Kirchen für das christliche Bewußtsein der Gegenwart nicht mehr die alte Bedeutung besaßen. An seinem Berufe zur Begründung der Union zweifelte der König niemals. Denn er dachte hoch von den Pflichten des landes- herrlichen Kirchenregiments, er wußte, daß die protestantische Kirche Deutsch- lands manche der Tugenden, die sie vor dem harten Sektengeiste der Nach- barlande voraus hatte, ihre weitherzige Duldsamkeit und ihren freieren Weltsinn zum guten Theile ihrer Verbindung mit der Staatsgewalt ver- dankte; die unabhängige Gemeindeverfassung des Calvinismus kannte und liebte er wenig.
Schon nach dem ersten Pariser Frieden wurde eine theologische Com- mission beauftragt, eine gemeinsame Liturgie für die Protestanten Preußens festzustellen; nicht würdiger als durch die Versöhnung des alten Bruder- zwistes glaubte der fromme Fürst seinen Dank für die Wunder dieses Krieges erweisen zu können. Nun kam das dritte Jubeljahr der Refor- mation. Marheinekes Reformationsgeschichte und zahlreiche andre Schriften erinnerten die freudig erregte protestantische Welt wieder an die ersten, beiden Kirchen gleich theuren Thaten Martin Luthers; in Nassau, wo die großen Ueberlieferungen des duldsamen oranischen Heldengeschlechts noch fortlebten, traten die Gemeinden beider Bekenntnisse zu einer Landeskirche zusammen. Jetzt schien auch dem Könige die Stunde der Entscheidung ge- kommen. Er selber wollte als vornehmstes Glied der Kirche zu seinem Volke sprechen -- denn er wisse, daß der Bürger, der Bauer und die Armee auf das Wort ihres Königs noch etwas gäben -- und begnügte sich mit den einfachen praktischen Vorschlägen, welche Bischof Sack schon vor fünf Jahren in seiner Schrift über die Vereinigung der protestanti- schen Kirchenparteien empfohlen hatte. Genug, wenn das Abendmahl in sämmtlichen evangelischen Kirchen gleichmäßig nach dem alten biblischen Ritus allen Protestanten gespendet und die Geistlichen beider Bekenntnisse ohne Unterschied zu allen Predigerstellen zugelassen wurden; aus dieser äußeren Vereinigung, die den Gewissen keine Gewalt anthat, konnte dann im Laufe der Jahre die lebendige Gemeinschaft der Gemüther er- wachsen.
Bei den Vorarbeiten ging dem Monarchen sein Hofbischof Eylert an die Hand, eine jener schmiegsamen Prälatennaturen, welche der Kirche freilich nicht durch den Muth des Bekenners voranleuchten, doch zuweilen, wie Thomas Cranmer, bei einem Werke der Vermittlung ihr unentbehr- lich werden. Der gewandte Hofmann hatte schon daheim in der Graf- schaft Mark, wo die beiden Confessionen bunt durch einander wohnten, den Boden für die Union wohl vorbereitet gefunden und stand den Ge- danken der Presbyterialverfassung näher als der König; in seinen dogma- tischen Anschauungen kam er niemals weit über den alten Rationalismus hinaus. Er entwarf nunmehr eine Ansprache des Monarchen an die Consistorien, die den ersten Theologen Berlins zur Prüfung vorgelegt und
Treitschke, Deutsche Geschichte. II. 16
Die evangeliſche Union.
Kirchen für das chriſtliche Bewußtſein der Gegenwart nicht mehr die alte Bedeutung beſaßen. An ſeinem Berufe zur Begründung der Union zweifelte der König niemals. Denn er dachte hoch von den Pflichten des landes- herrlichen Kirchenregiments, er wußte, daß die proteſtantiſche Kirche Deutſch- lands manche der Tugenden, die ſie vor dem harten Sektengeiſte der Nach- barlande voraus hatte, ihre weitherzige Duldſamkeit und ihren freieren Weltſinn zum guten Theile ihrer Verbindung mit der Staatsgewalt ver- dankte; die unabhängige Gemeindeverfaſſung des Calvinismus kannte und liebte er wenig.
Schon nach dem erſten Pariſer Frieden wurde eine theologiſche Com- miſſion beauftragt, eine gemeinſame Liturgie für die Proteſtanten Preußens feſtzuſtellen; nicht würdiger als durch die Verſöhnung des alten Bruder- zwiſtes glaubte der fromme Fürſt ſeinen Dank für die Wunder dieſes Krieges erweiſen zu können. Nun kam das dritte Jubeljahr der Refor- mation. Marheinekes Reformationsgeſchichte und zahlreiche andre Schriften erinnerten die freudig erregte proteſtantiſche Welt wieder an die erſten, beiden Kirchen gleich theuren Thaten Martin Luthers; in Naſſau, wo die großen Ueberlieferungen des duldſamen oraniſchen Heldengeſchlechts noch fortlebten, traten die Gemeinden beider Bekenntniſſe zu einer Landeskirche zuſammen. Jetzt ſchien auch dem Könige die Stunde der Entſcheidung ge- kommen. Er ſelber wollte als vornehmſtes Glied der Kirche zu ſeinem Volke ſprechen — denn er wiſſe, daß der Bürger, der Bauer und die Armee auf das Wort ihres Königs noch etwas gäben — und begnügte ſich mit den einfachen praktiſchen Vorſchlägen, welche Biſchof Sack ſchon vor fünf Jahren in ſeiner Schrift über die Vereinigung der proteſtanti- ſchen Kirchenparteien empfohlen hatte. Genug, wenn das Abendmahl in ſämmtlichen evangeliſchen Kirchen gleichmäßig nach dem alten bibliſchen Ritus allen Proteſtanten geſpendet und die Geiſtlichen beider Bekenntniſſe ohne Unterſchied zu allen Predigerſtellen zugelaſſen wurden; aus dieſer äußeren Vereinigung, die den Gewiſſen keine Gewalt anthat, konnte dann im Laufe der Jahre die lebendige Gemeinſchaft der Gemüther er- wachſen.
