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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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II. 5. Die Wiederherstellung des preußischen Staates.
fürchteten, die Provinz könne durch ihren aufblühenden Wohlstand dem
Mutterlande entfremdet werden. Nach Jahren noch tauchte immer wieder
das Gerücht auf, der König denke die Provinz freiwillig an Polen zurückzu-
geben; immer wieder schwebte ein glückverheißender Glorienschein um das
Haupt der Mutter Polens, der heiligen Jungfrau in der Posener Karme-
literkirche. Die Treue der polnischen Beamten erschien, nach dem großen
Abfall von 1806, überaus zweifelhaft, und der Oberpräsident Zerboni rieth
dem Staatskanzler alles Ernstes, ihnen einen Revers abzufordern, kraft
dessen sie sich selber für Verräther an ihrer Nation erklären sollten
falls sie ihren Diensteid brächen. Hardenberg aber lehnte den Vorschlag
ab, weil die zweifache Verpflichtung den Gewissenlosen doch nicht zurück-
halten würde.

Nach kurzer Zeit schon fühlte sich der Statthalter sehr unglücklich in
seinem glänzenden und doch wenig einflußreichen Amte. Ein schöner Mann,
geistreich, hochherzig, ritterlich, vereinigte er mit jener leichten geselligen An-
muth, die den polnischen Edelmann auszeichnet, die gediegene deutsche Bil-
dung; sein gastfreies Haus war fast das einzige des hohen Adels in Berlin,
wo sich die vornehme Welt mit den Künstlern und Gelehrten zusammen-
fand, die Musiker bewunderten sein geistreiches Spiel und die sinnige Ro-
mantik seiner Compositionen. Die Radziwills waren seit zwei Jahrhun-
derten mit den Hohenzollern mehrfach verschwägert, Fürst Anton selbst hatte
sich mit der liebenswürdigen Prinzessin Luise von Preußen vermählt und
stand dem Könige persönlich nahe. Doch er blieb Pole und setzte die
Treue, die ihn selbst erfüllte, arglos bei seinem Volke voraus. "Ich stehe
Ihnen dafür -- schrieb er nach der Huldigung an Hardenberg -- daß diese
Provinz mit denen, welche seit Jahrhunderten dem Scepter Sr. Majestät
unterworfen sind, in Liebe wetteifern wird." Hatte doch der Canonicus
Kawiecki in seiner Festpredigt so rührsam von dem Jagellonenblute der
Hohenzollern gesprochen und der Adel so brünstig versichert: "schwere Er-
fahrungen haben uns gereift!" Durch ein "System der Nationalität",
durch liebevolles Eingehen auf alle Wünsche der Polen hoffte der Fürst
die Provinz am sichersten für Preußen zu gewinnen; indeß ward er bald
irr an diesen Plänen, als Gneisenau ihn warnte und er allmählich selbst
bemerkte, wie mißtrauisch und hinterhaltig seine eigenen Landsleute ihm
begegneten.*) Auch der Oberpräsident Zerboni di Sposetti gelangte nie-
mals zu einer festen Haltung den Polen gegenüber. Der geistreiche, leicht
erregte Feuerkopf hatte in seinen jungen Tagen mit Hans v. Held und
Knesebeck für die Ideale der Revolution geschwärmt; er war noch immer
ein erklärter Liberaler, dem Staatskanzler unbedingt ergeben, und meinte
sich verpflichtet die von der liberalen Welt gebrandmarkte Theilung Polens
durch nachsichtige Milde zu sühnen. Zuweilen ward er freilich, gleich dem

*) Radziwill an Hardenberg, 9. Aug. 1815. Rover an Gneisenau, 10. Mai 1817.

II. 5. Die Wiederherſtellung des preußiſchen Staates.
fürchteten, die Provinz könne durch ihren aufblühenden Wohlſtand dem
Mutterlande entfremdet werden. Nach Jahren noch tauchte immer wieder
das Gerücht auf, der König denke die Provinz freiwillig an Polen zurückzu-
geben; immer wieder ſchwebte ein glückverheißender Glorienſchein um das
Haupt der Mutter Polens, der heiligen Jungfrau in der Poſener Karme-
literkirche. Die Treue der polniſchen Beamten erſchien, nach dem großen
Abfall von 1806, überaus zweifelhaft, und der Oberpräſident Zerboni rieth
dem Staatskanzler alles Ernſtes, ihnen einen Revers abzufordern, kraft
deſſen ſie ſich ſelber für Verräther an ihrer Nation erklären ſollten
falls ſie ihren Dienſteid brächen. Hardenberg aber lehnte den Vorſchlag
ab, weil die zweifache Verpflichtung den Gewiſſenloſen doch nicht zurück-
halten würde.

Nach kurzer Zeit ſchon fühlte ſich der Statthalter ſehr unglücklich in
ſeinem glänzenden und doch wenig einflußreichen Amte. Ein ſchöner Mann,
geiſtreich, hochherzig, ritterlich, vereinigte er mit jener leichten geſelligen An-
muth, die den polniſchen Edelmann auszeichnet, die gediegene deutſche Bil-
dung; ſein gaſtfreies Haus war faſt das einzige des hohen Adels in Berlin,
wo ſich die vornehme Welt mit den Künſtlern und Gelehrten zuſammen-
fand, die Muſiker bewunderten ſein geiſtreiches Spiel und die ſinnige Ro-
mantik ſeiner Compoſitionen. Die Radziwills waren ſeit zwei Jahrhun-
derten mit den Hohenzollern mehrfach verſchwägert, Fürſt Anton ſelbſt hatte
ſich mit der liebenswürdigen Prinzeſſin Luiſe von Preußen vermählt und
ſtand dem Könige perſönlich nahe. Doch er blieb Pole und ſetzte die
Treue, die ihn ſelbſt erfüllte, arglos bei ſeinem Volke voraus. „Ich ſtehe
Ihnen dafür — ſchrieb er nach der Huldigung an Hardenberg — daß dieſe
Provinz mit denen, welche ſeit Jahrhunderten dem Scepter Sr. Majeſtät
unterworfen ſind, in Liebe wetteifern wird.“ Hatte doch der Canonicus
Kawiecki in ſeiner Feſtpredigt ſo rührſam von dem Jagellonenblute der
Hohenzollern geſprochen und der Adel ſo brünſtig verſichert: „ſchwere Er-
fahrungen haben uns gereift!“ Durch ein „Syſtem der Nationalität“,
durch liebevolles Eingehen auf alle Wünſche der Polen hoffte der Fürſt
die Provinz am ſicherſten für Preußen zu gewinnen; indeß ward er bald
irr an dieſen Plänen, als Gneiſenau ihn warnte und er allmählich ſelbſt
bemerkte, wie mißtrauiſch und hinterhaltig ſeine eigenen Landsleute ihm
begegneten.*) Auch der Oberpräſident Zerboni di Spoſetti gelangte nie-
mals zu einer feſten Haltung den Polen gegenüber. Der geiſtreiche, leicht
erregte Feuerkopf hatte in ſeinen jungen Tagen mit Hans v. Held und
Kneſebeck für die Ideale der Revolution geſchwärmt; er war noch immer
ein erklärter Liberaler, dem Staatskanzler unbedingt ergeben, und meinte
ſich verpflichtet die von der liberalen Welt gebrandmarkte Theilung Polens
durch nachſichtige Milde zu ſühnen. Zuweilen ward er freilich, gleich dem

*) Radziwill an Hardenberg, 9. Aug. 1815. Rover an Gneiſenau, 10. Mai 1817.
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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 246. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/260>, abgerufen am 24.11.2024.