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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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II. 5. Die Wiederherstellung des preußischen Staates.
Landstrichen der Provinz, in den überwiegend protestantischen Grafschaften
Ravensberg und Mark regte sich schon ein schwunghafter Verkehr. Die
Bielefelder hatten ihre altberühmte Leinenweberei selbst durch die Con-
tinentalsperre nicht ganz zerstören lassen und eroberten sich gleich nach dem
Frieden den amerikanischen Markt für ihre Segeltuche. Den Kohlen-
werken und Eisenhämmern des märkischen Sauerlandes war ein wichtiger
neuer Absatzweg eröffnet seit Stein die Ruhr schiffbar gemacht, und be-
reits gingen jährlich an 21/2 Mill. Ctr. Steinkohlen thalwärts. Vincke
aber sah in Alledem nur die vielverheißenden Anfänge einer neuen Ent-
wickelung; er wußte, welcher Reichthum in den Bodenschätzen seiner Hei-
math, in der zähen Kraft ihrer Bewohner verborgen lag, und wiederholte
seinen Landsleuten gern den alten Lobspruch des Erasmus: kein Volk der
Welt ist ausdauernder in der Arbeit. Er fühlte sich als Steins Erbe
und wollte für ganz Westphalen vollenden was dieser in der Grafschaft
Mark begonnen hatte. Als das untere Ruhrthal mit der benachbarten
rheinischen Provinz vereinigt wurde, erbat er sich von dem Könige die
Gnade, daß ihm die Aufsicht über den gesammten Stromlauf verblieb,
und ruhte nicht, bis er die Mittel erhielt zum Bau des Ruhrorter Hafens,
des großen Ausgangsthores der westphälischen Bergwerke. Zugleich traf
er die ersten Anstalten um auch die Lippe bis nach Lippstadt hinauf der
Schifffahrt zu erschließen.

Schwerere Aufgaben erwarteten den Unermüdlichen in den neuen
Gebieten. Das Herzogthum Westphalen hatte Jahrhunderte lang unter
dem trägen Regimente des kölnischen Bisthums dahingeträumt, dann
als darmstädtische Provinz die Willkür von fünf coordinirten Oberbe-
hörden und zahllosen Unterbeamten ertragen; hier galt es "den Stall des
Augias zu säubern". Unbekümmert um die Klagen der Grafschaft Mark
setzte Vincke durch, daß die Hauptstadt des westlichen Regierungsbezirks
nicht in das rührige Hamm, sondern mitten in das rauhe Bergland
des Oberruhrthals auf den abgelegenen Felsriegel von Arnsberg verlegt
wurde: Ihr Markaner, meinte er, helft Euch selbst, hier im Herzogthum
müssen wir erst das Leben erwecken.*) Um die neue Beamtenstadt mit
der Welt zu verbinden, wurde das Straßennetz, dessen Anfänge Stein in
der Grafschaft Mark begründet hatte, rüstig ausgebaut, und schon im
Jahre 1817 konnte Vincke nach Berlin berichten, daß der Arnsberger Re-
gierungsbezirk 50 Meilen Chausseen und Kohlenwege zähle, während der
gesammte Staat erst 523 Meilen Chaussee, die Provinz Pommern noch
keine einzige Steinstraße besaß. Freilich pflegten die Straßen dieser Zeit
noch grundsätzlich die gerade Linie zu vermeiden, dicht neben dem be-
quemen Thale in weiten Windungen bergauf bergab zu klimmen, damit

*) Vincke, allgemeine Darstellung des Zustandes vom Herzogthum Westphalen,
9. Mai 1817. Vincke an Hardenberg, 17. Juli 1815, 15. Juli, 14. August 1816.

II. 5. Die Wiederherſtellung des preußiſchen Staates.
Landſtrichen der Provinz, in den überwiegend proteſtantiſchen Grafſchaften
Ravensberg und Mark regte ſich ſchon ein ſchwunghafter Verkehr. Die
Bielefelder hatten ihre altberühmte Leinenweberei ſelbſt durch die Con-
tinentalſperre nicht ganz zerſtören laſſen und eroberten ſich gleich nach dem
Frieden den amerikaniſchen Markt für ihre Segeltuche. Den Kohlen-
werken und Eiſenhämmern des märkiſchen Sauerlandes war ein wichtiger
neuer Abſatzweg eröffnet ſeit Stein die Ruhr ſchiffbar gemacht, und be-
reits gingen jährlich an 2½ Mill. Ctr. Steinkohlen thalwärts. Vincke
aber ſah in Alledem nur die vielverheißenden Anfänge einer neuen Ent-
wickelung; er wußte, welcher Reichthum in den Bodenſchätzen ſeiner Hei-
math, in der zähen Kraft ihrer Bewohner verborgen lag, und wiederholte
ſeinen Landsleuten gern den alten Lobſpruch des Erasmus: kein Volk der
Welt iſt ausdauernder in der Arbeit. Er fühlte ſich als Steins Erbe
und wollte für ganz Weſtphalen vollenden was dieſer in der Grafſchaft
Mark begonnen hatte. Als das untere Ruhrthal mit der benachbarten
rheiniſchen Provinz vereinigt wurde, erbat er ſich von dem Könige die
Gnade, daß ihm die Aufſicht über den geſammten Stromlauf verblieb,
und ruhte nicht, bis er die Mittel erhielt zum Bau des Ruhrorter Hafens,
des großen Ausgangsthores der weſtphäliſchen Bergwerke. Zugleich traf
er die erſten Anſtalten um auch die Lippe bis nach Lippſtadt hinauf der
Schifffahrt zu erſchließen.

