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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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Maassen.
betrachtete als höchste Aufgabe der Handelspolitik "das Numeraire dem
Lande zu conserviren"; die Mehrheit beschloß, der Krone die Wiederher-
stellung des Verbotsystems, wie es bis zum Jahre 1806 bestanden, anzu-
rathen. Aber zugleich mit diesem Berichte ging auch ein geharnischtes
Minderheitsgutachten ein, verfaßt von Staatsrath Kunth, dem Erzieher
der Gebrüder Humboldt, einem selbstbewußten Vertreter des altpreußischen
Beamtenstolzes, der das gute Recht der Bureaukratie oftmals gegen die
aristokratische Geringschätzung seines Freundes Stein vertheidigte. Mit
den Zuständen des Fabrikwesens aus eigener Anschauung gründlich ver-
traut, lebte und webte er in den Gedanken der neuen Volkswirthschaftslehre.
"Eigenthum und Freiheit, darin liegt Alles; es giebt nichts Anderes" --
so lautete sein Kernspruch. Als das ärgste Gebrechen der preußischen
Industrie erschien ihm die erstaunlich mangelhafte Bildung der meisten
Fabrikanten, eine schlimme Frucht des Uebergewichts der gelehrten Klassen,
welche nur durch den Einfluß des auswärtigen Wettbewerbs allmählich be-
seitigt werden konnte; waren doch selbst unter den ersten Fabrikherren
Berlins Viele, die kaum nothdürftig ihren Namen zu schreiben vermochten.

Kunths Gutachten fand im Staatsrathe fast ungetheilte Zustimmung;
es ließ sich nicht mehr verkennen, daß die Aufhebung der Handelsverbote nur
die nothwendige Ergänzung der Reformen von 1808 bildete. Als das
Plenum des Staatsraths am 3. Juli über das Zollgesetz berieth, sprachen die
politischen Gegner Gneisenau und Schuckmann einmüthig für die Befreiung
des Verkehrs. Oberpräsident Merckel und Geh. Rath Ferber, ein aus dem
sächsischen Dienste herübergekommener trefflicher Nationalökonom, führten
aus, daß dem Nothstande des Gewerbefleißes in Schlesien und Sachsen
nur durch die Freiheit zu begegnen sei; und zuletzt stimmten von 56 An-
wesenden nur drei gegen das Gesetz: Heydebreck, Ladenberg und Geh. Rath
Beguelin.*) Am 1. August genehmigte der König von Karlsbad aus "das
Princip der freien Einfuhr für alle Zukunft". Nun folgten neue peinliche
Verhandlungen, da es anfangs unmöglich schien die neue Ordnung gleich-
zeitig in den beiden Hälften des Staatsgebiets einzuführen. Endlich am
26. Mai 1818 kam das Zollgesetz für die gesammte Monarchie zu Stande.

Sein Verfasser war der Generaldirektor Karl Georg Maassen, ein
Beamter von umfassenden Kenntnissen, mit Leib und Seele in den Ge-
schäften lebend, ein Mann, der hinter kindlich anspruchslosen Umgangs-
formen den kühnen Muth des Reformers, eine tiefe und freie Auffassung
des socialen Lebens verbarg. Aus Cleve gebürtig, hatte er zuerst als preu-
ßischer Beamter in seiner Heimath, dann eine Zeit lang im bergischen
Staatsdienste die Großindustrie des Niederrheines, nachher bei der Pots-
damer Regierung die Volkswirthschaft des Nordostens kennen und also die
Theorien Adam Smith's, denen er von früh auf huldigte, durch viel-

*) Protokolle des Staatsraths. 4. Sitzung vom 3. Juli 1817.

Maaſſen.
betrachtete als höchſte Aufgabe der Handelspolitik „das Numeraire dem
Lande zu conſerviren“; die Mehrheit beſchloß, der Krone die Wiederher-
ſtellung des Verbotſyſtems, wie es bis zum Jahre 1806 beſtanden, anzu-
rathen. Aber zugleich mit dieſem Berichte ging auch ein geharniſchtes
Minderheitsgutachten ein, verfaßt von Staatsrath Kunth, dem Erzieher
der Gebrüder Humboldt, einem ſelbſtbewußten Vertreter des altpreußiſchen
Beamtenſtolzes, der das gute Recht der Bureaukratie oftmals gegen die
ariſtokratiſche Geringſchätzung ſeines Freundes Stein vertheidigte. Mit
den Zuſtänden des Fabrikweſens aus eigener Anſchauung gründlich ver-
traut, lebte und webte er in den Gedanken der neuen Volkswirthſchaftslehre.
„Eigenthum und Freiheit, darin liegt Alles; es giebt nichts Anderes“ —
ſo lautete ſein Kernſpruch. Als das ärgſte Gebrechen der preußiſchen
Induſtrie erſchien ihm die erſtaunlich mangelhafte Bildung der meiſten
Fabrikanten, eine ſchlimme Frucht des Uebergewichts der gelehrten Klaſſen,
welche nur durch den Einfluß des auswärtigen Wettbewerbs allmählich be-
ſeitigt werden konnte; waren doch ſelbſt unter den erſten Fabrikherren
Berlins Viele, die kaum nothdürftig ihren Namen zu ſchreiben vermochten.

