II. 5. Die Wiederherstellung des preußischen Staates.
ersten Musikvereine gestiftet, immer in der stillen Hoffnung dereinst den Franzosen zum Tanz aufzuspielen; dann der Burscheider Pastor Löh, der bei allen Religionsparteien gleich angesehen, allen Duldung und Frieden predigte; dann der Prediger Ascheberg, Herausgeber der auch in West- phalen weit verbreiteten und durch Vincke eifrig unterstützten Zeitschrift Hermann. Ueber die Grenzen der Landschaft hinaus reichte die Wirk- samkeit des schlagfertigen Polyhistors Benzenberg. Der wackere Patriot hatte sich in seiner gewerbfleißigen Heimath eine volkswirthschaftliche Bil- dung erworben, die den übrigen deutschen Publicisten noch fehlte, und dann im Verkehr mit Hardenberg und Gneisenau gelernt, wie sich die politischen Dinge von oben betrachtet ausnehmen; er lieh dem Staats- kanzler freiwillig seine unabhängige Feder und bekämpfte unverdrossen mit fröhlichem bergischem Freimuth die Vorurtheile der Rheinländer wider den preußischen Staat.
Noch williger als Berg fanden sich die altpreußischen Lande Cleve, Mörs und Geldern in die neue Ordnung: nicht blos Wesel und Duis- burg, die alten Burgen des streitbaren Calvinismus, sondern auch die strengkatholischen Landleute des linken Ufers, die bei der gnadenreichen Mutter Gottes von Kevelaer ihren Trost suchten. Das Volk dachte mit Stolz an die lange Reihe glänzender Talente, welche der Staat der Hohen- zollern diesem entlegenen Winkel verdankte; eben jetzt hatte die kleine Stadt Cleve dem preußischen Beamtenthum wieder vier seiner besten Männer geschenkt: Maassen, Beuth, Sack und Sethe. In dem treuen Krefeld trat die preußische Gesinnung so trotzig auf, daß die heimkehrenden franzö- sischen Gefangenen auf dem Durchmarsch kaum ihres Lebens sicher waren; die Seidenfabriken der rührigen Stadt erlitten durch die Trennung von Frankreich zunächst schwere Verluste, aber so große Firmen wie das Haus v. d. Leyen, so thätige, königliche Kaufleute wie de Greiff trauten sich's schon zu, daß sie die unvermeidlichen Leiden der Uebergangsjahre über- stehen würden.
Weiter aufwärts am linken Ufer ward den preußischen Beamten der alte Gegensatz der weltlichen und der geistlichen Landschaften bald fühlbar. Die Grafschafter in dem Saarbrückener Kohlenbecken gedachten noch immer mit Liebe des nassauischen Hauses, das so lange unter ihnen geherrscht und in der alten Kirche von St. Arnual seine Ruhestatt gefunden hatte; die Pfälzer auf dem Hunsrücken und im Nahethale vergaßen der glän- zenden Tage nicht, da das kleine Simmern der Stammsitz des mächtigsten rheinischen Fürstengeschlechts gewesen; sie alle, Katholiken wie Protestanten, kannten die Wohlthaten deutschen Fürstenregiments und begrüßten mit Freuden die preußische Herrschaft, da die Rückkehr zu den alten Dynastien doch unmöglich war. In den alten Krummstabslanden dagegen, auch in Aachen und in Jülich regte sich überall eine mißtrauische störrische Unzu- friedenheit. Hier fehlten gänzlich die monarchischen Ueberlieferungen, in
II. 5. Die Wiederherſtellung des preußiſchen Staates.
erſten Muſikvereine geſtiftet, immer in der ſtillen Hoffnung dereinſt den Franzoſen zum Tanz aufzuſpielen; dann der Burſcheider Paſtor Löh, der bei allen Religionsparteien gleich angeſehen, allen Duldung und Frieden predigte; dann der Prediger Aſcheberg, Herausgeber der auch in Weſt- phalen weit verbreiteten und durch Vincke eifrig unterſtützten Zeitſchrift Hermann. Ueber die Grenzen der Landſchaft hinaus reichte die Wirk- ſamkeit des ſchlagfertigen Polyhiſtors Benzenberg. Der wackere Patriot hatte ſich in ſeiner gewerbfleißigen Heimath eine volkswirthſchaftliche Bil- dung erworben, die den übrigen deutſchen Publiciſten noch fehlte, und dann im Verkehr mit Hardenberg und Gneiſenau gelernt, wie ſich die politiſchen Dinge von oben betrachtet ausnehmen; er lieh dem Staats- kanzler freiwillig ſeine unabhängige Feder und bekämpfte unverdroſſen mit fröhlichem bergiſchem Freimuth die Vorurtheile der Rheinländer wider den preußiſchen Staat.
Noch williger als Berg fanden ſich die altpreußiſchen Lande Cleve, Mörs und Geldern in die neue Ordnung: nicht blos Weſel und Duis- burg, die alten Burgen des ſtreitbaren Calvinismus, ſondern auch die ſtrengkatholiſchen Landleute des linken Ufers, die bei der gnadenreichen Mutter Gottes von Kevelaer ihren Troſt ſuchten. Das Volk dachte mit Stolz an die lange Reihe glänzender Talente, welche der Staat der Hohen- zollern dieſem entlegenen Winkel verdankte; eben jetzt hatte die kleine Stadt Cleve dem preußiſchen Beamtenthum wieder vier ſeiner beſten Männer geſchenkt: Maaſſen, Beuth, Sack und Sethe. In dem treuen Krefeld trat die preußiſche Geſinnung ſo trotzig auf, daß die heimkehrenden franzö- ſiſchen Gefangenen auf dem Durchmarſch kaum ihres Lebens ſicher waren; die Seidenfabriken der rührigen Stadt erlitten durch die Trennung von Frankreich zunächſt ſchwere Verluſte, aber ſo große Firmen wie das Haus v. d. Leyen, ſo thätige, königliche Kaufleute wie de Greiff trauten ſich’s ſchon zu, daß ſie die unvermeidlichen Leiden der Uebergangsjahre über- ſtehen würden.