Bei den Vorarbeiten ging dem Monarchen ſein Hofbiſchof Eylert an die Hand, eine jener ſchmiegſamen Prälatennaturen, welche der Kirche freilich nicht durch den Muth des Bekenners voranleuchten, doch zuweilen, wie Thomas Cranmer, bei einem Werke der Vermittlung ihr unentbehr- lich werden. Der gewandte Hofmann hatte ſchon daheim in der Graf- ſchaft Mark, wo die beiden Confeſſionen bunt durch einander wohnten, den Boden für die Union wohl vorbereitet gefunden und ſtand den Ge- danken der Presbyterialverfaſſung näher als der König; in ſeinen dogma- tiſchen Anſchauungen kam er niemals weit über den alten Rationalismus hinaus. Er entwarf nunmehr eine Anſprache des Monarchen an die Conſiſtorien, die den erſten Theologen Berlins zur Prüfung vorgelegt und
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. II. 16
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Die evangeliſche Union.
Kirchen für das chriſtliche Bewußtſein der Gegenwart nicht mehr die alte
Bedeutung beſaßen. An ſeinem Berufe zur Begründung der Union zweifelte
der König niemals. Denn er dachte hoch von den Pflichten des landes-
herrlichen Kirchenregiments, er wußte, daß die proteſtantiſche Kirche Deutſch-
lands manche der Tugenden, die ſie vor dem harten Sektengeiſte der Nach-
barlande voraus hatte, ihre weitherzige Duldſamkeit und ihren freieren
Weltſinn zum guten Theile ihrer Verbindung mit der Staatsgewalt ver-
dankte; die unabhängige Gemeindeverfaſſung des Calvinismus kannte und
liebte er wenig.
Schon nach dem erſten Pariſer Frieden wurde eine theologiſche Com-
miſſion beauftragt, eine gemeinſame Liturgie für die Proteſtanten Preußens
feſtzuſtellen; nicht würdiger als durch die Verſöhnung des alten Bruder-
zwiſtes glaubte der fromme Fürſt ſeinen Dank für die Wunder dieſes
Krieges erweiſen zu können. Nun kam das dritte Jubeljahr der Refor-
mation. Marheinekes Reformationsgeſchichte und zahlreiche andre Schriften
erinnerten die freudig erregte proteſtantiſche Welt wieder an die erſten,
beiden Kirchen gleich theuren Thaten Martin Luthers; in Naſſau, wo die
großen Ueberlieferungen des duldſamen oraniſchen Heldengeſchlechts noch
fortlebten, traten die Gemeinden beider Bekenntniſſe zu einer Landeskirche
zuſammen. Jetzt ſchien auch dem Könige die Stunde der Entſcheidung ge-
kommen. Er ſelber wollte als vornehmſtes Glied der Kirche zu ſeinem
Volke ſprechen — denn er wiſſe, daß der Bürger, der Bauer und die
Armee auf das Wort ihres Königs noch etwas gäben — und begnügte
ſich mit den einfachen praktiſchen Vorſchlägen, welche Biſchof Sack ſchon
vor fünf Jahren in ſeiner Schrift über die Vereinigung der proteſtanti-
ſchen Kirchenparteien empfohlen hatte. Genug, wenn das Abendmahl in
ſämmtlichen evangeliſchen Kirchen gleichmäßig nach dem alten bibliſchen
Ritus allen Proteſtanten geſpendet und die Geiſtlichen beider Bekenntniſſe
ohne Unterſchied zu allen Predigerſtellen zugelaſſen wurden; aus dieſer
äußeren Vereinigung, die den Gewiſſen keine Gewalt anthat, konnte
dann im Laufe der Jahre die lebendige Gemeinſchaft der Gemüther er-
wachſen.
Bei den Vorarbeiten ging dem Monarchen ſein Hofbiſchof Eylert
an die Hand, eine jener ſchmiegſamen Prälatennaturen, welche der Kirche
freilich nicht durch den Muth des Bekenners voranleuchten, doch zuweilen,
wie Thomas Cranmer, bei einem Werke der Vermittlung ihr unentbehr-
lich werden. Der gewandte Hofmann hatte ſchon daheim in der Graf-
ſchaft Mark, wo die beiden Confeſſionen bunt durch einander wohnten,
den Boden für die Union wohl vorbereitet gefunden und ſtand den Ge-
danken der Presbyterialverfaſſung näher als der König; in ſeinen dogma-
tiſchen Anſchauungen kam er niemals weit über den alten Rationalismus
hinaus. Er entwarf nunmehr eine Anſprache des Monarchen an die
Conſiſtorien, die den erſten Theologen Berlins zur Prüfung vorgelegt und
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. II. 16
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 241. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/255>, abgerufen am 24.11.2024.
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