Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

Bild:
<< vorherige Seite

Das Jubelfest der Reformation.
ruhigte.*) Dann folgten Baden und einige hessische Provinzen, kurz, alle
die deutschen Landschaften, in denen die beiden Kirchen zahlreich vertreten
waren.

Dem glücklichen Beginne entsprach der Fortgang des großen Unter-
nehmens nicht ganz. Die Ehrlichkeit des Königs hatte verschmäht, den
Streit der Bekenntnisse durch eine künstliche Eintrachtsformel scheinbar
zu schlichten; die Union beruhte auf der Hoffnung, daß der Geist christ-
licher Liebe über die alten Unterscheidungslehren hinwegsehen und sie nicht
mehr als ein Hinderniß der kirchlichen Gemeinschaft betrachten werde. Aber
diese Erwartung erwies sich überall dort als irrig, wo die Lutheraner noch
fast ungemischt zusammen hausten, wo der Name der reformirten Saker-
menter noch als ein Schimpfwort galt und die Union nicht als ein prak-
tisches Bedürfniß empfunden wurde: so in Sachsen, in Mecklenburg,
in Holstein. Den strengen Lutheranern erschien das fromme Werk des
Königs wie eine Empörung der Vernunft gegen die Offenbarung; denn
das religiöse Gefühl verlangt, gleich dem künstlerischen, überall nach der
allerbestimmtesten Gestaltung seiner Ideale und fürchtet leicht die Heils-
wahrheit selber zu verlieren wenn auch nur ein Buchstabe der Schrift
als unwesentlich betrachtet wird. Mit leidenschaftlichem Ungestüm vertrat
Klaus Harms diese Ansicht in den 95 neuen Thesen, die er zum Refor-
mationsfeste hinaussandte. Dem glaubenseifrigen Holsten stand das Bild
Luthers vor der Seele, wie er bei dem Marburger Religionsgespräche sich
die Worte "das ist mein Leib" groß auf den Tisch geschrieben hatte und
auf alle Einwände starr erwiderte: ich kann nicht wider die Schrift. War
damals -- so erklärte Harms -- Christi Leib und Blut im Brot und
Wein, so ist es auch noch heute so. Triumphirend empfahl der sächsische
Oberhofprediger Ammon die neuen Thesen als eine bittere Arznei für
die Glaubensschwäche der Zeit. Der Dresdner Rationalist, der nur welt-
klug das Interesse der größten lutherischen Landeskirche zu wahren suchte,
wurde freilich durch eine geharnischte Entgegnung Schleiermachers rasch
abgethan; doch der tiefe Glaubensernst des Kieler Predigers war durch
wissenschaftliche Ueberlegenheit nicht zu besiegen. Auch der wackere Superin-
tendent Heubner in Wittenberg versagte sich der Union, und bald erwachte
dort in den Lutherlanden ein zäher, stiller Widerstand, der, entsprungen
aus den geheimnißvollen Tiefen des Gemüthslebens, mit schonender Zart-
heit behandelt werden mußte.

Von solcher Milde besaß das preußische Kirchenregiment nur wenig.
Nimmermehr freilich wollte der König die Gewissen bedrücken; doch je
fester er von seiner eigenen Glaubenstreue überzeugt war, um so weniger
konnte er die ehrliche Gesinnung der Widerstrebenden verstehen. Er durfte

*) Nach den schon im 1. Bande erwähnten Aufzeichnungen des bairischen Obercon-
sistorialraths v. Schmitt.
16*

Das Jubelfeſt der Reformation.
ruhigte.*) Dann folgten Baden und einige heſſiſche Provinzen, kurz, alle
die deutſchen Landſchaften, in denen die beiden Kirchen zahlreich vertreten
waren.

