II. 5. Die Wiederherstellung des preußischen Staates.
darauf am 27. Septbr. 1817 veröffentlicht wurde. In schlichten Worten verkündigte der König seinen Entschluß, am Reformationsfeste gemeinsam mit den Lutheranern zum Abendmahl zu gehen; er denke damit im Geiste des Protestantismus, nach den Absichten seiner Vorfahren und der Re- formatoren selbst zu handeln. Nicht der Uebergang der einen Kirche zu der andern sei beabsichtigt, sondern beide sollten eine neu belebte evangelisch- christliche Kirche werden; aus der Freiheit eigener Ueberzeugung, nicht aus Ueberredung oder Indifferentismus müsse die Wiedervereinigung hervor- gehn. Sein Beispiel, so hoffe er, werde wohlthuend auf alle protestanti- schen Gemeinden im Lande wirken und eine allgemeine Nachfolge im Geiste und in der Wahrheit finden. Der Eindruck der herzlichen Ansprache war tief und nachhaltig. Die unter Schleiermachers Vorsitze versammelte bran- denburgische Synode erklärte sofort ihre Zustimmung, und der ehrwürdige Sack, der während dieser bewegten Tage starb, schied von der Erde mit der frohen Ahnung, daß die Saat seines Lebens jetzt aufging.
Am 30. Oktober strömte überall im Lande das protestantische Volk zu den festlich geschmückten Kirchen. In Berlin reichte Schleiermacher nach dem gemeinsamen Abendmahle dem Lutheraner Marheineke vor dem Altar die Hand. In der Potsdamer Garnisonkirche empfing der König mit seinem Hause und unzähligen Genossen beider Bekenntnisse das Sacra- ment; Tags darauf legte er in Wittenberg den Grundstein für das Stand- bild des Reformators. Welch ein Gegensatz zu den beiden ersten Jubel- festen der Reformation! Vor zweihundert Jahren stand das Unwetter des großen Krieges drohend am Himmel, hundert Jahre darauf war die Kirche völlig verarmt an geistiger Kraft, und jetzt gelang ihr wieder eine schöpferische That, eine That der Versöhnung. Das Erwachen des historischen Sinnes hatte auch auf das kirchliche Leben segensreich zurückgewirkt. Luther er- schien seinem Volke nicht mehr, wie in den Tagen des alten Rationalismus, blos als der Bekämpfer Roms; das neue Geschlecht begann auch die auf- bauende Thätigkeit der Reformation wieder dankbar zu würdigen. Ein frommer Sinn beseelte unverkennbar die meisten der Festschriften des Tages. Das katholische Volk nahm an der friedlichen Feier wenig Aergerniß, ob- gleich es an Hader nicht ganz fehlte und die Streitschrift des katholischen Pfarrers van Eß eine Reihe gereizter Erwiderungen hervorrief. Der Ge- danke der Union ergab sich so nothwendig aus der Geschichte des deutschen Protestantismus, daß Friedrich Wilhelms Beispiel bald fast in sämmtlichen Gemeinden seines Landes und dann auch in andern deutschen Staaten freiwillige Nachfolge fand. Schon im August 1818 wurde in der Stifts- kirche zu Kaiserslautern feierlich verkündigt, daß die Union für die bairische Pfalz durch Abstimmung aller Gemeinden angenommen sei, und hier aller- dings hatte die kirchliche Gleichgiltigkeit einigen Antheil an dem Gelingen; viele der aufgeklärten Pfälzer fragten einfach, ob die Union die Kirchen- steuern erhöhen werde, und stimmten zu sobald man sie darüber be-
II. 5. Die Wiederherſtellung des preußiſchen Staates.
darauf am 27. Septbr. 1817 veröffentlicht wurde. In ſchlichten Worten verkündigte der König ſeinen Entſchluß, am Reformationsfeſte gemeinſam mit den Lutheranern zum Abendmahl zu gehen; er denke damit im Geiſte des Proteſtantismus, nach den Abſichten ſeiner Vorfahren und der Re- formatoren ſelbſt zu handeln. Nicht der Uebergang der einen Kirche zu der andern ſei beabſichtigt, ſondern beide ſollten eine neu belebte evangeliſch- chriſtliche Kirche werden; aus der Freiheit eigener Ueberzeugung, nicht aus Ueberredung oder Indifferentismus müſſe die Wiedervereinigung hervor- gehn. Sein Beiſpiel, ſo hoffe er, werde wohlthuend auf alle proteſtanti- ſchen Gemeinden im Lande wirken und eine allgemeine Nachfolge im Geiſte und in der Wahrheit finden. Der Eindruck der herzlichen Anſprache war tief und nachhaltig. Die unter Schleiermachers Vorſitze verſammelte bran- denburgiſche Synode erklärte ſofort ihre Zuſtimmung, und der ehrwürdige Sack, der während dieſer bewegten Tage ſtarb, ſchied von der Erde mit der frohen Ahnung, daß die Saat ſeines Lebens jetzt aufging.