Weiter aufwärts am linken Ufer ward den preußiſchen Beamten der alte Gegenſatz der weltlichen und der geiſtlichen Landſchaften bald fühlbar. Die Grafſchafter in dem Saarbrückener Kohlenbecken gedachten noch immer mit Liebe des naſſauiſchen Hauſes, das ſo lange unter ihnen geherrſcht und in der alten Kirche von St. Arnual ſeine Ruheſtatt gefunden hatte; die Pfälzer auf dem Hunsrücken und im Nahethale vergaßen der glän- zenden Tage nicht, da das kleine Simmern der Stammſitz des mächtigſten rheiniſchen Fürſtengeſchlechts geweſen; ſie alle, Katholiken wie Proteſtanten, kannten die Wohlthaten deutſchen Fürſtenregiments und begrüßten mit Freuden die preußiſche Herrſchaft, da die Rückkehr zu den alten Dynaſtien doch unmöglich war. In den alten Krummſtabslanden dagegen, auch in Aachen und in Jülich regte ſich überall eine mißtrauiſche ſtörriſche Unzu- friedenheit. Hier fehlten gänzlich die monarchiſchen Ueberlieferungen, in
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II. 5. Die Wiederherſtellung des preußiſchen Staates.
erſten Muſikvereine geſtiftet, immer in der ſtillen Hoffnung dereinſt den
Franzoſen zum Tanz aufzuſpielen; dann der Burſcheider Paſtor Löh, der
bei allen Religionsparteien gleich angeſehen, allen Duldung und Frieden
predigte; dann der Prediger Aſcheberg, Herausgeber der auch in Weſt-
phalen weit verbreiteten und durch Vincke eifrig unterſtützten Zeitſchrift
Hermann. Ueber die Grenzen der Landſchaft hinaus reichte die Wirk-
ſamkeit des ſchlagfertigen Polyhiſtors Benzenberg. Der wackere Patriot
hatte ſich in ſeiner gewerbfleißigen Heimath eine volkswirthſchaftliche Bil-
dung erworben, die den übrigen deutſchen Publiciſten noch fehlte, und
dann im Verkehr mit Hardenberg und Gneiſenau gelernt, wie ſich die
politiſchen Dinge von oben betrachtet ausnehmen; er lieh dem Staats-
kanzler freiwillig ſeine unabhängige Feder und bekämpfte unverdroſſen mit
fröhlichem bergiſchem Freimuth die Vorurtheile der Rheinländer wider den
preußiſchen Staat.
Noch williger als Berg fanden ſich die altpreußiſchen Lande Cleve,
Mörs und Geldern in die neue Ordnung: nicht blos Weſel und Duis-
burg, die alten Burgen des ſtreitbaren Calvinismus, ſondern auch die
ſtrengkatholiſchen Landleute des linken Ufers, die bei der gnadenreichen
Mutter Gottes von Kevelaer ihren Troſt ſuchten. Das Volk dachte mit
Stolz an die lange Reihe glänzender Talente, welche der Staat der Hohen-
zollern dieſem entlegenen Winkel verdankte; eben jetzt hatte die kleine Stadt
Cleve dem preußiſchen Beamtenthum wieder vier ſeiner beſten Männer
geſchenkt: Maaſſen, Beuth, Sack und Sethe. In dem treuen Krefeld
trat die preußiſche Geſinnung ſo trotzig auf, daß die heimkehrenden franzö-
ſiſchen Gefangenen auf dem Durchmarſch kaum ihres Lebens ſicher waren;
die Seidenfabriken der rührigen Stadt erlitten durch die Trennung von
Frankreich zunächſt ſchwere Verluſte, aber ſo große Firmen wie das Haus
v. d. Leyen, ſo thätige, königliche Kaufleute wie de Greiff trauten ſich’s
ſchon zu, daß ſie die unvermeidlichen Leiden der Uebergangsjahre über-
ſtehen würden.
Weiter aufwärts am linken Ufer ward den preußiſchen Beamten der
alte Gegenſatz der weltlichen und der geiſtlichen Landſchaften bald fühlbar.
Die Grafſchafter in dem Saarbrückener Kohlenbecken gedachten noch immer
mit Liebe des naſſauiſchen Hauſes, das ſo lange unter ihnen geherrſcht
und in der alten Kirche von St. Arnual ſeine Ruheſtatt gefunden hatte;
die Pfälzer auf dem Hunsrücken und im Nahethale vergaßen der glän-
zenden Tage nicht, da das kleine Simmern der Stammſitz des mächtigſten
rheiniſchen Fürſtengeſchlechts geweſen; ſie alle, Katholiken wie Proteſtanten,
kannten die Wohlthaten deutſchen Fürſtenregiments und begrüßten mit
Freuden die preußiſche Herrſchaft, da die Rückkehr zu den alten Dynaſtien
doch unmöglich war. In den alten Krummſtabslanden dagegen, auch in
Aachen und in Jülich regte ſich überall eine mißtrauiſche ſtörriſche Unzu-
friedenheit. Hier fehlten gänzlich die monarchiſchen Ueberlieferungen, in
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/282>, abgerufen am 18.06.2024.
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