Dem glücklichen Beginne entſprach der Fortgang des großen Unter-
nehmens nicht ganz. Die Ehrlichkeit des Königs hatte verſchmäht, den
Streit der Bekenntniſſe durch eine künſtliche Eintrachtsformel ſcheinbar
zu ſchlichten; die Union beruhte auf der Hoffnung, daß der Geiſt chriſt-
licher Liebe über die alten Unterſcheidungslehren hinwegſehen und ſie nicht
mehr als ein Hinderniß der kirchlichen Gemeinſchaft betrachten werde. Aber
dieſe Erwartung erwies ſich überall dort als irrig, wo die Lutheraner noch
faſt ungemiſcht zuſammen hauſten, wo der Name der reformirten Saker-
menter noch als ein Schimpfwort galt und die Union nicht als ein prak-
tiſches Bedürfniß empfunden wurde: ſo in Sachſen, in Mecklenburg,
in Holſtein. Den ſtrengen Lutheranern erſchien das fromme Werk des
Königs wie eine Empörung der Vernunft gegen die Offenbarung; denn
das religiöſe Gefühl verlangt, gleich dem künſtleriſchen, überall nach der
allerbeſtimmteſten Geſtaltung ſeiner Ideale und fürchtet leicht die Heils-
wahrheit ſelber zu verlieren wenn auch nur ein Buchſtabe der Schrift
als unweſentlich betrachtet wird. Mit leidenſchaftlichem Ungeſtüm vertrat
Klaus Harms dieſe Anſicht in den 95 neuen Theſen, die er zum Refor-
mationsfeſte hinausſandte. Dem glaubenseifrigen Holſten ſtand das Bild
Luthers vor der Seele, wie er bei dem Marburger Religionsgeſpräche ſich
die Worte „das iſt mein Leib“ groß auf den Tiſch geſchrieben hatte und
auf alle Einwände ſtarr erwiderte: ich kann nicht wider die Schrift. War
damals — ſo erklärte Harms — Chriſti Leib und Blut im Brot und
Wein, ſo iſt es auch noch heute ſo. Triumphirend empfahl der ſächſiſche
Oberhofprediger Ammon die neuen Theſen als eine bittere Arznei für
die Glaubensſchwäche der Zeit. Der Dresdner Rationaliſt, der nur welt-
klug das Intereſſe der größten lutheriſchen Landeskirche zu wahren ſuchte,
wurde freilich durch eine geharniſchte Entgegnung Schleiermachers raſch
abgethan; doch der tiefe Glaubensernſt des Kieler Predigers war durch
wiſſenſchaftliche Ueberlegenheit nicht zu beſiegen. Auch der wackere Superin-
tendent Heubner in Wittenberg verſagte ſich der Union, und bald erwachte
dort in den Lutherlanden ein zäher, ſtiller Widerſtand, der, entſprungen
aus den geheimnißvollen Tiefen des Gemüthslebens, mit ſchonender Zart-
heit behandelt werden mußte.

Von ſolcher Milde beſaß das preußiſche Kirchenregiment nur wenig.
Nimmermehr freilich wollte der König die Gewiſſen bedrücken; doch je
feſter er von ſeiner eigenen Glaubenstreue überzeugt war, um ſo weniger
konnte er die ehrliche Geſinnung der Widerſtrebenden verſtehen. Er durfte