Schwerere Aufgaben erwarteten den Unermüdlichen in den neuen
Gebieten. Das Herzogthum Weſtphalen hatte Jahrhunderte lang unter
dem trägen Regimente des kölniſchen Bisthums dahingeträumt, dann
als darmſtädtiſche Provinz die Willkür von fünf coordinirten Oberbe-
hörden und zahlloſen Unterbeamten ertragen; hier galt es „den Stall des
Augias zu ſäubern“. Unbekümmert um die Klagen der Grafſchaft Mark
ſetzte Vincke durch, daß die Hauptſtadt des weſtlichen Regierungsbezirks
nicht in das rührige Hamm, ſondern mitten in das rauhe Bergland
des Oberruhrthals auf den abgelegenen Felsriegel von Arnsberg verlegt
wurde: Ihr Markaner, meinte er, helft Euch ſelbſt, hier im Herzogthum
müſſen wir erſt das Leben erwecken.*) Um die neue Beamtenſtadt mit
der Welt zu verbinden, wurde das Straßennetz, deſſen Anfänge Stein in
der Grafſchaft Mark begründet hatte, rüſtig ausgebaut, und ſchon im
Jahre 1817 konnte Vincke nach Berlin berichten, daß der Arnsberger Re-
gierungsbezirk 50 Meilen Chauſſeen und Kohlenwege zähle, während der
geſammte Staat erſt 523 Meilen Chauſſee, die Provinz Pommern noch
keine einzige Steinſtraße beſaß. Freilich pflegten die Straßen dieſer Zeit
noch grundſätzlich die gerade Linie zu vermeiden, dicht neben dem be-
quemen Thale in weiten Windungen bergauf bergab zu klimmen, damit

*) Vincke, allgemeine Darſtellung des Zuſtandes vom Herzogthum Weſtphalen,
9. Mai 1817. Vincke an Hardenberg, 17. Juli 1815, 15. Juli, 14. Auguſt 1816.
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[264/0278] II. 5. Die Wiederherſtellung des preußiſchen Staates. Landſtrichen der Provinz, in den überwiegend proteſtantiſchen Grafſchaften Ravensberg und Mark regte ſich ſchon ein ſchwunghafter Verkehr. Die Bielefelder hatten ihre altberühmte Leinenweberei ſelbſt durch die Con- tinentalſperre nicht ganz zerſtören laſſen und eroberten ſich gleich nach dem Frieden den amerikaniſchen Markt für ihre Segeltuche. Den Kohlen- werken und Eiſenhämmern des märkiſchen Sauerlandes war ein wichtiger neuer Abſatzweg eröffnet ſeit Stein die Ruhr ſchiffbar gemacht, und be- reits gingen jährlich an 2½ Mill. Ctr. Steinkohlen thalwärts. Vincke aber ſah in Alledem nur die vielverheißenden Anfänge einer neuen Ent- wickelung; er wußte, welcher Reichthum in den Bodenſchätzen ſeiner Hei- math, in der zähen Kraft ihrer Bewohner verborgen lag, und wiederholte ſeinen Landsleuten gern den alten Lobſpruch des Erasmus: kein Volk der Welt iſt ausdauernder in der Arbeit. Er fühlte ſich als Steins Erbe und wollte für ganz Weſtphalen vollenden was dieſer in der Grafſchaft Mark begonnen hatte. Als das untere Ruhrthal mit der benachbarten rheiniſchen Provinz vereinigt wurde, erbat er ſich von dem Könige die Gnade, daß ihm die Aufſicht über den geſammten Stromlauf verblieb, und ruhte nicht, bis er die Mittel erhielt zum Bau des Ruhrorter Hafens, des großen Ausgangsthores der weſtphäliſchen Bergwerke. Zugleich traf er die erſten Anſtalten um auch die Lippe bis nach Lippſtadt hinauf der Schifffahrt zu erſchließen. Schwerere Aufgaben erwarteten den Unermüdlichen in den neuen Gebieten. Das Herzogthum Weſtphalen hatte Jahrhunderte lang unter dem trägen Regimente des kölniſchen Bisthums dahingeträumt, dann als darmſtädtiſche Provinz die Willkür von fünf coordinirten Oberbe- hörden und zahlloſen Unterbeamten ertragen; hier galt es „den Stall des Augias zu ſäubern“. Unbekümmert um die Klagen der Grafſchaft Mark ſetzte Vincke durch, daß die Hauptſtadt des weſtlichen Regierungsbezirks nicht in das rührige Hamm, ſondern mitten in das rauhe Bergland des Oberruhrthals auf den abgelegenen Felsriegel von Arnsberg verlegt wurde: Ihr Markaner, meinte er, helft Euch ſelbſt, hier im Herzogthum müſſen wir erſt das Leben erwecken. *) Um die neue Beamtenſtadt mit der Welt zu verbinden, wurde das Straßennetz, deſſen Anfänge Stein in der Grafſchaft Mark begründet hatte, rüſtig ausgebaut, und ſchon im Jahre 1817 konnte Vincke nach Berlin berichten, daß der Arnsberger Re- gierungsbezirk 50 Meilen Chauſſeen und Kohlenwege zähle, während der geſammte Staat erſt 523 Meilen Chauſſee, die Provinz Pommern noch keine einzige Steinſtraße beſaß. Freilich pflegten die Straßen dieſer Zeit noch grundſätzlich die gerade Linie zu vermeiden, dicht neben dem be- quemen Thale in weiten Windungen bergauf bergab zu klimmen, damit *) Vincke, allgemeine Darſtellung des Zuſtandes vom Herzogthum Weſtphalen, 9. Mai 1817. Vincke an Hardenberg, 17. Juli 1815, 15. Juli, 14. Auguſt 1816.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 264. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/278>, abgerufen am 24.11.2024.