Kunths Gutachten fand im Staatsrathe faſt ungetheilte Zuſtimmung;
es ließ ſich nicht mehr verkennen, daß die Aufhebung der Handelsverbote nur
die nothwendige Ergänzung der Reformen von 1808 bildete. Als das
Plenum des Staatsraths am 3. Juli über das Zollgeſetz berieth, ſprachen die
politiſchen Gegner Gneiſenau und Schuckmann einmüthig für die Befreiung
des Verkehrs. Oberpräſident Merckel und Geh. Rath Ferber, ein aus dem
ſächſiſchen Dienſte herübergekommener trefflicher Nationalökonom, führten
aus, daß dem Nothſtande des Gewerbefleißes in Schleſien und Sachſen
nur durch die Freiheit zu begegnen ſei; und zuletzt ſtimmten von 56 An-
weſenden nur drei gegen das Geſetz: Heydebreck, Ladenberg und Geh. Rath
Beguelin.*) Am 1. Auguſt genehmigte der König von Karlsbad aus „das
Princip der freien Einfuhr für alle Zukunft“. Nun folgten neue peinliche
Verhandlungen, da es anfangs unmöglich ſchien die neue Ordnung gleich-
zeitig in den beiden Hälften des Staatsgebiets einzuführen. Endlich am
26. Mai 1818 kam das Zollgeſetz für die geſammte Monarchie zu Stande.

Sein Verfaſſer war der Generaldirektor Karl Georg Maaſſen, ein
Beamter von umfaſſenden Kenntniſſen, mit Leib und Seele in den Ge-
ſchäften lebend, ein Mann, der hinter kindlich anſpruchsloſen Umgangs-
formen den kühnen Muth des Reformers, eine tiefe und freie Auffaſſung
des ſocialen Lebens verbarg. Aus Cleve gebürtig, hatte er zuerſt als preu-
ßiſcher Beamter in ſeiner Heimath, dann eine Zeit lang im bergiſchen
Staatsdienſte die Großinduſtrie des Niederrheines, nachher bei der Pots-
damer Regierung die Volkswirthſchaft des Nordoſtens kennen und alſo die
Theorien Adam Smith’s, denen er von früh auf huldigte, durch viel-

*) Protokolle des Staatsraths. 4. Sitzung vom 3. Juli 1817.
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[213/0227] Maaſſen. betrachtete als höchſte Aufgabe der Handelspolitik „das Numeraire dem Lande zu conſerviren“; die Mehrheit beſchloß, der Krone die Wiederher- ſtellung des Verbotſyſtems, wie es bis zum Jahre 1806 beſtanden, anzu- rathen. Aber zugleich mit dieſem Berichte ging auch ein geharniſchtes Minderheitsgutachten ein, verfaßt von Staatsrath Kunth, dem Erzieher der Gebrüder Humboldt, einem ſelbſtbewußten Vertreter des altpreußiſchen Beamtenſtolzes, der das gute Recht der Bureaukratie oftmals gegen die ariſtokratiſche Geringſchätzung ſeines Freundes Stein vertheidigte. Mit den Zuſtänden des Fabrikweſens aus eigener Anſchauung gründlich ver- traut, lebte und webte er in den Gedanken der neuen Volkswirthſchaftslehre. „Eigenthum und Freiheit, darin liegt Alles; es giebt nichts Anderes“ — ſo lautete ſein Kernſpruch. Als das ärgſte Gebrechen der preußiſchen Induſtrie erſchien ihm die erſtaunlich mangelhafte Bildung der meiſten Fabrikanten, eine ſchlimme Frucht des Uebergewichts der gelehrten Klaſſen, welche nur durch den Einfluß des auswärtigen Wettbewerbs allmählich be- ſeitigt werden konnte; waren doch ſelbſt unter den erſten Fabrikherren Berlins Viele, die kaum nothdürftig ihren Namen zu ſchreiben vermochten. Kunths Gutachten fand im Staatsrathe faſt ungetheilte Zuſtimmung; es ließ ſich nicht mehr verkennen, daß die Aufhebung der Handelsverbote nur die nothwendige Ergänzung der Reformen von 1808 bildete. Als das Plenum des Staatsraths am 3. Juli über das Zollgeſetz berieth, ſprachen die politiſchen Gegner Gneiſenau und Schuckmann einmüthig für die Befreiung des Verkehrs. Oberpräſident Merckel und Geh. Rath Ferber, ein aus dem ſächſiſchen Dienſte herübergekommener trefflicher Nationalökonom, führten aus, daß dem Nothſtande des Gewerbefleißes in Schleſien und Sachſen nur durch die Freiheit zu begegnen ſei; und zuletzt ſtimmten von 56 An- weſenden nur drei gegen das Geſetz: Heydebreck, Ladenberg und Geh. Rath Beguelin. *) Am 1. Auguſt genehmigte der König von Karlsbad aus „das Princip der freien Einfuhr für alle Zukunft“. Nun folgten neue peinliche Verhandlungen, da es anfangs unmöglich ſchien die neue Ordnung gleich- zeitig in den beiden Hälften des Staatsgebiets einzuführen. Endlich am 26. Mai 1818 kam das Zollgeſetz für die geſammte Monarchie zu Stande. Sein Verfaſſer war der Generaldirektor Karl Georg Maaſſen, ein Beamter von umfaſſenden Kenntniſſen, mit Leib und Seele in den Ge- ſchäften lebend, ein Mann, der hinter kindlich anſpruchsloſen Umgangs- formen den kühnen Muth des Reformers, eine tiefe und freie Auffaſſung des ſocialen Lebens verbarg. Aus Cleve gebürtig, hatte er zuerſt als preu- ßiſcher Beamter in ſeiner Heimath, dann eine Zeit lang im bergiſchen Staatsdienſte die Großinduſtrie des Niederrheines, nachher bei der Pots- damer Regierung die Volkswirthſchaft des Nordoſtens kennen und alſo die Theorien Adam Smith’s, denen er von früh auf huldigte, durch viel- *) Protokolle des Staatsraths. 4. Sitzung vom 3. Juli 1817.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 213. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/227>, abgerufen am 21.11.2024.