Am 30. Oktober ſtrömte überall im Lande das proteſtantiſche Volk zu den feſtlich geſchmückten Kirchen. In Berlin reichte Schleiermacher nach dem gemeinſamen Abendmahle dem Lutheraner Marheineke vor dem Altar die Hand. In der Potsdamer Garniſonkirche empfing der König mit ſeinem Hauſe und unzähligen Genoſſen beider Bekenntniſſe das Sacra- ment; Tags darauf legte er in Wittenberg den Grundſtein für das Stand- bild des Reformators. Welch ein Gegenſatz zu den beiden erſten Jubel- feſten der Reformation! Vor zweihundert Jahren ſtand das Unwetter des großen Krieges drohend am Himmel, hundert Jahre darauf war die Kirche völlig verarmt an geiſtiger Kraft, und jetzt gelang ihr wieder eine ſchöpferiſche That, eine That der Verſöhnung. Das Erwachen des hiſtoriſchen Sinnes hatte auch auf das kirchliche Leben ſegensreich zurückgewirkt. Luther er- ſchien ſeinem Volke nicht mehr, wie in den Tagen des alten Rationalismus, blos als der Bekämpfer Roms; das neue Geſchlecht begann auch die auf- bauende Thätigkeit der Reformation wieder dankbar zu würdigen. Ein frommer Sinn beſeelte unverkennbar die meiſten der Feſtſchriften des Tages. Das katholiſche Volk nahm an der friedlichen Feier wenig Aergerniß, ob- gleich es an Hader nicht ganz fehlte und die Streitſchrift des katholiſchen Pfarrers van Eß eine Reihe gereizter Erwiderungen hervorrief. Der Ge- danke der Union ergab ſich ſo nothwendig aus der Geſchichte des deutſchen Proteſtantismus, daß Friedrich Wilhelms Beiſpiel bald faſt in ſämmtlichen Gemeinden ſeines Landes und dann auch in andern deutſchen Staaten freiwillige Nachfolge fand. Schon im Auguſt 1818 wurde in der Stifts- kirche zu Kaiſerslautern feierlich verkündigt, daß die Union für die bairiſche Pfalz durch Abſtimmung aller Gemeinden angenommen ſei, und hier aller- dings hatte die kirchliche Gleichgiltigkeit einigen Antheil an dem Gelingen; viele der aufgeklärten Pfälzer fragten einfach, ob die Union die Kirchen- ſteuern erhöhen werde, und ſtimmten zu ſobald man ſie darüber be-
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II. 5. Die Wiederherſtellung des preußiſchen Staates.
darauf am 27. Septbr. 1817 veröffentlicht wurde. In ſchlichten Worten
verkündigte der König ſeinen Entſchluß, am Reformationsfeſte gemeinſam
mit den Lutheranern zum Abendmahl zu gehen; er denke damit im Geiſte
des Proteſtantismus, nach den Abſichten ſeiner Vorfahren und der Re-
formatoren ſelbſt zu handeln. Nicht der Uebergang der einen Kirche zu
der andern ſei beabſichtigt, ſondern beide ſollten eine neu belebte evangeliſch-
chriſtliche Kirche werden; aus der Freiheit eigener Ueberzeugung, nicht aus
Ueberredung oder Indifferentismus müſſe die Wiedervereinigung hervor-
gehn. Sein Beiſpiel, ſo hoffe er, werde wohlthuend auf alle proteſtanti-
ſchen Gemeinden im Lande wirken und eine allgemeine Nachfolge im Geiſte
und in der Wahrheit finden. Der Eindruck der herzlichen Anſprache war
tief und nachhaltig. Die unter Schleiermachers Vorſitze verſammelte bran-
denburgiſche Synode erklärte ſofort ihre Zuſtimmung, und der ehrwürdige
Sack, der während dieſer bewegten Tage ſtarb, ſchied von der Erde mit
der frohen Ahnung, daß die Saat ſeines Lebens jetzt aufging.
Am 30. Oktober ſtrömte überall im Lande das proteſtantiſche Volk
zu den feſtlich geſchmückten Kirchen. In Berlin reichte Schleiermacher
nach dem gemeinſamen Abendmahle dem Lutheraner Marheineke vor dem
Altar die Hand. In der Potsdamer Garniſonkirche empfing der König
mit ſeinem Hauſe und unzähligen Genoſſen beider Bekenntniſſe das Sacra-
ment; Tags darauf legte er in Wittenberg den Grundſtein für das Stand-
bild des Reformators. Welch ein Gegenſatz zu den beiden erſten Jubel-
feſten der Reformation! Vor zweihundert Jahren ſtand das Unwetter des
großen Krieges drohend am Himmel, hundert Jahre darauf war die Kirche
völlig verarmt an geiſtiger Kraft, und jetzt gelang ihr wieder eine ſchöpferiſche
That, eine That der Verſöhnung. Das Erwachen des hiſtoriſchen Sinnes
hatte auch auf das kirchliche Leben ſegensreich zurückgewirkt. Luther er-
ſchien ſeinem Volke nicht mehr, wie in den Tagen des alten Rationalismus,
blos als der Bekämpfer Roms; das neue Geſchlecht begann auch die auf-
bauende Thätigkeit der Reformation wieder dankbar zu würdigen. Ein
frommer Sinn beſeelte unverkennbar die meiſten der Feſtſchriften des Tages.
Das katholiſche Volk nahm an der friedlichen Feier wenig Aergerniß, ob-
gleich es an Hader nicht ganz fehlte und die Streitſchrift des katholiſchen
Pfarrers van Eß eine Reihe gereizter Erwiderungen hervorrief. Der Ge-
danke der Union ergab ſich ſo nothwendig aus der Geſchichte des deutſchen
Proteſtantismus, daß Friedrich Wilhelms Beiſpiel bald faſt in ſämmtlichen
Gemeinden ſeines Landes und dann auch in andern deutſchen Staaten
freiwillige Nachfolge fand. Schon im Auguſt 1818 wurde in der Stifts-
kirche zu Kaiſerslautern feierlich verkündigt, daß die Union für die bairiſche
Pfalz durch Abſtimmung aller Gemeinden angenommen ſei, und hier aller-
dings hatte die kirchliche Gleichgiltigkeit einigen Antheil an dem Gelingen;
viele der aufgeklärten Pfälzer fragten einfach, ob die Union die Kirchen-
ſteuern erhöhen werde, und ſtimmten zu ſobald man ſie darüber be-
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 242. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/256>, abgerufen am 15.06.2024.
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