*) Nach den ſchon im 1. Bande erwähnten Aufzeichnungen des bairiſchen Obercon-
ſiſtorialraths v. Schmitt.
16*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0257" n="243"/><fw place="top" type="header">Das Jubelfe&#x017F;t der Reformation.</fw><lb/>
ruhigte.<note place="foot" n="*)">Nach den &#x017F;chon im 1. Bande erwähnten Aufzeichnungen des bairi&#x017F;chen Obercon-<lb/>
&#x017F;i&#x017F;torialraths v. Schmitt.</note> Dann folgten Baden und einige he&#x017F;&#x017F;i&#x017F;che Provinzen, kurz, alle<lb/>
die deut&#x017F;chen Land&#x017F;chaften, in denen die beiden Kirchen zahlreich vertreten<lb/>
waren.</p><lb/>
          <p>Dem glücklichen Beginne ent&#x017F;prach der Fortgang des großen Unter-<lb/>
nehmens nicht ganz. Die Ehrlichkeit des Königs hatte ver&#x017F;chmäht, den<lb/>
Streit der Bekenntni&#x017F;&#x017F;e durch eine kün&#x017F;tliche Eintrachtsformel &#x017F;cheinbar<lb/>
zu &#x017F;chlichten; die Union beruhte auf der Hoffnung, daß der Gei&#x017F;t chri&#x017F;t-<lb/>
licher Liebe über die alten Unter&#x017F;cheidungslehren hinweg&#x017F;ehen und &#x017F;ie nicht<lb/>
mehr als ein Hinderniß der kirchlichen Gemein&#x017F;chaft betrachten werde. Aber<lb/>
die&#x017F;e Erwartung erwies &#x017F;ich überall dort als irrig, wo die Lutheraner noch<lb/>
fa&#x017F;t ungemi&#x017F;cht zu&#x017F;ammen hau&#x017F;ten, wo der Name der reformirten Saker-<lb/>
menter noch als ein Schimpfwort galt und die Union nicht als ein prak-<lb/>
ti&#x017F;ches Bedürfniß empfunden wurde: &#x017F;o in Sach&#x017F;en, in Mecklenburg,<lb/>
in Hol&#x017F;tein. Den &#x017F;trengen Lutheranern er&#x017F;chien das fromme Werk des<lb/>
Königs wie eine Empörung der Vernunft gegen die Offenbarung; denn<lb/>
das religiö&#x017F;e Gefühl verlangt, gleich dem kün&#x017F;tleri&#x017F;chen, überall nach der<lb/>
allerbe&#x017F;timmte&#x017F;ten Ge&#x017F;taltung &#x017F;einer Ideale und fürchtet leicht die Heils-<lb/>
wahrheit &#x017F;elber zu verlieren wenn auch nur ein Buch&#x017F;tabe der Schrift<lb/>
als unwe&#x017F;entlich betrachtet wird. Mit leiden&#x017F;chaftlichem Unge&#x017F;tüm vertrat<lb/>
Klaus Harms die&#x017F;e An&#x017F;icht in den 95 neuen The&#x017F;en, die er zum Refor-<lb/>
mationsfe&#x017F;te hinaus&#x017F;andte. Dem glaubenseifrigen Hol&#x017F;ten &#x017F;tand das Bild<lb/>
Luthers vor der Seele, wie er bei dem Marburger Religionsge&#x017F;präche &#x017F;ich<lb/>
die Worte &#x201E;das i&#x017F;t mein Leib&#x201C; groß auf den Ti&#x017F;ch ge&#x017F;chrieben hatte und<lb/>
auf alle Einwände &#x017F;tarr erwiderte: ich kann nicht wider die Schrift. War<lb/>
damals &#x2014; &#x017F;o erklärte Harms &#x2014; Chri&#x017F;ti Leib und Blut im Brot und<lb/>
Wein, &#x017F;o i&#x017F;t es auch noch heute &#x017F;o. Triumphirend empfahl der &#x017F;äch&#x017F;i&#x017F;che<lb/>
Oberhofprediger Ammon die neuen The&#x017F;en als eine bittere Arznei für<lb/>
die Glaubens&#x017F;chwäche der Zeit. Der Dresdner Rationali&#x017F;t, der nur welt-<lb/>
klug das Intere&#x017F;&#x017F;e der größten lutheri&#x017F;chen Landeskirche zu wahren &#x017F;uchte,<lb/>
wurde freilich durch eine geharni&#x017F;chte Entgegnung Schleiermachers ra&#x017F;ch<lb/>
abgethan; doch der tiefe Glaubensern&#x017F;t des Kieler Predigers war durch<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftliche Ueberlegenheit nicht zu be&#x017F;iegen. Auch der wackere Superin-<lb/>
tendent Heubner in Wittenberg ver&#x017F;agte &#x017F;ich der Union, und bald erwachte<lb/>
dort in den Lutherlanden ein zäher, &#x017F;tiller Wider&#x017F;tand, der, ent&#x017F;prungen<lb/>
aus den geheimnißvollen Tiefen des Gemüthslebens, mit &#x017F;chonender Zart-<lb/>
