Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.II. 5. Die Wiederherstellung des preußischen Staates. zu seiner Ueberraschung den Befehl, sich auf seinen Londoner Gesandt-schaftsposten zu begeben. Am 3. November und 2. December erfolgte so- dann eine Neubildung des Ministeriums, welche allein die Departements des Krieges und der Polizei unberührt ließ und gleichwohl den Wünschen der Opposition nur halb entsprach. Bülow trat das Finanzwesen an Klewiz ab und behielt unter dem Titel eines Handelsministers nur noch die Leitung der Handelspolitik -- eine Aufgabe, die seinem Talent und seinem Bildungsgange besser entsprach. Das unter Schuckmanns Verwaltung gänzlich vernachlässigte Unterrichtsdepartement wurde als Ministerium der geistlichen und Unterrichts-Angelegenheiten von dem Ministerium des Innern abgezweigt und unter Altensteins Leitung gestellt. Ebenso wurde von dem Justizministerium ein Ministerium für die Revision der Gesetze und die Justizorganisation der neuen Provinzen abgetrennt; an seine Spitze trat der Kanzler Beyme, der noch von den alten Zeiten her, da er Kabinets- rath gewesen, das Vertrauen des Königs besaß und jetzt allgemein für einen entschiedenen Liberalen galt. Um die Einheit des Willens bei der Reform des Staatshaushalts zu sichern, errichtete Hardenberg endlich noch eine Generalcontrole zur Prüfung sämmtlicher Staatsausgaben sowie ein Schatzministerium für den Schatz, die Schuld, die außerordentlichen Aus- gaben und behielt sich die oberste Leitung beider Departements selber vor. So war denn keiner der Minister gänzlich beseitigt. Die Männer, II. 5. Die Wiederherſtellung des preußiſchen Staates. zu ſeiner Ueberraſchung den Befehl, ſich auf ſeinen Londoner Geſandt-ſchaftspoſten zu begeben. Am 3. November und 2. December erfolgte ſo- dann eine Neubildung des Miniſteriums, welche allein die Departements des Krieges und der Polizei unberührt ließ und gleichwohl den Wünſchen der Oppoſition nur halb entſprach. Bülow trat das Finanzweſen an Klewiz ab und behielt unter dem Titel eines Handelsminiſters nur noch die Leitung der Handelspolitik — eine Aufgabe, die ſeinem Talent und ſeinem Bildungsgange beſſer entſprach. Das unter Schuckmanns Verwaltung gänzlich vernachläſſigte Unterrichtsdepartement wurde als Miniſterium der geiſtlichen und Unterrichts-Angelegenheiten von dem Miniſterium des Innern abgezweigt und unter Altenſteins Leitung geſtellt. Ebenſo wurde von dem Juſtizminiſterium ein Miniſterium für die Reviſion der Geſetze und die Juſtizorganiſation der neuen Provinzen abgetrennt; an ſeine Spitze trat der Kanzler Beyme, der noch von den alten Zeiten her, da er Kabinets- rath geweſen, das Vertrauen des Königs beſaß und jetzt allgemein für einen entſchiedenen Liberalen galt. Um die Einheit des Willens bei der Reform des Staatshaushalts zu ſichern, errichtete Hardenberg endlich noch eine Generalcontrole zur Prüfung ſämmtlicher Staatsausgaben ſowie ein Schatzminiſterium für den Schatz, die Schuld, die außerordentlichen Aus- gaben und behielt ſich die oberſte Leitung beider Departements ſelber vor. So war denn keiner der Miniſter gänzlich beſeitigt. Die Männer, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0224" n="210"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">II.</hi> 5. Die Wiederherſtellung des preußiſchen Staates.</fw><lb/> zu ſeiner Ueberraſchung den Befehl, ſich auf ſeinen Londoner Geſandt-<lb/> ſchaftspoſten zu begeben. Am 3. November und 2. December erfolgte ſo-<lb/> dann eine Neubildung des Miniſteriums, welche allein die Departements<lb/> des Krieges und der Polizei unberührt ließ und gleichwohl den Wünſchen<lb/> der Oppoſition nur halb entſprach. 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Der Zwie-<lb/> ſpalt in der Regierung ward eher verſchärft als gemildert; namentlich die<lb/> Zerſplitterung des Finanzminiſteriums in drei gleichberechtigte Departe-<lb/> ments erwies ſich ſogleich als ein ſchwerer Mißgriff. Da die Kräfte des<lb/> Staatskanzlers für dies Uebermaß der Arbeit nicht ausreichten, ſo über-<lb/> ließ er die Staatsſchuldenverwaltung gänzlich ſeinem Vertrauten Rother,<lb/> einem ſehr tüchtigen Finanzmanne, der ſich durch ſein rühriges Talent<lb/> vom gelben Reiter zu den höchſten Staatsämtern emporgearbeitet hatte.<lb/> In der Generalcontrole aber herrſchte bald unumſchränkt der Direktor<lb/> Geh. Rath v. Ladenberg, ein Beamter der alten Schule von eiſernem<lb/> Fleiß und ſteifem Selbſtgefühle, der die Steuerreform hartnäckig bekämpfte<lb/> und zu dem alten Acciſeſyſtem zurückſtrebte. Deutſcher Eigenſinn und<lb/> deutſcher Pflichteifer hatten jederzeit heftige Reibungen zwiſchen den preu-<lb/> ßiſchen Behörden hervorgerufen. Jetzt vollends, da der natürliche Zuſam-<lb/> menhang des Staatshaushalts willkürlich zerriſſen war, konnten erbitterte<lb/> Händel nicht ausbleiben. Der Finanzminiſter Klewiz entbehrte des noth-<lb/> wendigen Anſehens bei den anderen Miniſtern, weil ſie nicht von ihm die<lb/> Bewilligung ihrer Ausgaben zu erwarten hatten, und ſah ſich darum außer<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [210/0224]
