmuth. Wie er einſt in Königsberg bei der
Aufhebung der Erbunterthänigkeit freudig mitgewirkt hatte, ſo rettete er
jetzt aus dem Schiffbruch der Bülow’ſchen Entwürfe den werthvollſten
Theil, das Zollgeſetz, und führte die radikale Neuerung gelaſſen durch
unter dem leidenſchaftlichen Widerſtande des In- und Auslandes. *)
In dem Sturm und Drang der großen Reformperiode war für die
Umgeſtaltung des alten Acciſeweſens wenig geſchehen; man hatte ſich be-
gnügt, dem flachen Lande mehrere ſtädtiſche Steuern aufzulegen und in
Altpreußen die Einfuhr fremder Fabrikwaaren gegen eine Acciſe von 8⅓
Procent des Werthes zu geſtatten. Daneben beſtanden in den alten Pro-
vinzen noch ſiebenundſechzig verſchiedene Tarife, nahezu 3000 Waaren-
klaſſen umfaſſend; außerdem die kurſächſiſche Generalacciſe im Herzogthum
Sachſen, das ſchwediſche Zollweſen in Neuvorpommern, in den Rhein-
landen endlich ſeit Aufhebung der napoleoniſchen Douanen ein ſchlechter-
dings anarchiſcher Zuſtand. Und dieſe unerträgliche Beläſtigung des Ver-
kehrs gewährte doch, da eine geordnete Grenzbewachung noch fehlte, keinen
Schutz gegen das Ausland. Auch in dem chaotiſchen Geldweſen zeigte ſich
die Abhängigkeit des verarmten Staates von den Fremden: in Poſen und
Pommern mußten 48, in den Provinzen links der Elbe 71 fremde Geld-
ſorten amtlich anerkannt und tarifirt werden. Schon längſt bemerkte der
König mit Beſorgniß, wie ſchwer der geſetzliche Sinn des Volkes durch
die Fortdauer des überlebten Prohibitivſyſtems geſchädigt wurde. Seit die
bürgerlichen Gewerbe auf dem platten Lande ſich anſiedelten, nahm der
Schmuggel einen ungeheuren Aufſchwung. Im Jahre 1815 verſteuerte
jeder Materialwaarenladen der alten Provinzen täglich nur zwei Pfund
Kaffee.
*) Ich benutze hier u. A. einen handſchriftlichen Aufſatz von L. Kühne, Wer iſt der
Stifter des Zollvereins? (1841). Aus den Papieren des Herrn v. Motz.
14*
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/225>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.