heit behandelt werden mußte.</p><lb/>
          <p>Von &#x017F;olcher Milde be&#x017F;aß das preußi&#x017F;che Kirchenregiment nur wenig.<lb/>
Nimmermehr freilich wollte der König die Gewi&#x017F;&#x017F;en bedrücken; doch je<lb/>
fe&#x017F;ter er von &#x017F;einer eigenen Glaubenstreue überzeugt war, um &#x017F;o weniger<lb/>
konnte er die ehrliche Ge&#x017F;innung der Wider&#x017F;trebenden ver&#x017F;tehen. Er durfte<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">16*</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[243/0257] Das Jubelfeſt der Reformation. ruhigte. *) Dann folgten Baden und einige heſſiſche Provinzen, kurz, alle die deutſchen Landſchaften, in denen die beiden Kirchen zahlreich vertreten waren. Dem glücklichen Beginne entſprach der Fortgang des großen Unter- nehmens nicht ganz. Die Ehrlichkeit des Königs hatte verſchmäht, den Streit der Bekenntniſſe durch eine künſtliche Eintrachtsformel ſcheinbar zu ſchlichten; die Union beruhte auf der Hoffnung, daß der Geiſt chriſt- licher Liebe über die alten Unterſcheidungslehren hinwegſehen und ſie nicht mehr als ein Hinderniß der kirchlichen Gemeinſchaft betrachten werde. Aber dieſe Erwartung erwies ſich überall dort als irrig, wo die Lutheraner noch faſt ungemiſcht zuſammen hauſten, wo der Name der reformirten Saker- menter noch als ein Schimpfwort galt und die Union nicht als ein prak- tiſches Bedürfniß empfunden wurde: ſo in Sachſen, in Mecklenburg, in Holſtein. Den ſtrengen Lutheranern erſchien das fromme Werk des Königs wie eine Empörung der Vernunft gegen die Offenbarung; denn das religiöſe Gefühl verlangt, gleich dem künſtleriſchen, überall nach der allerbeſtimmteſten Geſtaltung ſeiner Ideale und fürchtet leicht die Heils- wahrheit ſelber zu verlieren wenn auch nur ein Buchſtabe der Schrift als unweſentlich betrachtet wird. Mit leidenſchaftlichem Ungeſtüm vertrat Klaus Harms dieſe Anſicht in den 95 neuen Theſen, die er zum Refor- mationsfeſte hinausſandte. Dem glaubenseifrigen Holſten ſtand das Bild Luthers vor der Seele, wie er bei dem Marburger Religionsgeſpräche ſich die Worte „das iſt mein Leib“ groß auf den Tiſch geſchrieben hatte und auf alle Einwände ſtarr erwiderte: ich kann nicht wider die Schrift. War damals — ſo erklärte Harms — Chriſti Leib und Blut im Brot und Wein, ſo iſt es auch noch heute ſo. Triumphirend empfahl der ſächſiſche Oberhofprediger Ammon die neuen Theſen als eine bittere Arznei für die Glaubensſchwäche der Zeit. Der Dresdner Rationaliſt, der nur welt- klug das Intereſſe der größten lutheriſchen Landeskirche zu wahren ſuchte, wurde freilich durch eine geharniſchte Entgegnung Schleiermachers raſch abgethan; doch der tiefe Glaubensernſt des Kieler Predigers war durch wiſſenſchaftliche Ueberlegenheit nicht zu beſiegen. Auch der wackere Superin- tendent Heubner in Wittenberg verſagte ſich der Union, und bald erwachte dort in den Lutherlanden ein zäher, ſtiller Widerſtand, der, entſprungen aus den geheimnißvollen Tiefen des Gemüthslebens, mit ſchonender Zart- heit behandelt werden mußte. Von ſolcher Milde beſaß das preußiſche Kirchenregiment nur wenig. Nimmermehr freilich wollte der König die Gewiſſen bedrücken; doch je feſter er von ſeiner eigenen Glaubenstreue überzeugt war, um ſo weniger konnte er die ehrliche Geſinnung der Widerſtrebenden verſtehen. Er durfte *) Nach den ſchon im 1. Bande erwähnten Aufzeichnungen des bairiſchen Obercon- ſiſtorialraths v. Schmitt. 16*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/257
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 243. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/257>, abgerufen am 24.11.2024.