II. 5. Die Wiederherſtellung des preußiſchen Staates.
zu ſeiner Ueberraſchung den Befehl, ſich auf ſeinen Londoner Geſandt-
ſchaftspoſten zu begeben. Am 3. November und 2. December erfolgte ſo-
dann eine Neubildung des Miniſteriums, welche allein die Departements
des Krieges und der Polizei unberührt ließ und gleichwohl den Wünſchen
der Oppoſition nur halb entſprach. Bülow trat das Finanzweſen an
Klewiz ab und behielt unter dem Titel eines Handelsminiſters nur noch die
Leitung der Handelspolitik — eine Aufgabe, die ſeinem Talent und ſeinem
Bildungsgange beſſer entſprach. Das unter Schuckmanns Verwaltung
gänzlich vernachläſſigte Unterrichtsdepartement wurde als Miniſterium der
geiſtlichen und Unterrichts-Angelegenheiten von dem Miniſterium des
Innern abgezweigt und unter Altenſteins Leitung geſtellt. Ebenſo wurde
von dem Juſtizminiſterium ein Miniſterium für die Reviſion der Geſetze
und die Juſtizorganiſation der neuen Provinzen abgetrennt; an ſeine Spitze
trat der Kanzler Beyme, der noch von den alten Zeiten her, da er Kabinets-
rath geweſen, das Vertrauen des Königs beſaß und jetzt allgemein für
einen entſchiedenen Liberalen galt. Um die Einheit des Willens bei der
Reform des Staatshaushalts zu ſichern, errichtete Hardenberg endlich noch
eine Generalcontrole zur Prüfung ſämmtlicher Staatsausgaben ſowie ein
Schatzminiſterium für den Schatz, die Schuld, die außerordentlichen Aus-
gaben und behielt ſich die oberſte Leitung beider Departements ſelber vor.
So war denn keiner der Miniſter gänzlich beſeitigt. Die Männer,
die einander mit den härteſten Vorwürfen überhäuft, verſtanden ſich alle-
ſammt zum Bleiben, weil der Staatskanzler doch ohne Rückſicht auf die
Stimmenmehrheit ſelbſtändig zu entſcheiden hatte. In der Staatsrathscom-
miſſion, welche die Reform des Steuerſyſtems vollenden ſollte, führten
die beiden Gegner Bülow und Klewiz gemeinſam den Vorſitz. Der Zwie-
ſpalt in der Regierung ward eher verſchärft als gemildert; namentlich die
Zerſplitterung des Finanzminiſteriums in drei gleichberechtigte Departe-
ments erwies ſich ſogleich als ein ſchwerer Mißgriff. Da die Kräfte des
Staatskanzlers für dies Uebermaß der Arbeit nicht ausreichten, ſo über-
ließ er die Staatsſchuldenverwaltung gänzlich ſeinem Vertrauten Rother,
einem ſehr tüchtigen Finanzmanne, der ſich durch ſein rühriges Talent
vom gelben Reiter zu den höchſten Staatsämtern emporgearbeitet hatte.
In der Generalcontrole aber herrſchte bald unumſchränkt der Direktor
Geh. Rath v. Ladenberg, ein Beamter der alten Schule von eiſernem
Fleiß und ſteifem Selbſtgefühle, der die Steuerreform hartnäckig bekämpfte
und zu dem alten Acciſeſyſtem zurückſtrebte. Deutſcher Eigenſinn und
deutſcher Pflichteifer hatten jederzeit heftige Reibungen zwiſchen den preu-
ßiſchen Behörden hervorgerufen. Jetzt vollends, da der natürliche Zuſam-
menhang des Staatshaushalts willkürlich zerriſſen war, konnten erbitterte
Händel nicht ausbleiben. Der Finanzminiſter Klewiz entbehrte des noth-
wendigen Anſehens bei den anderen Miniſtern, weil ſie nicht von ihm die
Bewilligung ihrer Ausgaben zu erwarten hatten, und ſah ſich darum außer
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Zitationshilfe: | Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/224>, abgerufen am 16.02.2025. |